Aus der Werkstatt des Theologen

Themen des Neuen Testaments
Helmuth
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#171 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Helmuth » Mi 16. Okt 2019, 20:23

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 16. Okt 2019, 19:16
Wenn Mt. z.B. aus dem einen besessenen Gerasener bei Mk. zwei macht, dann tut er dies nicht einfach nur so oder darum, weil ihm zwei Besessene irgendwie besser gefallen als nur einer. Vielmehr folgt er damit einer literarischen Gesetzmäßigkeit, die überall in der antiken Literatur beobachtbar ist. Er folgt als Redaktor - möglicherweise eher intuitiv als wohlüberlegt, das ist richtig - den Gesetzen der literarischen Steigerung von Geschichten, damit sie für die Leser eindrücklicher werden und dadurch nachhaltiger und intensiver wirken. Zwei Besessene zu heilen ist einfach ein größeres Wunder als nur einen zu heilen.
Bist du theologisch so gelehrt worden? Sehr ähnliche Ansichten vertritt z.B. Prof. Schreiber. Kennst du ihn? Es macht nur aus einer Theorie kein Faktum. Du bzw. Prof. Schreiber glauben es einfach so wider besseres Wissen. Das heißt nicht, ich hätte besseres Wissen, ergo belasse ich es bei Theorie und setze anders an, wie zuvor dargestellt.

Derartige Annahmen wie von dir haben aber für mich gravierende Schwächen, die dem innerbiblischem Zeugnis der Schrift grob widersprechen, ja es regelrecht zersetzen.

Aus eins mach zwei?
Literarische Dramatisierung ist der Beginn jeder Legendenbildung. Minuspunkt für Mt. Man erzählt nicht mehr nur was war sondern auch was nicht war. Biblisch eine klare Lüge. So wäre Mt m.E. auch längst aus dem Kanon geflogen, denn solche Schauspieler hat Gottes Wahrheit nicht nötig. Es geht um die Wahrheit, nicht mehr und nicht weniger. Diese ist dramatisch genug.

Du glaubst weiters an Manipulation durch Redakteure?
Ich auch, aber nur im positiven Sinne, indem diese Texte nicht verändern dürfen, es sei denn sie hätten definitiv glaubwürdigere Quellen als der Vorgänger. Nachfolgend darf man nur Texte zusammenfassen oder abtrennen, keinesfalls mehr verändern. Es widerspricht jeder Glaubwürdigkeit eines Berichtes, wenn nachträglich Tatsachen verändert werden. Zweiter Minuspunkt für Mt und Rausschmiss aus dem Kanon.

Du glaubst an eine effektivere Anahme bei Übertreibung?
Das ist das gängige Mittel der Zauberei, eine bereits schwere Verfehlung wider alle Wahrheit. Derart wurden Apokryphen erkannt und sofort eliminiert. Dritter Minuspunkt für Mt und sofortiger Rausschmiss aus dem Kanon.

All solche Annahmen widersprechen der Wirkungsweise des Heiligen Geistes. Meine Annahmen sind wesentlich anders, teils sogar trivial. Der Heilige Geist erlaubte selbstverständlich fehlerhafte Menschen, aber sicher nicht klar fehlgeleitete Menschen. Derart schmeiß ich dir Mt auf den Kopf und sage, der kann mich mal.

Selbst also wenn die Zweiquellentheorie Tatsache wäre, so erfolgte der Kanonisierungsprozess definitiv anders, sicher nicht manipulativ. Das einzige was ich gelten lassen könnte wäre, wenn man diese Theatertechniken damals noch nicht einwandfrei erkannt hätte, was ich aber gar nicht annehme. Vielmehr denke ich weiterhin an eine irrtümliche Zuordung, weniger an eine willkürliche.

Eine konkrete Frage:
Glaubst du an die Befreiung des Besessenen und an die Dämonisierung der Schweine oder nicht? Mir geht es jetzt nicht um Details, sondern ob das grundsätzlich Fakt war?
Der Herr steht zu mir, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?
Ps 118:6

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Andreas
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#172 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Andreas » Mi 16. Okt 2019, 21:32

@Thaddaeus
Die Darstellung der Anführungsstriche und Minuszeichen ist im grünen Forum korrekt.
Trockener Humor bei Markus
Auflösung der Pointe und Lehre des hermeneutischen Zirkels des Markus

@Scrypton
Info
Bei uns im Blauen gibts immernoch in solch älteren Beiträgen Probleme mit der Darstellung.

