Alles Teufelszeug? V

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sven23
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#1391 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 21:37

Halman hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Aus meiner Sicht liegen bei solchen Beweisen die Schwachstellen schon ganz am Anfang bei der Definion der Begrifflichkeiten.
Welche Eigenschaften bewertet man als positiv? Ist die Farbe Blau positiv, ...

Und genau da liegt der Hund begraben. Oder meint etwa jemand ernsthaft, Goedel habe damit die Existenz Gottes bewiesen, wenn ja, welchen Gottes unter den Tausenden?
Keinen von den Tausenden, sondern lediglich den abstrakten Gott (G), welche alle positiven Eigenschaften repräsentiert. Dieser lässt sich ontologisch herleiten, nicht das SM und auch nicht PM.

Eben, dieser abstrakte Gott ist ebenso abstrakt wie andere Götter oder das SM.
Der Schwachpunkt bei Goedel liegt in den Prämissen. Wetten, dass wir selbst hier in dem kleinen Forum keinen Konsens darüber erzielen können, welche Eigenschaften als positiv zu bewerten sind?
Ist z. B. die Allmacht Gottes positiv? Moderne Gesellschaften präferieren das Modell der Gewaltenteilung. Machtkonzentration in einer Hand wird als gefährlich und negativ empfunden. Allmacht birgt immer die Gefahr des Machtmißbrauchs. So könnte man das mit vielen Eigenschaften durchexerzieren.
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closs
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#1392 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » Sa 8. Apr 2017, 21:48

sven23 hat geschrieben:Die bedarf es für die Naherwartung auch nicht. Der galiläische Wanderprediger hatte eine Naherwartung. Eine sachliche Feststellung, die sich auf Grund der Texte ergibt.
Es ist eine Interpretation, die im Gesamtkontext und bei anderen hermeneutischen Grundlagen ganz anders aussehen kann. - So wie man im materialistischen Lager gerne Wissenschaft und Weltanschauung verwechselt, vermischt man hier gerne Interpretation und Sachaussage.

sven23 hat geschrieben: eigentlich schon, denn die ET benötigt keinen Schöpfergott.
Den DARF sie gar nicht benötigen, weil sie dann keine Naturwissenschaft mehr wäre.

sven23 hat geschrieben:Du selbst rechtfertigst das Leid doch mit der angeblichen heilsgeschichtlichen Notwendigkeit. Bei Paulus "seufzt die Schöpfung". Sie hat aber schon lange geseufzt, bevor der Mensch auf der Bildfläche erschien. Die theologische Erklärung für das Leid greift ins Leere.
Die theologische Erklärung gilt doch nicht erst seit dem Zeitpunkt, an dem theologisch reflektiert wird.

Im Grunde sagst Du: "Röntgenstrahlen gibt es erst seit deren Entdeckung". - Da wirst Du zu Recht protestieren - warum nicht dort?

sven23 hat geschrieben:Vor allem gibt es keine Monopol für religiöse Texte. Sie müssen genauso behandelt werden wie andere Texte auch.
Das ist eine zweischneidige Aussage. - Wenn man sie rein historisch-kritisch ohne Bezug auf innere Interpretation untersucht, stimmt das (Ob eine Bibel-Quelle im Jahr 80 oder ein Otto-Katalog im Jahr 2001 verfasst wurde, ist prinzipiell dieselbe Frage). - Wenn man es interpretatorisch versteht, gibt es dieses Monopol. - Denn:

Es gäbe dieses Monopol nur dann nicht, wenn die HKM Dinge wie "Heilsgeschichtliche Prozesse", "Göttlichkeit", etc. berücksichtigen würde - aber das KANN sie methodisch nicht - also hat hier die Bibel eine besondere Stellung in Bezug auf die Wirklichkeit Jesu. - Klassische methodische Mechanismen wie "ältestes Quelle = am authentischsten zu dem, über den geschrieben wird" funktionieren da nicht.

Ganz nebenbei: Das gilt für "De Bello Gallico" auch nicht. - Da ist die älteste Quelle der Caesars Text, der sebstverständlich geschönt ist - da gibt es sicherlich jüngere Quellen, die dies authentischer beurteilen als ältere Quellen.

sven23 hat geschrieben: innerhalb der religiösen Texte gibt es kein Recht auf Sonderbehandlung für die christliche Mythologie. Die Zeiten sind längst vorbei.
Für wen?

