Theodizee

Rund um Bibel und Glaube
closs
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#231 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Fr 16. Sep 2016, 00:31

Münek hat geschrieben:bei diesem Dogma geht es um keinen "geistigen Fakt", sondern ausschließlich um Biologie und Anatomie.
Es gibt kein Dogma wegen irgendwelcher biologischer Fragen - es kann aber Dogmen geben, in denen biologische Fragen aus ontologischen Gründen eine Rolle spielen.

Münek hat geschrieben:Ich vermute, dass Ratzinger zur biologischen Unversehrtheit der Jungfrau zurückgekehrt ist.
"Zurückgekehrt" ist eine Wertung, die falsch sein kann. - Ich vermute, Ratzi wollte in seiner ersten Aussage unterstreichen, dass es primär NICHT um biologische, sondern ontologische Fragen geht (stimmt ja auch). - Als er dann gesehen hat, dass dies auf Kosten der Biologie interpretiert wird, hat er korrigiert, um weiteren Falsch-Deutungen entgegenzutreten. - Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass er seine MEINUNG geändert hat, sondern dass erbemerkt hat, wie er mit seiner Äußerung wo anders hin interpretiert werden kann.

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Münek
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#232 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Fr 16. Sep 2016, 01:51

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:bei diesem Dogma geht es um keinen "geistigen Fakt", sondern ausschließlich um Biologie und Anatomie.
Es gibt kein Dogma wegen irgendwelcher biologischer Fragen - es kann aber Dogmen geben, in denen biologische Fragen aus ontologischen Gründen eine Rolle spielen.
So ist es ganz sicher nicht. Die biologische Aussage der immerwährenden körperlichen Jungfrauschaft Marias steht im Zentrum des Dogmas.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ich vermute, dass Ratzinger zur biologischen Unversehrtheit der Jungfrau zurückgekehrt ist.
"Zurückgekehrt" ist eine Wertung, die falsch sein kann. - Ich vermute, Ratzi wollte in seiner ersten Aussage unterstreichen, dass es primär NICHT um biologische, sondern ontologische Fragen geht (stimmt ja auch). - Als er dann gesehen hat, dass dies auf Kosten der Biologie interpretiert wird, hat er korrigiert, um weiteren Falsch-Deutungen entgegenzutreten. - Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass er seine MEINUNG geändert hat, sondern dass erbemerkt hat, wie er mit seiner Äußerung wo anders hin interpretiert werden kann.
Nein - in der erwähnten Fernsehsendung hatte Ranke-Heinemann auf Ratzingers Ausführungen in seinem Buch verwiesen und die Passage vorgelesen. Der anwesende Dominikaner hat daraufhin Ratzingers Aussage als FALSCH bezeichnet, auf die sie sich nicht berufen dürfe.

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sven23
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#233 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 16. Sep 2016, 05:57

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nun kann closs natürlich hoffen, es mögen irgendwann neue Quellen auftauchen, die alles auf den Kopf stellen, aber danach sieht es derzeit nicht aus.
Das ist auch komplett unerheblich. - Für Theißen möchte ich annehmen (und so habe ich ihn verstanden), dass der weiss, dass bei GLEICHER Quellenlage die HKM zu anderen Auslegungen kommt wie andere Auslegungs-Methoden - und er halt für die HKM spricht.
Er weist darauf hin, dass die Auslegungsmethode selbstverständlich wissenschaftlichen Kriterien genügen muss. Die HKM tut dies ohne Zweifel, Kanonik nicht, deshalb ist sie in der historischen Jesusforschung unbrauchbar.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Siehe dazu den Link von Aaron Schat.
Lies mal Anton im "Teufelszeug"-Thread - er ist aus meiner Sicht so nah dran, dass es keine Probleme zwischen unterschiedlichen methodischen Ansätzen zum Verständnis der Bibel geben muss.
Aber doch nicht in der historischen Jesuforschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Was ein Mensch vor 2000 Jahren gedacht hat, läßt sich nicht mehr rekonstruieren
Korrekt - und deshalb kann man nicht sagen "Jesus hatte eine Naherwartung". - Im Grunde müsste man jedem HKM-ler zurufen: "Lasst doch Jesus aus dem Spiel und kümmert Euch um Rezeptions-Geschichte - da seid Ihr daheim"
Dann müssten Kanoniker eingestehen, dass es in den Evangelien keine authentischen Jesusworte gibt, sondern nur Rezeption der Schreiber. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Alle Jesusworte sollen angeblich authentisch sein, weil ja vom Heiligen Geist inspiriert.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Natürlich, aus einer kritischen Perspektive, im Gegensatz zu einer glaubensdogmatischen, verklärenden Perpektive.
Das Wort "kritisch" steht inzwischen immer mehr für "Ich weiß zwar nicht, worum es geht, aber ich kann Ungereimtheiten nachweisen". - Dieser Begriff ist durch seine ständige Missverwendung fertig.
Das stimmt doch so gar nicht. Jesus darf doch innerhalb der Rezeption der Schreiber und der Urgemeinde der Sohn Gottes sein. Das heißt, die Forschung untersucht die Entstehung diese Kultes und beschreibt die nachträgliche Vergottes des Wanderpredigers, unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Darum geht es in der historischen Jesusforschung.
Wie schon oft gesagt: Der Glaube an Gott beweist nicht Gott, sondern lediglich den Glauben an ihn.
Viele verwechseln das immer wieder.
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#234 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 16. Sep 2016, 06:15