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Andreas
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#173 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Andreas » Do 17. Okt 2019, 12:37

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 16. Okt 2019, 18:20
Ähm, meine Exegese von Mk.5,1-20 hat mit Leben-Jesu-Forschung nicht das Geringste zu tun. Falls du das denkst, bist du gehörig auf dem Holzweg.
Nur wegen der Schlussfolgerung, das Ende unserer Perikope verweise darauf, dass Jesus das Gebiet um Gerasa gemieden hat und die Erzählung vom besessenen Gerasener erkläre aitiologisch, warum dem so war, handelt es sich hierbei nicht um Leben-Jesu-Forschung!
Ich habe bis jetzt keinen Grund anzunehmen, dass du in der Leben-Jesu-Forschung tätig warst. Insofern handelt es sich nicht um Leben-Jesu-Forschung. Wenn du aber von unsere Perikope von dem Jesus ausgehst, der tatsächlich gelebt hat, und es als Faktum darstellst, dass er in der Dekapolis eine persona non grata gewesen sei - und dann den Text vom Leben des Jesus her gesehen als Aitiologie interpretierts - machst du Aussagen über den tatsächlich gelebt habenden Jesus. Der tatsächliche Jesus ist kein Faktum, welches irgendjemandem zu Forschungszwecken vorliegt. Keine Daten. Wir haben nur Texte, über Jesus und du machst genau das, was die Leben-Jesu-Forschung tut, nämlich einen Jesus rekonstruieren, der nicht der Jesus ist, der lebte - sondern lediglich ein theoretisches Konstrukt ist.

Abgesehen davon ist das ein Zirkelschluss, weil dein Schluss sich von der Prämisse herleitet, und die Prämisse sich von dem Schluss herleitet. Weil der lebende Jesus in der Dakpolis eine persona non grata gewesen sei, ist der Text eine Aitiologie - weil der Text eine Aitiologie sei, war der lebende Jesus in der Dekapolis eine persona non grata.

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 16. Okt 2019, 18:20
Die literarkritische Aufdeckung, dass viele Teile der Erzählung sich so nicht abgespielt haben können, ist ebenfalls keine Leben-Jesu-Forschung, aber es ist wesentlich für ein korrektes Verständnis dieses markinischen Exorzismuswunders!
Doch genau so arbeitet die Leben-Jesu-Forschung doch. Sie unterscheidet, was historisch plausibel ist und was nicht. Wenn du diese Erzählung in historische Einzelheiten zerlegst, und so zu dem Schluss kommst, dass sich das so nicht historisch abgespielt haben kann, wie die Synoptiker das darstellen, dann kannst du es nicht mehr als Begründung für den "historischen Fakt" verwenden, dass Jesus in der Dekapolis eine persona non grata gewesen sei.

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 16. Okt 2019, 18:20
Meine Exkurse über nicht-christliche Wunder haben ebenfalls nichts mit Leben-Jesu-Forschung zu tun, sondern dienen dem besseren Verständnis genau dieser markinischen Wundererzählung. So gibt es deutliche Parallelen im erzählerischen Aufbau der Wunder und insbesondere die historische Tatsache, dass christliche Wunder in direkter Konkurrenz zu nicht-christlichen Wundererzählungen standen erklärt, warum die Synoptiker literarische Wundervorlagen mit erzählerischen Mitteln gesteigert haben, - von Matthäus' Einführung eines zweiten Besessenen über die Anzahl der ausgetriebenen Dämonen bis hin zur Implementierung der Schweineherdenerzählung in diese Wundergeschichte. Und dabei geht es exakt darum, die Markus-Variante der Heilung des besessenen Geraseners besser zu verstehen.
Ich kenne keine Literatur der Leben-Jesu-Forschung in der nicht genau diese Exkurse zu Wundern völlig richtig stehen. Zum Beispiel im Standardwerk zur Leben-Jesu-Forschung:
Theißen, Gerd; Merz, Annette: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1996, Seite 275-279. "Jesus als Wundertäter im Vergleich zu zeitgenössischen Wundertätern" Da ist selbstverständlich von den wundertätigen Rabbinen die Rede und vom Apollonius von Tyana ... Logisch, denn es geht dabei darum den ganzen historischen Kontext im Auge zu haben und nicht nur den biblischen.

