Alles Teufelszeug? VI

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sven23
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#401 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Fr 9. Jun 2017, 19:04

Rembremerding hat geschrieben: Und dann kommen Kubitza-Jünger und postulieren dessen redliche, setzungsfreie "Forschung", obwohl es zur Eruierung seiner Vorprägung gar keiner Nachschau bedarf.
Gleichzeitig wird dann die Exegese jener, die ihre Setzungen darlegen (etwa Jesus ist göttlich), als "unredlich" tituliert, weil sie ja Setzungen verwenden. Wie lächerlich ist doch dieser Kindergeburtstag.

Servus :wave:
Kindergeburtstag ist es eher,wenn man die schon 100 mal zitierten Aussagen Bultmanns einfach ignoriert.


„Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“
– Rudolf Bultmann: Neues Testament und Mythologie. 1941, 18

„Voraussetzungslose Exegese kann es nicht geben. … Unabdingliche Voraussetzung aber ist die historische Methode in der Befragung der Texte. Exegese ist ja als Interpretation historischer Texte ein Stück Geschichtswissenschaft.“
(Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 1957, S. 410)

„Die historische Methode schließt die Voraussetzung ein, daß die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungs-Zusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. … Diese Geschlossenheit bedeutet, daß der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also kein 'Wunder' in diesem Sinne gibt. … Während z.B. die alttestamentliche Geschichtserzählung vom handelnden Eingreifen Gottes in die Geschichte redet, kann die historische Wissenschaft nicht ein Handeln Gottes konstatieren, sondern nimmt nur den Glauben an Gott und sein Handeln wahr. Als historische Wissenschaft darf sie freilich nicht behaupten, daß solcher Glaube eine Illusion sei, und daß es kein Handeln Gottes in der Geschichte gäbe. Aber sie selbst kann das als Wissenschaft nicht wahrnehmen und damit rechnen; sie kann es nur jedermann freistellen, ob er in einem geschichtlichen Ereignis, das sich selbst aus seinen innergeschichtlichen Ursachen versteht, ein Handeln Gottes sehen will.“
(Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 1957, S. 411f.)

Bultmann legt also ganz klar die Voraussetzungen offen und befindet sich damit in der Linie heutiger Forschung, dass religiöse Texte keinen Anspruch auf Sonderbehandlung erheben können, das gilt selbstverständlich auch für die christliche Mythologie.
Wer auf der Irrtumslosigkeit religiöser Schriften beharrt, weil sie angeblich göttlich inspiriert seien, verläßt die wissenschaftliche Abteilung und wechselt in die glaubensdogmatische.
Kann man machen, aber dann noch den Wissenschafts-TÜV-Stempel verlangen, wie closs, läuft nicht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#402 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Fr 9. Jun 2017, 20:48

sven23 hat geschrieben:Auf Grund der Quellen muss man gar nicht seine Göttlichkeit voraussetzen.
Was reine Sachfragen angeht, stimme ich Dir zu.

sven23 hat geschrieben:Man kann sie nicht einfach beliebig ins Gegenteil uminterpretieren, nur weil das Glaubenskonstrukt es verlangt.
Nicht UM-interpretieren, sondern interpretieren - und zwar unterschiedlich je nach Vorannahme.

sven23 hat geschrieben: Dunning-Kruger ist, wenn ein Laie meint die komplette theologische Forschung belehren zu können, obwohl er nicht mal einen Bruchteil des Überblicks über die Quellen hat und von den Methoden der Forschung so gut wie nichts weiß.
Das trifft nicht die Sache, weil Forschung welcher Art auch immer nicht ihre Grundlagen erforscht, sondern auf Basis dieser Grundlagen forscht. - Im übrigen ist es sehr selbstbewusst :D , den Theologien der Großkirchen einen mangelnden Überblick über die Quellen zu bescheinigen.

sven23 hat geschrieben:Ich weiß gar nicht, ob die Forschung diese Passagen des erfindungsfreudigen Matthäus überhaupt für die Naherwartung heranzieht.
Das sollte die HKM auch besser nicht tun, weil es ein Argument dafür ist, dass Jesus in anderen Kategorien gedacht hat, als ihm hier unterstellt wird.

