Alles Teufelszeug? V

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#301 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » So 1. Jan 2017, 09:50

Münek hat geschrieben:Ganz einfach - an der Realität.
Nee - Realität ist keine methoden-abhängige Größe.

Münek hat geschrieben:Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ein allmächtiges personales Geistwesen das unendliche Universum mit seinen Milliarden auseinanderstrebender Galaxien erschaffen hat.
Das ist eine reine Glaubensaussage und hat mit Wissenschaft nichts zu tun - es sei denn, Wissenschaft wäre eine Glaubensdisziplin. - Du hast jetzt die Wahl.

Münek hat geschrieben: Verstehst Du eigentlich selbst, was Du da schreibst?
Oh ja - aber Du offenbar nicht.

Münek hat geschrieben:Auch nicht außer- und übermethodisch.
Für WIssenschaft gibt es kein außer-methodisch - allerdings überschreitet man gerne seine Grenzen der eigenen Methodik.

Münek hat geschrieben:Die Historie ist die Wirklichkeit.
Eben - und deshalb darf man "historisch" und "historisch-kritisch" nicht verwechseln. - "Real" und "methodisch" sind zwei Paar Stiefel.

Münek hat geschrieben:Dass dieser Konsens besteht, besagt eigentlich alles. Ein Konsens innerhalb der exegetischen Zunft ist nämlich alles andere als selbstverständlich.
Die Theologie beruht auf einer anderen Art der Exegese, als Du darstellst.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#302 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Pluto » So 1. Jan 2017, 11:44

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die Historie ist die Wirklichkeit.
Eben - und deshalb darf man "historisch" und "historisch-kritisch" nicht verwechseln. - "Real" und "methodisch" sind zwei Paar Stiefel.
Ich denke, du missverstehst den Begriff der Methodik.
Die Methode ist der Prozess mit der man nicht nur der Wahrheit näher kommt, sondern auch wissen kann, dass man sich der Wahrheit genähert hat.
Alle anderen Methoden, sei es die Hermeneutik, oder was weiß ich was es sonst noch gibt, erinnern mich im Vergleich zur Wissenschaft, ein Bisschen an Robert Lemkes Ratespiel.

closs hat geschrieben:Die Theologie beruht auf einer anderen Art der Exegese, als Du darstellst.
Auf welcher denn konkret?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#303 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » So 1. Jan 2017, 12:08