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 16. Okt 2019, 18:20
Wir kennen deine Auslegung noch nicht, aber du versuchst im Vorfeld eine Diskrepanz zwischen meiner Exegese und deiner Auslegung in spe einzuführen, die so schlicht und einfach nicht existiert. Es mag sein, dass du den Fokus auf andere Aspekte legst: geschenkt. Aber wir legen denselben Text theologisch aus.
Ich diskutiere sachlich mit dir über deine Exegese. Wenn das nicht erwünscht ist, lasse ich es. Bis dahin lege ich die Argumente auf den Tisch, die ich für richtig halte. Sie könnten falsch sein, und ich erwarte sogar von dir, dass du sie in der Sache widerlegst, falls sie tatsächlich falsch sind.

Meine Auslegung spielt hier überhaupt keine Rolle, erstens weil sie noch nicht auf dem Tisch liegt, und zweitens weil ich bisher überhaupt kein Argument vorgebracht habe, dass etwas mit meiner Auslegung zu tun hätte. Ich beziehe mich lediglich auf deine Exegese und sonst nichts. Für die Anologien deiner Exegese zur Leben-Jesu-Forschung kann ich nichts - sie fallen mir lediglich auf, weil sie da sind.

Dass wir beide denselben Text theologisch auslegen, kannst du nicht wissen. Normalerweise lege ich zuerst einen Text aus, und mache mir danach Gedanken, was er für eine theologische Relevanz haben könnte. Dass heißt ich versuche so gut es geht, den Text gerade nicht aus der Perspektive irgendeiner Theologie auszulegen. Das ist ja gerade der Vorwurf, den die historische Theologie zu recht der "Kirche" macht. Je nach theologischer Ausrichtung kommen dann halt die dazu passenden Exegesen heraus - und das ist dem Wesen nach unwissenschaftlich. Soll nicht heißen, dass ich wissenschaftlich arbeiten könne - aber dieses wissenschaftliche Prinzip möchte ich nie aus dem Auge verlieren. Nur weil ich ein gläubiger Christ bin, heißt das nicht, dass jede Auslegung meinerseits eine erbauliche Predigt werden muss. Das gilt auch für alle gläubigen Theologen, bei ihrer wissenschaftlichen, historisch-kritischen Arbeit.

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 16. Okt 2019, 18:20
Andreas hat geschrieben:
Di 15. Okt 2019, 14:24
Thaddaeus hat geschrieben:
Di 15. Okt 2019, 17:50
Ja, das ist aber falsch.
Nein, ist es nicht.
Doch, das ist es, weil das, was du vorgibst tun zu wollen, zumindest keine Exegese des Mk.-Textes werden kann. Es kann vielleicht eine erbauliche Betrachtung werden, - aber keine Exegese. Mk. ist ein Synoptiker von drei Synoptikern. Er ist nicht ohne die anderen adäquat theologisch zu verstehen. Das Typische des Mk.-Ev. kannst du überhaupt nur im Vergleich mit den anderen Synoptikern heraus analysieren. Ansonsten gibt es kein für Mk. typisches Ev. , weil es sich von keinem anderen abheben kann.
Dann kann ich mir die Mühe ersparen, hier meine Auslegung vorzustellen, wenn von vornherein feststeht, dass es eine erbauliche Betrachtung bzw. Predigt werden wird.

Noch einen inhaltlichen Kritikpunkt möchte ich anbringen: In deiner Exegese erwähnst du die Jünger mit keinem Wort welche allerdings Anwesende in der beschriebenen Situation mit dem Gerasener sind. Könnte ja sein, dass allein ihre Anwesenheit eine Bedeutung für die Interpretation haben könnte. Schließlich ist Jesus ihr Lehrmeister. Es ist also nicht auszuschließen, dass es sich dabei um ein Lehrstück handelt, zum Zwecke der Weiterbildung der Jünger, welche man auch als Representanten künftig lehrender Theologen betrachten könnte - aus der Sicht des Markus, nicht irgendeiner späteren Theologie, eines Lukas, Matthäus, oder den späteren Glaubensgemeinschaften, Kirchen oder "der frühen Christenheit" - was immer das sein mag, da es damals divergierende Glaubensauffassungen en masse gab, was schon im NT selbst deutlich zu erkennen ist.

