Thaddäus hat geschrieben:Du behauptest damit gleichzeitig, ein Theologe, der historisch-kritisch arbeitet, könne nicht gleichzeitig glauben, das Jesus "Gottes-Sohn" ist, - und das ist faktisch falsch.
Das ist tatsächlich falsch - aber Du erinnerst Dich vielleicht an das STERN-Interview (mit Linnemann oä), bei dem der gläubige Theologe sinngemäß gesagt hat: "Klar kenne ich die Ergebnisse meiner HKM-Forschung - aber privat glaube ich sie nicht". - Das kommt dann raus.
Thaddäus hat geschrieben:Die allermeisten Exegeten sind aber keine Atheisten!
Trotzdem kann man beide Versionen durchspielen - weil sie beide wahr sein könnten.
Thaddäus hat geschrieben:Vor allen Dingen halte ich eine solche Diagnose für anmaßend
Wie auch immer: Es scheint einen Kampf darüber zu geben - kein wissenschaftlicher, sondern ein weltanschaulicher Kampf.
Thaddäus hat geschrieben:katholische wie evangelische Exegeten könnten die Grundlagen ihrer eigenen Methodik nicht reflektieren und darüber hinaus fiele ihnen nicht auf, dass sie eigentlich Atheisten sind
So weit würde ich nicht gehen - mein Verdacht ist eher, dass es nicht die Ausnahme ist, methodische Grundlagen über geistige Grundlagen zu stellen.
Auch ich kenne eine Menge theologischer Weicheier, die keinerlei Plan über ontologishe Grundlagen des Christentums haben - und eine Menge Christen/Theologen, die nicht mit innerer geistiger Substanz ins Studium hineingehen/-gingen, sondern meinen, selbige dort zu bekommen. - Das ist der falsche Weg.
Thaddäus hat geschrieben:Ein großes Problem dieser Dikussion ist, dass dir die Grundlagen theologischer und historisch-kritischer Arbeit in keiner Weise klar sind, was an solchen Stellungnahmen von dir ersichtlich wird.
Gerade WEIL mir die Grundlagen klar sind, bin ich erschüttert, wie weit man sich im Namen der HKM mit spirituellen Aussagen herauswagt.
Erneut verweise ich auf das Beispiel "Naherwartung". - Natürlich KANN man (muss nicht) historisch-kritisch zum Ergebnis kommen, dass Jesus nach Meinung seiner Rezipienten einen Naherwartung hatte. - Aber wo ist die kritische Reflexion, ob diese Rezeption richtig sein könnte, FALLS der mögliche Fall Realität ist, dass Jesus WIRKLICH wesengleich mit Gott ist?
Müsste man da nicht sagen:
"Ja - einige Rezipienten haben tatsächlich geglaubt, dass Jesus eine "äußere" Naherwartung hatte - das sagt uns die HKM. - Aber wenn Jesus wirklich der war, für den ihn die christlichen Kirchen halten, spricht einiges dafür, dass sich diese Rezipienten geirrt haben, weil ....."
Dieser differenzierte Umgang wäre exakt das, was ICH unter wissenschaftlicher Redlichkeit verstehen möchte.
Thaddäus hat geschrieben:Ob Jesus aus Nazareth darüber hinaus wesensgleich mit dem christlichen Gott ist, ist dagegen eine Frage der theologischen Disziplinen DOGMATIK bzw. SYSTEMATIK, die zwar die exegetischen Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und auf ihnen aufbauen, ansonsten aber vor allem auf philosophische Methoden angewiesen sind.
Wir kommen uns noch näher, wenn man mit HKM-Ergebnissen der systematischen Theologie weder direkt noch indirekt mit Aussagen wie etwa "Jesus hatte selbst eine "äußere" Naherwartung" in die Kiemen langt.
Es reicht doch, wenn man sagt "Aus Sicht dieses oder jenes Verfassers ist es an diesen Stellen naheliegend, dass ...". - Alles andere klärt dann die systematische Theologie - oder die kanonische Exegese, die irgendwie dazwischen zu stehen scheint.
Thaddäus hat geschrieben:Solange diese Annahme nicht mit besseren Gründen widerlegt wird, darf man hiervon als Tatsache ausgehen.
Davon abgesehen, dass ich dieser speziellen Aussage zustimme - NEIN.
Denn "Tatsache" klingt so nach "Wirklichkeit" - als würde sich die tatsächliche Wirklichkeit mit der Entwicklung der Wissenschaft ändern. - Warum nicht einfach: "Nach unserem jetzigen Stand sieht's so aus, dass ....". --- ??? ---
Denn es gibt nicht wenige, die aus dem Begriff "Tatsache" schlussfolgern, die Wirklichkeit MÜSSE so gewesen sein - als sei es eine verbindliche Aussage über das ist, was tatsächlich der Fall sei. - Da kann man behutsamer und verantwortungsvoller mit umgehen.
Thaddäus hat geschrieben: Genau das kann die historisch-kritische Analyse erbringen, denn zur Klärung solcher Fragen sind ihre Methoden da.