Ska'ara hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Ska'ara hat geschrieben:Ist die Naherwartung ein so einfaches Thema und schon klar definiert?
Ziemlich sicher, weil es in der Forschung einen großen Konsens darüber gibt.
Man muß auch bedenken, dass es nicht irgendwelche Wald- und Wiesen Theologen sind, die diese Ansicht vertreten, sondern theologische Schwergewichte wie Bultmann, Rahner, Küng, Theissen usw.
Damit setzen diese Theologen Gott schwergewichtig außer Kraft.

Nicht ganz, denn in der historischen Jesusforschung geht es zunächst mal um Jesus. In Frage gestellt wird erst mal die unehehliche Gottessohnschaft des Wanderpredigers.
Kein seriöser Wissenschaftler wird sich mit der Frage nach der Existenz Gottes befassen.



Ska'ara hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: „Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“

Damit gibt er den Stand der Forschung wieder.
Wie kann sich der Sohn Gottes irren?
So würden kritisch forschende Theologen fragen, und zwar berechtigterweise.
Glaubensdogmatiker sagen: Jesus ist der Sohn Gottes und kann sich demzufolge gar nicht irren, basta. Sie gehen gar nicht inhaltlich auf die Textquellen ein oder unterziehen sie einer textkritischen Prüfung.
Kanoniker interessieren sich auch nicht für die ursprüngliche Bedeutung eines Textes und dessen weitere Entwicklung. Für sie ist die Bibel das vom Heiligen Geist inspirierte Endprodukt, das nicht angezweifelt werden darf, was Glaubensfragen betrifft.
Und die Naherwartung ist nun mal eine Glaubensfrage, die im Zentrum von Jesu Verkündigung stand.
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#235 Re: Theodizee

Beitrag von 2Lena » Fr 16. Sep 2016, 09:55

Wenn man so die Kritiker Jahrzehnte - bis in die 70er Jahre hört, so ziehen sie gegen die Versprechen der Kirche auf ein "Jenseits". Den Schäfchen wurde der Himmel versprochen, den Sündern die Hölle. Die Angst vor dem Fegefeuer war jedem sicher.

Es scheint, als ob sich da die Hitze gelegt hätte, dafür aber das Feuer des Terrors auf die Erde kam für so manche wirklich fühlbar. Die Pfarrer und Theologen wurden verlacht ob dieser Ansicht (bevor die Meisten der Anhänger den Schritt machten aus der Kirche auszutreten). Dann legte sich die Situation um. Manche Theologen wendeten und leugnen nun sogar die Hölle und die Sünden, erklären zum "Glauben" was grad so "logisch" erscheint und ihnen verständlicherweise in den Kram hineinpasst, den sie sonst noch lernen an weltlichen Universitäten.

Der Krieg um die "Moderne" zieht sich schon einige Zeit hin, nicht Jahrzehnte, sondern weit mehr. Es gab keine Möglichkeiten, die modern wieder aufkommenden Philosophen, Naturwisschenschaft und die religiöse Überlieferung in Einklang zu bringen (siehe z.B. Spinoza, Maimonides um nur ein paar Versuche zu zeigen). Die Päpste hatten als Argumentation für ihre "Starrheit" (ich habe keine Zeit die Dokumente zu suchen) die Begründung auf die ununterbrochene Überlieferung seit der Zeit Jesu.

