Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#551 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 6. Mär 2019, 12:40

Pluto hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 12:31
(1) ist die einzige gültige Definition (siehe Wikipedia)... da ist "ontische" Wirklichkeit eine Tautologie wie "weißer Schimmel".
Und... man kann immer Wirklichkeit beobachten, bzw messen.
Das widerspricht sich - Du meinst (3), dann stimmt es.

Pluto hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 12:31
Mit dem Begriff Wirklichkeit wird all das beschrieben, was der Fall ist.
DAs ist (1), aber nicht (3).

Pluto
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#552 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Pluto » Mi 6. Mär 2019, 13:02

closs hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 12:40
Pluto hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 12:31
(1) ist die einzige gültige Definition (siehe Wikipedia)... da ist "ontische" Wirklichkeit eine Tautologie wie "weißer Schimmel".
Und... man kann immer Wirklichkeit beobachten, bzw messen.
Das widerspricht sich - Du meinst (3), dann stimmt es.
Nö. Ich sagte (1) und meine das auch. Trotzdem ist die Wirklichkeit IMMER beobachtbar.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 12:31
Mit dem Begriff Wirklichkeit wird all das beschrieben, was der Fall ist.
DAs ist (1), aber nicht (3).
Das wäre dann (4)! Wirklichkeit ist das was der Fall ist, UND diese ist immer beobachtbar.
Nenne mir und begründe ein Beispiel, wo das nicht so ist.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#553 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 6. Mär 2019, 15:44

Pluto hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 13:02
Ich sagte (1) und meine das auch. Trotzdem ist die Wirklichkeit IMMER beobachtbar.
Das widerspricht sich aber. - Etwas kann nicht unabhängig vom Menschen sein und gleichzeitig davon abhängen, dass der Mensch es beobachten kann.

Pluto hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 13:02
Nenne mir und begründe ein Beispiel, wo das nicht so ist.
Das kommt drauf an, wie man Wirklichkeit definiert. - Wenn man Wirklichkeit so definiert, dass sie immer beobachtbar ist, kann es rein definitorisch/logisch nicht sein, dass es Fälle gibt, bei denen Wirklichkeit NICHT definierbar ist.

Definiert man wie "1) W. = was der Fall ist, egal ob wir es wahrnehmungsmäßig/wissenschaftlich untersuchen (können)", kann es Wirklichkeit geben, die nicht wissenschaftlich nachweisbar ist.

JackSparrow
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#554 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von JackSparrow » Mi 6. Mär 2019, 17:04

closs hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 09:48
Gemäß meiner Hypothese gibt es WAHRNEHMUNGSMÄSSIG zwischen Echtheit und Vorstellung keinerlei erkennbaren Unterschied. - Dennoch behaupte ich, dass Echtheit und Vorstellung ONTISCH fundamental verschieden seien. Das verstehe ich unter Logik.
Neue Adjektive zu erfinden, um die Unlogik zu kaschieren?

Du kannst WAHRNEHMUNGSMÄSSIG nicht unterscheiden. Ergo können wir auch deine Wahrnehmung als ONTISCH und deine Fantasie als UNONTISCH bezeichnen, ohne dass sich an deiner Hypothese irgendwas verändern würde, denn es existiert keine logische Prämisse, die dir vorschreiben könnte, auf welche deiner beiden fundamental verschiedenen Welten du welches Adjektiv anzuwenden hast.

closs
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#555 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 6. Mär 2019, 17:41

JackSparrow hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 17:04
Ergo können wir auch deine Wahrnehmung als ONTISCH und deine Fantasie als UNONTISCH bezeichnen
Klar - man kann sagen: "Das ist Wirklichkeit, was ich erlebe/wahrnehme". - Nur ist das etwas anderes als "Wirklichkeit ist das, was unabhängig von mir der Fall ist".

Mir geht es doch darum, "Wirklichkeit" SEMANTISCH zu klären.

JackSparrow hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 17:04
es existiert keine logische Prämisse, die dir vorschreiben könnte, auf welche deiner beiden fundamental verschiedenen Welten du welches Adjektiv anzuwenden hast.
Gut - Sprache beruht auf Vereinbarung. - Dich bspw. nennt hier jeder "Jack" - man könnte Dich auch Erna oder Olaf nennen. - Tut man aber nicht, weil man kommunikations-fähig (= A und B verstehen beim Wort x halbwegs dasselbe) sein will.

