Versagt die Evolutionstheorie? II

Evolution vs. Schöpfung Debatte, Alter der Erde
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Claymore
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#551 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von Claymore » Fr 19. Okt 2018, 20:37

closs hat geschrieben:
Claymore hat geschrieben:Sagt über “die Vereinigung von Mann und Frau als höchste Form menschlicher Annäherung an Gott” nichts aus.
Jetzt konnte ich halt nur dieses Zitat finden - aber da steht schon, dass "Vereinigung" nur "Mann und Frau" sein kann, UND beide zusammen näher an Gott ist als nur einer. - Was bleibt da noch übrig, was näher wäre?
Das Wort “Vereinigung” kommt nicht einmal vor!
closs hat geschrieben:Diesen Begriff habe ich gestern irgendwo rausgeholt und die Quellen-Angabe vergessen - hoffentlich finde ich es wieder. - Unabhängig davon: Werden die Zusammenhänge klar?
Nicht wirklich. Für mich interpretierst du die Aussagen um, so dass sie passen.
closs hat geschrieben:
Claymore hat geschrieben:Warum musstest du hier das “<göttlichen>” in das Zitat einfügen?
Weil in einer Passage vorher Sittlichkeit über göttlichen Willen definiert wird. - Würde ich es NICHT einfügen, könnte der Leser meinen, es ginge um säkulares Sittlichkeits-Verständnis.
Ich habe den Text jetzt gelesen und letztlich ist beides falsch. Oder zumindest mit den Bedeutungen
  • “göttliche sittliche Ordnung” = “göttlich offenbarte (z.B. durch die Bibel) sittliche Ordnung”
  • “säkulare sittliche Ordnung” = “sittliche Ordnung in einem modernen, naturwissenschaftlichen Weltbild”
Da gibt es noch was dazwischen! Und genau das ist die typisch katholische Sichtweise, die immer wieder auftaucht, wie auch hier. Nämlich, dass der Mensch aus der Welt als Schöpfung Gottes ohne spezielle christliche Offenbarung, sondern bereits allein durch die Vernunft, ethische Anweisungen herauslesen kann.

Das Hauptproblem an dieser Diskussion ist das genaue Verständnis dieser Begriffe und Einteilungen, die sich über die Zeiten hinweg verschoben haben und wo man genau schauen muss, ob jemand sie auf moderne oder traditionelle Art definiert.

Beispiel: die amerikanische Unabhängigkeitserklärung verweist auf “Laws of Nature and of Nature’s God”. Nach heutigem Verständnis nicht säkular. Damals dagegen schon, da nicht auf irgendeine spezielle religiöse, göttliche Offenbarung Bezug nehmend (= neutral gegenüber christlichen Konfessionen, Judentum, Deismus). England dagegen, wo die Church of England die Staatskirche war, hat man schon damals nicht als säkularen Staat empfunden.
closs hat geschrieben:
Claymore hat geschrieben:Du projizierst deine eigenen Vorstellungen auf die Aussagen der RKK.
Das nennt man "hermeneutische Vorannahmen" - aber das ist eigentlich nur schwer vermeidbar.
Das Einfügen von Wörtern in Zitate geht mir jedoch zu weit. Außer es handelt sich um eine Einfügung, wo eine inhaltliche Verfälschung praktisch absolut ausgeschlossen ist. Aber das ist hier nicht der Fall.
Aus Sicht des Regel-Erstellers, ja.
Vielleicht ist dir jetzt aufgefallen, wie du einen Schritt von “Sein” zu “Sollen” im Sinne von Humes Gesetz vollzogen hast. Über die Doppeldeutigkeit des Wortes “Regel”, das einmal gewisse beobachtbare Muster beschreibt, ein anderes mal Vorschriften / Gebote. Um Vorschriften ging es hier nämlich anfangs nicht. Wie sind wir also da gelandet? Über ein Ablesen der Vorschriften aus der Natur, natürlich etwas verstohlen und nicht mit dem Selbstbewusstsein der Hoch-Scholastik… aber passiert ist es dennoch.
closs hat geschrieben:
Claymore hat geschrieben:Stellt es ein Problem dar, wenn Frauen zunehmend mehr psychologische Eigenschaften, die traditionell als männlich angesehen wurden, haben (und umgekehrt)?
Das müsste man sich konkret angucken. - Wir reden hier nicht davon, dass Frauen selbstbewusst in der Gesellschaft auftreten oder LKW fahren - es geht um die Frage des archetypischen Wesens von Mann und Frau - oder wenn "Archetyp" nicht gut kommt, nenne es "Urbilder" oder sonstwas.
Über was reden wir dann? Was ist das archetypische Wesen von Mann und Frau? Im Sinne des seelischen?
Außerdem müssen wir jetzt aufpassen: Körperliche und seelische Ausnahmen sind ja eher die genannten wenigen Fälle der Intersexualität und die häufigeren Fälle einer Körper-Seele-Dissonanz ("Ich fühle mich wie eine Frau, habe aber einen männlichen Körper").
Gut, also geht es bei den seelischen Ausnahmen um LGBT. Beschränkt es sich darauf oder gibt es noch mehr?
Wobei christlich "Sex" in Wesenseinheit mit seelischer Vereinigung verstanden wird - UND zudem auf Menschen beschränkt ist, die als Paar mit Kinderwunsch verheiratet sind. - "Sex" allein geht auch mit einer Eselin.
Du musst es irgendwie schaffen aus dem folgenden Zirkel auszubrechen:
  1. Also ist Homosexualität sündhaft, weil es gegen den natürlichen Telos der Geschlechtlichkeit verstößt.
  2. Das Argument ist nicht ausreichend, denn es geht auch darum, dass sich Mann und Frau seelisch vereinen.
  3. Seelische Vereinigung ist auch zwischen Personen gleichen Geschlechts möglich.
  4. Daran ist nichts auszusetzen. Problematisch wird es, wenn sie Sex haben.

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closs hat geschrieben:Stimmt - möglicherweise weil damit keine Penetrierung, also kein Eindringen in den anderen Menschen ("Verschmelzung") verbunden ist.
Möglicherweise fanden die Tora- und Koran-Schreiber Lesben nur nicht instinktiv eklig. Oder es lag an der kultischen Homosexualität männlicher kanaanitischer Priester, von der man sich abgrenzen musste.