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nein, höchstwahrscheinlich nicht.
"Wahrscheinlich" gemessen woran?
An dem, wie uns die Welt begegnet. Es gibt kein übernatürlichs Zerreißen historischer Wirkungszusammenhänge, weder heute noch vor 2000 Jahren.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Closs hat herausgefunden, dass die Hitlertagebücher plumpe Fälschungen sind. Nach Feierabend sagt er: ich glaube aber trotzdem, dass alles stimmt, was drin steht.
Das wäre zu plump. - Nein - das Beispiel "Finanzamt" ist aus meiner Sicht näher: System-interne Wahrheit contra anders gelagerte eigene Auffassung.
Es ist aber genau das, was Lindemann sagt: auf der einen Seite gibt es die Forschungsergebnisse, z. B. die Naherwartung, auf der anderen Seite sagt Lindemann, es ist egal, ob Jesus sich geeirrt hat. Ich glaube, was ich will. Es fehlt die Kraft, die Konsquenzen zu ziehen. Natürlich kann man es auch pragmatisch sehen. Die meisten würden gut bezahlte Posten aufgeben. Im richtigen Leben muss man in der Regel für solche Gehälter schon ganz schön Leistung erbringen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Gruppen Therapie ist keine medizinische Klassifikation.
Echt nicht? - Ein Arzt in den USA hat es mal gemacht: Einen multipersonalen Patienten unter "Gruppentherapie" abgerechnet - weil es dafür mehr Geld gab. - Flog aber auf.
Was ich damit sagen wollte: es gibt keine medizinische Klassifikation für "Besessenheit". Die Therapeutin müßte also - gegen ihre Überzeugung- unter einem anderen Schlüssel abrechnen, um an das Geld der Krankenkasse zu kommen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Glaubst du ernsthaft, dass es einen Wissenschafszweig gibt, der auf den Heiligen Geist angewiesen ist?
Methodisch nicht. - Deshalb: Wissenschaftliche Ergebnisse gelten in den selbst-gewählten Grenzen.
Und diese Grenzen liegen weit ausserhalb historischer Forschung. Deshalb ist Kanonik in der historischen Jesusforschung nicht zu gebrauchen.
Die Übergriffigkeit der Kanoniker besteht nun darin, den legendenhaften, mythologisierten Jesus mit dem historischen gleichsetzen zu wollen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Die Ethik Jesu war auf Kurzfristigkeit angelegt.
Das ist eine Behauptung, die unter einem besonderen Blickwinkel begründbar ist. - Unter anderem BLickwinkel ist sie falsch.
Unter dem Blickwinkel des Paulus wurde sie ja auch verändert. Der Glauben allein genügt, Taten sind nicht so wichtig. Im Gegensatz zu Jesus, der sagte: verkaufe deinen Besitz, gebe ihn den Armen und folge mir nach. Ein ganz radikaler Ansatz, der nur zu verstehen ist im Zusammenhang mit dem baldigen Ende der bestehenden Ordnung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wäre es dabei geblieben, wäre das Christentum nie Weltreligion geworden.
Laut AT schon - siehe Gen. 18,18.
Das hat ungefähr die gleiche "Qualität", wenn man die Vorhersagen des Nostradamus für 9/11 oder den Brexit her nehmen will.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Paulus fälschte die Lehre in einem entscheidenen weiteren Punkt. In seiner Theologie reicht der Glaube. Bei Jesus gehörten auch die Werke und Taten dazu.
Kann man das so platt vereinfachen?
Ja, es ist so. Das hat u. a. auch Nietzsche so auf die Palme gebracht.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man sollte sich auch nichts vormachen. Sooo groß waren die Reformationen nun auch nicht.
Vielleicht äußerlich nicht, aber innerlich. - Aber genau da scheint die HKM nicht ran zu kommen.
Wobei "innerlich" hauptsächlich spätere christliche Kontamination ist.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:hier ist Ockham gefragt. Immer zuerst das naheliegendste annehmen.
Je nach weltanschaulicher Position ist Unterschiedliches naheliegend - dem MAterialisten sind andere Dinge näher als dem geistig-spirituell Denkenden - so kommen wir nicht weiter. - Davon abgesehen: "Ockham = platt" ist nicht befriedigend.
Deshalb hatte ich ja auch ein Beispiel angeführt.

" Die Salomelegende, wie sie Markus 6,17–29 überliefert und nach der der Kopf des
Johannes fallen muss, weil des Herodes Tochter Salome ihn als Preis für ihren Tanz
fordert, eignet sich zwar als Opernstoff, bleibt aber eine Legende. Man kann hier
beispielhaft einen weiteren Grundsatz der historisch-kritischen Forschung erläutern: Hat
man wie hier zwei Überlieferungen, so ist in der Regel der unspektakulären Variante der
Vorzug zu geben. Denn leicht lässt sich verstehen, dass sich um den Tod eines berühmten
Menschen Legenden bilden, schwer denkbar wäre es hingegen, dass der Tod, hätte er sich
denn tatsächlich so legendenhaft ereignet, später so nüchtern von Josephus hätte erzählt
werden können. Nicht nur die Geburt, auch den Tod Johannes des Täufers schmücken die
Evangelien also legendenhaft aus."