"Fehlende Naherwartung" ist also nur ein Ersatzteil, das kritischen Theologen grad auch noch einfiel zur wissenschaftlichen Dokumentation. Das geschah ab der Zeit, als "fühlende Gläubige" die Zeichen der Zeit längst deuten lernten, wie sie Daniel und auch die Offenbarung des Johannes beschrieben. Besser geht's nicht mehr Svenilein ...

"Fühlende Gläubige" verstanden das Jenseits seit jeher. Verstanden auch zu unterscheiden ...
Nur gibt es halt genug, die "Bibel" vor sich herschieben - und man nicht weiß was sie dahinter meinen ...

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#236 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Fr 16. Sep 2016, 10:58

Münek hat geschrieben:Die biologische Aussage der immerwährenden körperlichen Jungfrauschaft Marias steht im Zentrum des Dogmas.
Ja - aber nicht aus biologischen, sondern aus geistigen Gründen. Gäbe es keine geistigen Gründe, würde sich die RKK nicht dafür interessieren.

Münek hat geschrieben: Der anwesende Dominikaner hat daraufhin Ratzingers Aussage als FALSCH bezeichnet, auf die sie sich nicht berufen dürfe.
So wie sie verstanden worden war, war sie wahrscheinlich auch falsch. - Die Frage ist doch, ob sich Ratzinger danach INHALTLICH revidiert hat, oder ob er nur die Formulierung geändert hat, weil er gemerkt hat, dass es zu Fehlinterpretationen kommt, die man durch eine andere Formulierung vermeiden kann.

sven23 hat geschrieben:Die HKM tut dies ohne Zweifel, Kanonik nicht, deshalb ist sie in der historischen Jesusforschung unbrauchbar.
Im Sinne von Antons Definition von "Wissen" kann das hinkommen - das heißt aber dann, dass "Wissenschaft" an sich nur EIN methodisches Konstrukt ist. - Nach dieser Definition von "WIssenschaft" ist diese kein Bench-Marker, also keine verbindliche Orientierungs-Größe zur Erkenntnis-Gewinnung. Dann kann man sogar sagen, dass Wissenschaft in der Theologie nichts zu suchen hat.

Wir müssen uns entscheiden:
1) Wissenschaft ist das für alle Fragestellungen anzustrebende universale Mittel der Wahl - dann funktioniert dieser/Dein Wissenschaftsbegriff nur, wenn er universal und nicht nur methodisch ergebnisoffen ist - man müsste dann also auch historisch mögliche Fälle untersuchen können wie "Wie würde man interpretieren, wenn Jesus 'Gottes Sohn'/Gott wäre?".

2) Wissenschaft ist Mittel der Wahl bei naturalistischen Fragestellungen und sonst nichts - dann kann die HKM keine eigene Instanz innerhalb der Theologie sein.

Beides gleichzeitig geht nicht.

sven23 hat geschrieben:Aber doch nicht in der historischen Jesuforschung.
Prinzipiell richtig - nur: Was bleibt da noch übrig? - Unter "historischer Jesusforschung" verstehe ich, ob er unter seiner Soutane eine Unterhose trug bzw. was die Quellen-Ersteller geglaubt haben - aber nicht, ob er eine Naherwartung hatte. Aus folgendem Grund: Es kann doch nicht sein, dass man methodische Jesüsser gegenüberstellt "MEIN historisch-kritischer Jesus - MEIN kanonischer Jesus", der jeweils der wirklich-historische Jesus gewesen sein kann.

sven23 hat geschrieben:die Forschung untersucht die Entstehung diese Kultes und beschreibt die nachträgliche Vergottes des Wanderpredigers
Unter religions-wissenschaftlichen Aspekten kann man das tun - aber das hat nichts mit "Theologie" zu tun.

sven23 hat geschrieben:Dann müssten Kanoniker eingestehen, dass es in den Evangelien keine authentischen Jesusworte gibt, sondern nur Rezeption der Schreiber.
Das schließt sich doch nicht aus - es ist herauszufinden, welche der tradierten Jesus-Worte authentisch sind oder nicht. - Nur ist auch hier die Antwort abhängig von der Methodik, die man anlegt: Die HKM macht es "mechanistisch" (ist nicht abwertend gemeint), die Kanonik macht es spirituell.