Thomas von Aquin war jedenfalls schon mehr für “Gleichberechtigung” und holte in der Summa Theologiae (Secunda Pars Secundae Partis, Quaestio 154, Articulus 11, III b. 3) die Totalverdammung der Lesben nach. Wobei das nicht damit zusammenpasst, dass er in der Summa contra Gentiles auf die Verschwendung des Samens abhebt. Aber die RKK glaubte noch lange an die Existenz eines weiblichen “Samens”, der irgendwie beim Orgasmus “ausgeschüttet” wird. Kurios. Bereinigt wurde das natürlich alles nie. Jedenfalls macht die heutige RKK (ws. wegen Thomas von Aquin) keinen Unterschied mehr zwischen der Sündhaftigkeit männlicher und weiblicher Homosexualität.
Es ist etwas anderes. - "Platonisch" und "erotisch" stehen nicht im komparativen Verhältnis zueinander.
Warum meinst du dann weiter unten doch wieder, dass “romantisch” bis auf Zölibat die “höchste menschliche Annäherung an Gott” ist?
closs hat geschrieben:Dass man sich im Christentum auf die Mann-Frau-Verbindung konzentriert, weil es die einzige ist, die Wieder-SChöpfungskraft in sich trägt. - Wenn es heißt "Adam ERKANNTE Eva", wird dabei das Wort "jada" verwendet, welches für ein Erkennen steht, bei dem Subjekt und Objekt zusammenfließen - so wie in
1. Mose 22,11: "Denn jetzt habe ich <Gott> erkannt, daß du Gottes fürchtig bist".

Damit ist NICHT gemeint, dass Gott jetzt was kapiert hat ("Aha - jetzt ist's mir klar - wusste ich vorher nicht"), sondern ("jada") "Ich, Gott, erkenne Dich Abraham, weil Du soweit bist, dass es geht". - Gott "erkennt" also Abraham genauso wie Adam Eva "erkennt" - vertrauensvolle Verschmelzung. - Bei Adam/Eva ist es eine Verschmelzung zur SChöpfung von Leibesfrucht - bei Gott/Abraham geht es um die SChöpfung des Volkes Israel als Größe, in dem sich alle Stämme der Erde segnen lassen werden.
Nur wird in Richter 19:22–25 mit “jada” Vergewaltigung beschrieben. Also ist damit keine “vertrauensvolle Verschmelzung” gemeint. Es ist bloß ein Euphemismus für sexuelle Handlungen, in den du zu viel hinein interpretierst.
closs hat geschrieben: 1. Mose, 18
18 "Abraham, ein Stamm wird er werden, groß und kernhaft, und mit ihm werden sich segnen alle Stämme der Erde!
19 Ja, ich habe ihn erkannt, auf daß er entbiete seinen Söhnen und seinem Hause nach ihm: sie sollen hüten MEINEN Weg, Wahrhaftigkeit und Recht zu tun, daß ER über Abraham kommen lasse, was er über ihm geredet hat".


Der Unterschied zwischen 18,18 und 22,11: 22,11 ist die ERfüllung von 18,18, dass Abraham nun auch vom EIGENEN Level her dem gerecht werden kann, was Gott in 18,18 sagt.

Das klingt jetzt abschweifend, ist es aber nicht. - Denn Deine Frage, was die christliche Rolle der Sexualität bedeutet, wird hier klar - es ist eben NICHT nur biologisch. - Im Gegenteil: Das Biologische ist materielle Ausdrucksform des Geistigen/Geistlichen. - Sex ist "jada". - Selbstverständlich ist mir bewusst, dass dies ein ganz anderes als unser zeitgenössisches Verständnis ist.
Dass Sex mehr ist als was biologisches kommt so auch im Symposion vor: Die erste Stufe des Aufstiegs des Eros zur Form/Idee der Schönheit. Nur schließt das dort die Homosexualität mit ein. Und genau das ist der Punkt. Der einzige Unterschied zwischen Heterosexualität und Homosexualität, den du bist jetzt genannt hast, ist dass letztere inhärent steril ist. Das ist aber etwas rein biologisches.

Selbst wenn man das mal mit dem “jada” akzeptiert (auch wenn es die Bibel nicht hergibt), warum sollte es das nur bei Hetero-Sex geben?
Aus obigem Grund: "Jada, verbunden mit Leibesfrucht".
Außer einer der Partner ist unfruchtbar. Und ein Argument, warum das wieder okay ist, kam bis jetzt noch nicht.

Claymore
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#552 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von Claymore » Fr 19. Okt 2018, 20:44

closs hat geschrieben:- Bei "höchste" hatte ich den Zölibat ausgenommen, da dieser damit begründet ist, dass der Mensch "Jada mit Gott" anstrebt - also nicht zur Leibesfrucht, sondern zur geistigen/geistlichen Frucht. - Nonnen haben sich oft als "Braut Jesu" verstanden.
Tja, im Symposion (209c) kann die (zumindest sublimierte) homosexuelle Beziehung auch zu einer geistigen Frucht führen: Weisheit, Tugend, schöne Reden. Klar, sieht man im Christentum nicht so.
closs hat geschrieben:
Claymore hat geschrieben:Die Freiheit eines Geistlichen bzgl. etwas, das gegen die Liebe zu Gott verstößt
Nein. - Die Freiheit, mit Fundamental-Theologischem, das in der Praxis nicht durchsetzbar sein kann, so umzugehen, dass die Liebe zum Menschen im Vordergrund steht.
Wie bereits gesagt, ist “Fundamental-Theologie” ein Misnomer von dir. Zur wirklichen Bedeutung siehe hier.