Kubitza, Der Jesuswahn

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Glauben&Wissen
"Glauben & Wissen" scheint getragen zu sein von einer "Bright-Theologie", die versucht, in spät-aufklärerischen Mustern die Bibel zu verstehen. - Das kann ab und an gewinnen, muss aber nicht maßstäblich sein. - In anderen Worten: Wo steht hier ein überzeugender Hinweis, WARUM Wunder/Auferstehung NICHT historisch sind? - Etwas allein deshalb verwerfen, weil es ins heutige Mainstream-Denken nicht reinpasst, ist zu wenig.
Dann frag Lindemann. Er befindet sich damit im Konsens der Mehrheit. Wunder in der Bibel sind spätere literatische Erfindungen der Schreiber.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es gibt also kein Recht auf Sonderbehandlung von religiösen Schriften, wie manche das immer noch meinen.
Auf reiner Sachebene ist dies auch nicht nötig. - Wohl hat es Ratzinger gewollt, um die HKM interpretations-fähig zu machen, sie also aufzuwerten, aber es ist dann wirklich eine eierlegende Wollmilchsau. - Das muss nicht sein.
Deshalb ist er gescheitert.

closs hat geschrieben: Denn das ist sie DESHALB nicht, weil "Auslegung" nun nicht nur historisch-kritische Auslegung, sondern auch substantielle Auslegung eines geistigen Textes ist. - Und letzteres geht ja nach Definition der säkular-interpretierenden HKM gar nicht. - Also was jetzt?
Immer der gleiche Fehler. Unter substantiell verstehst du goutieren oder dran glauben. Das ist definitiv falsch.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#304 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » So 1. Jan 2017, 12:09

closs hat geschrieben: Geleugnet werden INTERPRETATIONEN daraus "Wir schlussfolgern daraus, dass ...". - Natürlich wird der Satz "Das Reich Gottes ist nahe" nicht leugnen, zumal er auch Grundlage der christlichen Theologie ist. - Aber man wird ihn nicht im Automatismus säkular-denkender HKM-ler interpretieren, sondern heilsgeschichtlich - also ganz anders.
Nur weil sich die Naherwartung als Irrtum erwiesen hat, ist dies noch lange keine säkulare Interpretation. Religiöse Texte aller Religionen sind voll von Irrtümern. Da sind die christlichen keine Ausnahme.

closs hat geschrieben: - Diese Trennung auf Interpretationsebene hat nichts mit Verleugnung wissenschaftlicher SACH-ERgebnisse zu tun.
Äh, eigentlich schon.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Jungfrauengeburt wäre ein übernatürliches Zerreissen geschichtlicher Wirkungszusammenhänge
Ja und? - Kann die Wirklichkeit etwas dafür, dass die HKM nur natürliche Wirkungszusammenhänge untersuchen kann?
Die HKM untersucht Texte. Wenn es heute eine Jungfrauengeburt gäbe, könnte dir ein Mediziner auch darüber berichten. Ich vermute aber, dass du darauf lange warten kannst. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung ist nun mal Konsens in der Forschung
Sie ist (möglicherweise) Konsens in einer HKM, die ihre Sachergebnisse auf gleichem methodischem Strang in die Interpretationsebene fortführt. -
Sie ist breiter Konsens in der neutestamentlichen Forschung. Das Werkzeug ist die historisch-kritische Methode.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Als Apokalyptiker sah er das Gottesreich als unmittelbar bevorstehend an, das war sein Paradigmenwechsel
Ein reiner Glaubenssatz, der gesamt-kanonisch (und übrigens auch beim unmittelbaren geistigen Lesen) nicht nachvollziehbar ist.
Nein, ein breiter Konsens in der Forschung. Dass es gesamtkanonisch schwierig wird, ist logisch. Denn der Kanon enthält ja bereits die späteren Veränderungen und Verfälschung in Richtung unbestimmter Fernerwartung. Wenn man mit Kanonik argumentiert, gerät man unweigerlich in Zirkelschlüsse.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nein, er glaubt an das Gottesreich auf Erden (Königsherrschaft).
Warum sagt er dann: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"? - Schon wieder eine Fälschung?
Hier muss man jetzt aufpassen. Der Satz stammt aus dem Johannesevangelium, das in der Forschung als komplette Eigenkomposition des Schreibers gilt. Bei der Abfassung dieses Evangeliums war auch dem letzten schon klar, dass es mit dem nahen Gottesreich nichts mehr werden würde.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das naheliegendste ist doch: wenn ich merke, dass ich falsch verstanden wurde, kann ich dies korrigieren.
Das ist NICHT naheliegend. - Wenn Du Dreijährigen ein Buch in die Hand gibst, werden sie erst mal drin rum-malen - erst wenn sie lesen können, verstehen sie, was drin steht.
Jesu Gefolgschaft bestand aber nicht aus 3-jährigen. Sie waren zwar alle vermutlich Analphabeten, wie Jesus auch, aber sicher nicht so unterbelichtet, dass sie bei entsprechender Anweisung nun gar nichts verstanden hätten. Dann hätte ihr Meister eine schlechte Auswahl getroffen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb fragt er ja: warum bezichtigt man mich dann der Lüge?
Ja - "Dächte ich so - warum könnte man mich dann der Lüge bezichtigen? Ich hätte doch mit meiner Lüge etwas Gutes getan". - Und dann kommt die Antwort: "Nee - so geht es nicht. - Wahrheit ist absolut. - Und wer uns erwischt, wenn wir solche Konstrukte wie 'Vögeln für Jungfräulichkeit' anbieten, verdammt uns zu recht.
Die Wahrheit ist eben nicht absolut. Daraus resultieren doch die Probleme in den Religionen, eben weil sie meinen, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein.