sven23 hat geschrieben:Hier verwechselst du die jüdische Religion mit der "christlichen" Veränderung, die dann fälschlicherweise als authentisch zu Jesus gesehen wird.
Aber dieses "fälschlich" ist doch eine Wertung, auf die man nur unter eigenen Annahmen kommen kann. - Das Christentum geht dagegen davon aus, dass sich das Verständnis mit der Zeit klärt. - Das ist ein alltäglicher Prozess, den Du ganz sicher aus der Praxis kennst.

sven23 hat geschrieben:Deshalb zählt die Naherwartung dazu, weil sie unschwer hätte erfunden werden können.
Natürlich wurde sie nicht erfunden, weil das Volk es zeitgenössisch so verstanden hat!!!

sven23 hat geschrieben:im "abgeklärten Abstand" neigen die Menschen erst recht dazu, ihre eigenen theologischen Vorstellungen auf Jesus zu projizieren, wie man an den Texten leicht sieht.
Jetzt bist Du wieder zirkelreferent: Logischerweise projezierst Du das, was danach geschieht, auf DEINE Vorannahme und das daraus schlüssige Ergebnis - natürlich ist dann alles andere eine unzulässige Projektion.

sven23 hat geschrieben:Wie man an der Forschung sieht, kann sie es.
Das ist aber unredlich. - Man kann als Forschung nicht seine Vorannahmen verleugnen und dann Sachinformation und Interpretation zu einem Ragout verrühren - da ist die kanonische Forschung ehrlicher, weil sie mit offenem Visier forscht.

sven23 hat geschrieben:Weinberg geht es nicht um Heldentaten, sondern um eine Beschreibung der Historie.
Aus SEINER weltanschaulichen Formatierung heraus - das ist zu wenig.

Thaddäus hat geschrieben:Eben, deshalb läßt die Forschung Setzungen beiseite.
Das tut die HKE auf Interpretations-Ebene genauso wenig wie andere Exegesen - da musst Du nur die biblisch-kritische Exegese angucken: Auf Sachebene arbeitet sie wie die HKE, auf Interpretationsebene ganz anders.

sven23 hat geschrieben:Die Trennung zwischen wissenschaftlicher und glaubensdogmatischer Abteilung gibt es doch längst.
Wenn ich unsere bisherige Diskussion zusammenfasse, dann ist das innerhalb der HKM ganz sicher NICHT geglückt.

sven23 hat geschrieben:Bultmann legt also ganz klar die Voraussetzungen offen
Eben - um diese geht es.

* Kann man bei Texten, bei denen es im größeren Zusammenhang um heilsgeschichtliche Entwicklung geht (der Mensch soll erkennen lernen), normale HKM-Regeln überstülpen, dass ältere Rezeptionen authentischer sind als neuere?
* Kann man auf einem naturalistischen Wirkungszusammenhang bestehen (keine Wunder/keine Auferstehung), nur weil es einem passt?

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#403 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Fr 9. Jun 2017, 21:04

Thaddäus hat geschrieben:Hiob gehört nicht deshalb zur echten Weltliteratur (anders als z.B. alle prophetischen Bücher oder der unerträgliche Leviticus oder die sterbenslangweiligen Chroniken etc.), weil sich am Ende für Hiob alles zum Guten wendet und Gott ihn belohnt (das ist eher seichtes Happyend).
Richtig - damit rechnet Hiob selber nicht.

Thaddäus hat geschrieben:Es gehört zur echten Weltliteratur, weil Hiob JHWH selbst - und zwar völlig zurecht - anklagt, kein gerechter und schon gar kein liebender Gott zu sein. Hiob wirft die moralische Frage gegen Gott auf - und der Leser weiß, dass er damit im Recht ist.
Der Leser weiß das, was ihm seine eigene Zeit einflüstert - das ist kein Argument.

Die Kernaussage ist, dass Hiob nach menschlichem Ermessen von Gott ungerecht behandelt wird UND dass menschliches Ermessen nicht relevant ist. - Es ist der Versuch der De-Anthropozentrierung von Maßstäblichkeit.