Und was wäre, wenn Jesus tatsächlich göttlich wäre und Mythologie in ihm in Realität eingelöst werden würde? - Dann auch keine "Sonderbehandlung"?

sven23 hat geschrieben:Wenn er es bei seinem Glaubensentscheid belassen und die HKM nicht diskreditiert hätte, wäre er vermutlich nicht derartig abgewatscht worden.
Er wurde nicht "abgewatscht", sondern ist gescheitert, etwas an sich Sinnvolles zu probieren: Die Einbindung der HKM in substantielle Interpretation der Bibel. - DASS er gescheitert ist, hat einerseits mit weltanschaulichen Gründen zu tun ("Wir wollen die Bibel säkular interpretieren"), andererseits mit ernstzunehmenden methodischen Gründen (Der kritische Rationalismus wäre aucgeweicht worden).

Dieses Scheitern hat der Theologie nicht geschadet, sondern auf ganz anderen Ebenen Folgen gezeigt: Die HKM wird zunehmend als Sach-Informations-Lieferant gesehen und nicht mehr als inner-theologische Instanz.

sven23 hat geschrieben:Sie sind eben nicht objektiv und deshalb in der historischen Forschung nur für den Papierkorb geeignet.
Sie sind - genauso wie bei der HKM - innerhalb ihre jeweiligen hermeneutischen Grundlage intersubjektiv nachvollziehbar - das habe ich damit gemeint.

Eine Objektivität im Sinne der Naturwissenschaft gibt es in den Geisteswissenschaften eh nur peripher - halt die reinen Sachinformationen, die man sich um die Hauptsache rum einsammelt, weil es bei der eigentlichen Auslegung hilfreich sein kann. - Das ist bei der HKM nicht anders - der Satz "Jesus hatte eine Naherwartung" ist kein objektives Ergebnis. - Würdest Du es anders sehen, sollten wir das Wort "objektiv" ersatzlos streichen, weil es dann nichts mehr wert ist.

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sven23
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#1393 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 22:27

Halman hat geschrieben: In Nazareth las er aus der Jesaja-Rolle vor. Das Dorf war fünf Kilometer von der Metropole Sepphoris entfernt. Da Nazareth mit knapp 400 eher armen Einwohnern vermutlich zu wenig Kunden für den Tektōn Joseph von Galiläa bot, ist es wahrscheinlich, dass Jospeh und später Jesus häufig in Sepphoris Kunden bedienten. In dieser Metropole wurde auch Koiné (Altgriechisch) gesprochen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass Joseph und Jesus als Selbstständige im Mittelstand sowohl Galiläisch (vermutlich ein hebräisch-aramäischer Dialek) und Koiné sprachen. Mit etwa dreißig Jahren trat Jesus von Nazareth als Rabbi auf und jüdische Rabbis waren auch damals alphabetisiert.
Dann müßte man erkären, warum er kein einziges Wort aufgeschrieben hat. Hielt er es auf Grund der kurzen Zeitspanne bis zur Gottesherrschaft für unnötig? Zudem ist nach Meinung jüdischer Rabbies ein unverheirateter Rabbi eine absolute Undenkbarkeit, heute genauso wie damals. Ungereimtheiten, die nach Meinung der Radikalkritik dafür sprechen, dass auch Jesus rein literarische Fiktion ist. Es ist aber wohlgemerkt nicht die Meinung der historischen Jesusforschung.

Halman hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da ist dann die Frage, ob die Adressaten das verstanden haben.
Warum sollten sie ihn nicht verstanden haben? Paulus schrieb als antiker Rabbi antike Rezipienten an, die er aufgrund der kulturellen Nähe sicher besser einschätzen konnte als wir. Zumal seine Kritiker offenbar theologische Überlegungen anstellten, also keinen Deppen waren. Wir reden von der Hauptstadt Rom.
Und gerade in Rom herrschte Kopfschütteln ob der jüdischen Wundergläubigkeit, der Vielzahl an Endzeitpropheten und religiösen "Wirrköpfe".