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abc
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#174 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von abc » Do 17. Okt 2019, 13:25

Hallo ihr beiden, ...

Thaddaeus hat geschrieben:
Di 15. Okt 2019, 17:50
Wenn es aber darum geht, bestimmte Fragen zu beantworten, wie die z.B., warum Mk. das Geschehen überhaupt nach Gerasa verortet (woher hat er diesen Ortsnamen, zumal der Ort nicht am See Genezareth liegt?), dann wirst du auf übergeordnete Aspekte verwiesen, die mit Mk. allein nicht beantwortet werden können. Dieser übergeordnete Aspekt ergibt sich aus der Tatsache, dass es sich um heidnisches Gebiet handelt und die Leute Jesus nach Mk. in der Perikope über den besessenen Gerasener dort nicht haben wollen. Worauf - so muss man nun nachfragen - gibt diese markinische Texttatsache eine Antwort? Sie gibt eine Antwort auf die Frage, warum Jesus dort nicht war und wirkte (wer auch immer diese Frage in der späteren Gemeinde gestellt hat!). Und dies verweist wiederum auf die übergeordnete Frage, welche Bedeutung es für die frühe Christenheit gespielt hat, dass Jesus Jude war, Rabbi genannt wurde und sich nach eigener Aussage ausschließlich zu den Schafen Israels gesandt sah?

Andreas hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 12:37
Abgesehen davon ist das ein Zirkelschluss, weil dein Schluss sich von der Prämisse herleitet, und die Prämisse sich von dem Schluss herleitet. Weil der lebende Jesus in der Dakpolis eine persona non grata gewesen sei, ist der Text eine Aitiologie - weil der Text eine Aitiologie sei, war der lebende Jesus in der Dekapolis eine persona non grata.

Es gibt möglicherweise eine schlüssige Erklärung, die nicht nur eure Seiten verbände, sondern auch ein anderes Rätsel lösen würde, das Theologen - hinsichtlich Markus - schon lange beschäftigt.

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#175 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Andreas » Do 17. Okt 2019, 14:03


Der Vorteil den der Mann links, im Gegensatz zu dem Mann oben hat, ist, dass er sich nicht damit begnügt, geheimnisvolle Andeutungen zu machen, sondern seine Meinung sagt.

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#176 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von abc » Do 17. Okt 2019, 14:13

Andreas hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 14:03
Der Vorteil den der Mann links, im Gegensatz zu dem Mann oben hat, ist, dass er sich nicht damit begnügt, geheimnisvolle Andeutungen zu machen, sondern seine Meinung sagt.
Um deinen (unseren) Film nicht zu verlieren, zäume ich das Pferd von hinten auf und sage dir: guckst du hier ...

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Nein, doch - ohh :D

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#177 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Andreas » Do 17. Okt 2019, 14:28

Ich weiß gar nicht, wo das Problem sein soll. Gerasa, See, Klippen ist doch alles wie beschrieben. Jesus hat sich mit dem Boot einfach nur saumäßig verfahren. So nun sind die Schweine auch noch da. Lasst euch das von einem Besessenen sagen. Man darf die Überzeitlichkeit Gottes nie ausblenden.

Nein! Doch. Ohh!

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Thaddaeus
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#178 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Thaddaeus » Do 17. Okt 2019, 16:42

Andreas hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 12:37
Abgesehen davon ist das ein Zirkelschluss, weil dein Schluss sich von der Prämisse herleitet, und die Prämisse sich von dem Schluss herleitet. Weil der lebende Jesus in der Dakpolis eine persona non grata gewesen sei, ist der Text eine Aitiologie - weil der Text eine Aitiologie sei, war der lebende Jesus in der Dekapolis eine persona non grata.
Ähm, nein.
1) Fakt ist Mk. 5,16: "Und sie begannen, ihn zu ersuchen, wegzugehen von ihrem Gebiet." Es ist sehr ungewöhnlich, dass sich diese offene Ablehnung Jesu durch die heidnische Bevölkerung bei allen Synoptikern erhalten hat, denn es widerspricht der theologischen Tendenz aller Synoptiker, ihn als den erwarteten Messias und sogar Gottessohn für alle Menschen darzustellen, als der er sich erst durch seine Wunder erweist, wie er ja auch in unserer Geschichte einen erfolgreichen Exorzismus durchführt und dabei sogar etwa 2000(!) Dämonen austreibt (einen für jedes Schwein, denn keines der Schweine bleibt stehen).