Thaddäus hat geschrieben:Damit reicht das Buch an die großen Tragödien der Griechen heran
Korrekt - Einer der Schlegelbrüder sagt sinngemäß dazu, dass aus griechischer Sicht der Mensch vom Schicksal für die Tragödie auserwählt wird, es also eine heroische Adelung ist, auserwählt zu werden.

Thaddäus hat geschrieben: Seine Schuld ist die Verblendung, fortwährend nicht einzusehen, dass seinetwegen die Pest Theben heimsucht, obwohl alle Indizien am Ende darauf hinauslaufen, dass er und niemand anderes sich schuldig gemacht hat (wenn auch unwissentlich).
Passt: "Schuld" ist nicht Folge einer Intention, sondern geschieht mit einem.

Trotzdem übersiehst Du eines: "Hiob" geht insofern darüber hinaus, dass er die individualistischen Muster ("Ich klage zu recht an"/"Ich erkennen aufgeklärt, dass ...") durchspielt und verwirft, indem er erkennt, dass anthropozentrische Kalibrierung NICHT die Lösung ist, da der Mensch zu klein ist im Verhältnis zu dem, was ist (hier: Gott). - "Hiob" ist geistig einen großen Schritt weiter als unsere heute vorherrschende anthropozentrische Spät-Aufklärung.

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#404 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von Thaddäus » Fr 9. Jun 2017, 21:28

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Es gehört zur echten Weltliteratur, weil Hiob JHWH selbst - und zwar völlig zurecht - anklagt, kein gerechter und schon gar kein liebender Gott zu sein. Hiob wirft die moralische Frage gegen Gott auf - und der Leser weiß, dass er damit im Recht ist.
Der Leser weiß das, was ihm seine eigene Zeit einflüstert - das ist kein Argument.
Hallo?!! Bist du noch ganz dicht ... mit Verlaub?

JHWH quält und piesackt Hiob, weil er - als Gott! - eine blödsinnige Wette mit dem Teufel eingeht! Wie unwürdig und bescheuert ist das für einen Gott! (Aber das Buch Hiob ist eben nicht aus dieser Perspektive geschrieben. Sondern hier hat ein wirklich intelligenter Autor JHWH selbst in seinem moralischen Vermögen infrage gestellt!).
Was ist von einem Gott zu halten, der seinen treuesten Gläubigen so ungerecht behandelt und in umfangreiche existenzielle Verzweiflung stürzt, nur allein deshalb, weil er ein Spielchen mit ihm treiben möchte. Das Buch Hiob ist von Anfang bis Ende eine Anklage gegen einen perversen Gott. Das Happyend ist allein der Tatsache geschuldet, dass dieses bemerkenswerte Buch sonst keinen Eingang in die Bibel gefunden hätte, wenn es bei dieser Anklage geblieben wäre.

closs hat geschrieben:Die Kernaussage ist, dass Hiob nach menschlichem Ermessen von Gott ungerecht behandelt wird UND dass menschliches Ermessen nicht relevant ist. - Es ist der Versuch der De-Anthropozentrierung von Maßstäblichkeit.
Das ist ja an Zynismus nicht zu überbieten!
Hiobs Anklage soll nicht gültig sein, weil Gott sein Spielchen mit dem bemitleidenswerten Hiob treiben will?
Diese Spielchen IST die moralische Anklage gegen JHWH!, die im Buch Hiob zum Ausdruck gebracht wird. Nur darum ist es als Weltliteratur einzuschätzen. Weil es ernsthaft die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes und seiner moralischen Integrität stellt.
Es ist völlig klar, dass JHWH Hiob ungerecht behandelt. Es ist auch völlig klar, dass er dies aus niederen Motiven tut: nämlich allein deshalb, um es seinem Widersacher zu zeigen ...

