Da wir es mit einer Wundergeschichte zu tun haben, ist noch ein kurzer Exkurs über Wunder und Wundertäter vonnöten.
Die Perikope von der
Heilung des Besessenen von Gerasa gehört zur Textgattung der
Wundergeschichten, zur Untergattung der
Heilungswunder und in diesem Fall zur Kategorie der
Dämonenaustreibungen bzw.
Exorzismen. Es gibt auch viele andere Heilungswunder ohne Dämonenaustreibung wie z.B. die an unsere Geschichte direkt anschließende
Heilung der blutflüssigen Frau (Mk.5, 21-43, Mt.9, 18-26 und Lk.8, 40-56) etc.
Die Heilung des Besessenen von Gerasa durch Jesus gehört zu den bekanntesten Wundern, die Jesus zugeschrieben werden, und es ist eines der spektakulärsten, aber auch kuriosesten, denn vieles in der Geschichte wirkt befremdlich. Es gilt als ziemlich sicher, dass Jesus zu Lebzeiten vor allem Heilungswunder und Exorzismen durchgeführt hat und viele Menschen in seiner Umgebung davon überzeugt waren, dass er Wunder wirken konnte. Dies stellt keine Überraschung dar, denn Propheten und ausgewiesene Wundertäter gab es zu Lebzeiten Jesu viele.
Exkurs zu Wundertätern:
Einigen Rabbinen wurde Wundertätigkeit nachgesagt, es gab zelotische Zeichenpropheten - die schon als Ausweis dafür, echte Propheten zu sein (und keine Betrüger) Zeichen und Wunder wirken können mussten - und es gab wunderwirkende Chassidim, so z.B. Honi, der Regen machen konnte.
Der jüdische Charismatiker Chanina ben Dosa, der - wie Jesus aus der Gegend von Sepphoris stammte und dezidiert als "Sohn Gottes" bezeichnet wurde - war berühmt für seine Gebetsheilungen. Von dem Heiler Eleazar - der von dem jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus erwähnt wird - ist bekannt, dass er sogar in Anwesenheit des Kaisers Vespasian einem Kranken einen Dämon aus der Nase gezogen hatte.
Einer der berühmtesten wundertätigen Männer war aber zweifellos der Philosoph und Wanderprediger Apollonius von Tyana (4 - 96), der als "theos aner" bezeichnet wurde, also als
göttlicher Mensch, unter anderem, weil er eine auf ihrer Hochzeit tot umgefallene junge römische Braut wieder zum Leben erweckt hatte.
Apollonius lässt den durch Rom ziehenden Trauerzug anhalten, fragt nach dem Namen des Mädchens, rezitiert unverständliche magische Formeln, legt die Hand auf die Tote und erweckt sie damit zum Leben. Den ihm angebotenen Lohn stiftet er als Mitgift.
(Philostratos 4,45; Euripides, Alkestis 1008-1152. H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums I, 1995, S. 140 ff.: Ed. Meyer, Apollonius von Tyana, in: Kleine Schriften II, 1924, S. 131-191.).
In den Heiligtümern des Gottes Asklepios konnte man Hunderte von Tafeln finden, auf denen "auf wundersame Weise" geheilte Menschen dem Gott für das Wunder ihrer Heilung dankten.
Es gab aber auch damals schon Kritiker der zahlreich durch die Länder ziehenden Wundertäter, die deren angebliche Wunderkäfte bezweifelten und ihnen schlichten Betrug vorwarfen. Diese Kritiker waren vor allem stoische und epikureische Philosophen und römische Staatsbedienstete, denen die Wundertätigkeit in der Regel vor allem Scherereien bescherte, da sie für Unruhe und Aufregung in der Bevölkerung sorgten.
Berühmt wurde lange nach Christus der Fall des Asklepios-Priesters
Alexander um die Mitte des 2. Jahrhunderts den Kult des Glykon begründete und dem der römische Satiriker Lukian von Samosata (um 120 – 180) eine eigene Schrift widmete, um ihn als Scharlatan zu entlarven. Dieser habe - so Lukians Schrift - aus Makedonien eine gezähmte Schlange eingeführt, ihr einen menschlichen Kopf, eine Attrappe aus Stoff und Pferdehaar, aufgesetzt und eigene Mysterien erfunden. Seine Anbeter scherten sich nicht um den aufgeklärten Spott, der sich über sie ergoss. Sie trugen ihren Glauben in die Welt und ihr Kult breitete sich seit der Mitte des 2. Jahrhunderts in Kleinasien, Thrakien, Dakien, ja sogar in Rom aus.
Während die Gebildeten zur Zeit Jesu Wunder durchaus kritisch betrachteten und viele Philosophen sie als Spektakel und Blödsinn für die Menge ansahen, standen Wunder bei den einfachen Menschen dagegen hoch im Kurs. Wollte man ein ernst zu nehmender Prophet oder Wanderprediger sein, wurde Wundertätigkeit von der Bevölkerung als Beweis der Macht und Autorität geradezu verlangt. Auffällig bei Jesus ist, dass er seine eigene Wundertätigkeit an vielen Stellen im Mk.-Ev. sogar geheim zu halten versucht. Man spricht vom so genannten
MESSIASGEHEIMNIS. Einige Exegeten sehen darin den redaktionellen Versuch des Markus, den Blick der Gläubigen nicht auf das Spektakel von Jesu Wundertätigkeit, sondern auf seine Erlösungstat am Kreuz zu lenken. Ist dem so, dann wollte schon Markus, dass man nicht wegen seiner Wunder an Christus glauben sollte, sondern wegen seiner Erlösungstat am Kreuz.
Interessant ist auch, dass Paulus in seinen Briefen keine Wunder Jesu zu kennen scheint, denn er erwähnt keine (außer natürlich die Auferstehung). Das ist erstaunlich, denn es ist für seine Missionstätigkeit völlig unverständlich, wenn er Wunder Jesu gekannt haben sollte, warum er sie nicht erwähnte? Denn mit ihnen hätte er sicherlich viele Hörer beeindrucken und für das Christentum gewinnen können. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Jesus tatsächlich viel weniger oder sogar gar keine Wunder gewirkt haben könnte und diese ihm erst später angedichtet wurden.
Man muss davon ausgehen, dass vor allem die einfachen Menschen, die die Jünger von Jesus als dem erwarteten Messias predigen hörten, nach solchen Wundern verlangten, damit sie an ihn glauben konnten. Denn je mehr und je größere Wunder Jesus zugeschrieben werden konnten, um so größer war in den Augen der meisten Hörer seine Macht und Autorität und um so mehr, wies er sich als der wahre Messias aus.
Gottseidank muss die Frage, ob Jesus wirklich Wunder wirkte oder nicht, für das Verständnis unserer Geschichte nicht geklärt werden. Die Heilung des Besessenen von Gerasa ist historisch-kritisch analysierbar, egal ob man die Wunder Jesu für möglich hält oder eben nicht.