Naturwissenschaft und Religion

Philosophisches zum Nachdenken
barbara
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#101 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von barbara » Fr 8. Nov 2013, 06:57

Pluto hat geschrieben:Realität.
Aber du scheinst mich nicht verstanden zu haben.
Empfindungen sind für die jeweilige Person real sicher auch.
Aber sie sind nicht in dem Sinn real, dass man sie anderen exakt beschreiben kann.

Gute Poeten, gute Künstler zeichnen sich dadurch aus, dass sie solche Dinge durchaus exakt beschreiben können in ihrer Kunst. Wobei "Exaktheit" die Angemessenheit des Empfindens betrifft; sodass jemand, der eben das Beschriebene empfindet, wie vom Donner gerührt da sitzt und ausruft "ja genauso ist es!" - und nicht eine quantifizierte Skala.

Dinge, die nicht quantifiziert werden können, können halt nicht gemessen werden - sondern müssen beurteilt werden. Was, wie wir täglich im Gerichtswesen sehen, keineswegs eine beliebige Angelegenheit ist.

gruss, barbara

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#102 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von barbara » Fr 8. Nov 2013, 07:02

JackSparrow hat geschrieben: Mimik, Gestik und physiologische Reaktionen sind prinzipiell messbar. Um Verliebtheit festzustellen, reicht eine Blutuntersuchung.

Stimmt. physiologische Reaktionen sind allerdings nicth identisch mit der Verliebtheit.

Wenn ein Marsmännchen von outer space (oder wer auch immer), der Menschen nicht kennt, in einem Physiologiebuch die mit Verliebtheit assoziierten Phänomene studieren würde, so hätte dieses Marsmännchen dennoch keinen Begriff davon, wie sich Verliebtheit für Menschen anfühlt. So wie wir Menschen keinen Begriff davon haben, wie sich zB Orientierung via Sonar für Fledermäuse anfühlt.


Realität ist, wenn man genug Leute gefunden hat, die das gleiche glauben wie man selbst.

Interessante Ansicht. Auch eine, die von vielen Diktatoren vertreten wird, die sich in der Regel extrem viel Mühe geben, ihre Ansichten zur staatlich-allgemeinen Realität erklären zu lassen und entsprechend Gehirnwäsche treiben.

Die Erfahrung zeigt aber, dass diese Realität nur mit extrem viel Aufwand und Kontrolle aufrecht erhalten werden kann, und andere Realitäten die Oberhand bekommen, sobald dieser Aufwand nicht mehr betrieben wird. Oder es kann der Aufwand auch übertrieben werden, und es kommt zu Revolution... so linear ist es nicht mit Gleichgesinnten und Realitäten.

gruss, barbara

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#103 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von barbara » Fr 8. Nov 2013, 07:04

Demian hat geschrieben:. Man kann einen reduktionstischen und einseitigen Religionsbegriff vertreten, sodass man eine begriffliche Trennung vornehmen kann. Auf zwischenmenschlicher Ebene ist das aber eher problematisch.

nicht nur zwischenmenschlich, auch intellektuell problematisch.

Ich meine, dass Leute, die so viel Wert darauf legen, dass sie aufgeklärt und rational handeln, dies doch wenigstens konsequent durchhalten... wäre ja das Mindeste, was man erwarten kann, oder?

gruss, barbara

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Zeus
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#104 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Zeus » Fr 8. Nov 2013, 07:10

Zeus hat geschrieben:Wenn du "Religion" durch "Ethik" ersetzest, würde ich dir zustimmen.
Das ist aber nun wirklich nichts Neues. (Ich denke da zum Beispiel an Dr.Mengele's Forschung und an grausame wissenschaftliche Experimente mit Tieren zur Erprobung von Kosmetika)
Demian hat geschrieben:Deine Setzung ist: Wissenschaft und Religion schließen sich aus[...]
Nein. Du hast mich falsch verstanden.
Meine Setzung ist: Ethik und Religion sind, wie closs so schön formuliert, "verschiedene Baustellen".
Der Wissenschaftler braucht nicht religiös zu sein, um ethisch zu handeln.
Das Gegenteil kann sogar der Fall sein:
Blaise Pascal hat geschrieben:Men never commit evil so fully and joyfully as when they do it for religious convictions.


Gruß
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#105 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Demian » Fr 8. Nov 2013, 07:14

Zeus hat geschrieben: Meine Setzung ist: Ethik und Religion sind, wie closs so schön formuliert, "verschiedene Baustellen".
Der Wissenschaftler braucht nicht religiös zu sein, um ethisch zu handeln.