closs hat geschrieben: Trotzdem übersiehst Du eines: "Hiob" geht insofern darüber hinaus, dass er die individualistischen Muster ("Ich klage zu recht an"/"Ich erkennen aufgeklärt, dass ...") durchspielt und verwirft, indem er erkennt, dass anthropozentrische Kalibrierung NICHT die Lösung ist, da der Mensch zu klein ist im Verhältnis zu dem, was ist (hier: Gott). - "Hiob" ist geistig einen großen Schritt weiter als unsere heute vorherrschende anthropozentrische Spät-Aufklärung.
Das ist eine geradezu perverse Umdeutung dessen, was im Buch Hiob tatsächlich zu lesen ist. Gott JAHWH erweist sich im Buch Hiob als ein unberechenbarer und narzistisch gestörter Gott, der mit dem Teufel eine Wette eingeht, um seinen gläubigen Anhänger Hiob zu quälen, weil er ihn so testen will. Er treibt Spielchen und nichts anderes. Es wird ein pervertierter Gott geschildert, der unter der Fanatsie leidet, mächtiger als sein Widersacher zu sein. Das Buch Hiob nimmt die Kritik Albert Camus' an der Willkür der Götter vorweg. Nur allein deshalb ist es ein großartiges Buch ...
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 9. Jun 2017, 22:43, insgesamt 2-mal geändert.

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#405 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Fr 9. Jun 2017, 21:44

closs hat geschrieben:
Rembremerding hat geschrieben:Hier wird erstmals der Tun-Ergehen-Zusammenhang gebrochen.
Genau hier fängt das Missverständnis des anthropozentrischen Denkens an - beginnend bei den Freunden Hiobs und anhaltend bis in unsere anthropozentrische Denkweise der Gegenwart.
Nun vergiß mal deinen ewigen Anthropozentrismus.
Echten Anthropozentrismus findest du in einer Ideologie, die behauptet, ein Schöpfer habe 100 Milliarden Galaxien geschaffen, um die "Krone der Schöpfung" auf irgendeinem unbedeutenden Fliegenschiss zu platzieren. Die Anhänger dieser Ideologie überschätzen ihre eigene Bedeutung gewaltig. Das ist Anthropozentrismus in Reinkultur.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#406 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Fr 9. Jun 2017, 21:46

Thaddäus hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Es gehört zur echten Weltliteratur, weil Hiob JHWH selbst - und zwar völlig zurecht - anklagt, kein gerechter und schon gar kein liebender Gott zu sein. Hiob wirft die moralische Frage gegen Gott auf - und der Leser weiß, dass er damit im Recht ist.
Der Leser weiß das, was ihm seine eigene Zeit einflüstert - das ist kein Argument.
Hallo?!! Bist du noch ganz dicht ... mit Verlaub?
...
Ich fürchte nein. :lol:
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#407 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Fr 9. Jun 2017, 22:08

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Dunning-Kruger ist, wenn ein Laie meint die komplette theologische Forschung belehren zu können, obwohl er nicht mal einen Bruchteil des Überblicks über die Quellen hat und von den Methoden der Forschung so gut wie nichts weiß.
Das trifft nicht die Sache, weil Forschung welcher Art auch immer nicht ihre Grundlagen erforscht, sondern auf Basis dieser Grundlagen forscht. - Im übrigen ist es sehr selbstbewusst :D , den Theologien der Großkirchen einen mangelnden Überblick über die Quellen zu bescheinigen.
Seit wann bist du ein Theologe der Großkirchen?

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ich weiß gar nicht, ob die Forschung diese Passagen des erfindungsfreudigen Matthäus überhaupt für die Naherwartung heranzieht.
Das sollte die HKM auch besser nicht tun, weil es ein Argument dafür ist, dass Jesus in anderen Kategorien gedacht hat, als ihm hier unterstellt wird.
Richtig, er hat in jüdischen Kategorien gedacht, nicht in christlich-paulinischen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb zählt die Naherwartung dazu, weil sie unschwer hätte erfunden werden können.
Natürlich wurde sie nicht erfunden, weil das Volk es zeitgenössisch so verstanden hat!!!
Nicht das Volk sagt: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen.... :roll:
Jesus glaubte als ein Vertreter des apokalyptischen Judentums an das nahe Ende der bestehenden Ordnung. Das beißt die Maus keinen Faden ab.
Selbst ein Kardinal Kasper spricht von "Verheißungsüberschuss". Die Naherwartung ist nicht zu leugnen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wie man an der Forschung sieht, kann sie es.
Das ist aber unredlich. - Man kann als Forschung nicht seine Vorannahmen verleugnen und dann Sachinformation und Interpretation zu einem Ragout verrühren - da ist die kanonische Forschung ehrlicher, weil sie mit offenem Visier forscht.
Wohl eher mit runtergelassener Hose. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Weinberg geht es nicht um Heldentaten, sondern um eine Beschreibung der Historie.
Aus SEINER weltanschaulichen Formatierung heraus - das ist zu wenig.
Die historischen Verbrechen der Kirche sind dir zu wenig? Wieviel Blut benötigst du denn? :roll:

