Diesen Beitrag stütze ich im wesendlichen auf den Artikel:
Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent, (Festvortrag (2005),
Prof. Wolf Singer). Die folgenden Zitate stammen aus dem Artikel. Um die Beitragslänge nicht zu überschreiten und vor allem aus rechtlichen Gründen bin ich sparsam mit Ziaten, daher sind einige
Verweise enthalten. Zum besseren Verständnis
bitte ich darum, die Absätze, auf die verwiesen wird, zu lesen.
Unsere Intuition verleitet uns zu der Annahme, es müsste eine zentrale Instanz die Organisation im Gehirn steuern – ja unser bewusstes ICH repräsentieren. Dies liegt vermutlich darin begründet, dass unser Denken an eine mesokosmische Welt angepasst wird, in der wir es überwiegend mit linaren Systemen zu tun haben, die einer starken Kausalität unterliegen und hart determiniert sind. Solche Systeme sind prognostisierbar und somit berechenbar. Diese Kenntnisse ermöglichten es uns Technologie zu entwickeln.
Nichtlineare, hochkomplexe Systeme, die einer schwachen Kausalität unterliegen und weich determiniert sind, sind aber schwerlich berechenbar und daher nicht prognostizierbar. Für unsere Intuition ist die hochkomplexe Dynamik nichtlinearer Systeme nicht greifbar. Dies trifft insbesondere auf unser Gehirn zu. Man stelle sich ein Orchester ohne Dirigenten vor, welches im Gleichtakt, selbstorganisierend, die verblüffendste und komplexeste Symphonie in harmonischer Schönheit mit Bravour spielt.
Wie ist dies möglich? Magie? Das glaube ich nicht. Unser Gehirn scheint auf ganz natürliche Weise zu funktionieren. Natürlich kann ich keine detaillierte Beschreibung der hochkomplexen neurologischen Prozesse schildern, doch basieren diese meines Wissens auf Natrium- u. Kalium-Ionen und Neurotransmitter.
Selbst der Hirnforscher WOLF SINGER räumte in seinem Artikel auf Seite 16 (1. Absatz) ein:
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
Allerdings stammt der Artikel aus dem Jahre 2005. Inwieweit sich der Forschungsstand bis heute verändert hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Interessanterweise spricht der Hirnforscher, der gemeinsam mit G. Roth für die Negation des freien Willens bekannt ist, u. a. auch von
Entscheidungen, die durch „verteilte Prozesse“ im Gehirn hervorgerufen werden. Offenbar kann unser distributiv arbeitendes Gehirn die Prozesse zusammenfügen und so Bilder erkennen oder
Entscheidungen fällen.
So erfolgt die Wahrnehmung nicht zentral, sondern
distributiv in verschiedenen Teilen des Gehirns, die parallel Teilaspekte der Wahrnehmung verarbeiten.
Sie repräsentieren Objekte der Wahrnehmung – ob visuell, akustisch oder taktil erfasste – jeweils durch eine Vielzahl gleichzeitig aktiver Neuronen, von denen jedes aber nur einen Teilaspekt des gesamten Objekts kodiert.
Diese nichtlinearen Prozesse lassen sich als hochdimensionale Prozesse beschreiben.
Besonders aufschlussreich ist die zweite Spalte auf Seite 16 des Artikels. Die distributiv kodierten Informationen werden durch Gleichtakt zu kohärenten Mustern zusammengefügt. Für die Synchronisationsphänomene bedarf es also keiner zentralen Instanz, sondern sie werden durch Gleichtakt paralleler Prozesse realisiert. Der Gleichtakt kann aber auch gestört sein, was möglicherweise die Ursache einer psychischen Erkrankung ist.
Eine ihrer vielleicht spannendsten Implikationen liefern jüngste Untersuchungen an Patienten mit Schizophrenie: Sie legen nahe, dass die Synchronisation neuronaler Aktivitäten bei diesen Kranken gestört und unpräzise ist.
Eingangs hatte ich in diesem Abschnitt schon erwähnt, dass unser Gehirn das komplexeste, bekannte Objekt im Universum ist. Daher sind wir auch weit davon entfernt, bereits alles darüber zu wissen.
Fest steht schon heute, dass die dynamischen Zustände der vielen Milliarden miteinander verknüpften und wechselwirkenden Neuronen der Großhirnrinde ein Maß an Komplexität offenbaren werden, das unser Vorstellungsvermögen übersteigt.
Dieses dynamische Geflecht – unser Gehirn – unterscheidet sich sehr von linearen Systemen, die uns aus unserer Erfahrungswelt bekannt sind. Besonders aufschlussreich ist der zweite Absatz auf Seite 17:
Unserer Intuition erscheint es fremd, ...
(bitte lesen!!!)
Die Beschreibung von Singer erinnert mich ein wenig an die hochdimensionalen Räume der Quantenmechanik. Anstelle einer „magischen“ zentralen Instanz finden wir ein hochdimensionales Erregungsmuster
(s. nächster Absatz im PDF-Dokument).
Dies ist auch der Grund, warum wir einen Film oder eine TV-Serie beim ersten Mal immer anders erleben als in der Wiederholung.