Was daran jedoch wirklich wichtig ist, ist nicht deine idiosynkratische Verwendung des Wortes, sonden die Frage ob “zwei Arten von Theologie”, die eine pragmatisch und flexibel, die andere theoretisch und rigide, wirklich existieren. Könntest du es belegen?
closs hat geschrieben:- Blödes Beispiel: Wenn es ideal ist, jeden Tag einen Marathon zu laufen, ist es lieblos, das einem, der keine Beine hat, jeden Tag zu sagen.
Ja, das Beispiel geht am wesentlichen vorbei, weil der nicht laufen kann.
closs hat geschrieben:Genau das entspricht dem, was Ortspfarrer im Kontext spiritueller Verkümmerung der Gesellschaft im Alltag erleben: "Wie soll ich jemandem etwas über 'jada' erzählen, wenn er nicht mal kapiert, dass es Gott geben kann. - Also bin ich einfach nur für ihn als Mensch da und bete für ihn".
Spirituelle Verkümmerung von der christlichen oder bestenfalls traditionell theistischen Warte aus gesehen.
closs hat geschrieben:Oder beim Verhütungs-Thema: "Was bringt ein idealer Soll-Zustand, wenn ich hier im Ist-Zustand bin, der weit davon weg ist. - Wir brauchen hier Kondome, weil die Menschen so arm sind, dass sie ihre ganze Erfüllung in der Familie haben UND kein Geld für Kondome haben, die sie unter diesen Umständen brauchen, weil die Hütte eh schon überfüllt ist". - Missionare sind Großkunden bei Kondom-Herstellern.
Da wäre schon mal ein Beleg notwendig. Denn solche Fälle sind mir eher bekannt.
Claymore hat geschrieben:Man sollte beides streng auseinanderhalten.
Geht nicht, weil es oft nicht DIE katholische Auffassung zu Einzelfragen gibt. - Auch innerhalb der RKK gibt es Strömungen. - Davon abgesehen: Meine Glaubens-Architektur habe ich mehrfach mit katholischen und evangelischen Theologen durchdiskutiert - das ist alles vereinbar.
Ich habe mich darauf beschränkt, Päpste unserer Zeit, den Katechismus und die größten Kirchenlehrer zu zitieren. Die katholische Auffassung mag es nicht geben, aber worauf ich mich beziehe bildet sicher Mainstream / Orthodoxie der RKK ab.
closs hat geschrieben:
Claymore hat geschrieben:Dass sie alles breit abdeckt, gestehe ich ihr zu. Aber nicht, dass sie folgerichtig ist.
Das müsste man im Einzelfall prüfen.
Was für ein schlüssiges Argument für die katholische Sexualethik gibt es denn? Ich kenne keines.
closs hat geschrieben:Sowieso. - Zunächst: Ich habe ein Problem, wenn ein Papst von "Naturrecht" spricht, weil damit fast jeder "Natur" im naturalistischen Sinne versteht, damit aber "Natur des Menschen im göttlichen Willen" gemeint ist.
Das ist eine extrem verzerrende Interpretation.
closs hat geschrieben:- Bereits hier steigen geschätzte 90% der Zuhörer kapier-mäßig aus - das fand ich ungeschickt von Ratzinger. - Aber wahrscheinlich spricht er eh "nur" als Kirchenlehrer und legt mehr Wert darauf, in 200 Jahren zitert zu werden, als heute verstanden zu werden.
Siehe hier:
Rede Papst Benedikts XVI. im Deutschen Bundestag hat geschrieben:Der Gedanke des Naturrechts gilt heute als eine katholische Sonderlehre, über die außerhalb des katholischen Raums zu diskutieren nicht lohnen würde, so daß man sich schon beinahe schämt, das Wort überhaupt zu erwähnen. Ich möchte kurz andeuten, wieso diese Situation entstanden ist. Grundlegend ist zunächst die These, daß zwischen Sein und Sollen ein unüberbrückbarer Graben bestehe. Aus Sein könne kein Sollen folgen, weil es sich da um zwei völlig verschiedene Bereiche handle. Der Grund dafür ist das inzwischen fast allgemein angenommene positivistische Verständnis von Natur und Vernunft. Wenn man die Natur – mit den Worten von H. Kelsen – als „ein Aggregat von als Ursache und Wirkung miteinander verbundenen Seinstatsachen“ ansieht, dann kann aus ihr in der Tat keine irgendwie geartete ethische Weisung hervorgehen. Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen. Das gleiche gilt aber auch für die Vernunft in einem positivistischen, weithin als allein wissenschaftlich angesehenen Verständnis. Was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, gehört danach nicht in den Bereich der Vernunft im strengen Sinn. Deshalb müssen Ethos und Religion dem Raum des Subjektiven zugewiesen werden und fallen aus dem Bereich der Vernunft im strengen Sinn des Wortes heraus. Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewußtsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt. Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede ist.
Das hat nichts mit “Natur des Menschen im göttlichen Willen” zu tun. Rein gar nichts.

Eine der Forderungen des Positivismus, den er kritisiert:
Spektrum Lexikon der Biologie: Positivismus hat geschrieben:Aufgabe der Wissenschaft ist es, Erscheinungen zu beschreiben (Beschreibung) und nicht etwa durch dahinter verborgene Dinge oder Eigenschaften zu erklären
Benedikt XVI. will zu den “verborgenen” Eigenschaften zurück, z.B. der natürlichen Teleologie, mit der man von dem Sein auf das Sollen schließen kann.
closs hat geschrieben:Ansonsten: Dein verlinkter Beitrag ist intelligent und fair, versteht aber anscheinend nicht so ganz, was Ratzinger da sagt. - Ratzinger will ganz sicher NICHT einen Gottesstaat auf Erden (das wird ihm auch nicht unterstellt), sondern darauf hinweisen, dass das christliche Weltbild durchaus Grundlage einer säkularen Verfassung sein kann - bzw. es mehr sein könnte. - Ansonsten müssten wir uns diesen Beitrag mal näher anschauen - da wird schon wieder so getan, als seien die Ratzinger-Kritiker aufgeklärter als Ratzinger. - Der Begriff "Aufklärung" ist ein eigenes Problem.
Benedikt XVI. meinte (siehe Zitat aus der Rede oben), dass ohne das Naturrecht die klassischen Erkenntnisquellen für das Recht außer Kraft gesetzt sind. Sicher, kein Kirchenstaat. Aber doch: “Ohne unser Naturrecht ist die Verfasssung auf Sand gebaut!”

Claymore
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#553 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von Claymore » Fr 19. Okt 2018, 20:51

closs hat geschrieben:Hehe - was ist "Natur"? - Meint man damit das Materielle oder die geistige/geistliche Natur des Menschen?
Beides nicht, falls man die Begriffe modern versteht.
Thomas von Aquin hat geschrieben:Ich antworte, in der Sünde gegen die Natur finde sich eine eigene besondere Häßlichkeit; nicht nur nämlich daß sie der rechten, gesunden Vernunft widerstreitet, sondern sie ist der natürlichen Ordnung des geschlechtlichen Aktes selber entgegen, welche zum Ziele hat die Zeugung und somit die Fortpflanzung der menschlichen Natur.
Es ist die materielle Natur, allerdings “materiell” nicht verstanden so wie heute, denn Materie wird (von Descartes an) immer noch mechanistisch aufgefasst, also durch quantitativ-mathematische Naturgesetze vollständig beschreibbar und definitiv frei von inhärenter Zielgerichtetheit. Nach dem alten Verständnis ist materiell das, was dem ewigen Wandel unterworfen ist, also offensichtlich der menschliche Körper, zu dem die Geschlechtlichkeit gehört.

Ein Engel wäre dagegen immateriell, da er in seiner Perfektion immer gleich bleibt (die menschliche Seele ist eine komplexere Angelegenheit, daher Engel als Beispiel).