2) Wenn die offene Ablehnung Jesu bei der Bevölkerung in und um Gerasa bei allen Synoptikern im Laufe der Überlieferungsgeschichte nicht getilgt wurde bedeutet das, dass diese Ablehnung bzw. das Nicht-Wirken Jesus in diesem Gebiet so bekannt war, dass sie nicht einfach getilgt oder geleugnet werden konnten. Die in der Perikope erwähnte, explizite Ablehnung Jesu durch die heidnische Bevölkerung in und um Gerasa ergibt nur Sinn, wenn Jesus dort nicht gewirkt hat, zumindest nicht so, wie in anderen, jüdischen Gegenden.

3) Die Perikope benennt Gründe für die Ablehnung der Bevölkerung bzw. für das Nicht-Wirken Jesu in diesem Gebiet: 1) die Leute hatten Angst vor Jesus + 2) Der Schaden, den Jesus durch den Tod der Schweine anrichtet. Beide Konstruktionen können nicht der wirkliche Grund sein, warum Jesu Wirken in ihrer Gegend von der Gerasener Bevölkerung abgelehnt wurde, denn die ganze Wundergeschichte kann so nicht geschehen sein (im Besonderen nicht die Schweineepisode).

4) Damit ist diese Wundergeschichte um die Heilung des Geraseners durch Exorzismus eine Aitiologie, die erklärt, warum Jesu Wirken von der Gerasener Bevölkerung abgelehnt wurde, was wiederum erklären soll, warum er dort nicht gewirkt hat.

Weder handelt es sich hierbei um einen Zirkel, noch gibt es Prämissen, sondern Ausgangspunkt ist der Textfakt von Mk.5,16 und die literarkritischen Ergebnisse der Exegese.

Andreas hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 12:37
Noch einen inhaltlichen Kritikpunkt möchte ich anbringen: In deiner Exegese erwähnst du die Jünger mit keinem Wort welche allerdings Anwesende in der beschriebenen Situation mit dem Gerasener sind. Könnte ja sein, dass allein ihre Anwesenheit eine Bedeutung für die Interpretation haben könnte.
Alle Spekulationen über die Jünger verbieten sich, denn die werden in unserer Perikope nicht erwähnt. Nicht einmal, dass sie Jesus begleiten, nachdem er seinen Fuß an Land gesetzt hat. Jesus richtet auch nie das Wort an sie. Sie tauchen nicht einmal am Ende auf, wenn Jesus wieder ins Boot steigt. Es handelt sich bei dem Wunder also keinesfalls um ein Lehrbeispiel für die Jünger! Im Gegenteil weist es darauf hin, dass die ganze Perikope eine Konstruktion und Verknüpfung der 3 in der Exegese genannten Traditionslinien durch Mk. oder einem Redaktor vor ihm ist.

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Andreas
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#179 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Andreas » Do 17. Okt 2019, 17:35

Thaddaeus hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 16:42
Andreas hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 12:37
Noch einen inhaltlichen Kritikpunkt möchte ich anbringen: In deiner Exegese erwähnst du die Jünger mit keinem Wort welche allerdings Anwesende in der beschriebenen Situation mit dem Gerasener sind. Könnte ja sein, dass allein ihre Anwesenheit eine Bedeutung für die Interpretation haben könnte.
Alle Spekulationen über die Jünger verbieten sich, denn die werden in unserer Perikope nicht erwähnt. Nicht einmal, dass sie Jesus begleiten, nachdem er seinen Fuß an Land gesetzt hat. Jesus richtet auch nie das Wort an sie. Sie tauchen nicht einmal am Ende auf, wenn Jesus wieder ins Boot steigt. Es handelt sich bei dem Wunder also keinesfalls um ein Lehrbeispiel für die Jünger! Im Gegenteil weist es darauf hin, dass die ganze Perikope eine Konstruktion und Verknüpfung der 3 in der Exegese genannten Traditionslinien durch Mk. oder einem Redaktor vor ihm ist.
Das leicht zu wiederlegende vorweg:

