Das Gehirn und unser Bewusstsein.

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barbara
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#21 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von barbara » Mo 2. Sep 2013, 07:05

Pluto hat geschrieben: Empathie bedeutet die Fähigkeit des Mitgefühls.
Bewusstein bedeutet wach sein, sich selbst und die Umwelt erkennen, aktive Gedanken haben, usw.
Ein Psychpath, ist ein äußerlich normaler, vollkommen bewusster Mensch, aber ihm fehlt die Fähigkeit zum Mitgefühl.

und jetzt frag ich mich grad, wie Mitgefühl aussehen könnte, wenn da kein bewusstes Wesen ist, das Mitgefühl hat? Das kannst du doch nicht so scharf trennen - wenn kein Bewusstsein vorhanden ist, fehlt es auch an der Fähigkeit zur Empathie. Mit-Fühlen ist eine Bewusstseinsleistung.

Ein Psychologe der sich da auskennt, wird dir bestätigen, dass das nur ein bewusster Mensch tun kann. Wenn es aber ein Roboter auch könnte, dann wäre auch er bewusst, oder nicht?

nicht notwendigerweise. Es kann einfach sein, dass er das sehr gut kopieren kann aufgrund ausgeklügelter Programme und genauer Beobachtung. Schliesslich hat sich schon des öftern rausgestellt, dass Wissenschaftler sich irren und Dinge möglich sind, die vorher niemand für möglich hielt.

grüsse, barbara

Pluto
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#22 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 2. Sep 2013, 09:06

barbara hat geschrieben:und jetzt frag ich mich grad, wie Mitgefühl aussehen könnte, wenn da kein bewusstes Wesen ist, das Mitgefühl hat? Das kannst du doch nicht so scharf trennen - wenn kein Bewusstsein vorhanden ist, fehlt es auch an der Fähigkeit zur Empathie. Mit-Fühlen ist eine Bewusstseinsleistung.
Ja, natürlich. Und ganz sicher nicht umgekehrt. Erst kommt das Bewusstsein, dann das Mitgefühl.
Überlege was wäre, wenn die Strukturen des Gehrins fehlen würden, um Mitgefühl auszulösen? Dann haben wir einen Menschen dessen Handlungen zwar voll bewusst sind, dem aber das Mitgefühl für seine Mitmenschen fehlt. Schlimmer noch, er könnte alles nachempfinden, aber es würde ihn emotional kalt lassen, und so seine Hemmschwelle, den anderen auszubeuten massiv herabsetzen. Und genau das ist beim Psychopathen der Fall!

Was du mit deiner Aussage bewiesen hast, ist dass du KEIN Psychopath bist. Ist doch auch schon was. ;)

Ein Psychologe der sich da auskennt, wird dir bestätigen, dass das nur ein bewusster Mensch tun kann. Wenn es aber ein Roboter auch könnte, dann wäre auch er bewusst, oder nicht?
nicht notwendigerweise.
Dann mach mal eine Unfrage. Alle die ich gefragt habe (drei an der Zahl) haben mir bestätigt, dass rekursives Denken (Gedanken über Gedanken), das was wir Reflexion oder Introspektion nennen, eine rein menschliche Fähigkeit ist, die aus dem Bewusstsein hervorgeht, und dieses sogar voraussetzt.

Es kann einfach sein, dass er das sehr gut kopieren kann
Nein. Das genügt nicht. Wenn er nur kopieren kann, dann ereicht er zwar im Test einen hohen IQ-Wert, und kann auch komplexe Aufgaben lösen, aber er wäre niemals der Lage über seinen Lösungsweg nachzudenken oder gar darüber Auskunft zu geben wie er denn die Aufgabe gelöst hat. Wenn ein Roboter all das bewältigen kann, dann kann er denken wie ein Mensch.

[Ich teile mal den Beitrag in zie Teile, damit er leserlich bleibt.]
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Pluto
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#23 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 2. Sep 2013, 09:14

[Fortsetung...]


Drehen wir das Ganze mal rum, und fragen uns: Hätten wir damit quasi einen Menschen nachgebaut? —

Von der Intelligenz her schon, und von den analytischen Fähigkeiten vielleicht auch, aber es gäbe noch viel schwierigere Fragen zu lösen:
Wie müsste ein Roboter [d]aussehen[/d] programmiert sein, der dazu noch das ganze Spektrum der menchlichen Gefühlswelt nachempfinden könnte (Angst, Wut, Freude, Leid, Liebe, Hass, usw.)?
Wie würde man den Einfluss von Hormonen auf den Körper und das Gehirn simulieren?