Natürlich - aber die Ethik ist die Verbindung von Religion und Wissenschaft. Wobei Ethik nicht das Herzstück der Religion ist, sondern nur ihre Form. Mit Luther: die Gesetze ( also auch die Ethik ) sagen uns vielleicht, was richtig ist, aber sie geben uns nicht die Kraft dazu. Religion vermittelt eine Kraftquelle.

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#106 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Fr 8. Nov 2013, 08:23

Münek hat geschrieben:Tautologie
Nein - nein. - Ganz sicher nicht. - Um es in Deinem Beispiel zu belassen:

"Wenn es schneit, dann tut es das, egal ob wir es merken oder nicht". - Dahin geht meine Aussage.

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Zeus
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#107 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Zeus » Fr 8. Nov 2013, 08:46

Zeus hat geschrieben: Meine Setzung ist: Ethik und Religion sind, wie closs so schön formuliert, "verschiedene Baustellen".
Der Wissenschaftler braucht nicht religiös zu sein, um ethisch zu handeln.
Demian hat geschrieben:Natürlich - aber die Ethik ist die Verbindung von Religion und Wissenschaft.
:?: :?: :?:
Demian hat geschrieben:Wobei Ethik nicht das Herzstück der Religion ist, sondern nur ihre Form.
Ethik und Religion haben im Prinzip überhaupt nichts mit einander zu tun.
Es ist eine Anmaßung der Vertreter von Religionen die "Ethik gepachtet zu haben".
Ich weiß nicht, was du unter Ethik verstehst. Ich denke es handelt sich um GÜTE [d]und Böses,[/d] um GERECHTIGKEIT und [d]UNGERECHTIGKEIT[/d], um VERANTWORTUNG und [d]VERANTWORTUNGSLOSIGKEIT[/d], KOOPERATION und purer [d]EGOISMUS[/d], MITLEID etc.
Auch Tiere haben einen Sinn für Gerechtigkeit und Fairness. Und die sind ganz gewiss nicht religiös, oder?
Auch Affen haben einen Sinn für Gerechtigkeit. Werden sie im Vergleich zu ihren Artgenossen ungerecht behandelt, reagieren sie trotzig und verzichten sogar auf Belohnungen, die ihnen sonst verlockend erscheinen, berichten amerikanische Wissenschaftler. Dieses Ergebnis aus Verhaltenstests deute darauf hin, dass nicht nur Menschen, sondern auch andere soziale Primaten Ungerechtigkeiten ablehnen. Quelle

Empathy, cooperation, fairness and reciprocity -- caring about the well-being of others seems like a very human trait. But Frans de Waal shares some surprising videos of behavioral tests, on primates and other mammals, that show how many of these moral traits all of us share.
Demian hat geschrieben: Mit Luther: die Gesetze ( also auch die Ethik )
Gesetze und Ethik sind nicht unbedingt dasselbe.
Für ethisches Verhalten braucht es weder Gesetze noch Religion. Das zeigt das Verhalten der Tiere in dem Video.
Demian hat geschrieben:Mit Luther: die Gesetze sagen uns vielleicht, was richtig ist
Siehst du das Wort "vielleicht"?
Demian hat geschrieben:... aber sie geben uns nicht die Kraft dazu. Religion vermittelt eine Kraftquelle.
Religion als Kraftquelle. Schön, mancher braucht's offensichtlich...
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#108 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Demian » Fr 8. Nov 2013, 09:08

Zeus hat geschrieben: Es ist eine Anmaßung der Vertreter von Religionen die "Ethik gepachtet zu haben".

Nirgendwo habe ich die Ethik auf die Religion reduziert. Religion ist ein Netzwerk von ethischen Werten und ihrer spirituellen Umsetzung in Handlung - "mit Leib und Seele" - der Mensch wird in Beziehung gesetzt zu den Rhythmen des Lebens. Ein solches Netzwerk kann man aber nicht einfach von anderen Netzwerken abgrenzen. Viel mehr sind alle ethischen Systeme miteinander vernetzt.

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#109 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von dagegen » Fr 8. Nov 2013, 09:39

Servus closs

closs hat geschrieben:Die Wissenschaft geht gelegentlich davon aus, dass Realität nur das sein darf, was prinzipiell messbar ist. Somit kann sich für sie Glaube nicht auf eine Realität beziehen. Damit wird Glaube zwar als "Hobby" respektiert, aber immer unter dem Vorbehalt, dass es sich um eine Illusion handelt.