Nach der aristotelisch-thomistischen Metaphysik gibt es vier Ursachen (aitiai), nämlich:
  1. Wirkursache
  2. Materialursache
  3. Formursache
  4. Finalursache oder Zweckursache
Nach Aristoteles oder Thomas von Aquin kann man nur durch die vier aitia die Natur (ja, die irdische Natur) verstehen. Eine Walnuss hat den Walnussbaum von dem sie stammt als Wirkursache. Fett, Schalenfasern, etc. sind die Materialursache. Walnussbaum-haftigkeit ist ihre Formursache, in ihr steckt nicht die Form (morphe) der Kastanienbaum-haftigkeit. Und die Finalursache ist, selbst wieder zu einem Baum zu werden. Suspekt ist dem modernen Menschen 3. und ganz besonders 4., das aus der Naturwissenschaft als zulässiges Konzept verbannt wurde.

Es geht nicht um die “geistige/geistliche Natur”, falls das die Natur des Menschen in Bezug auf das Seelenheil oder die Beziehung zu Gott meint, denn das bedroht nach RKK jede Sünde, wie z.B. vorehelicher Sex. Homosexualität wird dagegen als eine Sünde gegen die Natur klassifiziert, da hier gegen die Zielgerichtetheit der Geschlechtlichkeit des menschlichen, materiellen Körpers gesündigt wird – der natürlichen Ordnung des geschlechtlichen Aktes.

Und so wurde das auch von der weltlichen Gerichtsbarkeit verstanden:
Constitutio Criminalis Carolina hat geschrieben:Strafe der Unkeuschheit, so sie gegen die Natur geschieht
So ein Mensch mit Vieh, Mann mit Mann, Weib mit Weib, Unkeuschheit treibt, die haben auch das Leben verwirkt und man soll sie der gemeinen Gewohnheit nach mit dem Feuer vom Leben zum Tode richten.
Die Konsequenzen der “Unkeuschheit, die gegen die Natur geschieht” waren also handfest. Zu handfest für eine rein geistige/geistliche Angelegenheit. Heterosexuelle Unkeuschheit war der Carolina i.Ü. egal.
closs hat geschrieben:Das kann jeder nur selber - natürlich mit Anleitung von Menschen, denen man vertrauen kann. - Wenn mir eines klar geworden ist: Geistige/geistliche Erkenntnis geht nur sehr bedingt intersubjektiv, sondern letztlich nur subjektiv. - Pastoral würde ich sagen: Entspannen, in sich hineinhören, das Gute wollen (selbst wenn man nicht genau weiß, was es ist - das wird einem dann schon gesagt).
Und ich habe bis jetzt nicht erkannt, dass Gott nicht will, dass Menschen masturbieren, verhüten oder gleichgeschlechtlichen Sex haben. Aber ich bin auch kein Christ, sondern Hermetiker. :D
closs hat geschrieben:Ja - dann war mein Instinkt richtig. - Vielen Dank übrigens für das Zitat.

Ratzinger schreibt hier: " Die Fähigkeit, die Gesetze des materiellen Seins zu erkennen, macht uns unfähig, die im Sein enthaltene ethische Botschaft zu sehen, die von der Tradition »lex naturalis«, natürliches Sittengesetz, genannt wird. Dieses Wort ist heute für viele beinahe unverständlich; der Grund dafür liegt in einem Naturbegriff, der nicht mehr metaphysisch, sondern rein empirisch ist". - Mit anderen Worten: Ratzinger definiert "Natur" aus dem Geist heraus. - Mir gefällt dieses Zitat sehr gut.
Das Problem, was sich durch deine ganzen Beiträge in diesem Thread hindurch zieht, ist, dass du wahlweise die Begriffe modern und traditionell verstehst.

Durch diesen anachronistischen Misch-Masch kreierst du eine Lücke zwischen “weltlich” und “geistig”, und ignorierst damit genau den Bereich, der die RKK zu dem macht, was sie ist – und aus dem sie ihren Anspruch zieht, sich in weltliche Angelegenheiten einmischen zu dürfen; mehr zu sein als nur Glaube.

Traditionell untersuchte metaphysica das Sein als Sein: Gott (soweit durch die Philosphie ohne religiöse Offenbarung ergründbar), Essenz, Existenz, Universalien, Transzendentalien etc.
Die philosophia naturalis (Naturphilosophie) dagegen war die weniger “tiefe” Disziplin und untersuchte die konkrete Ausprägung des Seins, die Natur. Aber nicht bloß auf die moderne Art, d.h sich rein auf empirisch beobachtbare Gesetzmäßigkeiten beschränkend, sondern sie wollte der Natur durchaus auf den Grund gehen, das Wesen der Dinge erkennen: Analyse von Veränderung, Raum und Zeit, Substanz, die vier Ursachen (inkl. dem natürlichen Telos), etc. gehörte dazu. Und das, was der modernen Naturwissenschaft nahe kam, wie z.B. die Astronomie, war nur ein Teil der philosophia naturalis.

Die moderne Einteilung ist anders. Die philosophia naturalis gibt es nicht mehr. Es gibt die Naturwissenschaft und die philosophischen Aspekte (falls sie überhaupt noch ernst genommen werden) wurden der Metaphysik zugeschlagen.

Wenn also Benedikt XVI. von einem “Naturbegriff, der nicht mehr metaphysisch, sondern rein empirisch ist” spricht, wie verwendet er da “metaphysisch”? Sicher auf die moderne Art, er will doch von Zeitgenossen verstanden werden. Und in diesem Fall bezieht er sich halt auf die Aspekte, die früher zur philosophia naturalis gehörten, heute jedoch zur Metaphysik. Ansonsten ergibt der Kontrast zu “rein empirisch” keinen Sinn.

Du verstehst es jedoch so, dass er “metaphysisch” auf die traditionelle Art verwendet: Direkt auf das “hinter der Natur”, das Geistige, auf Gott bezogen. Das ist nicht der Fall!

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#554 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von closs » Sa 20. Okt 2018, 02:44

Claymore hat geschrieben:Das Wort “Vereinigung” kommt nicht einmal vor!
Wenn es heißt "Mann und Frau gemeinsam", dann ist damit "jada" gemeint ("Adam erkannte Eva" - das IST die Vereinigung).

Claymore hat geschrieben: Weil in einer Passage vorher Sittlichkeit über göttlichen Willen definiert wird. - Würde ich es NICHT einfügen, könnte der Leser meinen, es ginge um säkulares Sittlichkeits-Verständnis.

