Münek hat geschrieben:Das wird sie ja nicht. Der HKM als wissenschaftliche Diziplin geht es immer um Historie (= tatsächliches Geschehen)
Das meint sie vielleicht, aber es stimmt de facto nicht.
Recht hast Du, wenn es um das Beobachten und Beschreiben historischer Fakten geht ("Es gab keine drei Könige aus dem Morgenland"/"Zur Zeit der römischen Besatzung war folgendes ..." - etc. - Aber dabei belässt es doch die HKM nicht - sie interpretiert auch. - Und spätestens dann hat sie einen hermeneutischen Ansatz.
Denn dann untersucht die HKM das NT unter der Prämisse "Wie wäre Jesus zu verstehen, wenn er nichts als ein Wanderprediger wäre" - einfach deshalb, weil sie methodisch nicht untersuchen kann, was wäre, wenn Jesus göttlich wäre - selbst wenn es die historische Wahrheit wäre. - Die HKM ist also ergebnisoffen INNERHALB ihres hermeneutischen Entwurfs - genau das ist aber die kanonische Exegese auch.
Nun können BEIDE historisch recht haben - denn niemand, auch nicht die Theologie, kann nachweisen, dass Jesus göttlich war. - Und die HKM kann nicht nachweisen, dass Jesus nur Mensch war. - Und so betreiben beide ihre Wissenschaft unter den Bedingungen ihrer hermeneutischen Prämissen. - Das ist normal.
Münek hat geschrieben:Natürlich sieht der Betrachter die Texte unterschiedlich, je nach dem, welche farbige Brille er aufsetzt.
So ist es.
Münek hat geschrieben:Wie wäre es denn, auf das Aufsetzen der rosa Glaubensbrille einfach mal zu verzichten? Wärst Du dazu bereit? Ich denke nicht.
Doch - ich habe keinerlei Probleme, die Glaubensbrille aus kritisch-rationaler Sicht aufzusetzen - und komme dann weitgehend zu Ergebnissen der HKM. - Es sollte übrigens kein Problem für einen wirklich aufgeklärten Wissenschaftler sein, dasselbe Sujet unter unterschiedlichen hermeneutischen Ansätzen zu untersuchen.
Münek hat geschrieben:Die ausgefeilteste Hermeneutik taugt nichts, wenn die Setzung nicht stimmt.
Stimmt - nur: Wie willst Du herausfinden, ob die historisch-kritische oder die kanonische Hermeneutik die stimmige Setzung ist? - Aus den Texten findest Du es nicht heraus, denn diese sind in beiden Fällen die selben.
Münek hat geschrieben:Nur - was sollte eine solche Vorstellung bringen, wenn der historische Jesus sich nach den synoptischen Evangelien und den fachkundigen Interpretationen der Exegeten NIE als göttliches Wesen begriffen hat?
Das ist doch bereits Interpretation. - Es ist übrigens auch Interpretation, dass sich Jesus nur für Juden zuständig gefühlt hat (wie hier öfter kolportiert wird) - Stichwort: "römischer Hauptmann" und "Frau aus Kanaa" (das soll jetzt kein Thema sein).
Die "fachkundigen Exegeten" müssten nur das Motiv heilsgeschichtlicher Prozesse miteinbeziehen und schon würden ihre Interpretationen wackeln. -Trotzdem: Diese Interpretationen sind nichtsdestoweniger fachkundig, weil sie auf auf akribische Weise entstandene Argumente für eine bestimmte hermeneutische Ausrichtung beruhen.
Münek hat geschrieben:Tja - warum siehst Du es dann nicht entspannt?
Ich sehe nicht entspannt, wenn Vertreter der HKM in Unkenntnis oder Ignorierung hermeneutischer und damit erkenntnis-theoretische Grundlagen meinen, sie seien die einzigen, die die Bibel wissenschaftlich und fakten-orientiert auslegen könnten. - Wenn man sich also weltanschaulich so weit reduziert, dass man anderen und sich einreden kann, man sei die Spitze der Bibelauslegung.
Münek hat geschrieben:Weder der methodologische Naturalismus noch die HKM schließen die Existenz transzendenter Welten und Wesenheiten aus.
Doch - sie tun es bereits methodisch. - Dass man danach, wenn die Sache per Methodik entschieden ist, großzügig oder scheinheilig betonen kann, man täte es NICHT, ist entweder unbewusst beschränkt oder bewusst raffiniert. - Such's Dir aus.
Und immer wieder: Ich möchte einfach nicht glauben, dass sich die heutige HKM nicht ihrer Grenzen bewusst ist - und sich deshalb nicht in substantielle Auslegungs-Fragen einmischt. - Insofern interpretiere ich Theißen inzwischen berühmten Satz als:
"Bei der Hermeneutik der HKM hat Jesus eine Naherwartung" - mit der gedachten Ergänzug (vielleicht sagt er es ja auch irgendwo) - "Würde mich jemand bitten, die Bibel kanonisch auszulegen, hätte ich als Wissenschaftler keinerlei Probleme damit und würde vermutlich zu Ergebnissen wie Ratzinger gelangen. - Aber meine Professur lautet auf 'historisch-kritische Exegese" und deshalb beschränke ich mich darauf. - Historisch richtig kann beides sein".
Falls Theißen dieser Ergänzung NICHT zustimmen würde, hätte er nicht über die Grenzen seiner Disziplin nachgedacht - wäre also kein Erkenntnis-Theoretiker oder Philosoph. - Wie auch immer: Auch dann kann man ein hervorragender Wissenschaftler sein - aber halt nicht mehr.