Alles Teufelszeug?

closs
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#511 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » So 14. Feb 2016, 23:31

Thaddäus hat geschrieben:Nein, ganz und gar nicht ok. Man kommt - zumal auf wissenschaftlicher Ebene - nicht zu verschiedenen "nachweisbaren Ergebnissen"! Man gelangt nur zu ganz bestimmten, wissenschaftlich nachweisbaren Ergebnissen! Und auch nicht im Sinne des "jeweiligen" Modells, denn es gibt nur ein einziges wissenschaftliches Modell!
Oje - das klingt jetzt wirklich sehr naiv.

Mal für einen Moment weg von der Theologie:
Ich habe ca. ein Jahrzehnt auf Agenturseite u.a. für Pharma und Lebensmittelindustrie gearbeitet und war mehrfach bei Meetings zwischen Entscheidern und Professoren dabei, in denen es um die Vermarkungsmöglichkeiten von Medikament, OTC-Produkt, Nahrungs-Ergänzungs-Mittel, etc. ging. - Der Professor/Wissenschaftler musste dies wissen, um ein Modell zu entwickeln, demnach die gewünschten Ergebnisse herauskamen.

Das geht nicht immer (man kann angereichertes Uran nicht wissenschaftlich zum Nahrungs-Ergänzungs-Mittel umfunktionieren) - aber es geht in der Regel. - Und es ist nicht un-wissenschaftliche, weil die folgende Studie (für die die Industrie ein Forschungs-Stipendium vergibt :!: ) ja nur diejenigen Fragen beantwortet, die gestellt werden. - Um so wichtiger ist es, im Vorfeld den Sack zu zu machen.

Bei einem Gespräch mit einem Stochastik-/Demoskopie-Professor haben wir das mal thematisiert - er hat sinngemäß gesagt:
"Ich darf Dir gar nicht sagen, für wen wir alles statistische Tabellen machen - oft sind es nämlich gegenseitige Interessen zum selben Thema, die wir gleichzeitig bearbeiten müssen <Einschub: Gleichzeitig zum Kongress am 31. Mai 2016 eine Studie zum Thema "Warum hatte Jesus eine Naherwartung?"/"Warum hatte Jesus KEINE Naherwartung?">. - Das ist alles weder ein Problem noch wissenschaftlich problematisch - es ist allein eine Frage der Gewichtung dessen, was allen vorliegt".

So ist die Realität - und die mir damals bekannten Wissenschaftler waren wirklich seriös und haben das auch überzeugend erklärt (damals habe ich als Fast-Noch-Student große Augen gemacht - inzwischen ist es mir klar wie Kloßbrüh'). - Konkrete Beispiele kann ich Dir rauskramen.

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Savonlinna
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#512 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » So 14. Feb 2016, 23:33

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Weil das die Wissenschaft überhaupt nicht zu interessieren hat!
Wenn aber die Aufgabe darin bestünde, die Bibel vor dem Hintergrund zu untersuchen, dass es Gott gäbe, könnte man diese Untersuchung trotzdem wissenschaftlich sein, nicht wahr?
Meinst Du einen intellektuell konstruierten Gott? Oder einen der Mystik? Oder noch ganz anders?

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Weder geht die Wissenschaft davon aus, dass Gott existiert, noch, dass er nicht existiert.
Da machst Du Dir etwas vor. - Denn allein die Vorgabe der Methodik, Nicht-Falsifizierbares nicht zu beachten, führt zu einer atheistischen Vorgehensweise.
Die historisch-kritische Methode macht aber keine solchen Vorgaben.
Wo hast Du denn solch einen Q-u-a-t-s-c-h bloß her?

Wenn ein Wissenschaftler herausfinden will, welche Art von Theologie der Evangelist Matthäus vertritt, dann muss der Wissenschaftler selbstverständlich Ahnung von dem haben, was Matthäus sich vorgestellt hat.
Jenand, der Musik nicht versteht, kann kein Musikwissenschafler sein; jemand, der bildende Kunst nicht versteht, kann kein Kunstwissenschaftler sein.
Jemand, der das Bild der Auferstehung nicht versteht, kann kein Bibelwissenschaftler sein.
Von der Vielschichtigkeit des Wissenschaftlers hängt auch die vielschichtige Analyse eines biblischen Textes ab.

