Pluto hat geschrieben:Was ist eine "mystische Einheitserfahrung" und wie überprüft man sie?
Je nach wechselndem spirituell-weltanschaulichen Horizont und Zeitgeist, wird man ein etwas anderes Verständnis des Mystischen haben. Genau genommen gibt es mystische Phänomene, die grenz- und konfessionsübergreifend gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, zu denen man einen sehr verschiedenartigen Zugang gewinnen kann. Ob das nun religionswissenschaftlich, philosophisch, systematisch-theologisch, psychologisch oder künstlerisch geschieht, spielt erst mal keine Rolle - es gibt Phänomene, die man so bezeichnet, die man auf dem Hintergrund verschiedenartiger kontextuellen Einbettung anders definieren wird. Man wird also immer nur einzelne Facetten betrachten und verstehen, nicht aber eine allgemeingültige Definition geben können.
Dazu ist das qualitative Erleben dieses Bewusstseins zu umfassend, jeden Begriff und jedes System überschreitend. Thomas von Aquin verstand unter Mystik eine auf Erfahrung gegründete Gotteserkennis ( cognitio dei experimentalis ). Ganz ähnlich spricht man im Christentum vom „
mystischen Leib Christi“ ( corpus Christi mysticum ), in dem im Grunde alle Menschen aufgehoben sind. Die Kommunion ( Gemeinschaft der Gläubigen ) soll das letztlich nur
durch Handlungen sichtbar machen.
Ernst Troeltsch fasste es folgendermaßen in Worte: „
Die Mystik im weitesten Sinne des Wortes ist nichts anderes als das Drängen auf Unmittelbarkeit, Innerlichkeit und Gegenwärtigkeit des religiösen Erlebens. Sie setzt die Objektivierung des religiösen Lebens in Kulten, Riten, Mythen und Dogmen bereits voraus und ist entweder eine Reaktion gegen diese Objektivierungen, die sie in den lebendigen Prozess wieder zurückzunehmen sucht, oder eine Ergänzung der herkömmlichen Kulte durch die persönliche und lebendige Erregung“
Diese ( scheinbar ) andere Wirklichkeit des Mystischen, ist im Grunde eine andere Dimension der selben geistig-kosmisch-materiellen Wirklichkeit an der jeder Mensch ein Teilhabender ist. Wenn man sich als wirklich Teilhabender erfährt, dann kommt man zur Erfahrung der Einheit alles Seienden - A
dvaita ( Nondualität ), Moksha ( Befreiung ), Gnade/Erwachen - und das können wir als den Ursprung jeder religiösen Weltanschauung begreifen.
Spirituell gesehen ist eine Religion lediglich ein initiatorischer Weg, um dorthin zu führen. Mit
Paul Tillich: „
In diesem Sinne ist das Mystische das Herz aller Religion. Eine Religion, die nicht sagen, nicht glaubhaft bezeugen kann: „
Gott ist gegenwärtig“, wird zu einem System moralischer und lehrhafter Regeln, die an sich nicht religiös sind, selbst dann nicht, wenn sie ursprünglich aus Offenbarungserlebnissen herrühren. Das Mystische als erlebte Gegenwart Gottes ist ein wesentliches Element einer jeden Religion und hat an sich nichts mit Selbsterlösung zu tun.“ - das was man in der Religion Gott nennt, hat also zentral mit der mystischen Erfahrungswirklichkeit zu tun; wobei das nicht zur Formulierung eines bestimmten Gottesbildes führen muss, das gibt es im Taoismus oder Buddhismus schließlich auch nicht.