Halman hat geschrieben: In dem Buch Perspektiven auf Römer 7 wird erklärt:
Andere Texte, die Theißen als fiktiv bezeichnet, kommen ohne rhetorische Markierung aus, so z.B. Röm 3,7 und auch 1Kor 10,29bf. In beiden Texten werden in der ersten Person singular Propositionen zitiert, die in der Auslegung Theißens von Paulus selbst abgeleht würden: in 1Kor 10,29bf das, was der Starke in der korinthischen Gemeinde als Frage denken konnte, in Röm 3,7 die fiktiven Fragen derer, die Paulus missverstehen wollen. ...
[.,..]
Es lohnt sich aber ein Blick auf die rhetorische Reflektion in der Antike. Die „übertragene“ Rede in der ersten Person Singular ist dort ein gängiges rethorisches Stilmittel, das als Prosopopoiia bezeichnet wird. Bei der Prosopopoiia bezeichnet das „Ich“ nicht den Schreiber oder Redner, sondern eine andere Person oder Sache.
Von diesem in der Antike üblichen rethorisches Stilmittel, der Prosopopoiia, machte Paulus offenbar sowohl im 1. Korintherbrief, wie auch im Römerbrief, gebraucht. Ich kann mich auf G. Theißen berufen, Du eben auf Kubitza.
Auch Kubitza beruft sich auf Theißen und hat ihn mir wärmstens empfohlen. Allerdings überzeugt hat mich seine Interpretation nicht. Auch der Autor betont ja immer wieder, dass dies "in der Auslegung Theißens" so sei. Ganz eindeutig scheint es also nicht zu sein.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1394 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Halman » Sa 8. Apr 2017, 22:29

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Aus meiner Sicht liegen bei solchen Beweisen die Schwachstellen schon ganz am Anfang bei der Definion der Begrifflichkeiten.
Welche Eigenschaften bewertet man als positiv? Ist die Farbe Blau positiv, ...

Und genau da liegt der Hund begraben. Oder meint etwa jemand ernsthaft, Goedel habe damit die Existenz Gottes bewiesen, wenn ja, welchen Gottes unter den Tausenden?
Keinen von den Tausenden, sondern lediglich den abstrakten Gott (G), welche alle positiven Eigenschaften repräsentiert. Dieser lässt sich ontologisch herleiten, nicht das SM und auch nicht PM.

Eben, dieser abstrakte Gott ist ebenso abstrakt wie andere Götter oder das SM.
Der Schwachpunkt bei Goedel liegt in den Prämissen. Wetten, dass wir selbst hier in dem kleinen Forum keinen Konsens darüber erzielen können, welche Eigenschaften als positiv zu bewerten sind?
Ist z. B. die Allmacht Gottes positiv? Moderne Gesellschaften präferieren das Modell der Gewaltenteilung. Machtkonzentration in einer Hand wird als gefährlich und negativ empfunden. Allmacht birgt immer die Gefahr des Machtmißbrauchs. So könnte man das mit vielen Eigenschaften durchexerzieren.
Das Problem sind nicht die positiven Eigenschaften, weil diese von Gödel gar nicht spezifiziert wurden, abgesehen davon, dass zu existieren positiv ist gegenüber der Nichtexistenz. Das Problem ist das voraussetzungsstarke Becker-Axiom ◇口A → 口A.
Diesbezüglich verweise ich auf die Beitrage von unserer Philosophin vom Mi 30. Dez 2015, 19:49 und Fr 8. Apr 2016, 15:29.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#1395 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » Sa 8. Apr 2017, 22:40

Halman hat geschrieben: Das Problem sind nicht die positiven Eigenschaften, weil diese von Gödel gar nicht spezifiziert wurden, abgesehen davon, dass zu existieren positiv ist gegenüber der Nichtexistenz. Das Problem ist das voraussetzungsstarke Becker-Axiom ◇口A → 口A.
Diesbezüglich verweise ich auf die Beitrage von unserer Philosophin vom Mi 30. Dez 2015, 19:49 und Fr 8. Apr 2016, 15:29.

Es nützt ja nichts, denn gerade weil Goedel die positiven Eigenschaften nicht definiert, kann er seinen Beweis formal durchziehen.

Definition 1:
Ein Individuum ist göttlich (G), wenn es alle positiven Eigenschaften besitzt.
Gx ⇔ ∀X(PX → Xx)

Könnte man auch umformen:
Definition 2:
Ein Individuum ist teuflich (T), wenn es alle negativen Eigenschaften besitzt.
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#1396 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Halman » Sa 8. Apr 2017, 22:58