Ich habe den Text jetzt gelesen und letztlich ist beides falsch. Oder zumindest mit den Bedeutungen

“göttliche sittliche Ordnung” = “göttlich offenbarte (z.B. durch die Bibel) sittliche Ordnung”
“säkulare sittliche Ordnung” = “sittliche Ordnung in einem modernen, naturwissenschaftlichen Weltbild”
Das ist das Unterscheidungskriterium - richtig. - Natürlich gibt es auch "sittliche Ordnung" bei den Juden oder Moslems - aber hier geht es darum, dass im Zitat "göttliche Ordnung" gemeint ist.

Claymore hat geschrieben:Nämlich, dass der Mensch aus der Welt als Schöpfung Gottes ohne spezielle christliche Offenbarung, sondern bereits allein durch die Vernunft, ethische Anweisungen herauslesen kann.
Klar - aber wo kommt die Vernunft her? - Da würde die RKK sagen: "Von Gott".

Claymore hat geschrieben:Das Hauptproblem an dieser Diskussion ist das genaue Verständnis dieser Begriffe und Einteilungen, die sich über die Zeiten hinweg verschoben haben und wo man genau schauen muss, ob jemand sie auf moderne oder traditionelle Art definiert.
Richtig - das ist aber IMMER so. - Die semantischen Bedeutungen EINES Wortes ändern sich mit der Zeit - wobei ich sogar unterstelle, dass die materialstischen Philosophien absichtlich bestehende Worte übernehmen, um sie semantisch zu verändern ("orwellsches Neusprech").

Claymore hat geschrieben:Das Einfügen von Wörtern in Zitate geht mir jedoch zu weit.
Wenn man es mit <...> macht, ist das in der Wissenschaft üblich, weil es der Erläuterung dienen soll.

Claymore hat geschrieben:Über was reden wir dann? Was ist das archetypische Wesen von Mann und Frau? Im Sinne des seelischen?
Das wäre ein dickes Brett, zu dessen Durchbohrung man wirkliche Theologen bräuchte, die auch noch darauf spezialisiert wären. - Um es mal etwas schnippisch zu sagen: Jede intakte Kultur spürt diesen Unterschied. - Die Androgynisierung in unserer Kultur ist eher die Ausnahme.

Claymore hat geschrieben: also geht es bei den seelischen Ausnahmen um LGBT.
Was ist LGBT?

Claymore hat geschrieben:Seelische Vereinigung ist auch zwischen Personen gleichen Geschlechts möglich.
Ja - aber Geschlechtsverkehr ist insofern einzigartig, dass dabei die unterschiedlichen Geschlechter in den Zustand der Vermehrungs-Möglichkeit kommen, also die Wiederschöpfungskraft der Natur aktivieren können.

Natürlich gibt es auch Seelen-Verwandtschaften zwischen Gleichgeschlechtlichen - aber nicht mit Wiederschöpfungskraft. - Vereinigung und Wiederschöpfungskraft sind prinzipiell aus christlicher Sicht wesensverbunden.

Claymore hat geschrieben:Möglicherweise fanden die Tora- und Koran-Schreiber Lesben nur nicht instinktiv eklig. Oder es lag an der kultischen Homosexualität männlicher kanaanitischer Priester, von der man sich abgrenzen musste.
Das ist gut möglich - aber das ändert nichts an der Frage, wie Gott seine Schöpfung verstanden wissen will.

Claymore hat geschrieben:Jedenfalls macht die heutige RKK (ws. wegen Thomas von Aquin) keinen Unterschied mehr zwischen der Sündhaftigkeit männlicher und weiblicher Homosexualität.
Weiß ich nicht - aber es ist konsequent gedacht.

Claymore hat geschrieben:Nur wird in Richter 19:22–25 mit “jada” Vergewaltigung beschrieben.
Ich weiß nicht, welches Wort dort im Hebräischen steht - gemeint ist es so NICHT.

Claymore hat geschrieben:Der einzige Unterschied zwischen Heterosexualität und Homosexualität, den du bist jetzt genannt hast, ist dass letztere inhärent steril ist. Das ist aber etwas rein biologisches.
Christlich gesehen eben NICHT. - Dort besteht eine Wesensverbindung zwischen Sexualität und Wiederschöpfungskraft. Wenn diese KRaft nicht zum Ausdruck kommt (Paare mit versagtem Kinderwunsch), ist trotzdem die wesensmäßig vorgesehene Konstellation da: Zwei Geschlechter + Kinderwunsch.

Claymore hat geschrieben:Selbst wenn man das mal mit dem “jada” akzeptiert (auch wenn es die Bibel nicht hergibt), warum sollte es das nur bei Hetero-Sex geben?
Weil es es nicht bei Homo-Sex SO gibt, wie es geistig/geistlich gemeint ist.

Claymore hat geschrieben:Außer einer der Partner ist unfruchtbar. Und ein Argument, warum das wieder okay ist, kam bis jetzt noch nicht.
S.o.

Claymore hat geschrieben:Tja, im Symposion (209c) kann die (zumindest sublimierte) homosexuelle Beziehung auch zu einer geistigen Frucht führen: Weisheit, Tugend, schöne Reden. Klar, sieht man im Christentum nicht so.
Wir sprechen nicht darüber, dass Homosexuelle nicht dasselbe denken und empfinden könnten wie Heterosexuelle - das sagt niemand. - Gesagt wird seitens des Christentums, dass mit Homosexualität die Wesenseinheit von seelischer Verbindung und Wiederschöpfungskraft gebrochen wird. - Konkret: Ich habe nichts dagegen, wenn ein Bischof homosexuell ist - aber es ist aus christlicher Sicht ein Kreuz, das er zu tragen hat, und nicht im Einklang mit dem, was sein soll.

Claymore hat geschrieben:Wie bereits gesagt, ist “Fundamental-Theologie” ein Misnomer von dir.
Ich verstehe es schon im Sinne von "Die Aufgabe der Fundamentaltheologie ist es, die Grundlagen und Charakteristika des christlichen Glaubens vor der Vernunft zu rechtfertigen, seine Voraussetzungen zu analysieren und die wesentlichen Unterschiede zu anderen Weltanschauungen bzw. Religionen unter systematischer Perspektive herauszuarbeiten" (wik). - Wie würdest Du die theologische Disziplin nennen, die die geistigen/geistlichen Grundlage des Christentums analysiert und kommuniziert?

Claymore hat geschrieben: sonden die Frage ob “zwei Arten von Theologie”, die eine pragmatisch und flexibel, die andere theoretisch und rigide, wirklich existieren. Könntest du es belegen?
Eigentlich schon - nimm einfach den Unterschied zwischen "fundamental" und "pastoral". - Du kannst es auch "Theorie" und "Praxis" nennen.