Anton B.
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#513 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Anton B. » So 14. Feb 2016, 23:46

Halman hat geschrieben:Dass die kanonische Exegese hier kritisch diskutiert wird, kann ich gut nachvollziehen, dass sie aber von Seiten der Kritiker so kathegorisch abgelehnt wird, finde ich schon etwas verwunderlich.
Inwiefern kritisch? Wir versuchen, die verschiedenen Exegese-Methoden kritrisch zu verstehen und hinsichtlich der Kompatibilität zu verschiedenen Erkenntnisformen einzuordnen.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#514 Re: Theologie als Wissenschaft I

Beitrag von Savonlinna » Mo 15. Feb 2016, 00:12

Halman hat geschrieben: Rückschlüsse auf die Qualität seiner Meinungen aufgrund von Spekulationen über seine Geisteshaltung überlasse ich den voreiligen Spekulanten - ich diskutiere hier nicht auf Basis eines argumentum ad hominem, sondern interessiere mich für Inhalte.
Und damit übernimmst Du die Haltung eines wirklichen Wissenschaftlers.

Halman hat geschrieben: Als nächstes ist Prof. Marco Frenschkowski an der Reihe. Dieser beginnt zunächst unverkrampft und geradezu humorvoll seine Hochachtung für Klaus Berger auszudrücken, den er „einen der spannendsten Theologen der Gegenwart“ nennt. Er habe viel von ihm gelesen und dabei „viel gelernt, sich irritieren lassen, noch mehr gelernt und sich noch mehr irritieren lassen.“

Dieser Respekt hielt Prof. Frenschkowski aber nicht von deutlicher Kritik gegenüber Prof. Berger ab:
Prof. Frenschkowski hat klar argumentiert und auch nicht davor zurückgeschreckt, Bergers Thesen – wo angemessen – als Unfug aufzudecken.
Anstatt einen "großen Kamm" zu benutzen, wie es hier im Forum leider üblich ist, ist Prof. Frenschkowski differnziert, denn er bezeichnet nicht alles als Unfug, sondern spricht nur dort davon, wo er es für angemessen hält.

Ich freu mich, hier von Frenschkowski zu hören. Ich habe mehrere Vorträge von ihm (live) gehört - keine theologischen, sondern literarische -, und man kann wirklich sagen, dass er für mich ein Vorbild an differenzierter Betrachtungsweise ist. Er verbindet ein immenses Wissen mit Güte.
Das ist jetzt der Renner des Tages, Halman, dass Du ihn mir wieder ins Bewusstsein gerufen hast.

Halman hat geschrieben: Auf differenziert geführte Diskussionen, in denen es um Inhalte geht, lasse ich mich gern ein [...] - aber der "große Kamm" und Meinungen, die auf die eine oder andere mit dem Verweis auf die akademische Autorität quasi als verbindlich "verordnet" werden (ohne sie argumentativ hinreichend zu begründen), sind zwar legitim, aber für mich kaum von Interesse.
Im Bereich der Wissenschaft sind sie nicht legitim.
Privat kann man zwar mal ausfallend werden, man hat sich nicht immer unter Kontrolle, aber wissenschaftlich ist das ein no-go.