Die Jünger sind anwesend:
Mk 5,1-2 Elberfelder 2006 hat geschrieben:Und sie kamen an das jenseitige Ufer des Sees in das Land der Gerasener. Und als er aus dem Boot gestiegen war, begegnete ihm sogleich von den Grüften her ein Mensch mit einem unreinen Geist,
Aus der vorigen Szene "Der Stillung des Sturmes" müsste man sogar noch etwas über die Personen in den "anderen Booten, die bei ihm waren" sagen, denn die scheinen denselben Weg gehabt zu haben und werden sich nicht unterwegs in Luft aufgelöst haben.
Mk 4,35-36 Elberfelder 2006 hat geschrieben:Und an jenem Tag sagt er zu ihnen, als es Abend geworden war: Lasst uns zum jenseitigen Ufer übersetzen!
Und sie entließen die Volksmenge und nehmen ihn im Boot mit, wie er war. Und andere Boote waren bei ihm.
So etwas passiert schnell mal, wenn man sich nur auf den selbsgewählten Text beschränkt, und den Kontext nicht in seine Überlegungen miteinbezieht. Das nervt mich auch immer beim sogenannten "Bibelteilen" in allen Bibelkreisen.

Zur nicht vorhanden Inhaltsangabe hätte vielleicht noch gehört, zu klären von wem der Ex-Besessene die Kleidung bekommen haben könnte. Von den weggelaufenen Hirten jedenfalls nicht, die Bewohner Gerasas sind noch nicht da. Der Ex-Besessene ist schon bekleidet als die von den Hirten geholten Bewohner eintreffen. Blieben nur Jesus selbst, die Jünger, bzw. die Personen in den anderen Booten als mögliche Kleidungslieferanten übrig. Warum sollte Jesus Reserveklamotten mitnehmen, da er sich von den Booten nicht entfernt. Dagegen wehrt sich der Text. Ist jetzt nicht dramatisch wichtig, doch diese Frage ergäbe sich aus dem Text, und auch wenn man sie nicht präzise beantworten kann, sollte sie zumindest gestellt werden.

Das Wunder, ob als Aitiologie oder nicht, ergibt nur Sinn, wenn es seine Anhänger auch sehen und "überliefern". Sonst könnte man einwenden, dass sich Jesus das alles bloß ausgedacht hat, und dass es dieses Wunder nicht "wirklich" gäbe. In der Logik des Textes sind die Zeugen in Form der Jünger und der Personen der anderen Boote, die mit ihm waren notwendig und nicht zu vernachlässigen, möchte ich meinen. Gut, wenn du das als reine Spekulationen ansiehst, ist es halt so.

Ich halte mich da an folgendes.
Conzelmann, Hans u. Lindemann, Andreas: Arbeitsbuch zum Neuen Testament. Tübingen, Mohr Siebeck 1976, S. 41-42 hat geschrieben: 3. Praktische Übungen zur Exegese

1) Allgemeine Hinweise:

1. Man beginnt am besten mit einer vorläufigen Übersetzung unter Verwendung von Wörterbuch und Grammatik. Gleichzeitig prüft man, ob der Textkritische Apparat wesentliche Abweichungen vom gedruckten Text verzeichnet, wobei unter Umständen Entscheidungen gegen den von den Herausgebern vorgeschlagenen Text möglich sind. Dann versucht man, die Handlung bzw. den Gedankengang nachzuzeichnen: Wie ist die Szene, welche Personen treten auf? Was ist das Ziel der Handlung, gibt es auf dem Weg zu diesem Ziel Lücken und Brüche, oder ist alles logisch aufgebaut.

2. Vor der eigentlichen Exegese muss man sich dann Klarheit verschaffen: Was will ich überhaupt erfahren, was erwarte ich von der Aussage des Textes? Hoffe ich Informationen über die Geschichte bzw. über das Leben Jesu zu erhalten? Möchte ich - angesichts von Wundergeschichten - etwas über den antiken Wunderglauben allgemein oder über den christlichen Wunderglauben speziell erfahren? Oder frage ich weniger nach der historischen Realität als vielmehr etwa nach dem Jesusbild oder dem Glaubensverständnis des jeweiligen Evangelisten?