Ich gebe Dir man Beispiele aus der Praxis:
1) Fundamental ist Homosexualität eine Sünde - pastoral thematisiert man das nicht (außer dass man betont, dass sie dem Soll-Zustand nicht entspricht).
2) Fundamental darf man Evangelischen keine Kommunion geben - pastoral macht es so gut wie jeder Pfarrer.
3) Fundamental ist man gegen Empfängnisverhütung - pastoral ist man Großabnehmer von Kondomen in der Missionsarbeit.
4) etc.

Das heißt NICHT, dass Seelsorger den fundamental definierten Soll-Zustand verachten oder die Begründungen dafür nicht verstehen oder ablehnen, sondern dass man in der Praxis die Menschen dort abholen muss, wo sie sind. - Fundamentale Regeln dienen zwar als Orientierungspunkt für die Pastorale, aber die Geistlichen in der Pastorale entscheiden selbst, was davon machbar ist - fundamentale Regeln haben viel mehr die Funktion, Grundlagen in die Zukunft zu tradieren. - Also nicht "Wir laufen der Gesellschaft nach, um ihr gerecht zu werden", sondern "Wir bewahren unsere Grundlagen, damit die Gesellschaft weiß, wo sie uns findet, wenn sie wieder mal danach sucht".

Claymore hat geschrieben: das Beispiel geht am wesentlichen vorbei, weil der nicht laufen kann.
Das ist gar nicht so weit weg, da unsere gesellschaftlich dominante Denkformatierung ebenfalls so angelegt ist, dass sie "nicht laufen kann".

Claymore hat geschrieben:Spirituelle Verkümmerung von der christlichen oder bestenfalls traditionell theistischen Warte aus gesehen.
Klar. - Das heißt nicht, dass man "Christ = spirituell" sagt (unter Christen gibt es sehr viele bewusstlos Unspirituelle, weil man oft quasi per Kirchensteuer und kultureller Tradition christlich ist). - Und natürlich gibt es unter Nicht-Christen ebenfalls spirituelle Menschen - sogar unter Agnostikern. - Der Einzelfall ist nie beurteilbar.

Claymore hat geschrieben:Da wäre schon mal ein Beleg notwendig. Denn solche Fälle sind mir eher bekannt.
Ich weiß es persönlich von Missionaren evangelischer wie katholischer Provenienz - im Netz habe ich zusätzlich folgendes gefunden:

"Der in Regensburg geborene Benediktiner Pater Gerhard Lagleder arbeitet seit 1987 als Missionar in Südafrika. 1992 gründete er die „Brotherhood of Blessed Gérard“ als eigenständige durch Spenden finanzierte Hilfsorganiation innerhalb des Malteserordens, die sich seit 2003 verstärkt des Themas AIDS annimmt. Durch die Aktion konnte bislang 40.000 HIV-infizierten Menschen geholfen werden" ("Kirche in Not" <leider ohne Datum>). - Allerdings sagt er in diesem Text nicht ausdrücklich, dass er Kondome gibt, sondern dass man "mehr" tun muss, als das (natürlich tut er es).

Eine andere Quelle n C. Abbate: "Ein Bericht über die verborgenen Seiten der Kirche" finden sich viele Beispiele dazu - hier Aussagen eines Pater Felipe:
"Ich bin überzeugt davon, dass ich auch dann ein guter Pfarrer seine kann, wenn ich Kondome an meine Gemeinde verteile".

Das Problem: Man darf damit nicht offiziell werden, weil dann das Pastorale mit dem Fundamentalen kollidiert - obwohl es jeder weiß (auch Ratzinger wusste es). - Umso bescheuerter ist es, wenn irgendwelche Schlaumeier-Bischöfe daraus einen Terz machen und dann dazu zwingen, Sanktionen auszusprechen. - Das liegt (s.o.) an den verschiedenen Funktionen von "fundamental" und "pastoral".

closs
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#555 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von closs » Sa 20. Okt 2018, 02:44

Claymore hat geschrieben:Was für ein schlüssiges Argument für die katholische Sexualethik gibt es denn?
S.o.: Die Wesenseinheit von Vereinigung und Wiederschöpfungskraft. - Nochmals: Das heißt NICHT, das Ehepaare nur dann zusammensein dürfen, wenn die Frau ihre fruchtbaren Tage hat, sondern dass generell diese Wesenseinheit nicht in Frage gestellt wird.

Claymore hat geschrieben:Das hat nichts mit “Natur des Menschen im göttlichen Willen” zu tun. Rein gar nichts.
1) Ich weiß echt nicht, warum das, was Ratzinger in seiner Rede benennt, "Natur-"Recht heißt - dafür gibt es wahrscheinlich historische Gründe, die ich nicht kenne.
2) Wenn heute das Wort "Natur" fällt, meint man es zu 99% naturalistisch - also anders als es Ratinger beschreibt.
3) Ich finde Ratzinger Rede extrem gut.
4) Was soll das, was Ratzinger unter der Rubrik "Naturrecht" beschreibt, NICHT das - in meinen Worten - "Schöpfungsbild im göttlichen Willen" repräsentieren? - Denn das naturalistische Bild meint er doch gerade NICHT.

Womit hat es denn aus Deiner Sicht zu tun, wenn nicht mit “Natur des Menschen im göttlichen Willen”?

Claymore hat geschrieben:Benedikt XVI. will zu den “verborgenen” Eigenschaften zurück, z.B. der natürlichen Teleologie, mit der man von dem Sein auf das Sollen schließen kann.
Sprachprobleme: Ich vermute, dass Du mit "Sein auf das Sollen" meinst "Dasein auf das sollen" - also die Phänomene des Daseins als Hinweise meinst auf einen Idealzustand hin ---???

Dass Ratzinger damit NICHT die Evolutions-Theorie angreift, sollte daraus ersichtlich sein, dass die RKK die Evolutions-Theorie anerkennt - auf BIOLOGISCHER Ebene.

Ich verstehe Ratzinger so, dass er eine naturalistisch verstandene Natur nicht als Grundlage für geistige/geistliche Handlungsanweisungen versteht. - Aber eigentlich geht es ihm mehr um den kritische Rationalismus und dessen Ungeeignetheit, geistige/geistliche Handlungsanweisungen zu erstellen. - Rätselhaft erscheint mir, warum das die Frage an die NATUR sein könnte - also da schwimme ich.