Halman hat geschrieben: Auch wenn sie wortgewaltig vorgetragen werden, indem Wörter wie "lächerlich" eingeflochten werden (alles legitim), ändert dies daran nichts. Wenn jemand der Meinung ist, meine Haltung/Meinung nicht ernst nehmen zu müssen oder gar lächerlich zu finden, so nehme ich dies in kauf, so traurig dies auch ist. Solche Äußerungen sind geeignet einen sozialen Druck (Gruppenzwang) aufzubauen, doch davon lasse ich mich nicht beugen, auch dann nicht, wenn es einen persönlichen Charakter bekommt. Es könnte mich allerdings dazu motivieren, ernsthaft darüber nachzudenken, mich vom Forum zu verabschieden. Darüber muss ich noch mal reflektieren.
Ja, reflektiere das lieber noch mal.
Denn Menschen, die wirklich wissenschaftlich denken - und das tust Du -, sind ja hier nun gerade gebraucht.

Denn Du stehst damit in der Tradition der Aufklärung. Kant hat nicht gesagt: 'Habe keinen Mut, Dich gegen Autoritäten aufzulehnen', sondern ganz im Gegenteil: 'Lehne dich gegen Autoritäten auf!'.
Wörtlich: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"

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#515 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Mo 15. Feb 2016, 00:20

Halman hat geschrieben:Dass die kanonische Exegese hier kritisch diskutiert wird, kann ich gut nachvollziehen, dass sie aber von Seiten der Kritiker so kathegorisch abgelehnt wird, finde ich schon etwas verwunderlich.
Habt ihr euch auch mit meinen Quellen und Zitaten aus meinen Beiträgen vom
- Do 6. Aug 2015, 02:55
- Mo 10. Aug 2015, 21:19
- Di 5. Jan 2016, 00:35
- Mi 6. Jan 2016, 23:10
ernsthaft auseinander gesetzt?
Oder mit der Rezension Erich Zenger - Das Jesus-Buch von Benedikt XVI. - Im Licht des Alten Testaments?

Christen glauben zweierlei: die Bibel wurde zwar von Menschen in menschlicher (zeitbedingter) Sprache verfasst, aber sie wurden dabei zugleich vom Heiligen Geist inspiriert. Die Kanonisierung ist selbst ein historisches Geschehen, weshalb die kanonische Exegese nicht im Widerspruch zur historisch-kritischen Methode steht, sie ist viel mehr ihre organische Weiterführung, denn das Wort entfaltet nach und nach seine Potentialität.
Dem entspricht die Idee, dass das „Reich Gottes“ nicht plötzlich entsteht, sondern durch allmähliches Wachstum, es ist das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung, welche durch die prophetische Imagination der jüdischen Eschatologie vorher gesehen und vom Christentum praktisch weiter geführt wurde.
(Vom Alten Testament zum Neuen Testament ereignet sich ein Bewusstseinssprung)

Veranschaulicht wird das durch verschiedene Gleichnisse:
* Das Gleichnis vom Wachstum der Saat (Mk 4,26-29)
* Das Gleichnis vom Säemann (Mt 13,3-8; Mk 4, 3-8; Lk 8,5-8)
* Das Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13, 31-32; Mk 4, 30-32; Lk 13, 18-19)
* Das Gleichnis vom Sauerteig (Mt 13,33; Mk 13, 20-21)

usw.

Ich erinnere gerne noch mal an diesen Beitrag von Savonlinna (vielen Dank für die Arbeit :thumbup: )


Savonlinna hat geschrieben:- Fortsetzung -

Im Folgenden erläutert Ratzinger, welchen Sinn er in der historisch-kritischen Forschung sieht und in welchem Sinn er über sie hinausgeht.
Da seine Erläuterungen sich über 11 Seiten erstrecken, kann ich das nicht mehr sinnvoll abtippen - das Bisherige im vorigen post bezog sich auf die ersten 3 Seiten seines Vorwortes, darum gingen da noch wörtliche Zitate.

Für die restlichen 11 Seiten werde ich darum die Thesenform wählen.