Man braucht diese Fragen nicht als Alternativen aufzufassen; sie können als leitende Gesichtspunkte durchaus gleichzeitig von Bedeutung sein. Es geht nur darum, die Fragen so zu formulieren, daß der Text als Antwort darauf verständlich wird, damit auf diesem Wege erste exegetische Ergebnisse formuliert werden können. Etwa: Wie sieht die Geburtsgeschichte Jesu Lk2 aus, wenn ich sie als historischen Bericht zu verstehen suche? Wie stellt sich der Text dar, wenn ich die Frage nach der Historizität offen lasse?

3. Erst wenn man diese Fragen geklärt hat, sollte man die Literatur zu Rate ziehen: Welche Fragestellungen enthalten die Kommentare? Welche historischen oder theologischen Informationen bieten sie? Wo widersprechen sie meinen bisherigen Ergebnissen, und woran liegt das?

Das vor dem rotmarkierten ist geschenkt, soweit es hier von Belang ist, hast du das Nötige getan.
Vielleicht wäre es hilfreich gewesen über das Wort, welches für "bitten" in Mk 5,17 "sie begannen, ihn zu bitten, wegzugehen von ihren Gebieten" verwendung findet noch genaueres zu sagen - vielleicht wäre dann deutlicher geworden, was in diesem Fall tatsächlich mit "persona non grata" im Text gemeint ist. Da gibt es gewissen Spielraum zwischen "unerwünscht" und nicht "geduldet". Wenn Jesus dort sowieso nicht predigen wollte, warum fuhr er dann überhaupt dahin? Dann wäre unerwünscht auch kein echtes Thema, wenn Jesus das selbst nicht wünscht.
Falls er es sich aber gewünscht haben sollte, wie du unterstellst, müsste man erklären, warum dieser markinische Jesus eben noch mit Macht über den Sturm gebietet, und mit Macht eine Legion von Dämonen austreibt, vor den viel schwächeren Gerasenern dermaßen einknickt, wie du es darzustellen versuchst.
Vielleicht könnte man anführen, dass Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth kaum große Taten vollbringen konnte, weil sie ihn aufgrund seines dortigen Bekanntheitsgrades zu gut als gewöhnlichen Menschen kannten, aber hier hatte er ein überzeugendes Wunder vollbracht, an welches die Gerasener selbst als Heiden glaubten. Auch der Besessene ist ja Gerasener Heide und glaubt nicht an diesen jüdisch-religiösen Kram, sondern vermutlich an die Götter der Heiden. Deine Schlussfolgerung ist nicht so schlüssig, wie es zunächst scheint.

Offensichtlich möchtest du Informationen über das Blaumarkierte durch deine Exegese erhalten, ich offensichtlich über das Grünmarkierte. Okay, ich kann dir nicht vorschreiben, wie deine Fragestellung zu sein hat. Wäre diese Fragestellung zu Beginn klar definiert gewesen, hätte uns das möglicherweise einige Missverständnisse erspart.

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#180 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Andreas » Do 17. Okt 2019, 18:08

Thaddaeus hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 16:42
Andreas hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 12:37
Abgesehen davon ist das ein Zirkelschluss, weil dein Schluss sich von der Prämisse herleitet, und die Prämisse sich von dem Schluss herleitet. Weil der lebende Jesus in der Dakpolis eine persona non grata gewesen sei, ist der Text eine Aitiologie - weil der Text eine Aitiologie sei, war der lebende Jesus in der Dekapolis eine persona non grata.
Ähm, nein.
1) Fakt ist Mk. 5,16: "Und sie begannen, ihn zu ersuchen, wegzugehen von ihrem Gebiet." Es ist sehr ungewöhnlich, dass sich diese offene Ablehnung Jesu durch die heidnische Bevölkerung bei allen Synoptikern erhalten hat, denn es widerspricht der theologischen Tendenz aller Synoptiker, ihn als den erwarteten Messias und sogar Gottessohn für alle Menschen darzustellen, als der er sich erst durch seine Wunder erweist, wie er ja auch in unserer Geschichte einen erfolgreichen Exorzismus durchführt und dabei sogar etwa 2000(!) Dämonen austreibt (einen für jedes Schwein, denn keines der Schweine bleibt stehen).
Doch.
Was du immer mit den anderen Synoptikern hast, die keinerlei Einfluss auf Mk haben? Der unbestreitbare Erfolg der Heidenmission des Paulus und dem Rest der vormarkinischen Christen inklusive Markus selbst, denn auch dafür schrieb er sein Evangelium dessen primäre Adressaten Heiden sind, ist doch nicht davon abhängig gewesen, wo Jesus wirkte oder nicht, wo er erfolgreich predigte oder nicht. Jesus war doch auch nicht in Kleinasien, Griechenland oder Rom. Ich verstehe echt nicht was das soll.

