Siehst Du: Das ist eine wik-typische Mini-Definition fürs Volk - genauso wie (nur nebenbei) "Dialektik" gelegentlich als rhetorische Größe definiert wird. - Also voll an der Substanz vorbei. - Bleiben wir bei "Hermeneutik" im philosophischen Sinne (und auch da nur ein Ausschnitt, weil dies ein heterogener Begriff ist) - hier eine bewusst auf Verständnis ausgelegte Erklärung, verbunden mit der Bitte, sie nur auf dieser Ebene zu verstehen (alles andere führt wieder zu endlosen Null-Debatten wie etwa "Ich kann nachweisen, dass es woanders anders verstanden wird") - also zum Kern:Claymore hat geschrieben:Ja, dann erklär doch mal, was um Gottes willen “hermeneutische Vorannahme†hier in diesem Thread bedeuten soll. Du benutzt das Wort in einem Kontext, wo es sonst kein normaler Mensch verwenden würde. Hier geht es nicht um die Interpretation von Texten oder Kunstwerken.
Hermeneutik ist in der Tat erst mal ein Synonym für "verstehen", "erklären", "interpretieren", "auslegen" - aber damit kommt man nicht weit. - Viel wichtiger ist die Frage, auf welcher Basis man eigentlich versteht. - Und da kommt der sog. "Hermeneutische Zirkel" ins Spiel (der eigentlich "Hermeneutische Spirale" heißen sollte) - konkret:
I:
Du liest meinetwegen ein Buch von Ratzinger. - Dein Vorwissen, besser Vorannahmen, ist eventuell, dass Du weißt, dass Ratinger katholisch ist und der Katholizismus Dogmen hat und Maria verehrt und sicher noch irgendwas. - Mit dieser Basis fängst Du an zu lesen.
Am Ende des Buchs hast Du furchtbar viel gelernt und liest das Buch erneut und verstehst plötzlich Dinge, die Du vorher überlesen hast ganz neu - eben weil Du durch den ersten Durchgang so viel gelernt hast, dass Deine Vorannahmen ("Vorwissen") im zweiten Durchlauf sehr viel elaborierter sind als beim ersten Mal.
Nach dem zweiten Lesen weißt Du WIEDER mehr als vorher und hast WIEDER mehr Vorannahmen ("Vorwissen"), wenn Du das dritte Mal das Buch durchliest - etc. --- Das heißt: Dein Vorwissen prägt Dein Verstehen des Buchinhalts UND der Buchinhalt prägt ebenfalls und umgekehrt Dein Vorwissen für den nächsten Durchgang.
Allgemein ausgedrückt: Dein Resonanz-Raum in Dir ermöglicht erst das Verstehen des Buchs und das Buch erweitert gleichzeitig Deinen Resonanzraum. - Das Entscheidende dabei: Jeder Mensch hat einen anderen Resonanzraum, versteht also - auf den geistes-wissenschaftlichen/theologischen Bereich bezogen - immer unterschiedlich.
Trotzdem kann er - nach geistes-wissenschaftlicher Sicht - kritisch-rational forschen, weil er seine Verständnis-Inhalte intersubjektiv verständlich darstellen kann, also allgemein nachvollziehbar machen kann. --- Und wenn Du jetzt die Kurve zu "Vernunft" haben möchtest: Die intersubjektiv nachvollziehbare Darstellunge von Inhalten sind aus Sicht der Geistes-Wissenschaften "vernünftig" dargestellt, selbst wenn das Objekt (meinetwegen "Gott") nicht falsifizierbar ist.
Diese Ansicht lehnen Vertreter des Naturalismus, aber auch der Naturwissenschaften in der Regel ab. - Warum? Aus hermeneutischen Gründen.

II:
Denn auch Naturwissenschaft oder andere empirische Wissenschaften haben hermeneutische Vorannahmen, die folglich ihr Verständnis des Untersuchten beeinflussen - nehmen wir die historisch-kritische Exegese.
Die HKE legt methodisch fest ("Vorannahme"), dass die Bibel so untersucht wird, als sei sie ein normaler antiker Text. - Weiter geht man davon aus ("Vorannahme"), dass "Geschichte" ein naturalistisch ungebrochener Wirkungszusammenhang sei (Bultmann), was auf gut Deutsch heißt, dass es historisch keine Wunder oder Auferstehungen, etc. geben kann. - Mit diesen hermeutischen Vorannahmen geht sie in die Auslegung und prozessiert ihren speziellen hermeneutischen Zirkel durch - bis hierher alles im grünen Bereich.
In den roten Bereich gerät es, wenn man unterscheidet zwischen hermeneutischen Systemen und wissenschaftlichen System - ersteres sei willkürlich, letzteres sei wissenschaftlich. - Diese Schnittebene ist falsch, da auch wissenschaftliche Vorannahmen (methodische Grundlagen) hermeneutischer Natur sind. - Das Problem: In der Praxis führt die Missachtung der Erkenntnis dazu, dass - konkreter Fall - Vertreter der historisch-kritischen Hermeneutik meinen, nur ihre Ergebnisse könnten "wahr in Bezug auf das sein, was ontisch/wirklich der Fall ist/war," was falsch ist, da unterschiedliche Hermeneutiken zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, die jeweils logisch richtig und somit jeweils "vernünftig" sein können. - Das ist der Grund, warum hier das Wort "Hermeneutik" so oft rumgeistert.
Nein - das ist in den Geistes-Wissenschaften eine gängige Sache - Schlegel, Ast, Heidegger, Gadamer, etc. - Aber man findet es halt nicht so ohne weiteres in wik.Claymore hat geschrieben:Privatsprache