Thaddäus hat geschrieben:Du meinst wiederum christlich-geistliche Bildung
Das ist Definitions-Sache. - Unter "geistlich" würde ich "in Bezug auf Geistliche" oder "in Bezug auf Christlich-Liturgisches", etc. verstehen. - Ich meine es universaler und habe deshalb "geistig" gewählt.
Thaddäus hat geschrieben:Die beginnt nämlich mit Homer 800 Jahre vor unserer Zeitrechnung und reicht bis zur Philosophie des Hellenismus. Da gab es noch kein Christentum.
"Geist" kann man als Entität nicht historisch sehen, sondern nur in seinen epochalen Ausdrucksformen. - Insofern ist es wurscht, wann etwas Geistiges passiert.
Thaddäus hat geschrieben:Nein, moralisierend passt haargenau, denn du versuchst griechische Kultur von Sophokles bis zu den Sophisten und die obige Geschichte von Protagoras und Euathylos christlich-moralisch zu bewerten.
Ich versuche es universal zu bewerten, Du historisch. - An "christlich-moralisch" denke ich gar nicht - das gehört nicht zu meinem bevorzugten Wortschatz.
Thaddäus hat geschrieben: Und das ist faktisch eine geistliche Vergewaltigung dessen, was sie zum Ausdruck bringen wollten.
Ich glaube nicht, dass Deine Interpretation zutreffend ist:
Thaddäus hat geschrieben:Aber Ödipus wird wegen seiner Verblendetheit von den Göttern bestraft
Seiner Verblendetheit des Wissen-Wollens!!! - Sonst würde er doch Teresias nicht gegen dessen Widerstand zwingen, ihn auf die "richtige" (= falsche) Spur zu bringen.
Thaddäus hat geschrieben: Seine Tragik liegt in seiner Verblendung, nicht sehen zu können, dass er SELBST das Unheil der Pest über Theben brachte.
Das weiß doch Teresias auch - warum rückt er sein Wissen nur widerwillig heraus? - Meine Antwort: Weil er weiss, dass das Wissen Ödipus in die Katastrophe stürzen MUSS.
Du hast "aufgeklärt" schon recht - das ist die klassische Linie. - Aber Klassis und Romantik sind ein Januskopf - schau Dir mal Euripides an, wie er kurz später das Klassische von Sophokles romantisch ironisiert hat (Stichwort: Deus/Dea ex machina).
Thaddäus hat geschrieben:Aber Ödipus wird wegen seiner Verblendetheit von den Göttern bestraft und nicht, weil er unwissentlich seinen Vater tötete und seine Mutter ehelichte.
Auch so was: Wie kann man jemanden
bestrafen wenn "er
unwissentlich seinen Vater tötete und seine Mutter ehelichte"? - DAS wäre moralisiernd.
Griechisch gedacht wäre:
"Weil Du von den Göttern ausersehen bist, Deinen Vater zu töten und Deine Mutter zu ehelichen, trifft Dich ein Fluch". - Dazu sagt (war es) Schelling oder F-Schlegel, dass es der "Ethos" des Menschen war, für ihn Ausersehenes zu ertragen - Tyche. - Das "bestrafen" ist eine Vermoralisierung, die von "uns" nachgereicht ist.
Hier übrigens ähnlich dem AT - merke: "Schuld" ist im AT (wie ich meine, auch im NT) Attribut des Menschen und keine Selbstverantwortungs-Größe des Menschen - auch hier wird "modern" nach-interpretiert.
Thaddäus hat geschrieben:Nein, Ödipus will ja gerade nicht wissen!
Doch:
1) Er lässt sich etwas gegen den Willen des Teresias von ihm sagen - obwohl Tereisias genau deswegen da ist.
2) Er glaubt es nicht und UNTERSUCHT es deshalb. - Er will es WISSEN.
Aber Du hast mit Deiner ganz anderen Interpretation auch irgendwo recht - es ist das janus-köpfige. - Nimm Teresias:
* Teresias scheut sich, Ödipus aufzuklären, ist aber deshalb hergekommen.
* Ödipus kann wirklich nichts für das, was ihm angelastet wird, aber er soll einsehen, dass er schuldig ist.
* etc.
Das ist Romantik pur - das ist Schillers "Demetrius" - das ist romantisches Tyche statt klassischer Nemesis - das ist "fair is foul and foul is fair". - Das geht nur in einer "klassischen" Zeit, die sich selber erkannt hat und danach die Seiten ins Romantische wechseln muss. - Großes Thema.
Thaddäus hat geschrieben:Die Katharsis besteht bei Sophokles darin, dass man einsieht, dass Verblendung eine menschliche Eigenschaft ist, die eine "Sünde" darstellt.