Was bedeutet Liebe für einen Roboter? — Was Sex?
Wie würde man einen Roboter programmieren, der vor Freude sein Herz höher schlagen lässt?
Und wie würde man ihm beibringen wollen was es bedeutet, die Verkrampfung in der Magegengegend zu empfinden, die wir bei Wut oder Leid in uns verspüren?


Das wären die Punkte wo ich ansetzen würde, und worauf uns die Hirnforscher (noch) keine Antwort geben können.
Wie Antonio Damasio immer wieder betont, der Mensch denkt mit seinem ganzen Körper. Hormone spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Ich bin mir nicht sicher ob das jemals gelingen wird. Ich bin mir auch nicht sicher ob wir das überhaupt brauchen, um Roboter herzustellen, die ausschließlich zum Dienen da sind. Z. Bsp. ist davon die Rede, dass die Hauptaufgaben des Pflegepersonals in Altersheimen in 50 Jahren von Robotern übernommen werden sollen.
Und sie würden lautlos duch die Gänge gleiten, w rend sie zu sich selbst flüstern, "Na, wie gehts uns denn heute, Frau Meier...?"
Ich krieg bei solchen Gedanken Gänsehaut.
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ThomasM
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#24 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von ThomasM » Mo 2. Sep 2013, 12:22

Pluto hat geschrieben: Ich bin mir nicht sicher ob das jemals gelingen wird. Ich bin mir auch nicht sicher ob wir das überhaupt brauchen, um Roboter herzustellen, die ausschließlich zum Dienen da sind. Z. Bsp. ist davon die Rede, dass die Hauptaufgaben des Pflegepersonals in Altersheimen in 50 Jahren von Robotern übernommen werden sollen.
Und sie würden lautlos duch die Gänge gleiten, w rend sie zu sich selbst flüstern, "Na, wie gehts uns denn heute, Frau Meier...?"
Ich krieg bei solchen Gedanken Gänsehaut.
Aber ist eine solche Vision nich die zwangsläufige Konsequenz der naturalistischen Weltanschauung?

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Pluto
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#25 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 2. Sep 2013, 12:26

ThomasM hat geschrieben:Aber ist eine solche Vision nich die zwangsläufige Konsequenz der naturalistischen Weltanschauung?
Nein.
Wohl eher die Vision einer kapitalistischen Konsumgesellschaft.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

barbara
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#26 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von barbara » Mo 2. Sep 2013, 14:27

Pluto hat geschrieben: Wie Antonio Damasio immer wieder betont, der Mensch denkt mit seinem ganzen Körper. Hormone spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.

ein Hoch auf Damasio! Endlich mal einer, der vom "der Mensch ist ein Hirn"-Dogma etwas abrückt.



Ich bin mir nicht sicher ob das jemals gelingen wird. Ich bin mir auch nicht sicher ob wir das überhaupt brauchen, um Roboter herzustellen, die ausschließlich zum Dienen da sind. Z. Bsp. ist davon die Rede, dass die Hauptaufgaben des Pflegepersonals in Altersheimen in 50 Jahren von Robotern übernommen werden sollen.

Vermutlich wird Bewusstsein eher ein Nebenprodukt sein, eher nicht gewünscht bzw nicht geplant. So ähnlich wie man in der westlichen Welt irgendwann draufkam, dass die Sklaven auf den Plantagen im Grunde auch Menschen sind...

Ich krieg bei solchen Gedanken Gänsehaut.

stimmt, das ist schon unheimlich. Aber wir werden uns wohl auch daran mal gewöhnen.

grüsse, barbara

Pluto
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#27 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Pluto » Mo 2. Sep 2013, 17:25

barbara hat geschrieben:ein Hoch auf Damasio! Endlich mal einer, der vom "der Mensch ist ein Hirn"-Dogma etwas abrückt.
Er hat das im Buch "Descartes Irrtum" geschrieben.
Damasio bleibt aber seinem materialistischen Modell des Körpers treu. Er sagt im Grunde, Bewusstsein besitze zwei Aspekte, das Eine ist die Ratio, und das andere die Gefühlswelt, wo eben Hormone nicht nur auf das Gehrin wirken.