- Die historische Methode ist, gerade vom inneren Wesen der Theologie und des Glaubens her, unverzichtbar.
- Darum muss sich der christliche Glaube - zu dem Geschichte, Faktizität wesentlich gehört - der historischen Methode aussetzen.
- Die historische Methode rekonstruiert allerdings nur die Vergangenheit: die Zeit, in der die Texte entstanden sind. Das ist eine ihrer Grenzen.
- Sie sagt nichts über die Wirksamkeit der Texte in der heutigen Zeit
- Sie kann zwar die Berührung mit der Gegenwart erahnen, aber sie kann sie nicht heutig machen.
- Weiterhin kann sie die Texte nur als Menschenwort nehmen.
- Sie kann zwar einen Mehrwert erahnen, aber ihr Gegenstand ist das Menschenwort als menschliches.
- Weiterhin verfolgt sie in der Regel nicht die historischen Abläufe, die zur Kanonbildung geführt haben, sondern untersucht den Ursprung der Texte.
- Aus alledem folgt: das Wesen der historisch-kritischen Methode weist schon von sich selber her über sich hinaus: die Historie ging und geht weiter.
- Die Kanonisierung ist also ebenfalls ein historisches Geschehen
- Weiterhin ist der Glaube lebendig, entwickelt sich also weiter (über die rekonstruierte Historität hinaus)
- Das heißt, die Texte wurden und werden in immer wieder neuem Licht bewertet
- Das Wort entfaltet also erst nach und nach seine Potentialität
- Es ist allerdings ein Glaubensentscheid, in Jesus Christus den Schlüssel für die gesamte Bibel zu sehen.
- Die kanonische Exegese steht also keinesfalls in Widerspruch zur historisch-kritischen Methode, sondern ist im Egenteil ihre organische Weiterführung.
- Weiterhin: sogar Menschenwort ist mehr als das, was dem Autor unmittelbar bewusst ist.
- Das gilt erst recht dann, wenn ein Autor aus einer gemeinsamen Geschichte heraus spricht, die ihn trägt: der Glaubensgeschichte.
- Inspiration: der Autor spricht nicht privat, nicht als in sich geschlossenes Subjekt, sondern innerhalb einer Gemeinschaft, die er nicht gemacht hat.
- Eine führende größere Kraft wird darin wirksam.
- Er, Ratzinger, traut den EvangelIen:
- Was die moderne Exegese herausgefunden hat, wird dabei vorausgesetzt.
- Das alles vorausgesetzt, will er, Ratzinger, den Jesus der Evangelien als den "wirklichen" Jesus, den "historischen Jesus" im eigentlichen Sinn darstellen.

Mir fehlen jetzt noch zwei Seiten, das bringe ich dann vielleicht ein andermal.

m.E. ergibt sich das alles aus der Reich-Gottes-Botschaft, deren innerer Logik es entspricht, dass sie nicht auf die Vergangenheit begrenzt sein kann. Sie ist viel mehr auf die Zukunft hin offen. Mehr noch: von der Zukunft aus wirkt diese Vision in unsre Gegenwart hinein und erweckt so Freude und Hoffnung in den Menschenherzen.

Was bedeutet Reich Gottes?

In weiten Teilen der Welt herrschen Terror und Kriege, Armut und Hunger, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen, Massenarbeitslosigkeit und sozialer Abstieg, Aids und Tod. Diese Welt ist nicht heil und so ist die Sehnsucht nach dem Heil zu einer Ursehnsucht der Menschheit geworden. Doch gerade in dieser Welt verkündete Jesus seine Heilsvision - das Reich Gottes. Es ist die Verheißung einer Gottesherrschaft (Βασιλεια του θεου) unter der das Heil erblüht, das Böse überwunden ist und das Gute triumphiert. Alle Menschen leben in einer Kultur der Liebe, aus dem Geist Gottes heraus. Und alle Menschen führen ein Leben in Würde - sind in Gottes- und Nächstenliebe solidarisch miteinander verbunden. Mit dieser Vision zielt Jesu auf eine Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Keiner soll ausgegrenzt und an dem Rand gedrängt werden, alle sollen solidarisch miteinander leben. Das Reich Gottes soll zu einem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit wachsen. Seine Vollendung liegt in der Zukunft.


