ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 2. Nov 2019, 14:48
Thaddaeus hat geschrieben: ↑Sa 2. Nov 2019, 13:42
Münek hat geschrieben: ↑Sa 2. Nov 2019, 13:35
Die "verschlossene Tür" hat der Verfasser des Johannesevangeliums dem älteren Bericht des Evangelisten Lukas hinzugefügt.
Ein schönes Beispiel für die literarische Verstärkung eines Wunders im Überlieferungsprozess.
Mit der simplen Erklärung des Johannesevangeliums als unhistorisch macht es sich die historisch kritische Forschung zu einfach finde ich.
Die Motivation hinter der "literarischen Verstärkung" müsste auch geklärt werden, so wie deren tatsächlich Bedeutung, die man vielleicht ebenfalls missversteht.
Die Motivation hinter Johannes Einführung einer verschlossenen Türe ist sein Glaube. Für ihn ist Christus so mächtig, dass auch eine verschlossene Türe kein Hindernis darstellt. Die verschlossene Türe soll den Lesern seines Ev. aufzeigen, wie machtvoll Jesus ist und dass er wahrhaftig Gottes Sohn ist (denn sonst könnte er nicht durch verschlossene Türen wandeln).
Es gibt aber auch den schlichten dramaturgischen Grund, dass eine Geschichte um so interessanter und spannender wird, je großartigere Dinge der Held vollbringt. Das gilt erzähl-dramaturgisch durchaus für jede Heldenerzählung seit dem Gilgamesh-Epos bis heute.
Wir wissen, dass es neben Jesus noch andere, heidnische Wundertäter gab (z.B. Apollonius von Tyana). Zwischen deren Wundern und Jesu Wundern bestand durchaus eine Konkurrenz darüber, wer der größere Wundertäter ist. Auch das ist eine Motivation für die Vermehrung und Verstärkung der Wunder Jesu im Laufe der Überlieferung der Evv.
Zahlreiche neutestamentliche Theologen sind der Ansicht, dass Jesu Wundertätigkeit weitaus geringer war, als in den Evv. berichtet. Jesus selbst lehnt es in Mk.8,11-13 sogar explizit ab, Wunder als Zeichen seiner Vollmacht zu geben (die Pharisäer übrigens verlangen ein solches Zeichen, weil Jesus als Prophet auftritt und Propheten sind nach jüdisch-geistlichem Verständnis nur dann echte Propheten (und nicht nur Scharlatane), wenn sie solche Zeichenhandlungen zu geben in der Lage sind).
Und die Pharisäer kamen zu ihm hinaus und begannen mit ihm zu streiten: Sie forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel, um ihn zu versuchen. Da seufzt er auf in seinem Geist und spricht: Was fordert dieses Geschlecht ein Zeichen! Amen, ich sage euch: Diesem Geschlecht wird kein Zeichen gegeben! Und er ließ sie stehen, stieg wieder ins Boot und fuhr ans andere Ufer. (Mk 8,11-13)
Wenn man heute als Gläubiger darauf besteht (warum eigentlich?), dass Jesus wirklich jedes in den Evv. berichtete Wunder auch tatsächlich historisch korrekt so gewirkt hat, ist man ein bisschen so, wie diese eine Zeichenhandlung fordernden Pharisäer.
Warum aber brauchen das manche Gläubige eigentlich? Warum können sie nur glauben, wenn sich alles exakt so wie berichtet, auch historisch ereignet hat? (In meinen Augen ist das ein Zeichen für einen schwachen Glauben, nicht für einen starken.)
Am Ende dreht sich doch alles um die Frage:
Muss sich, damit man mit Berechtigung glauben kann, historisch alles genau so ereignet haben, wie es in den Evv. (bzw. der Bibel) erzählt wird?
Offensichtlich gibt es zahllose Gläubige, die hier mit einem eindeutigen "Ja!" antworten.
Ich fasse das alles sehr viel umfassender auf. Für mich ergeben erst
alle religiösen Äußerungen in
allen Religionen zu
allen Zeiten der menschlichen Geschichte einen umfassenden Sinn. Alle Religionen mit ihren unterschiedlichen Gottesvorstellungen sind Äußerungsformen des Menschen, die alle dieses eine gemeinsam haben:
der Mensch fragt nach etwas, das größer ist als er selbst. Unter anderem dies unterscheidet den Menschen ganz wesentlich vom Tier. Das Spirituelle offenbart sich mir in einem weitaus größeren religiösen Radius, als nur dem des christlichen Glaubens.
Und natürlich ist das Ausdruck eines zutiefst psychischen Bedürfnisses des Menschen. Das schmälert aber keineswegs die elementare Bedeutung, die alle religiöse Äußerungsformen für den Menschen haben. Im Gegenteil. Ich halte es da mit dem großen Weisheitslehrer Joseph Campbell:
How to read religion.