Dass unser Gehirn als hochdimensionaler Zustandsraum beschrieben werden kann, ist wirklich interessant. Ein solches Objekt ist in der Tat für unsere Intuition schwerlich greifbar
(s. 2. Spalte auf Seite 17).
Uns fällt es außerordentlich schwer komplexe, nichtlineare Systeme zu verstehen, da ihre Dynamiken nur eine schwache Kausalität aufweisen. Dies gilt insbesondere für das hochkomplexeste Gebilde überhaupt.
Das menschliche Gehirn verkörpert fraglos das komplexeste System im uns bekannten Universum – wobei komplex nicht einfach für kompliziert steht, sondern im Sinne der Komplexitätstheorie als terminus technicus spezifische Eigenschaften eines Systems benennt, das aus sehr vielen aktiven, miteinander auf besondere Weise interagierenden Einzelelementen besteht.
Wolf Singer erklärt hierzu:
Solche Systeme zeichnen sich durch eine hoch nichtlineare Dynamik aus; sie können Qualitäten hervorbringen, die aus den Eigenschaften der Komponenten nicht ableitbar sind – und sie sind kreativ: Sie können nahe zu unendlich viele Zustände in hochdimensionalen Räumen einnehmen und dabei neue, unvorhersehbare Muster ausbilden. Das liegt daran, das sie sich selbst organisieren und ohne den koordinierenden Einfluss einer übergeordneten Instanz hochgeordnete, metastabile Zustände einnehmen können.
Unser neuronales Netzwerk erscheint mir wir ein hochkomplexes, dynamisches „Gewebe“. Darin gibt es laut Singer keine zentrale Instanz, sondern ein strukturiertes Erregungsmuster, welches durch einen hochdimensionalen Zustandraum definiert werden kann.
Unser bewusstes ICH ist keine zentrale Instanz im Gehirn – es ist das Gehirn. Die Kreativität erwächst aus der hochdimensionalen Komplexität.
Hochkomplexe, dynamische und nichtlineare Systeme haben gegenüber linearen Systemen einen geradezu astronomischen Vorteil in der Informationsverarbeitung, wie auf Seite 18 ausgeführt wird:
Denn mit ihnen lassen sich Probleme der Informationsverarbeitung sehr viel eleganter bewältigen als mit linearen Operationen – etwa, wenn es darum geht, Muster zu erkennen, Kategorien zu bilden, große Mengen von Variablen assoziativ zu verknüpfen oder Entscheidungen zu treffen.
Nur die hinreichende Komplexität eines nichtlinearen Systems ermöglicht die erforderliche Flexibilität, die uns als menschliche Wesen ausmacht.
Diese Erkenntnis mag befremdlich erscheinen, denn unsere natürliche „Intuition verführt zu Illusion“. Warum dem so ist, erklärt Wolf Singer im
2. Abs. auf Seite 3. Die hochkomplexen Prozesse in unserem Gehirn bleiben uns also naturgemäß „verborgen“ und so erscheinen sie uns wie „Magie.
(s. Abs. 3 auf Seite 3).
Damit die Darstellung nicht zu einseitig ausfällt, verweise ich ferner auf dem Hirnforscher Prof. Lüder Deecke und dem Artikel
Unter Zwang läuft alles schlechter, der auf seinen Vortrag
„Freiheit und Kreativität“ (2010) basiert. Darin wird unter der Hirngraphik auf Seite 3 ausgesagt:
Das Stirnhirn ist Sitz des Willens und Grundlage unserer Selbststeuerung
Wolf Singer, ein Experte für das visuelle System, beschreibt das distributiv arbeitende Gehirn. Ergänzend sei hinzugefügt, dass unser Gehirn laut Kornhuber und Deecke mit zwei Systemen arbeitet:
Die Klinische Neurologie hat das größte Erfahrungsgut über Fähigkeiten und Gehirn des Menschen gesammelt. Diese Erfahrung hat zu zwei Theorien („Modellen“) über die Hirnfunktion geführt: erstens ein „hierarchisches“ System neben- und übergeordneter Zentren; dafür sprechen spezifische Ausfälle bei lokalisierten akuten Hirnläsionen, auch die Fähigkeit zur vernünftigen Selbstführung des Menschen, die Ergebnisse der funktionellen Kernspintomografie und die Hirnpotentiale. Zweitens ein verteiltes System, in dem durch Leitungen das meiste mit vielem anderen verbunden ist und das seine Leistungen stets durch ausgedehnte Zusammenarbeit hervorbringt. Dafür sprechen das assoziative Gedächtnis und die allmähliche Erholung von Funktionen (mit Hilfe von aktiver Übung) nach Läsionen, aber auch die Histologie und Hodologie cerebraler Netze.
Für die genauere Ausführung verweise ich auf verlinktes PDF-Dokument. Ein bedeutsamen Satz daraus möchte ich hier aber noch zitieren:
Der Wille ist mit Freiheit verknüpft! Freiheit gibt es freilich nur in Graden: absolute Freiheit gibt es nicht! Aber eine Entscheidung treffen, die unsere eigene Entscheidung ist, ist möglich.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich
Kompatibilist bin.