Savonlinna hat geschrieben:aber trotzdem ist das, was Du da sagst, reines Wortgeklingel, womit in fundamentalistischen Gemeinden die Mitglieder vollgesäuselt werden wollen
Auf mich kann das kaum zutreffen, denn alles, was ich hier schreibe, sind versuchsweise formulierte Momentaufnahmen meiner selbstständigen Wahrheitssuche; und nur weil ich als gläubiger Mensch ein geistliches Fundament habe (was in meinem Falle das Ergebnis bewusster Reflexion ist, die ich dann mit anderen Menschen abgleiche), bin ich kein Fundamentalist.
Wie kommst Du darauf, angesichts meiner Beiträge? Ich betone eigentlich ständig den Vorrang der Individualität gegenüber dem Kollektiv.
Willst Du mit so etwas abschrecken? Unbewusst deutlich machen, dass das Christentum eine Fehlgeburt ist, die nur ohne Sinn und Verstand Schlagworte aufsagen kann?
Wenn Du, Liebe Savonlinna, das Christentum als „Fehlgeburt“ bezeichnest, dann empfehle ich Dir eine tiefere Beschäftigung, denn mit solch einer Aussage wirst Du ihm nicht gerecht. Wenn wir darüber reden wollen, braucht es zweifellos Sinn und Verstand.
Verstehen kann man ohne sich irgendeinen Glaubenssystem zu unterwerfen. „Ungläubiges Staunen: Über das Christentum“ von Navid Kermani ist sehr lesenswert.
Das kann ich nur jedem „Ungläubigen“ ans Herz legen.
Möglicherweise ist die ständige Klage von closs, dass die heutigen Menschen nicht mehr richtig "formatiert" sind, so gemeint, dass sie die Lüge und den Wortschaum hinterfragen.
Weder weiß ich, wie ein richtig formatierter Mensch aussieht, noch besitze ich irgendein nennenswertes Interesse Menschen zu „formatieren“. Darum kann ich da nicht mitreden. Menschen sind wie sie sind, davon gehe ich aus. Ideologien sagen jedoch gerne: „so oder so 'soll' oder 'muss' der Mensch sein“.
Wenn er das nicht will, dann wird Zwang und Gewalt ausgeübt. Der realexistierende (atheistische) Sozialismus, hat davon reichlich Gebrauch gemacht und sich, mit all seinen hohlen Versprechungen und dem obskuren Personenkult, als eine der größten Enttäuschungen erwiesen; da würde ich von einer Fehlgeburt sprechen. Ich würde eher fragen: was ist und was braucht der Mensch? - also „therapeutisch“ an- und befragend. Gerne sage ich Dir, weshalb mein „Wortschaum“ Sinn ergibt: wenn sich mehr Menschen an Jesus orientiert hätten, wie Dietrich Bonhoeffer und die Gebrüder Scholl, so wäre Hitler nie an die Macht gekommen und die Shoah nie geschehen.
Das alles wurde möglich, nachdem die Menschen spirituell entwurzelt wurden, die innere nihilistische Leere füllte dann der Nationalsozialismus. Provokant formuliert: je ungläubiger ein Mensch ist (im Hinblick auf höhere spirituelle und moralische Werte), umso leichter ist er verführbar. Wenn ich „an Jesus Christus glaube“, dann bedeutet das nicht, dass da eine Kluft zwischen mir und Andersgläubigen entsteht, denn Christus personifiziert universelle Werte der Menschlichkeit. Die teile ich von vornherein mit allen. Als Christ glaube ich daran, dass Gottes liebende Gegenwart in uns Wirklichkeit werden will, wie das - als handgreiflicher geschichtlicher Bezugspunkt - durch den Nazarener auf außerordentlich klare Weise geschehen ist.
Deswegen ist er authentisch. Ebenso ist mein Glaube authentisch, wenn er in der Liebe wirksam ist. Es gibt also sehr wohl Kriterien für Authentizität. Deshalb widerspreche ich dieser Aussage ....
Andreas hat geschrieben:deswegen funktioniert diese Sache mit der Authentizität grundsätzlich nicht.
... und sage: doch, das kann funktionieren. Die Frage ist: was sind deine Grundsätze und lebst Du die oder nicht? Ein Satz von dem deutsch-muslimischen Schriftsteller Kermani: „Wenn der Mensch an Gott nicht mehr glaubt, dann glaubt er an sich selbst -und das 20. Jahrhundert zeigt, dass das nicht unbedingt die ungefährlichere Variante ist“.
Wobei ich da die Anfrage stellen würde: lernt der Mensch nicht gerade erst an sich selbst glauben, in dem er sein „Gottvertrauen“, sein bedingungsloses Urvertrauen wieder gewinnt, ein Bewusstsein dafür, dass sein kleines persönliches Leben eingebunden ist in eine höhere Ordnung, die uns wirklich trägt, komme was wolle?
Das ist ein sehr lebensbejahender Gedanke.
Bemerkenswert finde ich diese Worte von Anne Frank:
„O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen. Ich will den Menschen,die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.“ - Tagebucheintrag, 5. April 1944
Das sind - meiner Ansicht nach - sehr authentische Worte. Ungefähr ein Jahr nach diesem Tagebucheintrag (zwischen Februar oder Anfang März 1945 im KZ Bergen-Belsen) starb sie. Wenn ich sage „ich glaube“, dann glaube ich nicht nur für mich alleine. Wenn ich sage „ich glaube“, dann glaube ich für und mit Menschen wie Anne Frank gemeinsam, in der ich das Antlitz Christi leuchten sehe, und wiederhole noch mal ihre Worte für und mit ihr gemeinsam:
Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.
Den vielen Hohn und Spott über gläubige Menschen, was man hier in zahllosen Beiträgen lesen kann, verstehe ich deshalb beim besten Willen nicht. Denn das ist so, als würde man auf dieses Grab hier spucken ....