Claymore hat geschrieben:Benedikt XVI. meinte (siehe Zitat aus der Rede oben), dass ohne das Naturrecht die klassischen Erkenntnisquellen für das Recht außer Kraft gesetzt sind."
Da würde ich ihm deshalb widersprechen, weil aus meiner Sicht "Recht" ein Ordnungsgröße des Soveräns ist und primär keine geistige/geistliche Größe (von der die "Ethik dann eine Folge ist). - Ratzinger schein "Recht" auf Natur-"Recht" zu beziehen.

Claymore hat geschrieben:Aber doch: “Ohne unser Naturrecht ist die Verfasssung auf Sand gebaut!”
Das kommt drauf an, ob man "Recht" (s.o.) als Ordnungsgröße oder als ethische Größe versteht. - Dazu kommt, dass man heute "Ethik" selber als Ordnungsgröße versteht. - Ratzinger versteht "Ethik" als geistige/geistliche Größe.

Claymore hat geschrieben:Es ist die materielle Natur, allerdings “materiell” nicht verstanden so wie heute
Deine darauf folgenden Aussagen verstehe ich nicht ganz. - Denn letztlich sehe ich nur einen Unterschied: Versteht man "Natur" als ein geistliches/geistliche Produkt oder nicht?

Und da steht Descartes aus meiner Sicht sehr wohl auf der "geistigen/geistlichen Seite" - von den Grundlage her. - Dass er dann die Natur "naturwissenschaftlich" untersucht, stellt diese Grundlagen nicht in Frage.

Und natürlich ist der Körper dem Wandel unterworfen - was will man daraus schließen, außer dass Natur nicht die unwandelbare Grundlage des Menschen ist?

Claymore hat geschrieben:Nach Aristoteles oder Thomas von Aquin kann man nur durch die vier aitia die Natur (ja, die irdische Natur) verstehen.
Ja - aber das hat doch nichts mit dem Ursprung dieser irdischen Natur zu tun.

Claymore hat geschrieben: Homosexualität wird dagegen als eine Sünde gegen die Natur klassifiziert, da hier gegen die Zielgerichtetheit der Geschlechtlichkeit des menschlichen, materiellen Körpers gesündigt wird – der natürlichen Ordnung des geschlechtlichen Aktes.
Ja - aber doch nur. weil geistige/geistliche Natur in der irdischen Natur inhärent sein kann. - Sprechen wir aneinander vorbei?

Claymore hat geschrieben:Die Konsequenzen der “Unkeuschheit, die gegen die Natur geschieht” waren also handfest. Zu handfest für eine rein geistige/geistliche Angelegenheit.
Moment: Was Menschen aus geistigen/geistlichen Grundlagen machen, ist kein Beurteilungskriterium für geistige/geistliche Grundlagen. - Trotzdem: Natürlich basiert diese menschliche Ausgestaltung auf dem, was Ratzinger "Naturrecht" nennt - selbst wenn es ein Wildwuchs ist.

Du schreibst selber:
Claymore hat geschrieben:Und so wurde das auch von der weltlichen Gerichtsbarkeit verstanden

Claymore hat geschrieben:Und ich habe bis jetzt nicht erkannt, dass Gott nicht will, dass Menschen masturbieren, verhüten oder gleichgeschlechtlichen Sex haben.
Das läuft letztlich auf die Wesensverbingung von körperlichem "jada" und Wiederschöpfungs-Kraft des Menschen hinaus.

Claymore hat geschrieben:Das Problem, was sich durch deine ganzen Beiträge in diesem Thread hindurch zieht, ist, dass du wahlweise die Begriffe modern und traditionell verstehst.
Das kann sein - wir müssten dazu Begriffe nach Bedarf genauer definieren: "Natur sensu Ratzinger"/"Natur sensu Naturalismus"/etc.

Claymore hat geschrieben:Durch diesen anachronistischen Misch-Masch kreierst du eine Lücke zwischen “weltlich” und “geistig”, und ignorierst damit genau den Bereich, der die RKK zu dem macht, was sie ist – und aus dem sie ihren Anspruch zieht, sich in weltliche Angelegenheiten einmischen zu dürfen; mehr zu sein als nur Glaube.
Wie das? - Ich unterscheide schon zwischem traditionellen und heutigen Verständnis - und vor allem: Ich ignoriere gerade NICHT den Anspruch der RKK, dass sie aus dem NT eine gestalterische Aufgabe im säkularen Gesellschaftsraum beansprucht. - Aber sie weiß natürlich AUCH,
1) dass selbiges in der Zeit, in der sie säkulare Macht hatte, gar nicht gut funktioniert hat.
2) dass heute solche Ansprüche nur appelativ sein können.
3) dass die heue vorherrschende Denkformatierung derart weg davon ist ("Kritischer Rationalismus"), "so daß man sich schon beinahe schämt, das Wort <katholisches Naturrecht>überhaupt zu erwähnen".

Die RKK weiß also schon, dass sie ein Tropfen auf dem heißen Stein in der säkularen Gesellschaft ist bzw. zwar Saat auswerfen kann, die aber weitgehend auf harten Boden oder Disteln fällt. - Es ist - wieder fundamental gesehen - ein Versuch in der Gegenwart und ein Bewahren für die zukunft.

Claymore hat geschrieben:Wenn also Benedikt XVI. von einem “Naturbegriff, der nicht mehr metaphysisch, sondern rein empirisch ist” spricht, wie verwendet er da “metaphysisch”? Sicher auf die moderne Art, er will doch von Zeitgenossen verstanden werden.
Absolut - so verstehe ich ihn auch.

Claymore hat geschrieben:Du verstehst es jedoch so, dass er “metaphysisch” auf die traditionelle Art verwendet: Direkt auf das “hinter der Natur”, das Geistige, auf Gott bezogen. Das ist nicht der Fall!
Moment: "Meta-physisch" ist in der Tat über/hinter der Natur. - Aber was ist die "Philosophia naturalis" anders, als das Metaphyische in der Natur abgebildet zu sehen? (Nicht, dass dies meine Auffassung wäre).

Ratzinger sagt aus meiner Sicht unterm Strich:
Positivistische Vernunft ist letztlich nur eine kritisch-rationale Vernunft und somit eine anthropogene Vernunft. - Die eigentliche, nämlich universale Vernunft liegt im Geistigen /Geistlichen. - Und da ist die Frage, ob "die Welt" langfristig anthropogen, also NICHT geistig/geistlich begründet, überleben kann.

Kritisch würde ich bei Ratzinger (wiewohl er es wirklich gut meint) sehen, dass er ständig sozusagen Soll und Ist zusammenführen will - das tut er mit seiner kanonischen Exegese genauso wie hier in seinem Anspruch, dass man das eine doch mit dem anderen verbinden könnte. - Das sehe ich pessimistischer. - Ratzinger erweckt den Eindruck, er sehe eine Chance, die Offenbarungs-Katastrophe zu verhindern. - Aber das ist ein ganz anderes Thema.