Vermutlich wird Bewusstsein eher ein Nebenprodukt sein, eher nicht gewünscht bzw nicht geplant. So ähnlich wie man in der westlichen Welt irgendwann draufkam, dass die Sklaven auf den Plantagen im Grunde auch Menschen sind...
s.o.
Bewusstsein entsteht unabhängig von der Gefühlswelt.
Bewusst rational handelnde Roboter sind IMO schon erwünscht. Z. Bsp. erfordert schon eine einfache Daignose nichtlineares Denken, was nur mit Bewusstsein möglich ist. Aber gefühlsbetonte Roboter, die an den Schicksalen von Patienten teilnehmen, und dementsprechend den einen oder anderen bevorzugt behandeln, wäre allerdings nicht im Sinne einer Altersklinik. ;)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

barbara
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#28 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von barbara » Di 3. Sep 2013, 07:15

Pluto hat geschrieben: Damasio bleibt aber seinem materialistischen Modell des Körpers treu. Er sagt im Grunde, Bewusstsein besitze zwei Aspekte, das Eine ist die Ratio, und das andere die Gefühlswelt, wo eben Hormone nicht nur auf das Gehrin wirken.

naja, das Körper-Bewusstsein gibt's auch noch. Beziehungsweise die "Gefühlswelt" muss noch aufgeteilt werden in Emotionalität (Empfinden und Ausdruck von Sympathien) und Fühlen (Aufnahme von Information durch Sinnesorgane und deren Bearbeitung)

und das Ich-Empfinden, dass Bewusstsein dass ich ich bin, würde ich auch noch separat nehmen.


Bewusstsein entsteht unabhängig von der Gefühlswelt.

Wie kommst du zu dieser Idee, und woran kann man dies studieren?

Bewusst rational handelnde Roboter sind IMO schon erwünscht. Z. Bsp. erfordert schon eine einfache Daignose nichtlineares Denken, was nur mit Bewusstsein möglich ist. Aber gefühlsbetonte Roboter, die an den Schicksalen von Patienten teilnehmen, und dementsprechend den einen oder anderen bevorzugt behandeln, wäre allerdings nicht im Sinne einer Altersklinik. ;)

Gerade kranke und schwache und pflegebedürftige Menschen sind SEHR angewiesen auf Mitgefühl... und nicht nur darauf, wie ein Auto auf dem Fliessband in einen akzeptablen Zustand montiert zu werden.

Mitfühlen muss auch nicht einhergehen mit Unprofessionalität, weder bei Maschinen noch bei Menschen.

in unserer Gesellschaft sind da einfach einige Prioritäten sehr falsch gesetzt, mit dieser Überbetonung der Ratio. Ratio ist schon gut, nichts gegen Ratio, aber bitte nur dort, wo sie auch sinnvoll ist.

grüsse, barbara

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Halman
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#29 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Halman » Mi 8. Apr 2015, 17:12

Diesen Beitrag stütze ich im wesendlichen auf den Artikel: Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent, (Festvortrag (2005), Prof. Wolf Singer). Die folgenden Zitate stammen aus dem Artikel. Um die Beitragslänge nicht zu überschreiten und vor allem aus rechtlichen Gründen bin ich sparsam mit Ziaten, daher sind einige Verweise enthalten. Zum besseren Verständnis bitte ich darum, die Absätze, auf die verwiesen wird, zu lesen.

Unsere Intuition verleitet uns zu der Annahme, es müsste eine zentrale Instanz die Organisation im Gehirn steuern – ja unser bewusstes ICH repräsentieren. Dies liegt vermutlich darin begründet, dass unser Denken an eine mesokosmische Welt angepasst wird, in der wir es überwiegend mit linaren Systemen zu tun haben, die einer starken Kausalität unterliegen und hart determiniert sind. Solche Systeme sind prognostisierbar und somit berechenbar. Diese Kenntnisse ermöglichten es uns Technologie zu entwickeln.

Nichtlineare, hochkomplexe Systeme, die einer schwachen Kausalität unterliegen und weich determiniert sind, sind aber schwerlich berechenbar und daher nicht prognostizierbar. Für unsere Intuition ist die hochkomplexe Dynamik nichtlinearer Systeme nicht greifbar. Dies trifft insbesondere auf unser Gehirn zu. Man stelle sich ein Orchester ohne Dirigenten vor, welches im Gleichtakt, selbstorganisierend, die verblüffendste und komplexeste Symphonie in harmonischer Schönheit mit Bravour spielt.
Wie ist dies möglich? Magie? Das glaube ich nicht. Unser Gehirn scheint auf ganz natürliche Weise zu funktionieren. Natürlich kann ich keine detaillierte Beschreibung der hochkomplexen neurologischen Prozesse schildern, doch basieren diese meines Wissens auf Natrium- u. Kalium-Ionen und Neurotransmitter.
Selbst der Hirnforscher WOLF SINGER räumte in seinem Artikel auf Seite 16 (1. Absatz) ein:
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
Allerdings stammt der Artikel aus dem Jahre 2005. Inwieweit sich der Forschungsstand bis heute verändert hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Interessanterweise spricht der Hirnforscher, der gemeinsam mit G. Roth für die Negation des freien Willens bekannt ist, u. a. auch von Entscheidungen, die durch „verteilte Prozesse“ im Gehirn hervorgerufen werden. Offenbar kann unser distributiv arbeitendes Gehirn die Prozesse zusammenfügen und so Bilder erkennen oder Entscheidungen fällen.