Die Wahrheit bei Paulus entzieht sich den semantischen, philosophischen, und juristischen Wahrheitsbegriffen. Er erfindet seine eigene "Wahrheit".
Quelle: glauben&wissen
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#305 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » So 1. Jan 2017, 12:49

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Im Idealfall bleibt der historische Jesus übrig
Du meinst wahrscheinlich den historisch-kritischen Jesus. - Denn der historische Jesus ist der, den es vor 2000 Jahren wirklich gab. - Der historisch-kritische Jesus ist der Jesus, den es methodisch vor 2000 Jahren gegeben haben könnte.
Deine Aussage ist somit alternativlos richtig.
Nein, ich meine den historischen Jesus. Die historisch-kritische Methode ist das Werkzeug, sich diesem anzunähern auf Grund der Textquellen. Dass diese Annäherung immer unvollständig bleiben muss, ist auch klar. Nichtsdestoweniger haben wir ein immer schärferes Bild erhalten, dank der Forschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Was ihr natürlich "gelingt", weil sie sich zirkelschlüssig auf die Kanonik beschräkt.
Dasselbe "gelingt" der HKM, wenn sie säkular-weltanschaulich alles ausschließt, was einen natürlichen historischen Kontext angeht. - Suum cuique.
Nö, die Forschung schließt überhaupt nichts aus. Sie hält sich lediglich bei der inhaltlichen Überprüfung von esoterischen Glaubensinhalten zurück.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sie kann überhaupt nichts anderes herausfinden als das, was Kanoniker beabsichtigten.
Das stimmt nicht - innerhalb ihres Systems arbeiten sie wissenschaftlich.
Halte ich für ein Gerücht. Wer Texte als vom Heiligen Geist inspiriert betrachtet, wird die Texte nie anzweifeln, auch wenn sie längst als Fälschung identifiziert wurden. Widersprüche innerhalb der Texte werden "weggeglaubt". Deshalb ist sie für die Forschung nicht zu gebrauchen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Systematische Theologie wird ja insofern übergriffig, als dass sie fordert/behauptet, der historische Jesus sei identisch mit dem der Evangelien.
Ich weiß nicht mal, ob sie das wirklich tut. - Nach meinem Kenntnisstand behauptet sie, dass Jesu Auferstehung historischer Natur ist, etc. - Also Historizität in Punkten, die sowohl für das Christentum wichtig als auch nicht-falsifizierbar sind.
Zumindest hat Ratzinger es gefordert, was im Kritik von Zenger einbrachte.
Allerdings muss man Ratzinger in einem Punkt zustimmen. Es geht nicht ohne Glaubensentscheid. Daran wird sich auch 2017 nichts ändern.