Das Reich Gottes wächst

Doch die Zukunft hat schon längst begonnen. Das Reich ist mit Jesus Christus in die Welt gekommen. Er hat es gelebt und er ist dafür gestorben. Von Jesus aus wächst es, zuerst im Verborgenen wie das Wintergetreide unter der Schneedecke, dann aber gewinnt es an Größe, um letztlich Frucht zu bringen und die gesamte Welt zu umfassen. Von der Zukunft aus wirkt das Reich in die Gegenwart hinein, löst Freude und Hoffnung aus und die Bereitschaft, sich für das Gottesreich zu engagieren. Unsere Welt ist nach der Zukunft hin offen.
http://reichgottes.info/Reich%20Gottes.htm
Zuletzt geändert von Novas am Mo 15. Feb 2016, 01:22, insgesamt 1-mal geändert.

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#516 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 15. Feb 2016, 01:21

Savonlinna hat geschrieben:Meinst Du einen intellektuell konstruierten Gott? Oder einen der Mystik? Oder noch ganz anders?
Nichts Spezielles. - Einfach die Möglichkeit bei seinen Studien miteinbeziehen, dass Jesus der ist, für den ihn die Kirchen halten - dass es wahr sein KÖNNTE.

Denn dies ist aus meiner Sicht das größte Problem vieler Theologen:
Sie schließen eigentlich aus, dass es Wunder oder eine Auferstehung oder eine Gottheit in Jesus WIRKLICH geben könnte - so etwas für möglich zu halten, ist nicht chic, wenn man gleichzeitig als aufgeklärt gelten will.

Und dies präjudiziert das Lesen der Bibel ("Naja - wollen wir mal großzügig so tun, als könne es wahr sein und es an der Wissenschaft messen").

Savonlinna hat geschrieben:Die historisch-kritische Methode macht aber keine solchen Vorgaben. Wo hast Du denn solch einen Q-u-a-t-s-c-h bloß her?
Solange man Wissenschaft so eng sieht, wie es einige hier tun, ist diese Vorgabe implizit. - Wie will denn ein Wissenschaftler nach etwas forschen, von dem er annimmt, dass es nicht verifizierbar ist, wenn er es findet? - Dann sucht man doch erst gar nicht - noch mehr: Es wäre "unredlich" zu suchen.

Savonlinna hat geschrieben:Jenand, der Musik nicht versteht, kann kein Musikwissenschafler sein; jemand, der bildende Kunst nicht versteht, kann kein Kunstwissenschaftler sein.
Warum wird es dann in der Theologie nicht gefordert? - Ich kann nicht erkennen, dass *hüstel* alle wissenschaftlich arbeitenden Theologen geistig so weit angehaucht sind, dass sie selber überhaupt die Substanz der Bibel anspruchsvoll VERSTEHEN können (ich spreche gar nicht von "der Bibel zustimmen").

Savonlinna hat geschrieben:Von der Vielschichtigkeit des Wissenschaftlers hängt auch die vielschichtige Analyse eines biblischen Textes ab.
Tja - das sollte man meinen.

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#517 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Mo 15. Feb 2016, 01:47

closs hat geschrieben:Denn dies ist aus meiner Sicht das größte Problem vieler Theologen: Sie schließen eigentlich aus, dass es Wunder oder eine Auferstehung oder eine Gottheit in Jesus WIRKLICH geben könnte - so etwas für möglich zu halten, ist nicht chic, wenn man gleichzeitig als aufgeklärt gelten will

Wenn man davon ausgeht, dass Gott existiert und er der Herr seiner Schöpfung ist, dann kann er prinzipiell auch „Wunder“ tun. Der Duden sagt, ein Wunder sei „etwas, was in seiner Art, durch sein Maß an Vollkommenheit das Gewohnte, Übliche so weit übertrifft, dass es große Bewunderung, großes Staunen erregt“ - ein Wunder ist kein unmögliches Ereignis, es ist aber ein Ereignis, das die üblichen Maßstäbe und Grenzen unsres Denkens sprengt (und es muss auch nicht als ein Verstoß gegen Naturgesetze interpretiert werden, denn es kann auch ein besonders intelligenter Umgang damit sein, den wir nur nicht verstehen).

