Pauschal ja, Unterstellung nein. Natürlich gibt es Menschen die mehr und andere die weniger empfänglich sind für den Zeitgeist.
Jetzt aber...
Jeder kennt das Kolloseum oder das Pantheon und andere diverse Tempelbauten...
...und so soll römische Architektur gefälligst aussehen.
Tatsächlich ist aber so etwas im provinzialrömischen Kontext sehr viel wahrscheinlicher...

...als so etwas

Rekonstruiert wird aber viel lieber im Sinne der zweiten Abbildung.
Jemand, der massiv Bilder im Zeitgeist produziert hat, war Kaiser Wilhelm II, beispielsweise mit der Hochkönigsburg, die fortan das Bild einer mittelalterlichen Burg prägt und mit der Saalburg, die exemplarisch für römische Kastelle wurde.
Das genau ist ja das Problem in der didaktischen Archäologie: es gab in der Vergangenheit Rekonstruktionen, so wie man sich die Architektur zu dieser Zeit vorgestellt hat - und diese Rekonstruktionen prägen wiederum das Bild, das wir heute von dieser Architektur haben. Anders ausgedrückt: die meisten römischen Rekonstrukltionen sollen - wegen des Wiedererkennungswertes - lieber der Wilhelm'schen Saalburg gleichen als dem Grabungsbefund. Der "Kunde" erwartet das.
Das sagte ich ja. Es dauert seine Zeit, bis sich ein neues, realistischeres Bild, durchsetzt.Andreas hat geschrieben: ↑Mo 18. Nov 2019, 13:46Auch in der Wissenschaft gibt es da eine gewisse Trägheit, bis sich neue Erkenntnisse durchsetzen. Dazu gibt es sogar wissenschaftliche Studien, die herausfanden, dass es meist so um die 60 Jahre dauert, bis sich ein neuer Konsens herauskristallisiert hat. Das liegt an den autoritären Strukturen, die auch im praktischen Wissenschaftsbetrieb greifen.
Anderes Beispiel: die süddeutschen und schweizerischen Seeufersiedlungen. In den 1920er Jahren hat man in Unteruhldingen eine solche Siedlung nach der romantisierenden Vorstellung der Zeit rekonstruiert:

Inzwischen weiß man längst, dass die Gebäude NICHT im Wasser gestanden haben, sondern dass die Pfosten dazu dienten, zu verhindern, dass die Gebäude am weichen Ufersaum nicht nach und nach in den See abrutschen. Aber umgebaut hat man das "Steinzeit-Dorf" deshalb nicht, denn es ist ein Publikumsmagnet.
Und es lassen sich mit romantischen - wenn auch falschen - Bildern eher Besucher anlocken als mit profan-realistischen Rekonstruktionen. Das ist die Crux.
Folge: das "Zeitgeist-Bild" zu neolithischen Pfahlbausiedlungen, das in unseren Köpfen herumspukt, sieht ein steinzeitliches Venedig vor - was es niemals war.