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sven23
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#556 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von sven23 » Sa 20. Okt 2018, 07:22

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es geht um widerlegte Behauptungen
Du unterscheidest nach wie vor nicht zwischen methodische Widerlegungen eines Modells und Widerlegung in Bezug auf die Wirklichkeit. - Du hast mein Schwan-Beispiel überhaupt nicht verstanden.
Nein, du hast überhaupt nicht verstanden, dass meine konkrete Beipiele nicht das geringste mit deinen schwarzen Schwänen zu tun haben. :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die von mir genannte Beispiele sind widerlegte Behauptungen.
Im Sinne von "Eine Behauptung ist falsch, weil wir das Gegenteil bewiesen haben"?
Exakt, oder schon wieder vergessen? :roll:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#557 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von closs » Sa 20. Okt 2018, 10:52

sven23 hat geschrieben:Exakt, oder schon wieder vergessen?
Aber das ist falsch. - Nicht das Gegenteil ist widerlegt, sondern die Behauptung ist bestätigt. - Das ist genau der entscheidende Unterschied.

Im Grunde läuft es in verschiedenen Threads (besonders im HP-Thread) auf folgendes hinaus:
Es liegt NICHT daran, dass methodisch etwas falsch gemacht werden würde - die Abläufe sind ganz sicher handwerklich richtig. - Die Probleme sind an 3 Punkten:

1) Verwechslung von "widerlegen" und "nicht bestätigen" - als sei es dasselbe.
2) Verwechslung von Modell und Wirklichkeit.
3) Offene Fragen beim Studien-Aufbau.

In der Praxis spielt dies im Normalfall keine Rolle.
ad 1) Was man mit aller Finesse nicht bestätigt finden kann, kann man normalerweise als "widerlegt" vereinbaren.
ad 2) Modelle sind normalerweise gut genug, dass man den Schluss "Modell falsifiziert, ergo dazugehörige Wirklichkeits-Behauptung falsifiziert" ziehen kann (aber dazu muss man erst mal ein Modell haben, weil man vorher streng genommen gar nicht wissenschaftlich arbeiten kann).
ad 3) Wenn man kein Modell hat, kann ein Studien-Aufbau falsch sein, mit dem man nichtsdestoweniger formvollendet etwas falsifizieren kann.

Um diesen Komplex kreiseln wir seit langer Zeit ohne Lösung. - Das einzig Gute: Die Gründe für das Kreiseln sind jetzthalbwegs isoliert.

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#558 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von sven23 » Sa 20. Okt 2018, 11:37

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Exakt, oder schon wieder vergessen?
Aber das ist falsch. - Nicht das Gegenteil ist widerlegt, sondern die Behauptung ist bestätigt. - Das ist genau der entscheidende Unterschied.

Im Grunde läuft es in verschiedenen Threads (besonders im HP-Thread) auf folgendes hinaus:
Es liegt NICHT daran, dass methodisch etwas falsch gemacht werden würde - die Abläufe sind ganz sicher handwerklich richtig. - Die Probleme sind an 3 Punkten:

1) Verwechslung von "widerlegen" und "nicht bestätigen" - als sei es dasselbe.
2) Verwechslung von Modell und Wirklichkeit.
3) Offene Fragen beim Studien-Aufbau.

In der Praxis spielt dies im Normalfall keine Rolle.
ad 1) Was man mit aller Finesse nicht bestätigt finden kann, kann man normalerweise als "widerlegt" vereinbaren.
ad 2) Modelle sind normalerweise gut genug, dass man den Schluss "Modell falsifiziert, ergo dazugehörige Wirklichkeits-Behauptung falsifiziert" ziehen kann (aber dazu muss man erst mal ein Modell haben, weil man vorher streng genommen gar nicht wissenschaftlich arbeiten kann).
ad 3) Wenn man kein Modell hat, kann ein Studien-Aufbau falsch sein, mit dem man nichtsdestoweniger formvollendet etwas falsifizieren kann.

Um diesen Komplex kreiseln wir seit langer Zeit ohne Lösung. - Das einzig Gute: Die Gründe für das Kreiseln sind jetzthalbwegs isoliert.

Die Gründe für deine Ausweichmanöver sind schon lange isoliert. :roll:
Ich bringe dir konkrete Beispiel für widerlegte Behauptungen der Verschwörungstheoretiker und du kommst wieder mit Homöopathie und schwarzenen Schwänen um die Ecke. Was soll das? :roll:
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#559 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von closs » Sa 20. Okt 2018, 12:18

sven23 hat geschrieben:Die Gründe für deine Ausweichmanöver sind schon lange isoliert.
Das sind Grundsatzfragen und nicht Ausweichmanöver. - Aber ist schon klar: Wenn es an die Grundlagen geht, versteckt man sich lieber hinter Vereinbarungen, gell?

sven23 hat geschrieben:Ich bringe dir konkrete Beispiel für widerlegte Behauptungen der Verschwörungstheoretiker und du kommst wieder mit Homöopathie und schwarzenen Schwänen um die Ecke. Was soll das?
HP ist hier nicht wichtig, sondern nur ein Beispiel. - Das SChwan-Beispiel ist nach wie vor wichtig - ich habe den Eindruck, dass Du es nicht verstanden hast.

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#560 Re: Versagt die Evolutionstheorie? II

Beitrag von sven23 » Sa 20. Okt 2018, 12:31

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Gründe für deine Ausweichmanöver sind schon lange isoliert.
Das sind Grundsatzfragen und nicht Ausweichmanöver. - Aber ist schon klar: Wenn es an die Grundlagen geht, versteckt man sich lieber hinter Vereinbarungen, gell?
Es ist eine altbekannte Tatsache, dass closs gerne vom Konkreten ins Allgemeine abschweift, besonders dann, wenn ihm das Konkrete nicht ins ideologische Weltbild paßt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ich bringe dir konkrete Beispiel für widerlegte Behauptungen der Verschwörungstheoretiker und du kommst wieder mit Homöopathie und schwarzenen Schwänen um die Ecke. Was soll das?
HP ist hier nicht wichtig, sondern nur ein Beispiel. - Das SChwan-Beispiel ist nach wie vor wichtig - ich habe den Eindruck, dass Du es nicht verstanden hast.
Ich habe eher den Eindruck, dass du nicht weißt oder wissen willst, was eine widerlegte Behauptung ist. :roll:
Dann lies noch mal, was ich geschrieben habe.
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