So erfolgt die Wahrnehmung nicht zentral, sondern distributiv in verschiedenen Teilen des Gehirns, die parallel Teilaspekte der Wahrnehmung verarbeiten.
Sie repräsentieren Objekte der Wahrnehmung – ob visuell, akustisch oder taktil erfasste – jeweils durch eine Vielzahl gleichzeitig aktiver Neuronen, von denen jedes aber nur einen Teilaspekt des gesamten Objekts kodiert.
Diese nichtlinearen Prozesse lassen sich als hochdimensionale Prozesse beschreiben.
Besonders aufschlussreich ist die zweite Spalte auf Seite 16 des Artikels. Die distributiv kodierten Informationen werden durch Gleichtakt zu kohärenten Mustern zusammengefügt. Für die Synchronisationsphänomene bedarf es also keiner zentralen Instanz, sondern sie werden durch Gleichtakt paralleler Prozesse realisiert. Der Gleichtakt kann aber auch gestört sein, was möglicherweise die Ursache einer psychischen Erkrankung ist.
Eine ihrer vielleicht spannendsten Implikationen liefern jüngste Untersuchungen an Patienten mit Schizophrenie: Sie legen nahe, dass die Synchronisation neuronaler Aktivitäten bei diesen Kranken gestört und unpräzise ist.
Eingangs hatte ich in diesem Abschnitt schon erwähnt, dass unser Gehirn das komplexeste, bekannte Objekt im Universum ist. Daher sind wir auch weit davon entfernt, bereits alles darüber zu wissen.
Fest steht schon heute, dass die dynamischen Zustände der vielen Milliarden miteinander verknüpften und wechselwirkenden Neuronen der Großhirnrinde ein Maß an Komplexität offenbaren werden, das unser Vorstellungsvermögen übersteigt.
Dieses dynamische Geflecht – unser Gehirn – unterscheidet sich sehr von linearen Systemen, die uns aus unserer Erfahrungswelt bekannt sind. Besonders aufschlussreich ist der zweite Absatz auf Seite 17: Unserer Intuition erscheint es fremd, ... (bitte lesen!!!)
Die Beschreibung von Singer erinnert mich ein wenig an die hochdimensionalen Räume der Quantenmechanik. Anstelle einer „magischen“ zentralen Instanz finden wir ein hochdimensionales Erregungsmuster (s. nächster Absatz im PDF-Dokument).
Dies ist auch der Grund, warum wir einen Film oder eine TV-Serie beim ersten Mal immer anders erleben als in der Wiederholung.

Dass unser Gehirn als hochdimensionaler Zustandsraum beschrieben werden kann, ist wirklich interessant. Ein solches Objekt ist in der Tat für unsere Intuition schwerlich greifbar (s. 2. Spalte auf Seite 17).
Uns fällt es außerordentlich schwer komplexe, nichtlineare Systeme zu verstehen, da ihre Dynamiken nur eine schwache Kausalität aufweisen. Dies gilt insbesondere für das hochkomplexeste Gebilde überhaupt.
Das menschliche Gehirn verkörpert fraglos das komplexeste System im uns bekannten Universum – wobei komplex nicht einfach für kompliziert steht, sondern im Sinne der Komplexitätstheorie als terminus technicus spezifische Eigenschaften eines Systems benennt, das aus sehr vielen aktiven, miteinander auf besondere Weise interagierenden Einzelelementen besteht.