sven23 hat geschrieben: Alle Jesusworte sollen angeblich authentisch sein, weil ja vom Heiligen Geist inspiriert.
Hier sehe ich auch ein Problem, das sich die Kirchen selber eingebrockt haben. - Allerdings gibt es hier noch eine ganz andere Sache:

Wie sind überlieferte Jesus-Worte zu unterpretieren, wenn man geistig-inspiriert interpretiert? Dann kommt nämlich bei DENSELBEN Worten in er Regel etwas anderes raus. - Konkret: Ich habe erst hier im Forum gelernt, wenn man rein "mechanistisch" und nicht "geistig-inspiriert" Aussprüche Jesu inspiriert. - Da kommen nicht selten - das ist jetzt meine persönliche Wertung - Kalauer heraus, auf die man als geistig Interpretierender nie kommen würde.

Wäre diese Diskussion nicht so ideologisch aufgeladen, wäre die redliche Lösung schnell gefunden:
Falls Jesus nur Mensch ist, ist die HKM die beste Methode, um seine historischer Wirklichkeit authentisch zu treffen - Falls Jesus auch "Gottes Sohn"/Gott war, ist die Kanonik die beste Methode, um seine historischer Wirklichkeit authentisch zu treffen. - Für neutrale Methodiker läge diese Lösung auf der Hand, weil sie einfach logisch ist.

sven23 hat geschrieben: Der Glaube an Gott beweist nicht Gott, sondern lediglich den Glauben an ihn.
Absolut richtig - genauso wie der Nicht-Glaube an Gott nicht die Nicht-Existenz Gottes beweist. Beides sind Setzungen, auf denen unterschiedliche Methodik folgerichtig das Mittel der Wahl ist.

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#237 Re: Theodizee

Beitrag von michaelit » Fr 16. Sep 2016, 12:54

Hallo, ich wollte mich zu diesem Thema auch mal melden.

Ich habe den Eindruck daß der Mensch bei Leid oftmals so getroffen wird daß er daran verzweifelt. Es gibt Leid das man tragen kann weil man es doch eigentlich kennt, aus seinem Leben, aus den Medien. Ich meine etwa den Tod der Eltern und so. Das erleben ja die meisten irgendwann. Man hat so seine Erklärungen, seine Mittel, Christen können da vielleicht auch mit Gott etwas erreichen. Als mein Vati starb habe ich etwa intensiv gesucht und auch gefunden, Gott hat mir einen Traum einmal geschickt der so intensiv spirituell war daß er mich befriedigte.

Aber manche Arten von Leid können uns dermaßen treffen daß an Leidverarbeitung eigentlich gar nicht zu denken ist. Ich konnte meine Trauer um meinen Vater im Wohnzimmer verarbeiten. Der der seine ganze Familie verliert im Krieg oder der der irgendwo gefoltert wird, der erleidet nicht Leid sondern Schmerzen. Leid geht ja noch, aber Schmerzen? Die kann ein Mensch nur begrenzt aushalten bevor er davon verrückt wird.

Deswegen sehe ich das Leid und den Schmerz nicht als konstruktiven Anteil des Glaubens. Glauben sollte sich gegen Leid und Schmerz wenden und dieses beenden, so gut es eben geht. Es fehlt aber hier an gesellschaftlicher Initiative. In Europa kann ein Mensch klarkommen, in Syrien ist es schwer. Und wenn wir als Christen nur die Schuldfrage beackern und Höllenurteile vergeben, dann erreichen wir doch nur daß wir selbst hart werden und nicht mehr durchblicken. Gerechtigkeit muß rekonstitutiv sein, weniger retributiv. Der Gewalttäter der Angst vor der Justiz hat wird zwar weniger schlagen aber immer noch genug Dummes und Böses anstellen. Deswegen muß man ihn kriegen und erziehen.

