Descartes und die menschliche Seele

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#321 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Mo 17. Okt 2016, 21:47

Pluto hat geschrieben:. Spiritualität ist eine Art Lebensziel im Leerlauf.
Puuh - das lässt erahnen, was man aus materialistischer Sicht unter Spiritualität versteht. - Zu Ende gedacht wäre dann Gott ein Leerlauf.

Pluto hat geschrieben:Du irrst. Den Wahrheitsgehalt einer Aussage kann man prüfen.
Man kann ihn unter Setzungen in einem System prüfen. Persönlich glaube ich an den Wahrheitsgehalt solcher (popperscher) Prüfungen sehr wohl - aber es ist eine Glaubensaussage insofern, dass man Setzungen nicht falsifizieren kann.

Pluto hat geschrieben:Wissenschaft erzeugt Erkenntnis über Welt
Ja - sehe ich pragmatisch genauso. - Aber es ist ein Unterschied, ob man sagt "Mit Wissenschaft erzeuge ich Erkenntnis" oder "Was ich nicht mit Wissenschaft erkennen kann, ist nicht Entität/Wirklichkeit".

fin hat geschrieben:ich bin noch frisch hier im Forum und lese mich gerade in ein paar Threads ein. Da hier der Name M. Heideggers mehrmals fiel, würde ich gerne auf einen Mitschnitt (ca. 8 Min.) aufmerksam machen, um Heidegger selbst zu Wort kommen zu lassen. Er bespricht dort die Problematik, welche auch hier Gegenstand der Diskussion ist.
Super - vielen Dank - kannte ich nicht. - Ja, da spricht er genau die wunden Punkte an, über die wir hier reden.

Geradezu hellseherisch finde ich seine Bewmerkungen zur Biophysik wie auch den Satz "Das Ende der Philosophie ist erreicht, wenn sie in den Wissenschaften aufgeht". - Letzteres ist exakt mein Vorwurf: Die Philosophie darf keine Magd der Wissenschaft werden (übrigens auch nicht Bibel-Exegese und Hermeneutik). - Sehr interessant - Danke. :thumbup:

Pluto hat geschrieben:Natürlich kann Wissenschaft nicht denken; nur Personen können denken.
So meint es Heidegger nicht - auch Philosophie kann nicht denken, sondern nur Philosophen.

closs
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#322 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Mo 17. Okt 2016, 21:57

SilverBullet hat geschrieben:Der Philosoph „Descartes“ hatte nur den religiösen Ansatz und konnte die behauptete "Verschiedenheit zum Körper" nicht infrage stellen.
Nein - er hat ontologisch gedacht. - Das hat primär nichts mit Christentum zu tun. - Es bringt nichts, überall christliche Verschwörungstheorien zu wittern - es hat etwas mit Ontologie zu tun.

SilverBullet hat geschrieben:Da die Voraussetzung nicht bestätigt werden kann,
Du denkst immer in Kategorien von "kritisch-rational-intersubjektiv nachweisbar" - so wird das nichts. - Immer wieder: Das, was ist, kümmert sich nicht darum, ob es von uns intersubjeitv oder subjektiv bestätigt werden kann.

SilverBullet hat geschrieben:Wahrnehmung geht ausnahmslos mit Zusammenhängen um.
Meinetwegen - Dein Problem ist, dass Du mit "Zusammenhänge" nur das meinst, was in Deinem Wahrnehmungs-System erkennbar ist.

SilverBullet hat geschrieben:Genau das kann er nicht – wie soll das gehen?
Damit es keine Missverständnisse gibt: Auch geistige Wahrnehmung geschieht natürlich mit dem Körper - so sind wir. - Aber das Wahrgenommene muss nicht naturalistischen Charakter haben.

SilverBullet hat geschrieben:Nö, kann man nicht sagen, weil kein „es“ vorliegt.
:?: :?: :?: - Das "Es" ist ALLES, was der Fall ist - auch der Mond (um ein Bsp. zu nehmen, das in Deine Kategorien passt). - Der Mond läge also nicht vor????