Frohes Neues Jahr.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#306 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » So 1. Jan 2017, 13:14

Pluto hat geschrieben:Die Methode ist der Prozess mit der man nicht nur der Wahrheit näher kommt, sondern auch wissen kann, dass man sich der Wahrheit genähert hat.
Aber doch nur im Rahmen ihrer Perspektive - konkret:

Die HKM nähert sich tatsächlich der Wahrheit in Fragen wie:
* Wann wurde dieser Text geschrieben? - Antwort: Nicht vor 80 n.Chr., weil ...
* Wie war die zeitliche Folge der uns zugrunde liegenden Quellen?
* Was bedeutet das griechische Wort "logos"? (Wenn ein HKM-ler besonders gut ist, weiß er, dass Paulus zwar griechisch geschrieben, aber hebräisch/aramäisch gedacht hat - also wird er auch fragen: Was bedeutet das hebräische Wort "memra", aus dem "logos" übersetzt wird? - Und er wird wissen, dass "memra" weit mehr bedeutet als "logos")
* Wie waren die historischen Abläufe in Israel rund um Jesus?
* Welche mythischen Vorläufer hatte das Motiv der "Auferstehung"?
* etc.

In all diesen Dingen kommt der HKM-ler in der Tat der Wahrheit näher - im Rahmen seiner HKM-Fragestellung!!! - Insofern kein Widerspruch zu Deinen Ausführungen. - Und: Er kann belegen, WARUM er zu seinem ERgebnis kommt.

Das ist das Eine und ist in etwa zu vergleichen mit einem Musikwissenschaftler, der Werk und Vita eines Komponisten in ein Umfeld wissenschaftlich einbetten kann. - WAS aber in dem Musikstück passiert und WAS in der Bibel passiert, kann weder ein Musik-Wissenschaftler noch ein HKM-ler ermessen - außer privat, also außerhalb seiner Wissenschaft.

Das heisst: Ein HKM-ler kann Atheist/Materialist sein und ein Musikwissenschaftler kann buchstäblich taub sein - trotzdem könnten beide gute musikwissenschaftliche und historisch-kritische Arbeiten verfassen. - Sie können sich also nur insofern dem Werk nähern, wie es ihre Disziplin vorsieht - egal ob man Materialist oder taub ist - dies nenne ich "Perspektive".

Ein Musikwissenschaftler kann dagegen "im Dienst" NICHT ermessen, was das Stück x von Schubert so einzigartig macht. - Ein künstlerisch/geistig aktivierter Mensch merkt das sofort - aber er kann es nicht intersubjektiv vermitteln, weil das ja nur ginge, wenn ALLE künstlerlisch/geistig aktiviert wären. - Und objektiv geht es nicht, weil man die Frage, ob ein Werk geistig einzigartig ist, nicht über Satzstellungen, Tonarten oder Neuronen beantworten kann.

Pluto hat geschrieben:Alle anderen Methoden, sei es die Hermeneutik, oder was weiß ich was es sonst noch gibt, erinnern mich im Vergleich zur Wissenschaft, ein Bisschen an Robert Lemkes Ratespiel.
Für Außenstehende kann das so0 sein - nur: Es gibt nichts anderes, wenn man ein Werk nicht nur von außen beschreiben, sondern von innen verstehen/erkennen will.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Geistige selber sehr heterogen besetzt sein kann, was dazu führt, dass der Außenstehende kein homogenes Bild erhält - was natürlich zu Recht misstrauisch macht.

"WIssenschaftlich" in "Deinem" Sinne des Wortes müsste mal deshalb äußerste Zurückhaltung üben und sich auf reine SACH-Aussagen beschränken. - Das hieße ganz konkret: Keine Spekulationen von der "äußeren" Welt der Wissenschaft in die innere Bedeutung der Bibel hinein. - Dann würde man sagen:
* Nach methodischer Technik der HKM hatte Jesus eine Naherwartung - aber das ist unsere Außen-Sicht.
* Nach methodischer Technik der HKM ist die Jungfrauengeburt unwahrscheinlich (sogar: Wahrscheinlichkeit so gut wie 0) - aber das ist unsere Außensicht.