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#238 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 16. Sep 2016, 13:50

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die HKM tut dies ohne Zweifel, Kanonik nicht, deshalb ist sie in der historischen Jesusforschung unbrauchbar.
Im Sinne von Antons Definition von "Wissen" kann das hinkommen - das heißt aber dann, dass "Wissenschaft" an sich nur EIN methodisches Konstrukt ist. - Nach dieser Definition von "WIssenschaft" ist diese kein Bench-Marker, also keine verbindliche Orientierungs-Größe zur Erkenntnis-Gewinnung. Dann kann man sogar sagen, dass Wissenschaft in der Theologie nichts zu suchen hat.
Aber doch nur, weil sie zu einem Ärgernis für die Glaubensdogmatiker geworden ist. Nebenbei: in anderen Religionen sieht es auch nicht besser aus, wenn man sie historisch kritisch unter die Lupe nimmt.

closs hat geschrieben: Wir müssen uns entscheiden:
1) Wissenschaft ist das für alle Fragestellungen anzustrebende universale Mittel der Wahl - dann funktioniert dieser/Dein Wissenschaftsbegriff nur, wenn er universal und nicht nur methodisch ergebnisoffen ist - man müsste dann also auch historisch mögliche Fälle untersuchen können wie "Wie würde man interpretieren, wenn Jesus 'Gottes Sohn'/Gott wäre?".
Die Methode ist selbstverständlich ergebnisoffen. Wenn die Text aussagen würden, dass Jesus die Gottesherrschaft in 4000 Jahren erwartet, dann würde das die Forschung ebenso zur Kenntnis nehmen, unabhängig davon, ob Jesus der vermeintliche Sohn Gottes oder ein einfacher Wanderprediger war. Das ist der Punkt.

closs hat geschrieben: 2) Wissenschaft ist Mittel der Wahl bei naturalistischen Fragestellungen und sonst nichts - dann kann die HKM keine eigene Instanz innerhalb der Theologie sein.
Sie ist ja auch keine Instanz in dem Sinne, sondern eine Methode, um alte Texte zu untersuchen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Aber doch nicht in der historischen Jesuforschung.
Prinzipiell richtig - nur: Was bleibt da noch übrig? - Unter "historischer Jesusforschung" verstehe ich, ob er unter seiner Soutane eine Unterhose trug bzw. was die Quellen-Ersteller geglaubt haben - aber nicht, ob er eine Naherwartung hatte. Aus folgendem Grund: Es kann doch nicht sein, dass man methodische Jesüsser gegenüberstellt "MEIN historisch-kritischer Jesus - MEIN kanonischer Jesus", der jeweils der wirklich-historische Jesus gewesen sein kann.
Deshalb geht die Forschung davon aus, dass es einen historischen Kernjesus gab, der das nahe Gottesreich und das baldige Ende verkündete, der dann nach seinem Tod eine legendenhafte Mythologiesierung erfuhr, die im Laufe der Zeit immer weiter gesteigert wurde.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:die Forschung untersucht die Entstehung diese Kultes und beschreibt die nachträgliche Vergottes des Wanderpredigers
Unter religions-wissenschaftlichen Aspekten kann man das tun - aber das hat nichts mit "Theologie" zu tun.
Wer sagt denn, dass die Forschung das Glaubenskonstrukt unter allen Umständen bestätigen muss? Gerade die Ergebnisoffenheit hat doch dazu geführt, dass nicht erwünschte Ergebnisse herauskamen.
Der kanonischen Exegese kann so etwas nicht passieren. Sie wird ihr Glaubenskonstrukt immer in zirkelreferenten Schlüssen bestätigt finden.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann müssten Kanoniker eingestehen, dass es in den Evangelien keine authentischen Jesusworte gibt, sondern nur Rezeption der Schreiber.
Das schließt sich doch nicht aus - es ist herauszufinden, welche der tradierten Jesus-Worte authentisch sind oder nicht. - Nur ist auch hier die Antwort abhängig von der Methodik, die man anlegt: Die HKM macht es "mechanistisch" (ist nicht abwertend gemeint), die Kanonik macht es spirituell.
Moment, hier bist du mal wieder mangelhaft informiert. Die kanonische Exegese stellt die Jesusworte der Evangelien doch gar nicht in Frage. Das von dir unterstellte Herausfinden der authentischen Jesusworte findet doch gar nicht statt. Das leistet ausschließlich die Forschung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#239 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Fr 16. Sep 2016, 15:07

sven23 hat geschrieben:Aber doch nur, weil sie zu einem Ärgernis für die Glaubensdogmatiker geworden ist.
Das "Ärgernis" besteht ausschließlich in der Übergriffigkeit - auch ein Metzger würde sich "ärgern", wenn ihm ein Bäcker sagt, wie man Wurst macht. - Die Haltung einiger HKM-ler ist in diesem Sinne "Bäcker machen bessere Wurst als Metzger".