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Eben, deshalb läßt die Forschung Setzungen beiseite.
Das tut die HKE auf Interpretations-Ebene genauso wenig wie andere Exegesen - da musst Du nur die biblisch-kritische Exegese angucken: Auf Sachebene arbeitet sie wie die HKE, auf Interpretationsebene ganz anders.
Kein Wunder, wenn sie von der göttlichen Inspiriertheit und damit ihrer Irrtumslogiskeit ausgeht. Deshalb halte ich das "kritisch" für reinen Etikettenschwindel, der den Evangelikalen einen Hauch von Seriösität verleihen soll.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Trennung zwischen wissenschaftlicher und glaubensdogmatischer Abteilung gibt es doch längst.
Wenn ich unsere bisherige Diskussion zusammenfasse, dann ist das innerhalb der HKM ganz sicher NICHT geglückt.
Wieso innerhalb der HKM???
Ich rede von wissenschaftlicher historischer Forschung vs. glaubensdogmatische Abteilung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Bultmann legt also ganz klar die Voraussetzungen offen
Eben - um diese geht es.
Und deshalb ist Rembrems Vorwurf aus der Luft gegriffen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#408 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Fr 9. Jun 2017, 22:42

Thaddäus hat geschrieben:Hallo?!! Bist du noch ganz dicht ... mit Verlaub?
Ohne das "mit Verlaub" hat mich das meine Tochter auch schon gefragt. :lol:

Davon abgesehen: Aus Deiner Reaktion leite ich Deine Überraschung ab, wie man Hiob so ganz anders als Du interpretieren kann. - Deshalb die wichtigste Frage zuerst: Warum, glaubst Du, wurde "Hiob" im Kanon aufgenommen, wenn man dieses Buch theologischer-seits nicht ganz anders interpretieren würde?

Thaddäus hat geschrieben:JHWH quält und piesackt Hiob, weil, er - als Gott! - eine blödsinnige Wette mit dem Teufel eingeht!
Nein - der kausale Zusammenhang ist falsch. - Die Wette ist eine Chiffre für die Frage, ob der Mensch letztlich gerettet ist. - Gott sagt zum Satan:
1,12 Gut, all sein Besitz ist in Deiner Hand, nur gegen ihn selbst streck Deine Hand nicht aus" (vgl. auch 2,6)
Die Selbstverständlichkeit, mit der Satan diese Anweisung Gottes annimmt, weist darauf hin, dass es keinen Kompetenz-Streit zwischen Gott und Satan gibt: Gott erscheint als Auftraggeber, Satan als Auftragnehmer.

Hiob reagiert mit:
1,21 Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.
Hiob zeigt sich hier uneingeschränkt un-anthropozentrisch, indem er das göttliche Sein als uneingeschränkten Maßstab für das menschliche Dasein versteht (vgl. Gen. 4,5, Gen. 11,4, Gen. 18,1ff, Deut.9,5, Deut. 28,13, 2Sam. 7,13, und 1Mak. 3,18).

Thaddäus hat geschrieben:Was ist von einem Got zu halten, der seinen treuesten Gläubigen so ungerecht behandelt und in umfangreiche existenzielle Verzweiflung stürzt, nur allein deshalb, weil er ein Spielchen mit ihm treiben möchte.
Wieder kausal falsch: Das "Spielchen" ist Chiffre für die eigentliche Aussage, dass Gott und nicht der Mensch Maßstab ist. - Dein Wort "ungerecht" ist natürlich nach unserem Alltags-Maßstab richtig - aber das ist halt nicht der Maßstab Gottes.