Thaddaeus hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 16:42
2) Wenn die offene Ablehnung Jesu bei der Bevölkerung in und um Gerasa bei allen Synoptikern im Laufe der Überlieferungsgeschichte nicht getilgt wurde bedeutet das, dass diese Ablehnung bzw. das Nicht-Wirken Jesus in diesem Gebiet so bekannt war, dass sie nicht einfach getilgt oder geleugnet werden konnten. Die in der Perikope erwähnte, explizite Ablehnung Jesu durch die heidnische Bevölkerung in und um Gerasa ergibt nur Sinn, wenn Jesus dort nicht gewirkt hat, zumindest nicht so, wie in anderen, jüdischen Gegenden.
Diese Perikope berichtet doch aber von der sich ausbreitenden Heidenmission nicht nur in Gerasa sondern in der ganzen Dekapolis. Der missionierende Heide und Ex-Besessene ist doch geradezu ein Zwilling des Heidenmissionars Paulus oder des Markus selbst! Ist doch viel logischer, dass diese Perikope das "vorwegnimmt" als eine NICHT erfolgreiche Heidenmission in der Dekapolis. Wenn du wenigstens Quellen dafür anführen könntest, dass in der Dekapolis die Heidenmission tatsächlich lange Zeit NICHT so erfolgreich war, wie überall sonst, können wir gerne nochmal drüber reden, ob es sich um eine Aitiologie handeln könnte. Bis jetzt ist das für mich nur Spekulation ohne jeden Beleg - denn das belegt diese Erzählung gerade nicht, sondern eher das Gegenteil.

Thaddaeus hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 16:42
3) Die Perikope benennt Gründe für die Ablehnung der Bevölkerung bzw. für das Nicht-Wirken Jesu in diesem Gebiet: 1) die Leute hatten Angst vor Jesus + 2) Der Schaden, den Jesus durch den Tod der Schweine anrichtet. Beide Konstruktionen können nicht der wirkliche Grund sein, warum Jesu Wirken in ihrer Gegend von der Gerasener Bevölkerung abgelehnt wurde, denn die ganze Wundergeschichte kann so nicht geschehen sein (im Besonderen nicht die Schweineepisode).
Entschuligung. Welche andere Wundergeschichte ist aus historisch-kritischer Sicht denn deiner Meinung nach historisch geschehen? Was ist denn DAS für ein Argument? Damit ließen sich alle beliebigen Spekulationen erklären, wenn es denn sinnvoll wäre.

Thaddaeus hat geschrieben:
Do 17. Okt 2019, 16:42
4) Damit ist diese Wundergeschichte um die Heilung des Geraseners durch Exorzismus eine Aitiologie, die erklärt, warum Jesu Wirken von der Gerasener Bevölkerung abgelehnt wurde, was wiederum erklären soll, warum er dort nicht gewirkt hat.

Weder handelt es sich hierbei um einen Zirkel, noch gibt es Prämissen, sondern Ausgangspunkt ist der Textfakt von Mk.5,16 und die literarkritischen Ergebnisse der Exegese.
Deine Interpretation ist etwas anderes als der Textfakt von Mk 5,16. Denn die Heidenmission des Ex-Besessenen muss dem Text nach als erfolgreiche Heidenmission angesehen werden, da man dem Text am Ende entnehmen kann, dass er nicht nur in seiner Heimatstadt davon erzählte sondern in der ganzen Dekapolis. Und darum ist es in meinen Augen diese Aitiologie auf das Wirken bzw. Nichtwirken des echten Jesus, den niemand der Autoren des NT kannte - auch Markus nicht, der nicht einmal die Gegend kannte - nach wie vor ein Zirkelschluss, weil du mit dem angeblich echten Jesus die Aitiologie begründest und mit der Aitiologie den echten Jesus.

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