Wolf Singer erklärt hierzu:
Solche Systeme zeichnen sich durch eine hoch nichtlineare Dynamik aus; sie können Qualitäten hervorbringen, die aus den Eigenschaften der Komponenten nicht ableitbar sind – und sie sind kreativ: Sie können nahe zu unendlich viele Zustände in hochdimensionalen Räumen einnehmen und dabei neue, unvorhersehbare Muster ausbilden. Das liegt daran, das sie sich selbst organisieren und ohne den koordinierenden Einfluss einer übergeordneten Instanz hochgeordnete, metastabile Zustände einnehmen können.
Unser neuronales Netzwerk erscheint mir wir ein hochkomplexes, dynamisches „Gewebe“. Darin gibt es laut Singer keine zentrale Instanz, sondern ein strukturiertes Erregungsmuster, welches durch einen hochdimensionalen Zustandraum definiert werden kann.
Unser bewusstes ICH ist keine zentrale Instanz im Gehirn – es ist das Gehirn. Die Kreativität erwächst aus der hochdimensionalen Komplexität.
Hochkomplexe, dynamische und nichtlineare Systeme haben gegenüber linearen Systemen einen geradezu astronomischen Vorteil in der Informationsverarbeitung, wie auf Seite 18 ausgeführt wird:
Denn mit ihnen lassen sich Probleme der Informationsverarbeitung sehr viel eleganter bewältigen als mit linearen Operationen – etwa, wenn es darum geht, Muster zu erkennen, Kategorien zu bilden, große Mengen von Variablen assoziativ zu verknüpfen oder Entscheidungen zu treffen.
Nur die hinreichende Komplexität eines nichtlinearen Systems ermöglicht die erforderliche Flexibilität, die uns als menschliche Wesen ausmacht.
Diese Erkenntnis mag befremdlich erscheinen, denn unsere natürliche „Intuition verführt zu Illusion“. Warum dem so ist, erklärt Wolf Singer im 2. Abs. auf Seite 3. Die hochkomplexen Prozesse in unserem Gehirn bleiben uns also naturgemäß „verborgen“ und so erscheinen sie uns wie „Magie. (s. Abs. 3 auf Seite 3).

Damit die Darstellung nicht zu einseitig ausfällt, verweise ich ferner auf dem Hirnforscher Prof. Lüder Deecke und dem Artikel Unter Zwang läuft alles schlechter, der auf seinen Vortrag „Freiheit und Kreativität“ (2010) basiert. Darin wird unter der Hirngraphik auf Seite 3 ausgesagt:
Das Stirnhirn ist Sitz des Willens und Grundlage unserer Selbststeuerung

Wolf Singer, ein Experte für das visuelle System, beschreibt das distributiv arbeitende Gehirn. Ergänzend sei hinzugefügt, dass unser Gehirn laut Kornhuber und Deecke mit zwei Systemen arbeitet:
Die Klinische Neurologie hat das größte Erfahrungsgut über Fähigkeiten und Gehirn des Menschen gesammelt. Diese Erfahrung hat zu zwei Theorien („Modellen“) über die Hirnfunktion geführt: erstens ein „hierarchisches“ System neben- und übergeordneter Zentren; dafür sprechen spezifische Ausfälle bei lokalisierten akuten Hirnläsionen, auch die Fähigkeit zur vernünftigen Selbstführung des Menschen, die Ergebnisse der funktionellen Kernspintomografie und die Hirnpotentiale. Zweitens ein verteiltes System, in dem durch Leitungen das meiste mit vielem anderen verbunden ist und das seine Leistungen stets durch ausgedehnte Zusammenarbeit hervorbringt. Dafür sprechen das assoziative Gedächtnis und die allmähliche Erholung von Funktionen (mit Hilfe von aktiver Übung) nach Läsionen, aber auch die Histologie und Hodologie cerebraler Netze.
Für die genauere Ausführung verweise ich auf verlinktes PDF-Dokument. Ein bedeutsamen Satz daraus möchte ich hier aber noch zitieren:
Der Wille ist mit Freiheit verknüpft! Freiheit gibt es freilich nur in Graden: absolute Freiheit gibt es nicht! Aber eine Entscheidung treffen, die unsere eigene Entscheidung ist, ist möglich.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich Kompatibilist bin.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Novas
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Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#30 Re: Das Gehirn und unser Bewusstsein.

Beitrag von Novas » Mi 8. Apr 2015, 19:24

Pluto hat geschrieben:Dann mach mal eine Unfrage. Alle die ich gefragt habe (drei an der Zahl) haben mir bestätigt, dass rekursives Denken (Gedanken über Gedanken), das was wir Reflexion oder Introspektion nennen, eine rein menschliche Fähigkeit ist, die aus dem Bewusstsein hervorgeht

Nur weil der menschliche Verstand nicht imstande ist das Bewusstsein von Bäumen, Tieren Blumen, Bergen, Sternen oder des ganzen Kosmos zu verstehen, bedeutet dies nicht, dass all diese Erscheinungsformen der Realität vollkommen bewusstlos sind. Als 'Mystiker' erlaube ich mir die gegenteilige Aussage: ALLE Formen der Realität sind lebendig, weil das Leben real und die Realität lebendig ist. Wir erleben beides in jedem Augenblick als eins.

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