Claymore
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#556 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Claymore » Mi 6. Mär 2019, 19:21

closs hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 23:09
Claymore hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 20:05
Ich habe hier über Punkt 1 und Punkt 2 gesprochen, die ich vielleicht nicht ganz sauber differenziert habe.
Macht nichts - wir sollten gegenseitig etwas gnädiger und fragender miteinander umgehen.

Claymore hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 20:05
Aber da es hier doch um die pragmatische Ebene des gesellschaftlichen Zusammenlebens gehen soll, sind philosophische Gedankenexperimente über hypothetische Szenarien, die nicht wirklich geglaubt werden, nicht interessant.
Aber dort muss man auch nicht über philosophische/ontologische Fragen nachdenken. - Im Grunde sehe ich das unterm dem Gesichtspunkt Suum cuique: Welche Frage passt zu welcher Ebene?

Im Grunde würde auch Descartes Dir zustimmen (ich doch auch - auf DIESER Ebene). - Descartes könnte sagen:
1) Die geistige Welt (Res cogitans) ist die erste Welt.
2) Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob Wahrnehmung/Wissenschaft sich auf "echt" bezieht oder nur Vorstellung ist <diese Aussage ist aus meiner Sicht logisch nicht widerlegbar und somit vernünftig>
3) Trotzdem GLAUBE ich an die Existenz der zweiten Welt (Res extensae) - nachweisen kann ich sie ja nicht.
4) WEIL ich daran glaube, ist das ein "Glaubensentscheid", dem sich alle meine weiteren Urteile <ab Ebene 2> unterwerfen.
5) Somit ist es ein Grund zur Zwangseinweisung, wenn jemand meint, dass nur seine Vorstellungen existieren, aber nicht die äußere Welt.

Aber 5) geht halt erst, nachdem 1 - 4 erledigt sind. - Und da sehe ich halt immer wieder, dass 1 - 4 übergangen werden, weil man sie gar nicht erkennt. - Das wäre nicht schlimm, wenn man diesen Mangel nicht als Attribut des "Fortschritts" bezeichnen würde.

  1. Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob die katholische Lehre wahr ist <diese Aussage ist aus meiner Sicht logisch nicht widerlegbar und somit vernünftig>
  2. Trotzdem GLAUBE ich an die Wahrheit der katholischen Lehre - nachweisen kann man sie ja nicht.
  3. WEIL ich daran glaube, ist das ein "Glaubensentscheid", dem sich alle meine weiteren Urteile unterwerfen.
  4. Somit ist es ein Grund Ketzer, die die katholische Lehre kritisieren und somit andere von ihrer heilsbringenden Wirkung abbringen, zu bestrafen.
Oder setz irgendwas anderes für “zweite Welt” ein.

PS: “logisch nicht widerlegbar und somit vernünftig” ist üüübel.
Stephen E. Toulmin: “The Uses of Argumentâ€&#x9D; hat geschrieben:Let us at this point return to my initial assertion that the phrase ‘logical possibility’ and its cognate are misnomers. This may perhaps have been an exaggeration, but it was a pardonable one. Nothing is decided by merely putting a case in proper form, but rather a situation is created in which we can begin to ask rational questions: we are put into a position in which we can use substantial decision-procedures. We do, it is true, have occasion sometimes to rule out suggested propositions or conclusions as impossible on the preliminary ground of sheer inconsistency, or to acknowledge them as being consistent linguistically with those data, or even forced on us by the acceptance of these data; but to say that a conclusion is logically necessary, or logically impossible, is not to say that in the first case the problem has been solved by the discovery of cast-iron arguments or utterly overwhelming evidence, while in the latter case the proposition had to be ruled out for similar reasons. It is to say, rather, that in the latter case the problem never really got under way, since the proposed solution turned out to be one which, for reasons of consistency alone, was ruled out from the start; while in the former case, having accepted the data to begin with, we were no longer in the position of having to assess the strength of any arguments involved—since no arguments were needed.