Dem entgegen steht, dass Glaube nur sinnvoll ist, wenn er sich auf etwas bezieht, was Realität ist/sein kann - also eine Realität, die unabhängig vom eigenen Glauben der Fall ist. Damit tun sich Naturwissenschaften oft schwer.

Das verstehe ich nicht. Zunächst einmal die Behauptung, wonach nur das Realität sein darf, was prinzipiell messbar ist. Das wäre für mich ein zu grosse Einengung des wissenschaftlichen Realitätsbegriffes. Wir müssten dann einen Großteil unseres Wissens über die Welt über Bord werfen. Nicht in jedem Fall machen metrische Begriffe Sinn, zum Beispiel nicht in der Geschichtswissenschaft.

Du sagst ferner, in der Wissenschaft gilt der Glaube als Illusion. Dagegen sagt die Behauptung, dass der Glaube nur sinnvoll ist, wenn er sich auf etwas bezieht, was Realität ist/sein kann. Das scheint mir auf einen weltanschaulichen Dualismus hinauszulaufen: hier die Realität der Wissenschaft, dort die Realität des Glaubens, der aber von der Wissenschaft als Illusion gebrandmarkt wird. Ist es das was Du meinst?

Natürlich gibt es diese Dichotomie und es gibt unter Wissenschaftlern als auch unter vielen Gläubigen Vertreter und Verfechter dieser Zweiteilung. Aus diesem Lagerdenken stammen letztendlich ein Großteil der Irritationen: Schöpfungsgeschichte vs. naturwissenschaftliche Erklärung der Welt usw. Es kam sogar soweit, dass Glaube auf blanke Kosmologie, auf eine Art Protowissenschaft reduziert wurde.

Ich denke, dass diese beiden Extreme historisch relativ neu sind. Ich vermute, dass diese Spaltung ihren Ursprungsort in der Reformation hat und sich von dort aus über verschiedene reformatorische und evangelikale Strömungen weiter radikalisiert hat. Auf der anderen Seite stammen interessanterweise einige der wichtigsten Beiträge zum wissenschaftlichen Weltbild von Klerikern: Kopernikus, Mendel und LeMaître. Von keinem ist bekannt, dass er mit seiner Religion, seinem Glauben gebrochen hätte und in die Giordiano-Bruno-Stiftung eingetreten wäre. Zeigt klar: das Verhältnis von Wissenschaft und Glaube ist nicht das einer Konkurrenz. Wir alle leben in ein und derselben Welt und das Mittel, diese Welt zu verstehen, ist der Verstand und die Wissenschaft. Wem das nicht reicht, wer sich für das Wofür und das Wozu interessiert, der landet früher oder später bei der Religion:

Ignatius von Loyola hat geschrieben:Der Mensch ist geschaffen, um Gott unseren Herrn zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und ihm zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten; und die übrigen Dinge auf dem Angesicht der Erde sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist.

Daraus folgt, daß der Mensch sie soweit gebrauchen soll, als sie ihm für sein Ziel helfen, und sich soweit von ihnen lösen soll, als sie ihn dafür hindern. (Geistliche Übungen, Seite 38f. Übersetzt von Peter Knauer SJ)

Da wahre Gottesliebe nicht ohne wahre Menschenliebe sein kann folgt daraus klar, dass das, was die Welt anbietet, im Dienst der Caritas steht. Und dazu gehört selbstverständlich der Einsatz von Naturwissenschaft.

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#110 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Demian » Fr 8. Nov 2013, 10:05

dagegen hat geschrieben:Mit anderen Worten: wir alle leben in ein und derselben Welt und das Mittel, diese Welt zu verstehen, ist der Verstand und die Wissenschaft. Wem das nicht reicht, der landet früher oder später bei der Religion.

Richtig - wobei es in der Religion vordergründig um Innen- und Tiefenerfahrung geht. Die religiöse Betrachtungsweise gleicht also eher der dichterischen Wahrnehmung. Im Advaita Vedanta oder in der unio mystica der christlichen Kontemplation wird sogar versucht das dualistische Denken gänzlich im All-Ich aufzuheben. Im Grunde ist der Unterschied der von Theorie und Praxis. Beides ist wichtig. Ein Musiker, der keine Kenntniss der musikwissenschaftlichen Hintergründe, der Stile, Epochen und ihrer verschiedenen Spielweisen hat, wird nie zu einer wirklich tiefen Praxis kommen - und umgekehrt.

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