Eusebius hat geschrieben: ↑Sa 24. Apr 2021, 03:40
„Das Über-Ich ist für uns die Vertretung aller moralischen Beschränkungen, der Anwalt des Strebens nach Vervollkommnung, kurz das, was uns von dem sogenannt Höheren im Menschenleben psychologisch greifbar geworden ist.“
– Sigmund Freud:
Neue Folge der Vorlesungen.[f 3]
Du meinst, das wäre nicht positiv, aber für mich liest sich das schon so. Wer ist "der Anwalt des Strebens nach Vervollkommnung" ? Ist das nicht Jesus selbst in uns? Was ist denn das "sogenannte Höhere", wenn nicht unser höheres Selbst? Und was predigt Jesus? Halte die Gebote! Und er ist streng. Lüge nicht, töte nicht, breche nicht die Ehe, stehle nicht, beneide nichts. Das sind alles Dinge, die das "Es" eigentlich ganz gut findet. Nicht generell aber teils, bei manchen Menschen. Im Über-Ich findet sich sowas nicht.
Es ist erst einmal weder positiv noch negativ, dieses "Über-Ich"(bei FREUD). Was es nicht ist: ein an göttlichen Werten orientiertes spirituelles Selbst (in Deinem Verständnis, wie ich vermute).
Das Über-Ich sorgt dafür, dass der einzelne in seinem sozialen Umfeld funktioniert. Das ist das Gute. Das Schlechte: Das Über-Ich kann sich an Werten orientieren, die total krank und pervers sind aus unserer Sicht. Denn das Über-Ich wird nicht aus beindruckenden höheren Werten gebildet, sondern aus den Vorstellungen des Umfeldes, der Gesellschaft, der Religion. Und die können auch ziemlich daneben sein. Bei einem gut erzogenen und in seinen Kreisen langjährig sozialisierten Mitglied des KuKluxKlan ist das Über-Ich extrem rassistisch und Gewalt gegen Andershäutige kann schon bewirken, dass es bei ihm Euphorie auslöst. Ich habe sowas ähnliches früher (Ende der 70er) mal "live erlebt" als langhaariger Kriegsdienstverweigerer, dem ein überzeugter EX-SS'ler vom alten Schnitt als Vorgesetzter vor die Nase gesetzt wurde. Ich brauchte eigentlich nur durch die Tür gehen, da war schon mächtig was los! Der war eigentlich - so komisch wie es klingen mag - außer seinen "Episoden" ganz nett. Aber er war in ganz anderen moralischen Handlungszwängen aufgrund seines Über-Ichs wie ich.
Ein viel zu starkes Über-Ich führt auch nicht zu Gott, sondern zu Neurosen, im Extremfall sogar zur Psychosen. Typische Opfer hiervon waren früher viele Homosexuelle, zerissen zwischen ihrer vorgegebenen sexuellen Orientierung und den moralischen Ansprüchen der Gesellschaft, die sie aber ebenfalls verinnerlicht hatten.
Das Über-Ich ist kein freundlicher einfühlsamer Einflüsterer. Es ist sogar der Mechanismus, der Sachen ins Unterbewusste verbannen kann - ohne das bewusste Ich groß zu fragen.
Das Über-Ich und das spirituelle Selbst haben absolut nichts miteinander zu tun. (Wobei es noch eine andere Diskussion wäre, was man unter letzterem versteht)
„Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; das wenige, was wir von ihm wissen, haben wir durch das Studium der Traumarbeit und der neurotischen Symptombildung erfahren und das meiste davon hat negativen Charakter, läßt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.“
– Sigmund Freud:
Neue Folge der Vorlesungen.[f 1]Und wenn ich diese Beschreibung lese, finde ich es interessant, wie gut das auf den Widersacher Gottes passt. Es ist im Grunde das Böse selbst.
Das Böse liebt Sex über alles. Es liebt das Essen, die Gaumenfreuden, die Schlemmerei. Es liebt große Gefühle, es liebt das Drama, den Streit, die Eskalation, den Krieg, die Gewalt, das Chaos, die Lüge, den Stolz. Es gibt sich der Aggression hin und der Gier. Es klammert und verhaftet sich. Es neidet und missgönnt. Das sind alles Dinge, die Freud dem Es zuschreibt.
Das "Es" ist nicht das "Es" bei Steven King, nicht das böse. Es ist erst einmal neutral. Es ist genausowenig böse wie der Geschlechtstrieb selbst (oder die damit zusammenhängende Freude), der Genuß von Essen und Trinken, das Atmen von Luft, böse ist. Oder große Gefühle. Man kann aber alles ins Böse wenden. Z.B. wenn das Ausleben des Es selbstzerstörerischen Charakter erhält (z.B Abhängigkeiten, Kontrollverlust, etc.) oder wenn das Ausleben auf Kosten anderer geht.
