Die Dynamik in dieser "Alles Teufelszeug"-Diskussion ist so groß, dass ich nicht mehr hinterher komme. Daher verlinkte ich einen Beitrag aus dem Vor-Thread, um hier darauf zu antworten:
Betreff: Alles Teufelszeug? III.
closs hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Wenn jemand also selbstbewusst seine Kritik zum Besten gibt, so sagt er meiner Meinung nach damit auch aus, dass er Ahnung hat.
Das ist heute in der Regel eben NICHT so - als Kollateralschaden des KR, den man dem Kritischen Rationalismus nicht vorwerfen kann, der aber trotzdem passiert - nämlich:
Der KR arbeitet (aus guten Gründen) mit dem Mittel der Falsifizierung. Das führt aber leider dazu, dass man leider allzu gerne erst gar nicht fragt, ob man etwas versteht, sondern sich sofort darauf stürzt, wie man es falsifizieren kann. - Man sucht also nach etwaigen Schwachpunkten, konstruiert sie gar herbei, um sich erst gar nicht mit den starken Punkten beschäftigen zu müssen.
Daran hatte ich gar nicht gedacht. Deine Erklärung passt allerdings zu meiner Diskussionserfahrung und überzeugt mich daher mehr als mein Erklärungsversuch und daher korrigiere ich mich. Danke.
closs hat geschrieben:Ein damit verwandter Mechanismus kommt noch dazu: Das Abschießen von Inhalten aufgrund einer Durchleuchtung dessen, der diese Inhalte vertritt. - Bsp: "Halman sagt etwas - es ist mir zu anstrengend, mich damit zu beschäftigen - also Frage ich nach, ob Halman überhaupt eine Kapazität auf diesem Gebiet ist. Wenn nein, verwerfe ich, was er gesagt hat und habe mir damit viel Arbeit gespart". - So läuft es üblicherweise in Talk Shows - und nicht nur da. - Persönlich versuche ich dieser Versuchung zu widerstehen, indem ich mir vorstelle, ein Satz bspw. von Halman wäre von Münek gesagt worden - und umgekehrt. Was würde ein solcher Satz dann bedeuten. - Man erwischt sich dann auch schon mal dabei, dass dann ein Satz ganz anders klingt.
Diese beiden Maschen - Falsifizierungs-Sucht als Ersatz für Substanz-Verständnis sowie biografische Vermengung mit einem Inhalt - dominieren unsere heutige Diskussionskultur.
Auch hier stimme ich Dir zu und räume ein, dass es mir nicht gelinkt, die Aussagen von der Person des Users zu trennen. Sich von den argumentum ad hominem frei zu machen ist gar nicht so einfach.
closs hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Hat denn die Betrachtung der Rezeption von Schriften durch den Empfängerkreis, für welche in diesem Fall die Schriften sogar eine normative Größe darstellen, keine Berechtigung?
Doch - und wenn sie wissenschaftlich betrieben wird, ist es keine Wissenschaft zweiter Klasse. - Aus meiner Sicht darf man nicht den einen Empfängerkreis (historisch-kritisch Rezipierende) gegen einen anderes Empfängerkreis (kanonisch Rezipierende) ausspielen. - Genau dies geschieht aber im Sinne eines modernen Glaubens-Krieges.
Offengestanden frage ich mich, ob das Bild, welches hier die Kritiker von der kanonischen Exegese eben von dieser zeichnen, wirklich so viel gemeinsam hat mit der realen kanonischen Exegese, wie sie Zenger auf hohen Niveau betrieb.
closs hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Zenger und Ratzinger beabsichtigen auch nie, die HKM durch die kanonische Lektüre ersetzen zu wollen. Sie wollten lediglich die Theologie um die Dimension der kanonischen Exegese bereichern.