SilverBullet hat geschrieben: ich spreche nicht von „wahr“. Ich spreche von Korrektheit.
Genau das ist Dein Problem. - Statt Dich zu fragen, was an Deiner Wahrnehmung methodisch korrekt ist (= Anthropozentrismus), solltest Du fragen, was ontologisch gute Chancen hat, wahr zu sein.

SilverBullet hat geschrieben:Naturwissenschaft wird deshalb betrieben, weil das Aufstellen von wahrnehmungsunabhängigen Zusammenhängen sehr gut funktioniert – Stichwort: Korrektheit/Verlässlichkeit.
Da würde Dir Descartes zustimmen - deswegen hat er sie ja auch (mit eher bescheidenem Erfolg) betrieben. - Sein Denken (siehe Heidegger) hat ihm ermöglicht, die Wissenschaft als Positives zu erkennen.

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sven23
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#323 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von sven23 » Di 18. Okt 2016, 06:10

closs hat geschrieben: Nochmals: Fontane hat recht - und Du versuchst es wo ganz woanders zu instrumentalisieren.
Natürlich hat Fontane recht, sonst hätte ich ihn nicht zitiert. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#324 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Di 18. Okt 2016, 09:31

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Der Philosoph „Descartes“ hatte nur den religiösen Ansatz und konnte die behauptete "Verschiedenheit zum Körper" nicht infrage stellen.
Nein - er hat ontologisch gedacht
Meinetwegen...
Descartes verstand, genauso wenig wie Leibniz zuvor, wie es möglich war, dass der Geist aus der Maschine Gehirn entstehen konnte. Deshalb postulierte er seine Dualität, in der Hoffnung, spätere Generationen von Wissenschaftlern würden seine Mutmaßungen zum Anlass nehmen, um eine bessere Erklärung zu erforschen. Das ist vor allem in den letzten 70 Jahren gelungen und hat erstaunliche Antworten auf Descartes' Fragen gebracht. Die Hirnforschung mit ihren Bildgebenden Methoden ist dabei selbst das Produkt des geistigen Prozesses, das Bewusstsein, zu entschlüsseln.

Die Revolution der Herkunft des Geistes ist nicht mehr aufzuhalten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#325 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von 2Lena » Di 18. Okt 2016, 10:16

Pluto hat geschrieben:Die Revolution der Herkunft des Geistes ist nicht mehr aufzuhalten.
Bloß war vor 2000 Jahren weit mehr da ... halt nur stellenweise

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#326 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Di 18. Okt 2016, 10:34

2Lena hat geschrieben:Bloß war vor 2000 Jahren weit mehr da ... halt nur stellenweise
Da hast du recht.
  • Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#327 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von ThomasM » Di 18. Okt 2016, 11:14

Pluto hat geschrieben: Descartes verstand, genauso wenig wie Leibniz zuvor, wie es möglich war, dass der Geist aus der Maschine Gehirn entstehen konnte. Deshalb postulierte er seine Dualität, in der Hoffnung, spätere Generationen von Wissenschaftlern würden seine Mutmaßungen zum Anlass nehmen, um eine bessere Erklärung zu erforschen. Das ist vor allem in den letzten 70 Jahren gelungen und hat erstaunliche Antworten auf Descartes' Fragen gebracht. Die Hirnforschung mit ihren Bildgebenden Methoden ist dabei selbst das Produkt des geistigen Prozesses, das Bewusstsein, zu entschlüsseln.

Die Revolution der Herkunft des Geistes ist nicht mehr aufzuhalten.
Nur wie die Revolution aussehen wird, ist vollkommen unklar.