sven23 hat geschrieben:Die Methode ist selbstverständlich ergebnisoffen.
Universal NICHT. - Denn die HKM deutet DIESELBEN Texte anders, als man sie deutet, wenn man - als Gegenmodell zur HKM - setzt, dass Jesus der "Sohn Gottes"/Gott war. - Bei diesem Gegenmodell ist genauso "nachweisbar", dass der wirkliche, also historische Jesus KEINE Naherwartung hatte.

sven23 hat geschrieben:Sie ist ja auch keine Instanz in dem Sinne, sondern eine Methode, um alte Texte zu untersuchen.
Rein sprachlich und historisch einordnungs-technisch ist das ok - aber sie schwingt sich doch zur Instanz auf, indem sie ihre Beobachtungen weltanschaulich interpretiert.- Bei anderer Weltanschauung interpretiert man dieselben Texte anders.

sven23 hat geschrieben:Deshalb geht die Forschung davon aus, dass es einen historischen Kernjesus gab, der das nahe Gottesreich und das baldige Ende verkündete, der dann nach seinem Tod eine legendenhafte Mythologiesierung erfuhr, die im Laufe der Zeit immer weiter gesteigert wurde.
Dieses Szenario ist naheliegend, wenn Jesus nur Wanderprediger war. - Es ist absurd, wenn Jesus NICHT nur Wanderprediger war.

WAS er tatsächlich war, ist Setzung/Glaubenssache/Weltanschauung - nicht falisifierbar. - Also setzt der eine dies und der andere das - es ist dabei unerheblich, dass es der eine versteckt methodisch und der andere per "Glaubensentscheid" setzt - Setzung ist Setzung.

sven23 hat geschrieben:Wer sagt denn, dass die Forschung das Glaubenskonstrukt unter allen Umständen bestätigen muss?
Niemand - wenn man unter entsprechenden Setzungen forscht, werden andere Setzungen natürlich NICHT bedient. Das erwartet auch niemand.

sven23 hat geschrieben:Sie wird ihr Glaubenskonstrukt immer in zirkelreferenten Schlüssen bestätigt finden.
Exakt so ist es bei der HKM auch - sie wird nie zu Ergebnissen kommen können wie etwa kanonische Exegese. - Selbst wenn 1000 Mal in der Bibel stünde, dass Jesus Gott wäre, würde die HKM nicht zum Ergebnis kommen können "Jesus ist Gott", weil diese Aussage nicht kompatibel mit ihren methodischen Setzungen wäre.

Allenfalls könnte die HKM sagen "Nach den Quellen ist Jesus Gott" ("die Leute haben es damals tatsächlich so geglaubt") - so wie sie sagen kann "Viele Leute haben damals tatsächlich gegleuabt, Jesus habe selbst eine Naherwartung gehabt". - "Jesus ist Gott" dagegen kann die HKM genauso wenig sagen wie "Jesus hatte eine Naherwartung". - Es wäre ein Vergehen gegen die eigene Methodik.

sven23 hat geschrieben: Die kanonische Exegese stellt die Jesusworte der Evangelien doch gar nicht in Frage.
Halte ich persönlich für einen Mangel - andererseits ist diese Feststellung in der Regel gar nicht nötig, weil allein das geistige Auslegen bestehender Jesus-Texte die Frage nach "mechanischer" Authentizität überflüssig macht.

Konkret:
Selbst wenn der Text der Bergpredigt nicht von Jesus abgehört und mitnotiert wurde, sondern aus einem "richtigen" Verständnis Jesu Botschaft selber verfasst wurde, handelt es sich um einen authentischen Jesus-Text. - Genau so darf die HKM nicht argumentieren (und das ist wirklich kein Vorwurf). - Es ist immer wieder die Frage, ob es einem um Quellen-Qualifizierung oder um inhaltliche Qualifizierung geht - und dazu gibt es halt verschiedene Disziplinen, die sich damit wissenschaftlich beschäftigen.