Zunächst Zustimmung - aber wo ist hier die Reflexion, dass die Rezipienten erst mit der Zeit gecheckt haben, was Jesus wirklich gemeint hat? - Es gibt genug biblische Hinweise, dass es so sein kann - Du hast selber um die 10 sehr gute Belege dazu gebracht. - Warum macht man Dienst nach Vorschrift, statt diesen Fall mit zu berücksichtigen - täte man es, wäre es genau umgekehrt: Dann würde ein hermeneutischer Prozess bei der Rezeption genau das Gegenteil "nachweisen".
Thaddäus hat geschrieben:Deine und Ratzingers selbstimmunisierend-dogmatisch-hermeneutische Grundannahme, der Jetztzustand christlich-katholischer Glaubensüberzeugungen sei maßgeblich für die INterpretation des Kanons, ist wissenschaftlich gerade nicht redlich!
Ich glaube nicht, dass Ratzi es so meint, weiss es aber nicht. - Meiner Auffassung entspricht es ganz sicher nicht.
Außerdem ist das keine Antwort auf meine Frage, warum man nicht HKM-Ergebnisse unter verschiedenen möglichen Perspektiven durchspielen sollte. - Ich fände dies wissenschaftlich redlich.
Thaddäus hat geschrieben:Denn selbst ein Jesus-Evangelium, welches diesem Jetztzustand christlich-katholischer Glaubensüberzeugungen widerspräche, könnte diese hermeneutische Grundannahme nicht als falsch erweisen.
Wie bereits erläutert, ist auch diese Behauptung falsch.
Thaddäus hat geschrieben: Das Unsinnige kommt allein durch jene Gläubigen zustande, die meinen, ihre aktuellen konkreten christlichen Glaubensannahmen könnten unter keinen Umständen falsch sein.
Jetzt näherst Du Dich dem Ideologischen an.
Thaddäus hat geschrieben:Die Ergebnisse der HKM ergeben sich aus der Analyse der TEXTE, nicht über die Korrektheit metaphysischer Annahmen.
Die Beobachtungen ja, die Interpretationen daraus nein. - Wäre Jesus wesensgleich mit Gott, müsste man die mehr Gewicht auf die Bibelstellen legen, die unterstreichen, dass Jesus mit "nahem Gottesreich" etwas ganz anderes gemeint hat als eine "äußere" Wiederkunft in kurzer Zeit. - Diese Bibelstellen gibt es ebenfalls zuhauf.
Thaddäus hat geschrieben:Für die historisch-kritische Interpretation spielt das KEINE Rolle!
Wenn sie bei Texten ihre Aussagen auf den Textverfasser konzentriert, dann nicht. - Wenn sie ihre Aussagen auf das bezieht, worüber der Textverfasser spricht, ist Vorsicht angebracht.
Thaddäus hat geschrieben:Das ist das Ergebnis, und damit musst du leben (solange du keine bessere Analyse der TEXTE vorlegen kannst, die diesem Ergebnis widersprechen).
Kann ich nicht, weil ich mich dazu sehr tief einarbeiten müsste. - Jedoch weiss ich, dass es so gut wie allen Theologen, mit denen ich jemals über dieses Thema gesprochen habe (von einfachem Pfarrer bis zum habilitierten Theologen), bekannt ist, dass einzelne Jünger (bzw. deren Nachfolger) so gedacht haben wie auch viele Urchristen. - Das ist wirklich allseits bekannt.
ABER: Es wird ganz anders interpretiert, weil aus gesamt-biblischem Kontext ersichtlich ist, dass Jesus von seinem Umfeld zeitnah nicht verstanden wurde und erst nach und nach kapiert hat, was eigentlich Sache ist. - Der NT-Paradigmen-Wechsel hat seine Zeit gebraucht.
Man hat in einem allgemeinen Naherwartungs-Taumel der Zeit Jesus als Einlöser dieses Taumels verstanden, also AT-mäßig gedacht - bis man gecheckt hat: "Hoppla - Jesus selbst ist die Anwesenheit des Gottesreichs gewesen, die er uns für alle Zeiten vermacht hat". - Man hat also das äußere Motiv der Nähe erst mit der Zeit innerlich verstanden - deshalb auch die Verzögerung in der Rezeption.
Man muss dem nicht zustimmen, sollte aber zur Kenntnis nehmen, dass dies, erstens, ein ernst zu nehmender wissenschaftlicher Ansatz ist - der übrigens aus meiner Sicht zur HKM gehören müsste, den man aber meinetwegen auch in die systematische Theologie verschieben kann, wenn damit eingeübte Abläufe der HKM gestört werden.
Zweitens sollte man zur Kenntnis nehmen, dass diese Version Standard bei sehr vielen Theologen ist - und das sind nicht nur wissenschaftliche Deppen.
Thaddäus hat geschrieben:Die rot gesetzte Aussage ist widerlegt
Nicht überzeugend - eigentlich geht es hier nicht um Wahrheit, sondern um Systeme, die jeweils um ihr Deutungs-Monopol kämpfen.