Bei aller Bildgebenden Gewalt, die es heute schon gibt, ist es nach wie vor vollkommen unklar, wie aus der Maschine Geist entstehen kann. Man hat zwar einige Korrelationen herausgearbeitet, aber WIE es möglich ist, dass Geist entsteht ist eine prinzipielle Frage, die unklar bleibt. Da sind wir keinen Schritt weiter.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Pluto
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#328 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Di 18. Okt 2016, 14:26

ThomasM hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Die Revolution der Herkunft des Geistes ist nicht mehr aufzuhalten.
Nur wie die Revolution aussehen wird, ist vollkommen unklar.
Das stimmt.
Ich würde aber behaupten wollen, dass es Dank der Anstrengungen der Hirnforscher in den letzten 20 Jahren, gelungen ist die Schale dieser Nuss zu knacken. Es ist gelungen Geist und Bewusstsein als Prozesse sehr genau zu definieren. Die Details fehlen allerdings noch.

ThomasM hat geschrieben:Bei aller Bildgebenden Gewalt, die es heute schon gibt, ist es nach wie vor vollkommen unklar, wie aus der Maschine Geist entstehen kann. Man hat zwar einige Korrelationen herausgearbeitet, aber WIE es möglich ist, dass Geist entsteht ist eine prinzipielle Frage, die unklar bleibt. Da sind wir keinen Schritt weiter.
Meiner Meinung nach ist das genaue Gegenteil der Fall. :D

Mit den heutigen Kenntnissen ist es relativ einfach, Geist und Bewusstsein in groben Zügen zu umschreiben. Der französiche Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene versteht unter Bewusstsein das Zünden einer globalen koordinierten Aktivität im Cortex. Diese Aktivität macht sich durch das Auftreten der sog. P3-Welle bemerkbar (mit EEG messbar).

Aber... die Funktion einzelner Hirnkerne und die Korrelationen zwischen ihnen ist das was die Hirnforscher noch auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen wird.

Beispiel:
- Wie geschieht der Aufbau unserer Warhnehmung einer Kaffeetasse auf dem Tisch, die wir ergreifen möchten?
- Welche Strukturen spielen bei der Erkentnis, "das ist meine Kaffeetasse", eine Rolle? Wie funktionieren sie?
- Wie korrelieren solche bewussten Gedanken mit der Motorik der Arme und Hände?
- Woher wissen wir, wann unsere Hand die Tasse erreicht hat? Gibt es Rückkopplungs- und Bremsmechanismen die der Motorik sagen, "du bist gleich da". Wie funktionieren sie?
- Warum erschrecken wir nicht, wenn wir sie ertasten? (Wir erschrecken nur, wenn sie unerwartet heiß ist).

Verstehst du was ich meine?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#329 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von ThomasM » Di 18. Okt 2016, 16:04

Pluto hat geschrieben: Mit den heutigen Kenntnissen ist es relativ einfach, Geist und Bewusstsein in groben Zügen zu umschreiben.
Das ist falsch ausgedrückt.
Es ist relativ einfach, das, was man mit Geist und Bewusstsein in Verbindung bringt mit Hirnaktivitäten zu korrelieren.
Das heißt aber nicht, dass klar ist, was Geist und Bewusstsein ist oder wie es zustande kommt.

Der prinzipielle Schritt von einer mechanistischen Beschreibung zu der Sache an sich ist unklar. Ausgedrückt wird das in der Philosophie durch den Begriff des philosophischen Zombies. http://www.pflichtlektuere.com/20/07/20 ... ewusstein/
Ein philosophischer Zombie ist ein Ding, das sich so verhält, als hätte es Bewusstsein, hat aber keines.
In den Diskussionen darüber wird großzügig angenommen, wir hätten eine vollständige mechanistische Beschreibung aller Hirnfunktionen. Trotzdem ist es unklar, wie dann so etwas wie Geist oder Bewusstsein herauskommt.

Pluto hat geschrieben: Der französiche Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene versteht unter Bewusstsein das Zünden einer globalen koordinierten Aktivität im Cortex. Diese Aktivität macht sich durch das Auftreten der sog. P3-Welle bemerkbar (mit EEG messbar).
OK und ich postuliere, dass mein Computer einen Geist hat, was man daran erkennt, dass er mit mir interagiert und mich sogar manchmal auf Fehler hinweist. Habe ich Recht?