Richtig - ins Geistige hinein öffnen. - Umgekehrt: Was soll eine Theologie sein, die methodisch nur unter der Bedingung untersuchen kann, dass Jesus NICHT "Gottes Sohn"/Gott ist? Das geht in der Religions-Wissenschaft, aber nicht in der Theologie.
Das Beste scheint mir zu sein, zu diesem Punkt einen agnostischen Standpunkt einzunehmen, wenn man ergebnisoffen wissenschaftlich arbeiten will. Und zur modernen Theologie gehören natürlich auch die Religionswissenschaft, die historisch-kritische Methode und die Bibelwissenschaft. Aber zur Theologie darf eben ergänzend auch die kanonische Exegese gehören. Warum sollte sich Theologie denn nicht an Glaubensgemeinschaften wenden und sich mit ihren Rezeptionen der "kanonischen" Schriften beschäftigen? Die Kritiker mögen
Zengers Argumentation widerlegen. Im Link ab
Seite 30 und dem Abschnitt
"Drei hermeneutische Optionen" äußert er sich relativ kurz dazu. Ich bin gespannt.
Hinzufügen möchte ich einen
Artikel von Georg Steins, indem er klar stellt:
Es geht nicht darum, etablierte Standards der Exegese zu verlassen, gewissermaßen mit einer Rolle rückwärts das Zeitalter der kritischen Bibelwissenschaft zu beenden. ...
Vieles, was der kanonischen Exegese unterstellt sind also NICHT ihre Ziele. Vielmehr geht es um Folgendes:
Unter dem Stichwort „Kanon“ wird es möglich, die Funktion(en) biblischer Literatur für bestimmte Gruppen wahrzunehmen und zu erforschen. Ja, es gelingt jetzt wieder, eine Besonderheit der biblischen Literatur, die enge Verbindung von Bibel und Glaubensgemeinschaft(en), in den Ansatz der Exegese zu integrieren, nicht erst als sozusagen nachträgliches Anwendungsverhältnis
Dies ist bis zu einem gewissen Grad vergleichbar mit den Rezeptionen von Literatur von verschiedenen Empfängerkreisen im Laufe der Geschichte. Die Erforschung dieser Rezeptionsgeschichte hat ihren Wert, spielt aber in einem anderen "Zimmer" als die historisch-kritische Analyse.
„Kanonische Lektüre“ ist kein Methodenschritt neben den etablierten Methoden historisch-kritischer Exegese; diese haben innerhalb histori- scher Fragestellungen ihre Funktion; sie können und sollen nicht ersetzt werden. ...
Aufgrund des Zitatsrecht zitiere ich nur wenig. Wer die kanonische Exegese von ihrem Wesen her verstehen will, kommt nicht umhin meine Quelle in Gänze zu lesen.
Doch eine Zusammenfassung ist am Ende enthalten, sie mag manchen genügen:
Der „kanonische Zugang“ verändert die grundlegenden Ansichten über den Text und über die Rolle der Glaubensgemeinschaft in der Lektüre; er nimmt dabei viele Einsichten moderner Textund Literaturtheorien auf und integriert sie in die Exegese. In der kanonischen Bibellektüre wird der Bibelkanon in seiner Einheit und Ganzheit zur Geltung gebracht; kanonische Bibelaus legung bildet die Grundlage einer dezidiert theologischen Bibellektüre. Historische Untersuchungen zum Bibeltext sind damit nicht ausgeschlossen; sie werden in den theologischen Fokus integriert. Die kanonische Lektüre steht hermeneutisch und methodisch jüdischem und altkirchlichem Schriftverständnis und deren Praxis der Schriftauslegung nahe
closs hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Die angemessene Würdigung der jüdischen Rezeption des Tanach war, soweit ich es verstanden habe, für Zenger die primäre Motivation die kanonische Lektüre zu bejahen.
Das ist eh ein sehr interessantes Thema - man sollte diesbezüglich auch viel mehr mit den messianischen Juden zusammen-arbeiten.
Ja, den stimme ich zu.