Es wäre weiterhin undiszipliniert, wenn die HKM ihre äußere Sicht mit Verweis auf weltanschaulich (hier: materialistisch) geprägte Definitionen von "Aufklärung" und "Realität" verabsolutieren wollte: "Unsere Ergebnisse sind alternativlos real" - oder was auch immer. - Auch damit würde sie ihre WIssenschaftlichkeit verlassen, da sie nicht in philosophischen Fragen rumzupfuschen hat. - Nein - ganz diszipliniert: "Wir beobachten dies und können es folgendermaßen .... beschreiben und belegen". -------- Und PUNKT!!!!

Pluto hat geschrieben: closs hat geschrieben:
Die Theologie beruht auf einer anderen Art der Exegese, als Du darstellst.

Auf welcher denn konkret?
In der theologischen Praxis werden die "äußeren" Sachergebnisse der HKM hoch-interessiert zur Kenntnis genommen, weil sie bei Einzelfragen ganz wichtige Hinweise geben können. - Aber geistig-inhaltlich AUSGELEGT ("Was bedeutet das?") wird es theologisch - also jenseits der äußeren Beobachtungen der HKM.

Man hat da auch meines Wissens keine eigene "Exegese", sondern interpretiert die (HKM-)Exegese in anderen Disziplinen. - Konkret: Wenn ein Theologie die Frage der Naherwartung diskutiert, tut er dies in der theologischen Teil-Disziplin x (wahrscheinlich "Hermeneutik").

Und vielleicht noch was eventuell Wichtiges:
Mir hat neulich mal eine Theologe gesagt, dass man im Studium die Exegese unterteilt in die sog. "Einleitungswissenschaft" und die "Hermeneutik". - Die HKM wird dabei gesehen als fester Bestandteil der "Einleitungswissenschaft", nicht aber der "Hermeneutik" - etwas plakativ gesagt: Die "Einleitungswissenschaft" ist die Rumedum-Wissenschaft, bevor die echte, inhaltliche Auslegung (Hermeneutik) losgeht. - Das passt übrigens sehr genau mit dem zusammen, was bei uns HKM in den Literatur-Wissenschaften war.

Mit anderen Worten:
Es scheint so, als hätten die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte dazu geführt, die Einleitungswissenschaften zur eigentlichen Auslegungs-Wissenschaft zu erhöhen. - Und da wäre mein flappsiger Kommentar: Unterhemden kann man nicht zu Oberhemden befördern.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#307 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von Pluto » So 1. Jan 2017, 13:18

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Die Methode ist der Prozess mit der man nicht nur der Wahrheit näher kommt, sondern auch wissen kann, dass man sich der Wahrheit genähert hat.
Aber doch nur im Rahmen ihrer Perspektive - konkret:

Die HKM nähert sich tatsächlich der Wahrheit in Fragen wie:
* Wann wurde dieser Text geschrieben? - Antwort: Nicht vor 80 n.Chr., weil ...
* Wie war die zeitliche Folge der uns zugrunde liegenden Quellen?
* Was bedeutet das griechische Wort "logos"? (Wenn ein HKM-ler besonders gut ist, weiß er, dass Paulus zwar griechisch geschrieben, aber hebräisch/aramäisch gedacht hat - also wird er auch fragen: Was bedeutet das hebräische Wort "memra", aus dem "logos" übersetzt wird? - Und er wird wissen, dass "memra" weit mehr bedeutet als "logos")
* Wie waren die historischen Abläufe in Israel rund um Jesus?
* Welche mythischen Vorläufer hatte das Motiv der "Auferstehung"?
* etc.
Wie so oft, vergisst du was im Text steht. Man kann interpretieren, bis der Mond blau wird, aber an den Äußerungen in den Evangelien kommt man nicht vorbei. Das ist unabhängig davon, ob man HKM der kanonische Exegese betreibt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#308 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » So 1. Jan 2017, 13:36

sven23 hat geschrieben: Es gibt kein übernatürlichs Zerreißen historischer Wirkungszusammenhänge
Das ist eine reine Glaubensaussage.