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#240 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 16. Sep 2016, 16:28

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Aber doch nur, weil sie zu einem Ärgernis für die Glaubensdogmatiker geworden ist.
Das "Ärgernis" besteht ausschließlich in der Übergriffigkeit - auch ein Metzger würde sich "ärgern", wenn ihm ein Bäcker sagt, wie man Wurst macht. - Die Haltung einiger HKM-ler ist in diesem Sinne "Bäcker machen bessere Wurst als Metzger".
Bei so manchem Gammelfleischmetzger würde das sogar zutreffen. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Methode ist selbstverständlich ergebnisoffen.
Universal NICHT. - Denn die HKM deutet DIESELBEN Texte anders, als man sie deutet, wenn man - als Gegenmodell zur HKM - setzt, dass Jesus der "Sohn Gottes"/Gott war. - Bei diesem Gegenmodell ist genauso "nachweisbar", dass der wirkliche, also historische Jesus KEINE Naherwartung hatte.
Diesen Nachweis hat die kanonische Exegese bis heute nicht geliefert und meiner Vermutung nach wird sie das auch nicht können. Sie ist auf Ratzingers Glaubensentscheid angewiesen. Und wie man weiß: glauben kann man fast alles.

closs hat geschrieben: - Bei anderer Weltanschauung interpretiert man dieselben Texte anders.
Logisch, bei nicht wissenschaflicher Perspektive kommen halt keine wissenschaftlich belastbaren Ergebnisse raus, sondern Glaubenskonstrukte.


closs hat geschrieben: WAS er tatsächlich war, ist Setzung/Glaubenssache/Weltanschauung - nicht falisifierbar. - Also setzt der eine dies und der andere das - es ist dabei unerheblich, dass es der eine versteckt methodisch und der andere per "Glaubensentscheid" setzt - Setzung ist Setzung.
Die Quellen sind nun mal so, wie sie sind. Was anderes gibt es nicht. Und nach diesen Quellen gibt es große Zweifel an der Gottessohnschaft, weshalb ja viele Theologen die unterschiedlichsten Ausweichstrategien entwickelt haben.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wer sagt denn, dass die Forschung das Glaubenskonstrukt unter allen Umständen bestätigen muss?
Niemand - wenn man unter entsprechenden Setzungen forscht, werden andere Setzungen natürlich NICHT bedient. Das erwartet auch niemand.
Eben, es ist ein grundsätzliches Mißverständnis, dass die Forschung die Glaubenskontrukte gefälligst zu bestätigen habe, egal in welcher Religion.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sie wird ihr Glaubenskonstrukt immer in zirkelreferenten Schlüssen bestätigt finden.
Exakt so ist es bei der HKM auch - sie wird nie zu Ergebnissen kommen können wie etwa kanonische Exegese.
Natürlich nicht, weil Zirkelreferenz keine wissenschafliche Methode ist.

closs hat geschrieben: - Selbst wenn 1000 Mal in der Bibel stünde, dass Jesus Gott wäre, würde die HKM nicht zum Ergebnis kommen können "Jesus ist Gott", weil diese Aussage nicht kompatibel mit ihren methodischen Setzungen wäre.
Macht es die Aussage glaubwürdiger, wenn es 1 Million mal drin stehen würde? Außerdem waren wir uns doch einig, dass die Existenz Gottes nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung sein kann.

closs hat geschrieben: Allenfalls könnte die HKM sagen "Nach den Quellen ist Jesus Gott" ("die Leute haben es damals tatsächlich so geglaubt") -
Nein, das kann sie nicht sagen. Sie kann den Glauben daran beschreiben, mehr nicht.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Die kanonische Exegese stellt die Jesusworte der Evangelien doch gar nicht in Frage.
Halte ich persönlich für einen Mangel
Aber so "funktioniert" kanonische Exegese nun mal, das ist der casus knacksus.

closs hat geschrieben: Konkret:
Selbst wenn der Text der Bergpredigt nicht von Jesus abgehört und mitnotiert wurde, sondern aus einem "richtigen" Verständnis Jesu Botschaft selber verfasst wurde, handelt es sich um einen authentischen Jesus-Text.
Eine sinngemäße und keine wortwörtliche Widergabe der Bergpredigt wäre ja noch in Ordnung. Aber nach Meinung der Forschung handelt es sich um eine Eigenkomposition des unbekannten Schreibers, den man später Matthäus nannte. Wären dies originale Jesusworte, hätte Markus sie mit Sicherheit gebracht. Wenn dir die Bergepredigt das Herz erwärmt, müßtest du eigentlich den unbekannten Schreiber verehren.
Das gleiche haben wir beim Johannesevangelium. Es enthält schöne Passagen, die den Synoptikern allesamt unbekannt waren. 3 mal darfst du raten, warum.
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