Zusammenfassend beinhaltet die erste Rede Hiobs (vgl. 3,1-26), dass Hiob nicht von Gott verflucht wird, sondern sich leidend selbst verflucht (3,1). – Den herbeigesehnten Todesort versteht er als Sammelstelle aller Menschen, wobei hier noch offen bleibt, ob der Tod für Nicht-Existenz steht oder für eine andere, eigene Existenzform. – Weiterhin erscheint Gott als jemand, der sich dem Menschen ohne ersichtlichen Grund entziehen kann, mithin dessen Leid nicht Folge eigenen (im heutigen Wortsinn: subjektiven) Verfehlens ist.

Ich will hier jetzt gar nicht weitermachen, weil das sonst ein superlanger Vortrag wäre - nur soviel: Deine Interpretation ist in Kenntnis Deiner zeitgenössischen Formatierung nachvollziehbar, aber eben das Gegenteil dessen, was "Hiob" aus Sicht der Theologie bedeutet - wobei einzuschränken ist, dass heute soviel unter "Theologie" firmiert, dass es schon wieder unübersichtlich werden kann.

Thaddäus hat geschrieben:Diese Spielchen IST die moralische Anklage gegen JHWH!, die im Buch Hiob zum Ausdruck gebracht wird. Nur darum ist es als Weltliteratur einzuschätzen.
Komplettes Missverständnis und komplette Umdeutung. - Aber aufgrund Deines selbstbewussten Auftretens muss ich annehmen, dass dies eine zeitgenössisch gängige Interpretation ist - Umwertung von Werten.

Thaddäus hat geschrieben:Das ist eine geradezu perverse Umdeutung dessen, was im Buch Hiob tatsächlich zu lesen ist.
Siehst Du - Du siehst es aus Deiner Sicht genauso. - Wobei wir wieder bei dem Begriff "geistiger Formatierung" wären - da sind wir offenbar sehr unterschiedlich.

Thaddäus hat geschrieben:Es wird ein pervertierter Gott geschildert, der unter der Fanatsie leidet, mächtiger als sein Widersacher zu sein.
Das ist NICHT das Thema - siehe oben: Es gibt keinen Kampf zwischen Gott und Satan - der Satan ist ein Bediensteter, der zusammen mit den "Gottessöhnen" "vor den Herrn" tritt (1,6) - ein Lakai, keine Bedrohung.

Halte es für möglich, dass Du im Geist unserer heutigen anthropozentrischen Spätaufklärung mit Deiner Interpretation diametral daneben liegst. - Ich kann Dich jetzt ganz sicher nicht überzeugen - aber halte es einfach mal für möglich.

Und noch eins: Wenn Ihr DAS im Theologiestudium lernt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Hälfte das Studium abbricht - denn da muss man geistig schon ziemlich gefestigt sein, um über solche Zeiterscheinungen hinweg die eigentlichen geistigen Aussagen der Bibel im Auge zu behalten.

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#409 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Fr 9. Jun 2017, 23:02

sven23 hat geschrieben:Nun vergiß mal deinen ewigen Anthropozentrismus. Echten Anthropozentrismus findest du in einer Ideologie, die behauptet, ein Schöpfer habe 100 Milliarden Galaxien geschaffen, um die "Krone der Schöpfung" auf irgendeinem unbedeutenden Fliegenschiss zu platzieren.
Mit dieser irreführenden Ablenkung kannst Du Dir Claquere sichern, aber nicht in der Sache weiterkommen. - Laut Genesis soll der Mensch die Erde untertan machen (nicht Alpha Centauri oder andere Sonnensysteme) - mehr ist da nicht gemeint.