So long as no more than this is meant by the phrases ‘logically possible, impossible and necessary’, they are innocuous and acceptable enough: yet the danger remains of confusing logical possibility, impossibility and necessity with other sorts, and of suggesting, e.g., that some conclusion needs taking into consideration, when it has only been shown not to be in actual contradiction with our previous information. How blithely philosophers often take this further step anyone who has read their works will know. Descartes, for instance, suggests that all our sensory experience might possibly be a hallucination contrived by an ingenious demon. Bertrand Russell, too, professes doubts and hesitations even about tomorrow’s sunrise, suggesting further that, for all we know, the world might possibly have been created five minutes ago with fossils and memories all as they are. In each case all that has been established in fact is that the suggestion is not formally out-of-order. The proper reply can be stated in the form of a general motto: ‘Logical considerations are no more than formal considerations’, that is, they are considerations having to do with the preliminary formalities of argument-stating, and not with the actual merits of any argument or proposition.

SilverBullet
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#557 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von SilverBullet » Mi 6. Mär 2019, 20:51

“closs“ hat geschrieben: Descartes könnte sagen:
1) Die geistige Welt (Res cogitans) ist die erste Welt.
Descartes drücke es so aus:
zitat-Descartes:
„es ist indessen meinem Geiste eine alte Meinung eingeprägt, dass ein Gott sei, der alles vermag und von dem ich so wie ich bin, geschaffen sei“

Das ist die gesamte „Grundlage“ für deine „erste Welt“ – mehr steckt nicht drin und mehr wirst du nicht angeben.
Diese „Grundlage“ ist lediglich ein Sprung in eine Erfindung.

zitat-Descartes:
„was aber diese Seele sei, so achtete ich entweder gar nicht darauf und wenn doch, so stellte ich mir darunter ein feines Etwas vor, nach Art eines Windes, eines Feuers oder Äthers, das meinen gröberen Teilen eingeflösst sei“

Schon sind wir bei Luftzusammenhängen.
Nirgendwo ist eine „Grundlage“ sondern nur Erfindung.

zitat-Descartes:
„Das Denken ist’s, es allein kann von mir nicht getrennt werden. Ich bin, ich existiere, das ist gewiss“
…
„Für jetzt lasse ich aber nichts zu, als was notwendig wahr ist. Ich bin also genau nur ein denkendes Ding (res cogitans) , das heisst `Geist`“
…
„Ich bin aber ein wahres und wahrhaft existierendes Ding, aber was für ein Ding. Nun, ich sagte es bereits: ein Denkendes“
…
„Ich bin nicht jenes Gefüge von Gliedern, das man den menschlichen Körper nennt. Ich bin auch nicht die feine Luft, die diese Glieder durchdringt. Ich bin nicht ein Wind, Feuer, Dunst oder Hauch…
Habe ich doch vorausgesetzt, dass dies alles nichts ist.“


1641 veröffentlicht ein Philosoph an eine Leserschaft die Aussage, dass er nicht Luft, Wind, Hauch ist.

Haben die Leute damals etwa gedacht, sie seien Luft, Wind, Hauch?
man kann es kaum anders deuten, wodurch die antiken Menschen erst recht exakt dies gedacht haben – immerhin haben sie es genauso niedergeschrieben.

Hier liegt nichts weniger, als die Basis der Erfindung vor: das Lufträtsel.

Descartes wollte nicht mehr Luft, Wind, Hauch sein, weil dies nicht mehr vertretbar war.

zitat-Descartes:
„Ich weiß, dass ich existiere, ich frage aber, wer jener Ich ist, von dem ich weiß, er ist.“

Er „rechtfertigt“ die Loslösung von Körper und auch von Luft, Wind, Hauch mit dem „Argument“, dass „er sich nichts mehr einbilden möchte“

Er will ein „denkendes Ding“ sein, eine Art „Fähigkeit ohne Grundlage“.
=> Reinste Erfindung, bei der mit Luftzusammenhängen gestartet wird und dann einfach Luft weglassen werden soll.

Interessanterweise fragt sich Descartes nun, wie es aber sein könne, dass er die eingebildeten Dinge „klarer“ erkennt, als sich selbst.
Nur kurz, denn er sagt dann:
zitat-Descartes:
„Aber ich sehe schon, wie es sich hiermit verhält, meinem Geiste macht es Freude abzuirren, er verträgt es noch nicht, sich in den Schranken der Wahrheit zu halten.“

=> jegliche Erklärung, die Abseits der Erfindung liegt, wird verhindert.

