closs hat geschrieben:Anton B. hat geschrieben: Wenigstens nicht solange, wie man die Naturwissenschaft NICHT als "System mit Anspruch auf die Vollmacht, zu definieren, was Realität ist und was nicht " betrachtet, Das tut zwar der ein oder andere Mitforist, aber beileibe nicht die Naturwissenschaft.
Dann bist Du möglicherweise eine Ausnahme. - Mir dröhnt immer noch der mehrfach wiederholte Anspruch im Ohr, dass Realität das sei, was wissenschaftlich messbar sei.
Aber wo steht denn das? Philosophen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie haben sich intensiv damit auseinander gesetzt und haben Abgrenzungen gefunden. Das ist doch wichtig, und nicht was Anton, Hinz oder Kunz sagt.
closs hat geschrieben:Anton B. hat geschrieben: "Positivismus", im speziellen "induktiver Positivismus", würde heißen, aus den bestehenden "Fakten" zu einer Theorie "geführt" zu werden.
Gut formuliert - das wäre in etwa das, was ich unter "Positivismus" verstehe (nicht im Zusammenhang mit Sozialwissenschaften - siehe Positivismusstreit/kritischer Rationalismus). - Das macht doch auch Naturwissenschaft - oder etwa nicht?
Nein, macht sie nicht.
closs hat geschrieben:Anton B. hat geschrieben:Wenn sich die "Fakten" nicht nachträglich als "falsch" erweisen, wird so eine für immer gültige Theorie generiert.
Ja - würde ich als Naturwissenschaftler auch so machen - da sind Fakten, daraus folgt etwas - solange die Fakten nicht falsifiziert werden, bleiben die Folgen (es sei denn, man hätte handwerklich falsch geschlussfolgert) - aus meinem Verständnis ist das Naturwissenschaft pur - oder nicht?
Nein, nein, genau das ist Naturwissenschaft doch gerade nicht. Denke an die "vollständige Induktion" der Mathematik als Extrembeispiel: Wenn da nichts falsch gemacht wurde, ist die Beweisführung bis in alle Ewigkeit richtig, Bei dem kritischen Rationalismus der empirischen Wissenschaften dagegen hat sich eine Theorie vielleicht bezüglich aller bekannten Fakten "bewährt". Ohne diese Fakten anzutasten kann ein neuer Falsifikationsversuch aber ein "Faktum" produzieren, was die Theorie nicht bewährt, sondern falsifiziert. Da spielt dann -- wenn diese Beobachtung stabil ist -- es auch keine Rolle, dass es vorher 100.000e von "passenden Fakten" gegeben hat, die zudem ja auch weiterhin existieren. Die Theorie ist widerlegt!
Positivistisch ist die zigmal gemachte Beobachtung des Sonnenauf- und -unterganges ein bequemes Polster für die Theorie, dass es morgen und übermorgen auch so sein wird. Im kritischen Rationalismus wartet man sehnsüchtig auf den Tag (wie doppeldeutig in diesem Beispiel), wo die Sonne NICHT mehr aufgeht. Dann kann die alte Theorie endlich weggeworfen, und eine neue, einen bedeutenden Wissenszuwachs erbringende Theorie geschneidert werden.
closs hat geschrieben:Anton B. hat geschrieben:Eine Wissenschaft, in der jede Theorie ständig auf dem Prüfstand steht und jederzeit eine andere Theorie gefunden werden kann, die alles ganz anders erklärt.
Das ist doch kein Gegensatz zum vorher Gesagten.
Doch. Im Positivismus würden 100.000 Nachweise die Priorität über eine Falsifizierung erhalten. Niemand hätte eine Motivation, die Theorie zu überarbeiten. Im "kritischen Rationalismus" ist die Theorie tot und die Suche nach einer neuen Theorie geht im Idealfall sofort los. Und die neue Theorie setzt womöglich nicht auf der alten Theorie auf, sondern ist was ganz Neues.
closs hat geschrieben:Vielleicht haben wir hier das Problem, dass Positivismus innerhalb der Naturwissenschaft anders bewertet wird, als das (bei uns damals) in der Geisteswissenschaft ist/war. - Für uns war Positivismus eine Grundlage der Naturwissenschaft, auf der die Naturwissenschaft ausschließlich das naturalistisch Greifbare beobachtet und bewertet hat.
Ich weiß ja nicht, wann Du studiert hast. Die Assoziierung von Naturwissenschaft mit "Positivismus" wurde zuletzt ernsthaft von Carnap in den 1930er Jahren wissenschaftstheoretisch vertreten. Der Positivismusstreit wurde auch nie "ausdiskutiert", sondern schlief einfach ein, sobald die Bedeutungslosigkeit der Bestimmung des "Positivismusanteils" an den empirischen Wissenschaften erkannt wurde.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.