Ein gutes Beispiel dafür gibt Karl Veitschegger auf seiner Seite:

Es gibt Menschen, die nicht an den Gott der Bibel glauben, aber eine biologische "Parthenogenese" (Eizelle wird nicht durch Samenzelle, sondern durch andere Einflüsse zur Entfaltung gebracht) auch beim Menschen prinzipiell für möglich halten. Auf die Frage, wie Jesus ohne Vater zu seinem männlichen Y-Chromosom gekommen sei, antworten sie: Auch dazu bedurfte es nicht unbedingt eines übernatürlichen Eingriffs; eine männliche Y-Anlage kann auch entstehen, wenn vom weiblichen X-Erbfaktor ein Stück abbricht
http://members.aon.at/veitschegger/text ... irgine.htm

Das wäre eine mögliche Erklärung für eine solche „geist-gewirkte“ Empfängnis. Natürlich ist das nur eine von vielen möglichen Sichtweisen. Für mich sind das eher geistige Spiele, weil man ein solches Wunder heute nicht mehr beweisen kann. Es zeigt aber, dass jene Kritiker die Wunder aus ideologischen Gründen von vornherein ausschließen, keineswegs im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit sind.
Ich denke da an die Worte von Mascha Kaleko, eine jüdische Dichterin, die ich sehr schätze:


Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.

Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.


Mascha Kaléko

Die Möglichkeit des Wunderbaren gehört zum Realitätssinn jedes spirituellen Menschen. Ganz nüchtern gesehen ist jede Empfängnis, die Reifung neuen Lebens im Mutterbauch und die Geburt eines neuen Kindes ein alltägliches Wunder.
Oder ein Sonnenaufgang. Oder das ordnungsgemäße Funktionieren des Immunsystems. Oder.....oder

und noch mal Karl Veitschegger:

Auf jeden Fall ist die Empfängnis aus der Kraft des Heiligen Geistes ein Symbol. Aber ist sie ein Symbol, das Gott leibhaftig so gewirkt hat, oder ein Symbol, das der vom Heiligen Geist inspirierte Erzähler literarisch verwendet, um das letztlich nicht verstehbare Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes in einem paradoxen Bild darzustellen? Handelt es sich um eine Symbol-Handlung oder um eine Symbol-Erzählung?

Beweise im strengen Sinn können weder für den einen noch für den anderen Fall erbracht werden. Es ist immer „Glaube" gefragt. Die Tiefenpsychologie kann der Theologie vielleicht helfen, den Sinn dieses Symbols besser zu verstehen. (Nach C. G. Jung zeigt der Archetyp "göttliches Kind, geboren von einer Jungfrau", auf das Nichterzeugte, spontan Geschenkte hin.)

Ich bin hier für einen Dialog zwischen Theologie und Tiefenpsychologie, denn die tiefenpsychologische Exegese fragt nach dem SINN der Symbole.
So spiegelt sich im Symbol des Christuskindes jedes Kind; im Symbol der Jungfrau Maria die Erwähltheit jeder Frau. Wird nicht jedes Kind durch den Heiligen Geist empfangen?

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!

So sagt es ja die hl. Schrift. Erklingt nicht im Herzen jedes Menschen dieser Ruf? Daran glaube ich, nur hört halt nicht jeder hin. Glaube ist der Mut des Hörens und die Kühnheit des Sehens mit dem Herzen. Nicht gegen den Verstand, aber mit ihm und über ihn hinaus.

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#518 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 15. Feb 2016, 08:42

Novalis hat geschrieben:Ich bin hier für einen Dialog zwischen Theologie und Tiefenpsychologie, denn die tiefenpsychologische Exegese fragt nach dem SINN der Symbole.
Wie auch der Dialog zwischen Theologie und kritisch-rationalistischer Wissenschaft immer fruchtbar sein wird.