Der echte Anthropozentrismus ist bei einer "Aufklärung" daheim, die das eigene Urteilsvermögen zum Maßstab von Allem macht - und das ist bei unserer materalistischen Aufklärung der Fall.

sven23 hat geschrieben:Seit wann bist du ein Theologe der Großkirchen?
Gar nicht - aber meine Auffassungen sind halt (auch für mich gelegentlich überraschend) oft nicht weit weg von großkirchlichen Auffassungen - und diese greifst Du regelmäßig an. - Wir sind inzwischen soweit, dass kirchliche Theologie ein Institut ist für großangelegte Selbsttäuschung - was insofern angebracht ist, dass sie materialistischen Deutungen widerspricht. :lol:

sven23 hat geschrieben:Richtig, er hat in jüdischen Kategorien gedacht, nicht in christlich-paulinischen.
Er hat in SEINEN Kategorien gedacht, die aus dem Jüdischen ("die Pharisäer und Schriftgelehrten") herauswachsen und von Paulus auf seine Weise interpretiert werden.

sven23 hat geschrieben: Die Naherwartung ist nicht zu leugnen.
Du wirst das noch behaupten, wenn alle Theologen aus Wittenberg und Rom zu Dir kommen und das Gegenteil sagen.

sven23 hat geschrieben:Kein Wunder, wenn sie von der göttlichen Inspiriertheit und damit ihrer Irrtumslogiskeit ausgeht.
NAtürlich ist das was anderes: Aber auf SACHEBENE arbeitet sie wie die HKE.

sven23 hat geschrieben:Wieso innerhalb der HKM???Ich rede von wissenschaftlicher historischer Forschung vs. glaubensdogmatische Abteilung.
Damit lenkst Du (Dich) ab - das eigentliche Problem wäre erst einmal innerhalb der HKM zu lösen. - Wer voraussetzt, dass Bibel-Exegese nur dann redlich ist, wenn man Wirkungszusammenhänge der Geschichte naturalistisch versteht (also Wunder und Auferstehung ausschließt), hat ein knüppeldickes glaubens-dogmatisches Problem innerhalb der HKM.

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#410 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von Thaddäus » Fr 9. Jun 2017, 23:22

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Hallo?!! Bist du noch ganz dicht ... mit Verlaub?
Ohne das "mit Verlaub" hat mich das meine Tochter auch schon gefragt. :lol:
Dann höre auf deine Tochter. Sie scheint intelligent zu sein ... ;)

closs hat geschrieben: Davon abgesehen: Aus Deiner Reaktion leite ich Deine Überraschung ab, wie man Hiob so ganz anders als Du interpretieren kann. - Deshalb die wichtigste Frage zuerst: Warum, glaubst Du, wurde "Hiob" im Kanon aufgenommen, wenn man dieses Buch theologischer-seits nicht ganz anders interpretieren würde?
Weil es sich die christliche Tradition zurecht- und uminterpretiert hat, so dass es am Ende in die eigenen Vorstellungen passte.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:JHWH quält und piesackt Hiob, weil, er - als Gott! - eine blödsinnige Wette mit dem Teufel eingeht!
Nein - der kausale Zusammenhang ist falsch. - Die Wette ist eine Chiffre für die Frage, ob der Mensch letztlich gerettet ist.
Willst du damit leugnen, dass JHWH Hiob quält und ungerecht behandelt, obwohl er sich nichts hat zu Schulden kommen lassen?

closs hat geschrieben: Gott sagt zum Satan:
1,12 Gut, all sein Besitz ist in Deiner Hand, nur gegen ihn selbst streck Deine Hand nicht aus" (vgl. auch 2,6)
Willst du damit leugnen oder relativieren, dass JHWH Hiob quält und ungerecht behandelt, obwohl er sich nichts hat zu Schulden kommen lassen?

closs hat geschrieben: Die Selbstverständlichkeit, mit der Satan diese Anweisung Gottes annimmt, weist darauf hin, dass es keinen Kompetenz-Streit zwischen Gott und Satan gibt: Gott erscheint als Auftraggeber, Satan als Auftragnehmer.
Umso schlimmer für JHWH, der auch noch der Auftraggeber der ungerechten Schikanierung Hiobs ist und das ganze Kasperletheater erst initiiert!