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:In Nazareth las er aus der Jesaja-Rolle vor. Das Dorf war fünf Kilometer von der Metropole Sepphoris entfernt. Da Nazareth mit knapp 400 eher armen Einwohnern vermutlich zu wenig Kunden für den Tektōn Joseph von Galiläa bot, ist es wahrscheinlich, dass Jospeh und später Jesus häufig in Sepphoris Kunden bedienten. In dieser Metropole wurde auch Koiné (Altgriechisch) gesprochen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass Joseph und Jesus als Selbstständige im Mittelstand sowohl Galiläisch (vermutlich ein hebräisch-aramäischer Dialek) und Koiné sprachen. Mit etwa dreißig Jahren trat Jesus von Nazareth als Rabbi auf und jüdische Rabbis waren auch damals alphabetisiert.
Dann müßte man erkären, warum er kein einziges Wort aufgeschrieben hat. Hielt er es auf Grund der kurzen Zeitspanne bis zur Gottesherrschaft für unnötig? Zudem ist nach Meinung jüdischer Rabbies ein unverheirateter Rabbi eine absolute Undenkbarkeit, heute genauso wie damals. Ungereimtheiten, die nach Meinung der Radikalkritik dafür sprechen, dass auch Jesus rein literarische Fiktion ist. Es ist aber wohlgemerkt nicht die Meinung der historischen Jesusforschung.
Sed contra, es gab durchaus auch andere jüdische Propheten, welche nicht verheiratet waren, wie Johannes der Täufer. Jesus entsprach ja auch nicht dem Mainstream der Rabbinen.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da ist dann die Frage, ob die Adressaten das verstanden haben.
Warum sollten sie ihn nicht verstanden haben? Paulus schrieb als antiker Rabbi antike Rezipienten an, die er aufgrund der kulturellen Nähe sicher besser einschätzen konnte als wir. Zumal seine Kritiker offenbar theologische Überlegungen anstellten, also keinen Deppen waren. Wir reden von der Hauptstadt Rom.
Und gerade in Rom herrschte Kopfschütteln ob der jüdischen Wundergläubigkeit, der Vielzahl an Endzeitpropheten und religiösen "Wirrköpfe".
Die Römer waren sehr abergläubisch.

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: In dem Buch Perspektiven auf Römer 7 wird erklärt:
Andere Texte, die Theißen als fiktiv bezeichnet, kommen ohne rhetorische Markierung aus, so z.B. Röm 3,7 und auch 1Kor 10,29bf. In beiden Texten werden in der ersten Person singular Propositionen zitiert, die in der Auslegung Theißens von Paulus selbst abgeleht würden: in 1Kor 10,29bf das, was der Starke in der korinthischen Gemeinde als Frage denken konnte, in Röm 3,7 die fiktiven Fragen derer, die Paulus missverstehen wollen. ...
[.,..]
Es lohnt sich aber ein Blick auf die rhetorische Reflektion in der Antike. Die „übertragene“ Rede in der ersten Person Singular ist dort ein gängiges rethorisches Stilmittel, das als Prosopopoiia bezeichnet wird. Bei der Prosopopoiia bezeichnet das „Ich“ nicht den Schreiber oder Redner, sondern eine andere Person oder Sache.
Von diesem in der Antike üblichen rethorisches Stilmittel, der Prosopopoiia, machte Paulus offenbar sowohl im 1. Korintherbrief, wie auch im Römerbrief, gebraucht. Ich kann mich auf G. Theißen berufen, Du eben auf Kubitza.
Auch Kubitza beruft sich auf Theißen und hat ihn mir wärmstens empfohlen. Allerdings überzeugt hat mich seine Interpretation nicht. Auch der Autor betont ja immer wieder, dass dies "in der Auslegung Theißens" so sei. Ganz eindeutig scheint es also nicht zu sein.
Dies ist bei Auslegungen immer so, ob sie Ratzinger, Theißen, Berger oder Kubitza betreffen. Wir sprechen hier überwiegend über Interpretationen im exegetischen und somit literaturwissenschaftlichen Bereich und nicht über eindeutige Fakten.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Münek
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#1397 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Münek » So 9. Apr 2017, 00:19

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Grundlage ist die historisch-kritische Methode, wie Halman schon richtig sagte. Die Interpretation von Quellen ist eben nicht beliebig, das ist doch gerade die Stärke einer wissenschaftlichen Methode.
Du machst da einen grundsätzlichen Fehler:
Wenn Wissenschaft unter verschiedenen hermeneutischen Ansätzen eingesetzt wird
Das wird sie ja nicht. Der HKM als wissenschaftliche Diziplin geht es immer um Historie (= tatsächliches Geschehen) , nicht um subjektive Glaubenszeugnisse der neutestamentlichen Autoren, die sie zwar zur Kenntnis nimmt, aber zu recht als unbeachtlich ansieht, soweit es
um Wunderberichte geht...


closs hat geschrieben:die dieselben Texte unterschiedlich interpretieren lassen, ist das nicht "beliebig".
Natürlich sieht der Betrachter die Texte unterschiedlich, je nach dem, welche farbige Brille er aufsetzt. Wie wäre es denn, auf das Aufsetzen der rosa Glaubensbrille einfach mal zu verzichten? Wärst Du dazu bereit? Ich denke nicht.

closs hat geschrieben:Im Grunde steckt in dem Wort "Hermeneutik" das, was ich an anderer Stelle als "Setzung" bezeichnet habe.
Die ausgefeilteste Hermeneutik taugt nichts, wenn die Setzung nicht stimmt. Man kann einer toten Setzung mit hermeneutischen Bemühungen kein Leben einhauchen.