Mit Verlaub: Das ist arg, arg flach - es tut mir leid, Dir das sagen zu müssen. - Als wäre dieses Stück ein Bänkelstück, ein Moritat.
Thaddäus hat geschrieben:Bei Hiob besteht sie im Vertrauen darauf, dass alles recht ist, was der Gott macht
Auch nicht sehr kongenial - bei Hiob geht es eigentlich um die Einsicht der grundsätzlichen Beschränktheit menschlichen Befindens und das Sich-Ausliefern-Müssen in ein Größeres - unabhängig davon, ob man was ausgefressen hat oder nicht. - DIeses "unabhängig davon" ist wichtig, weil es somit nicht "aufgeklärt" lösen kann.
Insofern ist Hiob einerseits dem Griechischen ähnlich, weil es der Tyche-Fluch ist, der einen trifft - allerdings gibt es einen Unterschied: Bei Hiob kann der Satz stehen (Schlachter/Hiob 19,25):
"Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird zuletzt über dem Staube stehen. (Jesaja 41.14) (2. Timotheus 1.12) 26 Und nachdem diese meine Hülle zerbrochen ist, alsdann werde ich, von meinem Fleische los, Gott schauen. (Psalm 17.15) (Psalm 73.24) 27 Den werde ich mir ansehen, meine Augen werden ihn schauen, ohne Ihm fremd zu sein".
Das heisst:
Nachdem Ödipus "bestraft" ist, ist die Story zu Ende - irgendwann geht's halt über den Styx (= Wupper

). - Im AT wird dagegen als sichere Aussicht formuliert:
a) Es gibt eine Existenz "vom Fleische los".
b) Es gibt ein Nicht-Fremd-Sein zwischen Mensch und Gott. - Das wäre bei Zeus nicht möglich.
Thaddäus hat geschrieben: Der Verfasser des Buches Hiob wusste nicht, was Dialektik überhaupt ist.
Auch Du lieber Gott. - Meinst Du, man kann nur dann dialektisch schreiben, wenn man vorher den Begriff "Dialektik" akademisch durchgekaut hat?
"Dialektik" ist deshalb beschäftigungs-würdig, weil es ein Kernbegriff zum Verständnis des sog. "Sündenfalls" ist - egal ob man damals schon den Begriff "Dialektik" gekannt hat oder nicht.
Thaddäus hat geschrieben:Vergleichen kann man beide Bücher, weil Sophokles Oidipous Basileus von viel höherer Geistigkeit zeugt, als dies das Buch Hiob tut.
Wie bitte? - Was ist in "Ödipus" gerecht? - Du moralisierst gegen den Geist des Griechentums - sowas kannte man damals nicht.
Thaddäus hat geschrieben:Ich habe oben Sophokles Drama König Ödipus so interpretiert, wie es seiner zeit entspricht.
Dann musst Du moralische Begründungen weglassen und "Schicksal" als a-moralische Größe ("Tyche") verstehen: Der Mensch ist ausersehen - basta. - Nix da mit "Selbstverantwortung" o.ä. - das waren bis vor wenigen Generationen Luxus-Themen.
Thaddäus hat geschrieben:Aber an intellektuellem Format steht Sophokles Oidipos Basileus weit über der Hiob-Geschichte.
Ich habe beide gelesen - bei Hiob habe ich wesentlich länger gebraucht, um dialektisch durchzusteigen.
Thaddäus hat geschrieben:Offensichtlich lässt der Verfasser der Apg. Paulus eine kunstvolle Rede im Stile der Sophisten vor dem Areopag halten, um sich einer Anklage zu entziehen.
Auch das ist möglich - dann hätte er den Schwanz eingezogen. - Verständlich, aber nicht unbedingt authentisch.
Thaddäus hat geschrieben:Das meinst du jetzt aber nicht im Ernst?!

Der Ruach Elohim ist etwas ganz anderes als der nous der Griechen und das mens der Römer, die beide säkulare Begriffe sind.
Eben - und "spiritus" ist nun mal keine säkulare Größe. - Man kann allenfalls davon sprechen, dass die Griechen säkulare Begriffe gefunden haben, für die WIR das selbe Wort verwenden wie für den spirituellen Begriff.
Im Grunde meinst Du, dass das griechische Konstrukt dem unsrigen säkularen ÄHNLICHER ist, und schliesst daraus, dass es fortschrittlicher sein muss, weil unsere Epoche HEUTE meint, dass säkulare Größen über spirituellen Größen stehen. - Du transferierst heutige Befindlichkeiten auf vergangene Epochen.