Thaddäus hat geschrieben:Diese deine Zitate beweisen in aller Deutlichkeit, wie sehr du christlich interpretierst und eben nicht universal oder abendländisch.
Du hast meine Bemerkung gelesen, dass ich mich der christlichen Chiffrierung bediene - das ist etwas ganz anderes. - Die griechische Chiffrierung wäre, dass der Mensch vom Schicksal ausersehen ist und dies zu tragen hat. - Man kann die Kulturkreise und deren Inventar beliebig austauschen und gucken, wie weit man damit kommt. - Du irrst Dich, weil Du Inhalt und Chiffre gleichsetzt.
Thaddäus hat geschrieben:Du stülpst dem Drama König Ödipus des griechischen heidnischen Dramatikers Sophokles deine christliche Sicht über, statt das Werk aus seinem griechischen und dezidiert nicht-christlichen Denken zu interpretieren.
Ganz einfach falsch - warum liest Du nicht? -
Ich habe ausdrücklich geschrieben, dass griechisches Weltbild (Fluch = Ausersehen-Sein und dann Styx) und christliches Weltbild (Fügung = Kreuz und dann Erlösung) unterschiedlich interpretieren. - Warum unterstellst Du dann das Gegenteil.
Vor allem: Warum unterstellst Du den Griechen DEIN "aufgeklärtes" Bild von "Schuld" und "Strafe"? - Das ist komplett provinziell im Vergleich mit griechischer und christlicher Lösung.
Thaddäus hat geschrieben:Begriffe sind aber keine Chiffren.
Doch - menschliche Begriffe sind Ausdrucksformen für etwas und nicht selbst etwas.
Thaddäus hat geschrieben:Wenn du den säkularen Begriff Geist in transzendente Entität und geistlich umdefinierst
Umgekehrt: Du definierst den spirituellen Begriff "Geist" säkular um.
Thaddäus hat geschrieben:Das ist genau die Vorgehensweise der Wahrheitsbehörde in Orwells 1984, die den Begriff "Freiheit" umdefiniert zur Unfreiheit.
Das ist doch exakt der Vorwurf an Dich!
Thaddäus hat geschrieben: Du interpretierst also, die Strafe des Gottes erfolgt deshalb, weil Ödipus Wissen will, wer für den Zorn des Gottes verantwortlich ist.
Anders: Ödipus würde nicht bestraft werden können, wenn er nicht erkennen würde, dass ER der Betroffene ist. - Oder meinst Du, die Strafe würde eh kommen, auch wenn er NICHT erkennt?
Thaddäus hat geschrieben: Ödipus wird nicht wegen seiner Verblendetheit bestraft
Nach aufgeklärten Kriterien ist Ödipus doch gar nicht verblendet. - Er ist - in guter griechischer Art - ausersehen für einen Fluch. - Wie soll er verblendet sein, wenn er gleichzeitig rausfinden will, was abgeht? - Soll er Teresias glauben oder soll er es ermitteln?
Dürfte er aufgeklärt sein, MÜSSTE er es ermitteln. - Würde er sich einer Schicksalswelt klaglos unterwerfen, könnte Selbst-Ermittlung als Hybris interpretiert werden - so wie bei Hiob. - Hier sind sich das griechische und das AT-Denken sehr ähnlich - nämlich im heutigen Sinne des Wortes vollkommen un-aufgeklärt.
Und jetzt käme die Bewertungfrage. Was ist besser?
a) Aufgeklärt sein, wie es Ödipus versucht ("Ich will es wissen")
b) oder sich der Geistlichkeit/Gott klaglos fügen?
Du müsstest nach DEINEM Weltbild eigentlich a) sagen und die Rückständigkeit der sophokleischen Darstellung beklagen. - Ich könnte b) sagen im Sinne einer Vernunft, die über Gott mitgeteilt wird und die wir nicht verstehen können. - Deshalb nochmals: Wir haben hier witzigerweise die Rollen getauscht.
Thaddäus hat geschrieben:Hier geht es ganz gewiss nicht um Erbschuld. Die Vorstellung einer Erbschuld ist den vorchristlichen Griechen völlig fremd.
Ach, Mann. - "Transferiert" habe ich geschrieben - ich habe das im Griechischen bekannte Wort "Fluch" übertragen auf christliche Denkweise, damit die unterschiedlichen Denkweisen sichtbar werden.
Thaddäus hat geschrieben:Ödipus persönliche Schuld besteht darin, dass er nicht auf den blinden Seher Teiresias hört, auf den er aber hören sollte, weil der in Verbindung mit den Göttern steht und die Wahrheit "sieht".
Ja - das ist dasselbe in grün wie bei Hiob - was zählt mehr: Die eigene Urteilskraft oder die Vorsehung Gottes?
Und Du sagst jetzt Ödipus habe eine PERSÖNLICHE Schuld, weil er seine eigene Urteilskraft einsetzen möchte? - Und nennst die Griechen geistig fortschrittlicher als die Hebräer, wenn es Ödipus als persönliche Schuld angelastet wird, wenn er sich ein eigenes Urteil bilden will? - Sehr erstaunlich.