Das ist die „erste Welt“, mehr ist nicht dran.

closs
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#558 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 6. Mär 2019, 21:28

Claymore hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 19:21
Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob die katholische Lehre wahr ist <diese Aussage ist aus meiner Sicht logisch nicht widerlegbar und somit vernünftig>
Irgendwas stimmt da nicht. - Richtig wäre wahrscheinlich: Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob Gott Entität oder nur Vorstellung ist und somit ob die katholische Lehre wahr oder falsch ist ist <diese Aussage ist aus meiner Sicht logisch nicht widerlegbar und somit vernünftig - wobei da noch was fehlt>.

Was irgendwie nicht stimmt, ist folgendes: Meine Aussage thematisiert das Motiv "Wir können zwischen Vorstellung und 'echt' nicht unterscheiden, weil es aus subjektiver Sicht keinen Unterschied gibt". - Bei Deinem Ansatz könnte man auch sagen: "Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob Sellerie besser schmeckt als Feldsalat". - Mit anderen Worten: Dein Beispiel bezieht sich auf eine Frage innerhalb einer Version, egal welche es ist. - Konkreter: Dein Beispiel gilt sowohl für den Fall, dass die Welt 'echt' ist, als auch für den Fall, dass sie Vorstellung ist - während mein Beispiel auf die Gegenüberstellung BEIDER Versionen abhebt.

Davon abgesehen: Wenn Du bei Deinem Beispiel bleibst, bleibt auch die Frage, was das soll? - Dann das, was Du anführst, ist millionenfach variierbar. -

Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob Blondinen des Teufels sind.
Trotzdem GLAUBE ich daran, dass sie des Teufels sind - nachweisen kann man es ja nicht.
WEIL ich daran glaube, ist das ein "Glaubensentscheid", dem sich alle meine weiteren Urteile unterwerfen.
Somit ist es einer, der widerspricht, zu bestrafen.

Der menschliche Geist/die menschliche Wahrnehmung kann nicht unterscheiden, ob Parlaments-Abgeordnete des Teufels sind.
Trotzdem GLAUBE ich daran, dass sie des Teufels sind - nachweisen kann man es ja nicht.
WEIL ich daran glaube, ist das ein "Glaubensentscheid", dem sich alle meine weiteren Urteile unterwerfen.
Somit ist es einer, der widerspricht, zu bestrafen.

Mit anderen Worten: Du steigst schon wieder bei Ebene 3 ein. - Es klingt ähnlich, ist aber etwas anderes.

Claymore hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 19:21
Stephen E. Toulmin
Wenn ich recht verstehe, meint Toulmin mit " ‘Logical considerations are no more than formal considerations’, that is, they are considerations having to do with the preliminary formalities of argument-stating, and not with the actual merits of any argument or proposition" exakt das, was ich die ganze Zeit bezeichne als "Logik ist nicht Inhalt, sondern Instrument für unterschiedliche hermeneutische Vorannahmen".

Und das genau macht doch Descartes (und ich auch): Man stellt BEWUSST fest, dass das erste, was man mitkriegt, die eigene Wahrnehmung ist, und fragt, was diese Wahrnehmung kann und was nicht - und da ist es logisch nun wirklich unausweichlich, dass die Wahrnehmung (incl. Wissenschaft) nicht entscheiden kann, was sie kann und was sie nicht kann - siehe Münchhausen, der sich mit eigener Hand an den Haaren aus dem Sumpf ziehen kann. - Descartes geht also vom Subjekt aus - das kann man als Modell/Vorannahme bezeichnen.

Der Naturalismus geht vom Objekt aus - das kann man ebenfalls als Modell/Vorannahme bezeichnen. Hier muss aber der naturalismus (& Co) eine Frage beantworten, die Descartes nicht beantworten muss: "Wie wollt Ihr als Subjekt vom Objekt ausgehen, wenn Ihr mit Eurer Wahrnehmung gar nicht wissen könnt, ob es das Objekt als Entität gibt?". - Die Antwort darauf ist (verschärfte Vorannahme): "Wir definieren Wissenschaft als so was Ähnliches wie 'Objekt'" - "es ISt halt so", wie einige hier im Thread gelegentlich sagen. - Und dann baut man darauf seine Logik auf.

Mit anderen Worten: Toulmin hat recht mit seinem von mir aus Deinem Zitat wiederholten Satz - aber was hilft es ihm? - Es hilft ihm nichts, weil er ja EBENFALLS einen universalistischen Ansatz (gegen den er kämpft!) wählen muss - selbst wenn dieser "Kasuistik" hieße. - Und Kasuistik heißt nun mal AUCH: "Ich steige erst bei Ebene 3, evt. 2 ein".