closs hat geschrieben: Hiob reagiert mit:
1,21 Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.
Ja, denn er soll ja der Tradition gemäß am Ende der devot-unterwürfige Gläubige sein, - der er aber nicht ist ... wie seine moralisch völlig richtige Anklage gegen Gott beweist.

closs hat geschrieben: Hiob zeigt sich hier uneingeschränkt un-anthropozentrisch, indem er das göttliche Sein als uneingeschränkten Maßstab für das menschliche Dasein versteht (vgl. Gen. 4,5, Gen. 11,4, Gen. 18,1ff, Deut.9,5, Deut. 28,13, 2Sam. 7,13, und 1Mak. 3,18).
Die Redakteure des Hiob-Buches können mit dem aufmüpfigen Hiob nichts anfangen, denn er lehnt sich gegen Gott selbst auf. Das darf natürlich nicht sein. Deshalb machen sie aus ihm am Ende einen Kadaver-Gehorsamen. Die Menschen aber, die diese Geschichte hören, verstehen sehr wohl, dass JHWH Hiob einfach nur aus willkürlichem Spiel ungerecht behandelt!

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Was ist von einem Got zu halten, der seinen treuesten Gläubigen so ungerecht behandelt und in umfangreiche existenzielle Verzweiflung stürzt, nur allein deshalb, weil er ein Spielchen mit ihm treiben möchte.
Wieder kausal falsch: Das "Spielchen" ist Chiffre für die eigentliche Aussage, dass Gott und nicht der Mensch Maßstab ist. - Dein Wort "ungerecht" ist natürlich nach unserem Alltags-Maßstab richtig - aber das ist halt nicht der Maßstab Gottes.
Das Spielchen JHWH'S ist genau das, was es ist: ein Spielchen auf Kosten des armen Hiob. Aber Hiob erweist sich nicht als Kadavergehorsamer, denn er klagt seinen Gott explizit und unmissverständlich an. Der Maßstab im Buch Hiob ist das Gerechtigkeitsempfinden aller Menschen, für die Hiob exemplarisch steht. Deine Umdeutung ist lediglich dogmatischer Kadavergehorsam, der Hiob beugen soll unter die Knute eines Gottes, der Schlechtes tut, was aber als Gutes verstanden werden soll, weil es ja der Gott selbst fordert.
Das ist das Schlechteste an der Religion überhaupt: wenn sie die Menschen zwingen will, das Gute und Gerechte nicht um seiner selbst willen anzuerkennen, sondern stattdessen im Kadavergehorsam gut und böse umdeutend anerkennen zu sollen, dass es auch gut sein soll, wenn Gott Ungerechtigkeit und Böses will, - weil Gott es eben will. Furchtbar! Das ist das Gleiche, wie wenn auf den Kopplen der Soldaten im 1. Weltkrieg steht: "Gott mit dir!"

closs hat geschrieben: Zusammenfassend beinhaltet die erste Rede Hiobs (vgl. 3,1-26), dass Hiob nicht von Gott verflucht wird, sondern sich leidend selbst verflucht (3,1).
Genau. Und wie furchtbar und erniedrigend ist das?!
Hiob hat sich nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen, verflucht sich in nachträglich zurechtgeschriebener Unterwürfigkeit aber selbst (in der Darstellung der AT-Redakteure). Die jüdischen Redakteure des Buches haben so aus einem aufrechten Mann eine Karikatur seiner selbst gemacht. Hiob hat recht, Gott erweist sich als genius malignus, als herrschsüchtiger, spielchentreibender Popanz.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Diese Spielchen IST die moralische Anklage gegen JHWH!, die im Buch Hiob zum Ausdruck gebracht wird. Nur darum ist es als Weltliteratur einzuschätzen.
Komplettes Missverständnis und komplette Umdeutung. - Aber aufgrund Deines selbstbewussten Auftretens muss ich annehmen, dass dies eine zeitgenössisch gängige Interpretation ist - Umwertung von Werten.
Wenn du kannst, dann versuche mal eine andere Interpretation als plausibel erscheinen zu lassen. Falls du eine anführst, kann die nur moralisch pervertiert sein ...

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