Pluto hat geschrieben: Verstehst du was ich meine?
Ich verstehe, dass dir eine mechanistische Beschreibung der Dinge genügt. Nach dem Motto "Liebe ist, wenn der Hormonpegel den und den Wert überschreitet"
Ich hatte dich eigentlich für fähig gehalten, weiter zu denken, als bis an die Oberflächliche
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#330 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von fin » Di 18. Okt 2016, 17:47

Hallo in die Runde,

Pluto hat geschrieben:"Herzlich willkommen im unserem Forum!"
Danke dir :)

Pluto hat geschrieben: Natürlich kann Wissenschaft nicht denken; nur Personen können denken. (...)
M. Heidegger meinte das im übertragenen Sinn. Möglicherweise hast du nur die Überschrift gelesen und den Mitschnitt nicht beachtet, denn im Interview erörtert MH den Satz und erklärt, warum Wissenschaft (seiner Ansicht nach) die Philosophie benötigt.

Pluto hat geschrieben: (...) denn ein Wissenschaftler denkt schon bei seiner Arbeit, oder meinst du etwas nicht?
Die Existenz von Büroräumen, in denen Angestellte wissenschaftlicher Institute etwas ausüben, was wir gemeinhin unter 'Denken' verstehen, steht nicht im Widerspruch zur Aussage, die MH im Satz: "Wissenschaft denkt nicht", zur Sprache bringen möchte.

Siehe Interview "Wissenschaft denkt nicht - M. Heidegger (Mitschnitt - Ytube Video)

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SilverBullet hat geschrieben:(...) wird allerdings maximal mögliches Denken benötigt. Nichts ist so anspruchsvoll, wie eine Funktion aufzubauen, denn es gibt keine Abkürzungen.
Das meinte seinerzeit auch der Volkschullehrer des kleinen Gauß, bis dieser ihm die Abkürzung zeigte :)

SilverBullet hat geschrieben:Heidegger verwendet seinen Satz in Bezug auf eine behauptete „Seins-Vergessenheit in der Welt“ (was meint er damit?)
Das ist eine einfache, aber auch komplexe Sache und ich würde dir raten, zuerst den originären Gedanken Heideggers zu folgen.

Mir fällt allerdings ein schöner Film ein, den ich dir ans Herz legen könnte/möchte. Es ist zwar keine Dokumentation über M. Heidegger, dafür aber ein großartiger Versuch, dessen Sinn und Seinsfragen anhand einiger Portraits (Künstler, Handwerker, Philosophen ... unterschiedlicher Kulturen) sichtbar zu machen. Ich habe leider keinen Trailer in deutscher Sprache gefunden, wobei die DVDs mehrsprachig zu bekommen sind. Anbei ein Link zu einer Trailerreihe und zu Amazon, wo man auch eine Kundenrezension fände.

SilverBullet hat geschrieben: Weiter will er die Notwendigkeit zur Metaphysik suggerieren, indem er für „Raum“, „Zeit“ und „Bewegung“ andeutet, die Wissenschaft könne dies nicht erklären. Denkst du, dass dem so ist und dass es die Philosophie erklären kann? (...)

Zuerst möchte ich einräumen, daß ich es nicht so erlebe, daß MH etwas suggerieren möchte!

Ich kann allerdings gut nachvollziehen, daß die Aussagen MH (siehe Interview) naturwissenschaftlich geprägte Menschen befremden, zumal der Wissenschaftsbetrieb es offenbar versteht, Elemente (Prinzipien) zu beschreiben, Naturkräfte zu regulieren und unter Kontrolle (zb. Raumfahrt) zu bringen. Man läßt sich dadurch aber von der bloßen Machbarkeit blenden und kommt gar nicht zu der Frage, die MH zu erörtern sucht.

Es geht nicht darum, was sich real umsetzen läßt, zB. eine Atombombe, sondern um den Bezug zum "Sein" und das ist eine Frage, für die erstmal die Philosophie verantwortlich zu sein scheint und nicht die Physik/Mathematik (sprich: Naturwissenschaft).


Grüße
fin

PS: Lieber closs, dich habe ich nicht vergessen, muß jetzt aber außer Haus und melde mich möglicherweise erst morgen zurück.

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