sven23 hat geschrieben: auf der einen Seite gibt es die Forschungsergebnisse, z. B. die Naherwartung, auf der anderen Seite sagt Lindemann, es ist egal, ob Jesus sich geeirrt hat.
Diese Alternative ist in der Tat schwach - als Theologe muss er wissen, dass es nicht egal ist. - Vermutlich hat er sich mit seiner Personalunion als HKM-ler und gleichzeitig geistig-spiritueller Mensch noch nicht endgültig befasst.

sven23 hat geschrieben:Was ich damit sagen wollte: es gibt keine medizinische Klassifikation für "Besessenheit".
Natürlich nicht - das Medizin-System ist ganz anders aufgebaut.

sven23 hat geschrieben:Die Therapeutin müßte also - gegen ihre Überzeugung- unter einem anderen Schlüssel abrechnen, um an das Geld der Krankenkasse zu kommen.
Natürlich - sie muss das auswählen, was von dem am geeignetsten ist, was zur Auswahl steht.

sven23 hat geschrieben:Und diese Grenzen liegen weit ausserhalb historischer Forschung.
Das ist sicherlich weltanschaulich begründbar, hat aber in Wissenschaft nichts zu suchen.

sven23 hat geschrieben:Die Übergriffigkeit der Kanoniker besteht nun darin, den legendenhaften, mythologisierten Jesus mit dem historischen gleichsetzen zu wollen.
Es wäre übergriffig, wenn sie ihn mit dem historisch-kritischen Jesus gleichsetzen würden. - Genauso wie es übergriffig ist (was oft genug passiert), wenn ein theologischer Genesis-Forscher sich mit der Evolutíons-Theorie anlegt.

sven23 hat geschrieben:Ein ganz radikaler Ansatz, der nur zu verstehen ist im Zusammenhang mit dem baldigen Ende der bestehenden Ordnung.
Für DICH ist es nur so zu verstehen - für Anhänger "Deiner" Weltanschauung ist das so. - Aber das hat nichts mit Wissenschaft zu tun.

sven23 hat geschrieben:Das hat ungefähr die gleiche "Qualität", wenn man die Vorhersagen des Nostradamus für 9/11 oder den Brexit her nehmen will.
Hier ging es um die literarische Kontinuität von AT und NT - wie man das weltanschaulich bewertet, ist eine ganz andere Sache.

sven23 hat geschrieben:Ja, es ist so.
sven23 hat geschrieben:Wobei "innerlich" hauptsächlich spätere christliche Kontamination ist.
sven23 hat geschrieben: Wunder in der Bibel sind spätere literatische Erfindungen der Schreiber.
Alles rein weltanschauliche Aussagen, die als Glaubens-Äußerungen natürlich respektabel sind - aber mehr ist es nicht.

sven23 hat geschrieben:Deshalb ist er gescheitert.
Da ist was dran. - Wenn man Wissenschaft streng kritisch-rational begründet, funktioniert die Ratzinger-Exegese nicht. - Allerdings mit der Konsequenz, dass die HKM nichts als eine sog. "Einleitungswissenschaft" innerhalb der Exegese ist - dann muss sie die eigentliche Auslegung der Hermeneutik überlassen. - Ratzinger wollte beides enger verbinden.

sven23 hat geschrieben:Immer der gleiche Fehler. Unter substantiell verstehst du goutieren oder dran glauben.
"Substantiell verstehen" heisst im konkreten Fall, die methodischen Grenzen der HKM sprengen müssen.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#309 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von sven23 » So 1. Jan 2017, 13:36

closs hat geschrieben:Und da wäre mein flappsiger Kommentar: Unterhemden kann man nicht zu Oberhemden befördern.
Eigentlich schon. Das T-Shirt verdankt seinen Erfolg dieser Beförderung. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#310 Re: Alles Teufelszeug? V