Aus meiner Sicht wäre eine Relativierung aller Selbstsichten das Mittel der Wahl - wobei "Selbstsicht" stehen soll für individuelle UND methodische Wahrnehmungs-Perspektiven. - Allein: Dieser Vorschlag wird zwar bei einigen auf Beifall stoßen (wir leben ja in einer toleranten Welt), aber auch zum Missverständnis führen, dass Relativität der (persönlichen und methodischen) Wahrnehmung verbunden sein müsse mit einem "Was wir individuell beobachten, hat dann aber auch selber relativ zu sein". - Man verwechselt heute gerne eigene Wahrnehmungs-Relativität mit Realitäts-Relativität.

Novalis hat geschrieben:Es zeigt aber, dass jene Kritiker die Wunder aus ideologischen Gründen von vornherein ausschließen, keineswegs im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit sind.
Aber man kann das, wofür man steht (nämlich den intersubjektiv nachweisbaren Standpunkt) getrost schwarz auf weiß nach Hause tragen. - "Aufgeklärter" Selbstschutz steht über allem - man gilt nicht als chic, wenn man das Große nicht methodisch beherrschen kann. - Besteht die Gefahr dafür, sortiert man das Große aus.

Am Ende bleibt der große Trost, dass die Menschen unabhängig von ihren Zeit-Verirrungen immer Mensch bleiben und somit das, was sie wirklich sind, und nicht das, wozu sie sich aus Verirrung machen.

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#519 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Münek » Mo 15. Feb 2016, 11:36

closs hat geschrieben: Nicht mal DAS stimmt. - Es ist historisch-kritisch mühelos begründbar, warum Jesus KEINE Naherwartung hatte. - Es ist eine reine Bewertungsfrage.

Du willst es einfach nicht wahrhaben. Wenn es historisch-kritisch mühelos begründbar wäre, dass Jesus selbst keine Naherwartung hatte, wieso wird dieses Thema dann nicht kontrovers diskutiert? Es existiert in dieser Frage ein brei-
ter Konsens. Warum wohl?


Es ist leicht durchschaubar, dass Du hier aus rein apologetischem Glaubensinteresse argumentierst. Die Musik spielt woanders.

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#520 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Mo 15. Feb 2016, 11:43

closs hat geschrieben:Zudem: Ich habe den Eindruck, dass die sog. "Aufklärung" viel Gewicht auf den Einzelnen verschoben hat. - Man scheint sich deshalb gelegentlich überhaupt nicht mehr vorstellen zu können, dass es "Realität" jenseits der eigenen Wahrnehmung und Vorstellung geben kann - und ist somit verführt, alles an der eigenen Wahrnehmung/Messung zu messen.
Vielleicht war das vor hundertzwanzig Jahren so, und auch da nur in gewissen Gruppierungen: inzwischen ist das längst anders.

Was meinst Du, warum der faschistoide Rausch - unter anderem - eingetreten ist:
weil man in der Masse und im Gehorsam gegen einen "Führer" sein Ego aufgeben kann. Es ist zwar ein kranker und gefährlicher Versuch, die Grenzen der Individualität in dieser Forum zu sprengen, aber nichtsdestotrotz als dieser Versuch erkennbar.

Die Gegenbewegung dazu nach 1945 versuchte diese kranke Gegenbewegung und ihre Auswüchse gegen den bereits verkalkten Rationalismus durch eine Haltung zu ersetzen, die ethisch hochwertig war: sie entschied sich, Wissenschaft auf - soweit es menschenmöglich war - Freiheit von Vorurteil zu gründen.