Richtig ist, das Sophokles damit einen religiöse Status Quo der griechischen Kultur darstellt, der dem entspricht, was Aiskylos ajatollah-mäßig vertritt. - Euripides wenige Jahre nach Sophokles wird diese Denkweise ironisieren - seine Deus-ex-machina-Installationen sind pure Götter-Verarschung.
Wie denkt Sophokles? - Wie auch immer: Er steht dazwischen und stellt diesen Konflikt dar. - Ob das Publikum fromm oder protestierend reagiert hat, weiss ich nicht, wäre aber interessant.
Thaddäus hat geschrieben:Ödipus kann sehen, ist aber blind (gegen die Wahrheit), Teiresias ist blind, sieht aber die Wahrheit!
Das ist ein uraltes Motiv - siehe auch Bileam )Numeri).
Thaddäus hat geschrieben:Also blendet er sich zum Schluss
Genau so - er tauscht äußere durch innere Erkenntnis ein. - Ein Motiv, dass das Christentum seit dem AT durchläuft wie ein roter Faden, das sich aber auch heute noch nicht durchgesetzt hat.
Thaddäus hat geschrieben:als die gerechte persönliche Strafe
Wieso "gerecht"? - Man kann dies nur unter Hiob-Gesichtspunkten als "gerecht" bezeichnen.
Thaddäus hat geschrieben: seine eigene vorhergehende Ver-blendung
Wieso "verblendet"? - Wärest Du "verblendet", wenn rauskäme, dass Dein langjähriger Ehemann in Wirklichkeit Dein Bruder ist?
"Verblendet" geht hier nur im AT-Wortsinn: Als Phänomen, an dem der Betroffene keinen Anteil hat - als Attribut. - So wie wenn Du eine Erbkrankheit in Dir tragen würdest, für die Du nichts kannst. - Das entspricht sehr wohl meinem Verständnis von "Erbschuld" - aber dass DU es ausgerechnet als "gerecht" bezeichnest, ist erstaunlich.
Thaddäus hat geschrieben:Da ist nichts Christliches drin und es gibt auch keinerlei christliche Anspielungen. Müneks Vorwurf eines Hangs zur Eisegese bei dir wird hier bestätigt.
Meine Herren - wie wollt Ihr an den Kern kommen, wenn Ihr sklavisch ungeistig interpretiert.
Thaddäus hat geschrieben: Gleichzeitig verstößt sie aber gegen königliches Gesetz und macht sich so schuldig.
Ja - dasselbe Thema - mit denselben Fragen, die damit zusammenhängen.
Stellen wir also erfreulicherweise fest, dass man "Schuld" völlig unabhängig von eigenem Anteil verstehen kann - also ganz anders als der moderne Sinn des Wortes als "da hat jemand was in eigener Verantwortung falsch gemacht".
Thaddäus hat geschrieben: Persönlich schuldig wird er erst dadurch, dass er nicht auf Teiresias hört
Du würdest also solche Aussagen ungeprüft durchgehen lassen - augeklärtes Griechentum????
Thaddäus hat geschrieben:Sonst müsste Sophokles ja gar keinen blinden Seher Teiresias auftreten lassen, wenn es nur um die kriminilatische Aufklärung des Falles ginge.
Sophokles lässt Teresias auftreten, um die höhere Macht jenseits menschlicher Vernunft deutlich werden zu lassen und schon wieder: Hiob)
Thaddäus hat geschrieben:die offen liegende Wahrheit, die ihm Teiresias offenbart
Wieso "offenliegend"? - "Könnte ja jeder kommen", würde ein aufgeklärter Mensch sagen. - Und nochmals: Wäre Ödipus verschont worden, wenn er gleich auf Teresias gehört hätte? (Ich weiss es nicht, weil ich dieses wichtige Detail nicht im Kopf habe).
Thaddäus hat geschrieben:Wie ich gerade geschrieben habe, liegt die persönliche Schuld des Ödipus nicht darin, dass er die Sache aufklären will.
Nee - aber es ist seine Tragik. - Erkennen führt zum Untergang - das ist ganz gegen die Aufklärung und sehr "romantisch" (im seriösen Sinn des Wortes).
Thaddäus hat geschrieben:Ödipus ist auch bestimmt kein Märtyrer oder christlicher Opfertyp.
Es ist die Übertragung einer Chiffre aus einem anderen Kulturraum - Du magst schon festgestellt haben, dass alle Hochkulturen unterm Strich dieselben Fragen stellen und innerhalb ihrer kulturellen Möglichkeiten chiffrieren. - Insofern lohnt sich ein Vergleich immer.
Thaddäus hat geschrieben:Es gibt keine hebräische Philosophie!
OK - dann sagen wir es anders:
Der Zugang zur Weisheit ist bei den Hebräern ein anderer als bei den Griechen - konziliant formuliert ist dieser hebräische Weg dem griechischen substantiell nicht unterlegen.
Aber halten wir fest:
Du akzeptierst, dass in der griechischen Kultur der Götterglaube über dem "Nous" steht - "die Instanz im Menschen, die für das Erkennen und Denken zuständig ist" <wik>. -
Thaddäus hat geschrieben:In diesem Stück ist Schuld doch nicht ein Attribut des Menschseins an sich.
Doch - weil es jeden treffen könnte - purer zufall, wen das Schicksal dazu auserwählt, eine Frau zu heiraten, die sich als Mutter herausstellt.