Letztlich dürfen weder "Es" noch "Über-Ich" zu kräftig werden, da bedarf es einer gewissen Balance.
Aus der Sicht der Psychoanalyse Freuds übrigens wären Deine Einwendungen Strategien um das Über-Ich aufrechtzuerhalten und zu stärken. Wenn das zu stark wird beschneidest Du Dich dann selbst mit der Gefahr, dass unbewusste Kräfte (Triebe) irgendwann an verkehrter Stelle aufbrechen. Denn auch das Es hat seine eigene Berechtigung und Notwendigkeit.
Da denke ich, dass Freud etwas fehlinterpretiert hat.
LoL. Ja und Nein. Also Freud hat erst einmal alles richtig interpretiert und hat ein sich schlüssiges Konzept, ein sehr gutes sogar (obwohl man durchaus Kritikpunkte anbringen und sein Konzept wurde ja auch weiterentwickelt).
Du hast eine andere Perspektive. Deine Spiritualität. Das kann man Freud nicht einfach aufstülpen. Da braucht man andere Begriffe um es verständesmäßig erfassen zu können (was in diesem Bereich sowieso extrem schwierig ist). Freud hatte mit Spiritualiät (außer vielleicht ganz am Anfang seines Wirkens) wenig zu tun.
Das Über-Ich hingegen richtet sich grundsäzlich nach dem Willen des Ichs.
Nein. Ganz und gar nicht. Also bei Freud. Beim spirituellen Selbst stimmt es dann wieder, was Du sagst. Das größte Problem des spirituellen Selbst ist es aber dann auch, dass es vom bewussten Ich nicht zugelassen wird (im Regelfall). Das ist auch eines der Gründe warum spirituell orientierte Zweige bei den verschiedenen Religionen einen persönlichen Trainer ("Meister") benötigen.
In meinem eigenen "Modell" enthält das Unterbewußtsein alle möglichen Kräfte. Immer sind positive aber auch negative Kräfte anwesend und bemühen sich darum, ihren Einfluss auszuüben. Manche bleiben nur eine Weile, andere ein Leben lang. Sie steigen aus den Tiefen des Unterbewußtseins herauf und wenn sie gehen, gehen sie dorthin zurück. An der einen Spitze steht das höchste, spirituelle Selbst, welches aus unserem göttlichen Anteil stammt. An der anderen Spitze.... die Dunkelheit selbst. Aber nur in den wenigsten Menschen kommen diese Pole selbst direkt zum Wirken.
Gut. Wenn wir uns auch hier unterscheiden, für mich ist (spirituell) Dunkelheit keine eigene Existenz. Es ist nur "ohne Licht". Und die Konzentration auf das Gute ist immer besser als Fokussierung auf das "Böse".
Für mein Verständnis ist es grundsätzlich gut, wenn ein Mensch aus dem Atheismus heraus kommt. Aber wenn das zum Satanismus führt, gefällt mir das auch nicht. Nicht wenige Christen haben nicht nur einen Gott der Liebe im Sinn sondern auch einen grausamen, zornigen, eifersüchtigen Gott der Rache und Zucht. Das ist der große Spannungsbogen im Christentum. Ein Mensch kann schon so einen "Naturgott" für sich entdecken und so über die Bibel letztlich doch zur Liebe kommen.
Wer einen grausamen Gott der Zucht und Rache huldigt, wäre besser ein Satanist. Das ist nicht richtiger, aber immerhin ehrlicher.
Was hat es mit Deinem Pseudonym auf sich?
Naqual (gesprochen "Nawahl") ist ein Begriff aus der Doktorarbeit von einem Carlos Castaneda an der Universität von Kalifornien, müsste so in den 60 Jahren gewesen sein. Es gab dann etliche populäre Bücher später hiervon von ihm. "Tonal" ist die für uns erfassbare Welt, die wir mit Begriffen belegen können. Zum "Naqual" gehört das, wofür es keinen Begriff gibt (und nie geben wird, es liegt in der Natur der Sache), aber es in die erfassbare Welt hineinwirkt. Also die Wirkung kann "tonal" sein. Wenn man die ersten Kopfschmerzen hinter sich hat, beginnt es interessant zu werden....

Ich habe dann später mal durch Zufall eine ältere Dame (promovierte Theologin und verrücktes aber nettes Huhn) kennengelernt, die mit ihm zusammen studiert hatte (ihn aber nicht mochte, da Castaneda nicht an einen Gott glaubte).
Und was glaubst Du eigentlich? Bist Du gläubig? Ich dachte schon aber bin mir nicht mehr so sicher.
Ich bin Theist, neugieriger Wanderer ohne spefizische Heimat in einer Religion. Hang zum Gott, der im einigenden Sein bewusst wird. Also so ungefähr. Spätere Updates nicht ausgeschlossen. Es ist ein lebenslanger fließender Prozess.