Beitrag von closs » So 1. Jan 2017, 13:53

Pluto hat geschrieben:. Man kann interpretieren, bis der Mond blau wird, aber an den Äußerungen in den Evangelien kommt man nicht vorbei.
Darauf basiert alles - aber unser Verständnis davon ist nun mal Interpretation.

sven23 hat geschrieben:Nur weil sich die Naherwartung als Irrtum erwiesen hat
Sie hat sich nicht als Irrtum erwiesen, sondern ist eine begründbare Version im Rahmen der HKM. - Es gibt genauso gut begründbare Versionen, die genau das Gegenteil "erweisen".

sven23 hat geschrieben: Wenn es heute eine Jungfrauengeburt gäbe, könnte dir ein Mediziner auch darüber berichten.
Hätte er damals auch können - die Biologie hat sich seitdem nicht wesentlich geändert.

sven23 hat geschrieben:Wenn man mit Kanonik argumentiert, gerät man unweigerlich in Zirkelschlüsse.
Damit Du es nie vergisst: Das ist bei der HKM auf andere Weise genauso.

sven23 hat geschrieben:Hier muss man jetzt aufpassen. Der Satz stammt aus dem Johannesevangelium, das in der Forschung als komplette Eigenkomposition des Schreibers gilt. Bei der Abfassung dieses Evangeliums war auch dem letzten schon klar, dass es mit dem nahen Gottesreich nichts mehr werden würde.
Und so schlängelt man sich durch, um die eigene Glaubens-Version aufrecht zu erhalten.

sven23 hat geschrieben:Jesu Gefolgschaft bestand aber nicht aus 3-jährigen.
Im Sinne, wie es gemeint ist, schon. - Erkläre mal einem Fabrik-Arbeiter im 19. Jh., dass TV, Internet und Flugreisen kommen werden.

sven23 hat geschrieben:Die Wahrheit ist eben nicht absolut. Daraus resultieren doch die Probleme in den Religionen, eben weil sie meinen, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein.
Ontologisch ist Wahrheit absolut - wahrnehmungs-mäßig existiert sie gar nicht, weil man sich immer nur annähern kann. - Insofern kann auch die RKK nicht "im Besitz" von Wahrheit sein - sagt die RKK das im Wortlaut so?

sven23 hat geschrieben:Die Wahrheit bei Paulus entzieht sich den semantischen, philosophischen, und juristischen Wahrheitsbegriffen. Er erfindet seine eigene "Wahrheit".Quelle: glauben&wissen
Da klingt "Glauben& Wissen" eher ratlos und überfordert ("Wir verstehen es nicht, ergo: Sein Problem. :lol: )

Seinen angeblich als schwierig zu lesenden Römer-Brief habe ich beim ersten Mal auf Anhieb verstanden - zumindest kam es mir so vor. - Dieser Brief geht runter wie ÖL, weil er so unglaublich klar ist. - Aber er ist dialektischa verwinkelt - das ist wahr.

sven23 hat geschrieben:Nö, die Forschung schließt überhaupt nichts aus.
Doch - methodisch MUSS sie Lösungen ausschließen, die nicht falsifizierbar sind.

sven23 hat geschrieben:Halte ich für ein Gerücht.
Dann lass Dir von Halman nochmal die Ausführungen eines Kanonikers geben, die in der Tat sehr wissenschaftlich angelegt waren (soviel war noch erkennbar), aber von keinem von uns kapiert wurden.

sven23 hat geschrieben:Allerdings muss man Ratzinger in einem Punkt zustimmen. Es geht nicht ohne Glaubensentscheid. Daran wird sich auch 2017 nichts ändern.
Davon abgesehen, dass ich diesen Begriff unglücklich finde (mir wäre "geistig-spirituelle Öffnung" lieber), hat er recht. - Mit dem Polieren von Nussschalen kann man Nüsse nicht knacken.

Gesperrt