Das solltest Du Dir langsam mal hinter die Ohren schreiben... ;)

closs hat geschrieben:Ein anderer könnte fragen: "Wie kann man sich Jesus historisch vorstellen, wenn man ihn nicht nur als Menschen, sondern auch als göttlichen Menschen versteht?"
Man kann sich alles Mögliche fragen und vorstellen. Nur - was sollte eine solche Vorstellung bringen, wenn der historische Jesus sich nach den synoptischen Evangelien und den fachkundigen Interpretationen der Exegeten NIE als göttliches Wesen begriffen hat?

closs hat geschrieben:Auch legitim (bei Sven würde man nicht auf diese Positionierung kommen, aber bei Jesus schon, weil es das NT nur deshalb gibt, weil er für göttlich gehalten wird) - und auch hier eine hermeneutische Prädisposition. - Im Grunde kann man das alles also eigentlich sehr entspannt sehen, wäre da nicht der Anspruch einer sich dogmatisch darstellenden Seite, wonach es wissenschaftlich nur SO und nicht anders gewesen sein könne.
Tja - warum siehst Du es dann nicht entspannt?

Weder der methodologische Naturalismus noch die HKM schließen die Existenz transzendenter Welten und Wesenheiten aus. Natürlich könnte es das unsichtbare rosarote Einhorn ... oder die Heinzelmännchen ...oder Elfen oder Dämonen, Geister und Schutzengel, Himmel und Hölle geben oder eines sich sühne-mäßig blutig opfernden Gottessohnes ...

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#1398 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Münek » So 9. Apr 2017, 01:11

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dein grundsätzlicher Fehler besteht darin, dass du in die historische Forschung ständig hermeneutische Setzungen, Glaubensdogmatik, Kanonik usw.einschleusen willst
Nur DANN, wenn die historisch-kritische Forschung darauf besteht, zu interpretieren. - Wenn es um reine Sachaussagen geht ("diese Quelle ist aus dem Jahr 80 - 120"/"der Briefe an die Korinther ist vor folgenden .... politischen Hintergründen zu verstehen"), bedarf es keiner hermeneutischen Setzungen.
Die bedarf es für die Naherwartung auch nicht. Der galiläische Wanderprediger hatte eine Naherwartung. Eine sachliche Feststellung, die sich auf Grund der Texte ergibt.
Dies zu akzeptieren, würde seinen Glauben ins Wanken bringen.

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#1399 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » So 9. Apr 2017, 01:18

Münek hat geschrieben:Das wird sie ja nicht. Der HKM als wissenschaftliche Diziplin geht es immer um Historie (= tatsächliches Geschehen)
Das meint sie vielleicht, aber es stimmt de facto nicht.

Recht hast Du, wenn es um das Beobachten und Beschreiben historischer Fakten geht ("Es gab keine drei Könige aus dem Morgenland"/"Zur Zeit der römischen Besatzung war folgendes ..." - etc. - Aber dabei belässt es doch die HKM nicht - sie interpretiert auch. - Und spätestens dann hat sie einen hermeneutischen Ansatz.

Denn dann untersucht die HKM das NT unter der Prämisse "Wie wäre Jesus zu verstehen, wenn er nichts als ein Wanderprediger wäre" - einfach deshalb, weil sie methodisch nicht untersuchen kann, was wäre, wenn Jesus göttlich wäre - selbst wenn es die historische Wahrheit wäre. - Die HKM ist also ergebnisoffen INNERHALB ihres hermeneutischen Entwurfs - genau das ist aber die kanonische Exegese auch.

Nun können BEIDE historisch recht haben - denn niemand, auch nicht die Theologie, kann nachweisen, dass Jesus göttlich war. - Und die HKM kann nicht nachweisen, dass Jesus nur Mensch war. - Und so betreiben beide ihre Wissenschaft unter den Bedingungen ihrer hermeneutischen Prämissen. - Das ist normal.