NB: Ich habe Toulmin bisher NICHT gelesen. - Verstehst Du ihn ähnlich wie ich? - Wie auch immer: Toulmin scheint nichts zu Fragen auf Ebene 1 beitragen zu können - ihm geht es anscheinend um"actual merits of any argument or proposition".

SilverBullet
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#559 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von SilverBullet » Mi 6. Mär 2019, 22:20

“closs“ hat geschrieben:Und das genau macht doch Descartes (und ich auch): Man stellt BEWUSST fest
Naja, wenn etwas garantiert nicht in den Aktivitäten von Descartes und dir stattfindet, dann ist es eine Feststellung.

Ich habe explizit aufgezeigt, dass er sich an einer Tour etwas zusammenwünscht – man muss lediglich ein wenig Aufmerksamkeit beim Lesen einsetzen – Descartes versteckt nichts, weil er dies damals gar nicht musste.

“closs“ hat geschrieben:Descartes geht also vom Subjekt aus - das kann man als Modell/Vorannahme bezeichnen.
Wie soll er das machen, er hat keine Ahnung, was ein Subjekt sein soll.
Aus reiner Hilflosigkeit verwendet er das Wort „Ding“ und weil er „Denken“ als „nicht körperlich“ ansehen möchte (seine/damalige Erfindung!) soll es das „denkende Ding“ sein.

“closs“ hat geschrieben:und da ist es logisch nun wirklich unausweichlich, dass die Wahrnehmung (incl. Wissenschaft) nicht entscheiden kann, was sie kann und was sie nicht kann
Aus heiterem Himmel soll die Wahrnehmung, dann doch das „wirklich Unausweichliche“ erkennen und damit entscheiden können, dass sie nichts entscheiden kann – lustig.

“closs“ hat geschrieben:Hier muss aber der naturalismus (& Co) eine Frage beantworten, die Descartes nicht beantworten muss: "Wie wollt Ihr als Subjekt vom Objekt ausgehen, wenn Ihr mit Eurer Wahrnehmung gar nicht wissen könnt, ob es das Objekt als Entität gibt?"
Ich bin kein Naturalist, aber diese Antwort ist einfach:
Mit den Zusammenhängen, die aus derselben Quelle kommen, wie die Zusammenhänge des Subjektes: dem handelnden Körper in einer Umwelt.
Wer die Zusammenhänge des Subjektes akzeptiert (was gar nicht anders geht), der muss auch die Zusammenhänge von Körper in Umwelt akzeptieren (was auch nicht anders geht).

Für eine Trennung zwischen diesen Zusammenhängen müsste eine andere Quelle vorgelegt werden:
Descartes (genauso wie du) kümmert sich nicht um diese Quelle.

Wie ich gezeigt habe:
Er fragt sich „warum erkenne ich den Körper besser, als `mich selbst`?“, verhindert aber jegliche Analyse, indem er plötzlich zu „seinem Geist“ eine Beobachtungsfunktion einnimmt und diesem eine „Neigung“ unterstellt, so dass seine Erfindung „geschützt“ wird.
Woher diese Neigung, woher die Zusammenhänge stammen können bleibt unbeantwortet – Descartes braucht man nicht lesen, um dies zu erfahren und bei deinen Texten sieht es nicht anders aus.

JackSparrow
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#560 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von JackSparrow » Mi 6. Mär 2019, 22:33

closs hat geschrieben:
Mi 6. Mär 2019, 17:41
Klar - man kann sagen: "Das ist Wirklichkeit, was ich erlebe/wahrnehme".
Philosophisches Konstrukt. Damit gibst ja lediglich den Sachen, die du wahrnimmst, einen neuen Namen.

Nur ist das etwas anderes als "Wirklichkeit ist das, was unabhängig von mir der Fall ist".
Das weißt du nicht, da du selbst einräumtest, beides nicht voneinander unterscheiden zu können. Also ebenfalls ein philosophisches Konstrukt, aufbauend auf deinen beiden persönlichen Prämissen, etwas müsse unabhängig von dir der Fall sein und es müsse etwas anderes sein als deine Wahrnehmung.

Mir geht es doch darum, "Wirklichkeit" SEMANTISCH zu klären.
Dir geht es darum, dass alle Leute dir zustimmen, dass etwas "unabhängig von dir der Fall" sei.

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