Damit haben wir, grob gesprochen, folgende Schritte innerhalb der geistigen Historie, und ich möchte Dich bitten, closs, das durchzumeditieren:

- Autoritäres Gehabe in der mittelalterlichen Kirche, Unterdrückung des Individuums und seiner Entfaltung
- Gegenbewegung der Aufklärung: Befreiung aus der geistigen Versklavung durch die Kirche, das Individuum muss sich entfalten
- Die Aufklärung wird teilweise einseitig, es zählt nur noch der Verstand, nicht mehr die innnere Wahrnehmung
- Gegenbewegung gegen diese verkalkte Aufklärung: das Gefühl, der Rausch wird wieder aktualisiert (Epochen des Sturm und Drang, der Romantik)
- Dann wieder Gegenbewegung gegen diesen Rausch
- Rationalismus und Irrationalismus wechseln sich ab bis zur Katastrophe in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts
- Nach 1945: Versuch der Selbstreinigung, indem man aus der Wissenschaft jegliche Ideologie, egal welcher Couleur, zu bannen sucht.

Ab den Sechziger Jahren treten diese beiden Pole - Rationalismus und Irrationalismus - erneut auf, in einer etwas anderen Spielart, aber deutlich erkennbar als der alte Kampf: zwischen Ich-Realisierung und Aufgabe des Ich.

In den späten Achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zur Jahrtausendwende erstarkt wieder der Irrationalismus, als Gegenbewegung zu der inzwischen als Übermacht empfundenen durchrationalisierten Welt:

- einerseits in religiösen Gruppierungen, wo der Führerkult wieder auflebt und die Sucht nach Aufgabe des Ichs überhand nimmt: Menschen lassen sich massenweise hypnotisieren durch unter anderem christliche Gurus,
- andererseits in der Popkultur, wo Massenfilme als Mainstream entstehen, in die die halbe Welt flüchtet, um dort ihr "Ich" zu vergessen und mit dem Kinopublikum gemeinsam an einer irrationalen Welt teilzuhaben.

Als Gegenbewegung zu diesen hypnotisierenden religiösen Gruppierungen entsteht ihrerseits nun wieder eine Gegenbewegung: der Neu-Atheismus.

Wer das nicht erkennt, wie unsere Kultur darum ringt, durch Auswüchse in beide Richtungen, etwas Drittes zu finden, das beides in sich vereinigt:
der ist selber zu sehr in diese Kämpte verwickelt, als dass er über sich selbst hinausgucken kann.


closs hat geschrieben: - Damit hat man sich eigentlich schon weitgehend gegen einen Gott-Glauben immunisiert - und merkt nicht mal das Opfer, das man damit bringt.
Das ist viel zu kurz gesehen und - wie ich immer meine - aus Nicht-Vertrauen zu "Gott" heraus gesprochen.
Du bist für mich der Prototyp desjenigen, der im 20. Jahrundert Gott nicht mehr sehen kann und unentwegt die anderen anklagt, sie würden an die Existenz Gottes nicht mehr glauben.

Dieser "Glaube an" ist Ausdruck eines Verlustes von Urvertrauen.

Das erinnert mich ein bisschen an Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" von 1947, wo ein jammernder und hilfloser Gott auftritt, an den niemand mehr glaube, der aber keines der Argumente des - an Leib und Seele - todkranken Kriegsheimkehrers aufnimmt, der in einer Schlacht des Zweiten Weltkrieges sämtliche Werte verloren hat, weil er dem brutalen Tier im Menschen pur ins Gesicht hat sehen müssen.

Borcherts Gott hat keine Lösung dafür, er reflektiert das nicht. Er jammert nur.

Dein Urteil, closs, über die heutige Zeit, ist aus der Lieblosigkeit geboren, aus einem kalten und herzlosen Richten heraus - auch wenn Du persönnlich vermutlich ein warmherziger Mensch bist.
Aber wer das Bedürfnis nach Richten über andere in sich hat - und Du scheinst das in hohem Maße in Dir zu haben - landet bei der Selbstgerechtigkeit.
Er beurteilt alles nur noch auf der Basis seiner Person, die in dem Fall Gott nicht mehr in allem Geschehen sehen kann.
Du hörst den Schrei der Menschheit nicht.
Zuletzt geändert von Savonlinna am Mo 15. Feb 2016, 11:54, insgesamt 1-mal geändert.

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