Münek hat geschrieben:Natürlich sieht der Betrachter die Texte unterschiedlich, je nach dem, welche farbige Brille er aufsetzt.
So ist es.

Münek hat geschrieben:Wie wäre es denn, auf das Aufsetzen der rosa Glaubensbrille einfach mal zu verzichten? Wärst Du dazu bereit? Ich denke nicht.
Doch - ich habe keinerlei Probleme, die Glaubensbrille aus kritisch-rationaler Sicht aufzusetzen - und komme dann weitgehend zu Ergebnissen der HKM. - Es sollte übrigens kein Problem für einen wirklich aufgeklärten Wissenschaftler sein, dasselbe Sujet unter unterschiedlichen hermeneutischen Ansätzen zu untersuchen.

Münek hat geschrieben:Die ausgefeilteste Hermeneutik taugt nichts, wenn die Setzung nicht stimmt.
Stimmt - nur: Wie willst Du herausfinden, ob die historisch-kritische oder die kanonische Hermeneutik die stimmige Setzung ist? - Aus den Texten findest Du es nicht heraus, denn diese sind in beiden Fällen die selben.

Münek hat geschrieben:Nur - was sollte eine solche Vorstellung bringen, wenn der historische Jesus sich nach den synoptischen Evangelien und den fachkundigen Interpretationen der Exegeten NIE als göttliches Wesen begriffen hat?
Das ist doch bereits Interpretation. - Es ist übrigens auch Interpretation, dass sich Jesus nur für Juden zuständig gefühlt hat (wie hier öfter kolportiert wird) - Stichwort: "römischer Hauptmann" und "Frau aus Kanaa" (das soll jetzt kein Thema sein).

Die "fachkundigen Exegeten" müssten nur das Motiv heilsgeschichtlicher Prozesse miteinbeziehen und schon würden ihre Interpretationen wackeln. -Trotzdem: Diese Interpretationen sind nichtsdestoweniger fachkundig, weil sie auf auf akribische Weise entstandene Argumente für eine bestimmte hermeneutische Ausrichtung beruhen.

Münek hat geschrieben:Tja - warum siehst Du es dann nicht entspannt?
Ich sehe nicht entspannt, wenn Vertreter der HKM in Unkenntnis oder Ignorierung hermeneutischer und damit erkenntnis-theoretische Grundlagen meinen, sie seien die einzigen, die die Bibel wissenschaftlich und fakten-orientiert auslegen könnten. - Wenn man sich also weltanschaulich so weit reduziert, dass man anderen und sich einreden kann, man sei die Spitze der Bibelauslegung.

Münek hat geschrieben:Weder der methodologische Naturalismus noch die HKM schließen die Existenz transzendenter Welten und Wesenheiten aus.
Doch - sie tun es bereits methodisch. - Dass man danach, wenn die Sache per Methodik entschieden ist, großzügig oder scheinheilig betonen kann, man täte es NICHT, ist entweder unbewusst beschränkt oder bewusst raffiniert. - Such's Dir aus. :D

Und immer wieder: Ich möchte einfach nicht glauben, dass sich die heutige HKM nicht ihrer Grenzen bewusst ist - und sich deshalb nicht in substantielle Auslegungs-Fragen einmischt. - Insofern interpretiere ich Theißen inzwischen berühmten Satz als:
"Bei der Hermeneutik der HKM hat Jesus eine Naherwartung" - mit der gedachten Ergänzug (vielleicht sagt er es ja auch irgendwo) - "Würde mich jemand bitten, die Bibel kanonisch auszulegen, hätte ich als Wissenschaftler keinerlei Probleme damit und würde vermutlich zu Ergebnissen wie Ratzinger gelangen. - Aber meine Professur lautet auf 'historisch-kritische Exegese" und deshalb beschränke ich mich darauf. - Historisch richtig kann beides sein".

Falls Theißen dieser Ergänzung NICHT zustimmen würde, hätte er nicht über die Grenzen seiner Disziplin nachgedacht - wäre also kein Erkenntnis-Theoretiker oder Philosoph. - Wie auch immer: Auch dann kann man ein hervorragender Wissenschaftler sein - aber halt nicht mehr.

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#1400 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » So 9. Apr 2017, 01:19

Münek hat geschrieben:Dies zu akzeptieren, würde seinen Glauben ins Wanken bringen.
Es würde die Aufklärung ins Wanken bringen - aber wir wissen inzwischen ja, dass man unter "Aufklärung" sehr Unterschiedliches verstehen kann.

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