Anton B. hat geschrieben:"Wissen" ist System-Wissen, weil es sich auf die Definition von "Wissen" bezieht und basierend auf dieser Definition seine Methoden und seine Erkenntnisse aufspannt.
Umgekehrt: Das, was man auf methodischen Grundlage des Kritischen Rationalismus an Ergebnis bekommt, definiert man als "Wissen". Das ist durchaus nicht ehrenrührig, aber eben umgekehrt.
Wolltest Du fragen, was dieses "Wissen" philosophisch ist, käme in etwa heraus, dass es eine anthropologische Größe ist zur Einordnung der Bewertung von Phänomenen. Durchaus utilitaristisch unterlegt - auch dies ist nicht ehrenrührig.
Das eigentliche Problem besteht aus meiner Sicht, dass "Wissen" im allgemeinen Sprachgebrauch so verwendet wird, als seien damit automatisch Fakten "dessen, was der Fall ist" adäquat eingelöst - im Sinne von: "Methodisches Wissen = ontologisches Faktenwissen". Das mag in der Naturwissenschaft in im Großen und Ganzen gehen - in den Geisteswissenschaften geht es im Großen und Ganzen NICHT bzw. nur periphär.
Conclusio:
Nach dieser Definition von "Wissen" gäbe es keine Geisteswissenschaften - auch die HKM müsste dann sagen: "Wir sind keine Geisteswissenschaft, sondern eine rein beobachtende und nie wertende Disziplin ("Wir sehen, dass diese Quelle im Jahr 80 n.Chr. geschrieben wurde und die dort verwendeten Worte damals in folgendem Kontext verwendet wurden. Über die Inhalte der Quelle können wir über diese mechanistische Feststellung hinaus nichts sagen". - Meinst Du, dass dies "Wissenschaft" sein soll?
Anton B. hat geschrieben:Wenn die HKM z.B. durch die Definition von Wissen begründet ist, wo soll dann die spezifische HKM-Setzung sein?
Dass sie methodisch so gepolt ist, dass sie mögliche historische Szenarien nicht untersuchen kann - sie also gegenüber möglichen historischen Fakten nicht ergebnisoffen sein kann.
Allgemein:
Der kritische Rationalismus (also das, was die Definition "Wissen" überhaupt erst begründet) kann aus methodischen Gründen nur eine Teil historischer Realität "wissen" - noch mehr: "Wissen" in diesem Sinne kann methodisch sogar Irrtümer als Fakten "wissen", weil es methodisch so gesetzt ist. Das kann doch nicht ergebnisoffen sein, oder?
Konkret:
Wenn Jesus mit seiner Botschaft des nahen Gottesreichs das gemeint hat, was die kirchliche Theologie im Großen und Ganzen aus guten Gründen meint, wird ein Vertreter "Deiner" Wissens-Definition sagen können: "Mein Irrtum war aber wenigstens methodisch als 'Wahrheit' gewusst" - das ist doch absurd.
Historische Realität als abhängige Größe von Methodik? - "Hey, Jesus: Was Du gemeint hast, ist aus methodischen Gründen nicht vorgesehen. Hast Du sie nicht alle?". - Hä?
Anton B. hat geschrieben: Dein Problem ist nicht die Naturwissenschaft an sich, es ist nicht die HKM und es sind auch keine historischen Wissenschaften und keine Geisteswissenschaften, es ist das "Wissen" an sich als Erkenntnis im Sinne der Definition von Wissen.
Ich stimme Dir zu, dass das Problem nicht in den Wissenschaften (in Deiner Definition) liegt, WENN Wissenschaft lediglich beobachtet, Beobachtetes beschreibt und ausschließlich im methodischen Rahmen der Wissenschaft interpretiert.
Das geschieht aber in den Geisteswissenschaften geradezu routinemäßig NICHT - unser Beispiel "Naherwartung" ist hier treffend (und nur deshalb wird es hier so lange diskutiert). - Denn die HKM dürfte nicht mehr sagen als:
"Wir datieren einen Text, untersuchen die Worte darin, vergleichen sie mit anderer Literatur der Zeit und stellen fest, dass es folgende Übereinstimmungen oder Unterschiede gibt. - Unterm Strich stellen wir fest, dass Paulus für eine bestimmte Zeit glaubte, dass Jesus sein zeit-nahes apokalyptisches Erscheinen verkündet hatte. - Punkt."
Sie darf NICHT sagen:
"Jesus hatte oder hatte wahrscheinlich eine zeitnahe apokalyptische Naherwartung". - Denn die HKM kann auf Basis ihrer Methodik gar nicht beurteilen, was ein GEISTIGER Paradigmen-Wechsel ist und was heilsgeschichtliche Entwicklung bedeutet - weil es nicht ihr Fach ist.
Nun mögen dies einzelne HKM-ler beurteilen können - aber sie scheinen oft nicht zu unterscheiden, was historisch-kritische Beurteilung/Interpretation ist (das wäre "Unterm Strich stellen wir fest, dass Paulus für eine bestimmte Zeit glaubte, dass Jesus sein zeit-nahes apokalyptisches Erscheinen verkündet hatte. - Punkt.") und eigene weltanschauliche Beurteilung ist ("Aus bewussten oder unbewussten weltanschaulichen Gründen interpretiere ich daraus, dass ...").
Diejenigen, die es unterscheiden können - und davon kenne ich welche - sagen:
"Als HKM-ler komme ich zum Schluss, dass nach HKM-Methodik eine Naherwartung Jesu naheliegend ist. Aber selbstverständlich weiss ich aus übergeordneten "kanonischen" Gründen, dass das Quark ist". - Methodisches Wissen der HKM und der systematischen Theologie stehen somit gegenüber - beides disziplin-intern gut begründbar.
Wie passt das in Deine Definitions von "Wissen"? - Und welche Rolle spiel dabei eigentlich noch das, was WIRKLICH damals geschehen ist?