Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Samantha

#201 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Samantha » Fr 4. Mär 2016, 08:55

lovetrail hat geschrieben:Röm.8 spricht von dieser Freiheit der Kinder Gottes aber in Abhängigkeit vom Glauben an den Sohn Gottes, welcher für unsere Sünden dahingegeben wurde. Da ist nicht die Rede vom freimauererischen Toleranzevangelium, für welches die heiligste Tugend die ist, den anderen in seiner Andersheit zu belassen.
Wenn es einen Gott gibt, kann man sich mit spirituellem Gehabe (Leben ohne Gott) nicht retten, und daher sehen sich Christen oft im Zwang zu missionieren oder aufzuklären... nicht aus Intoleranz, sondern weil sie den einzigen Weg aufzeigen wollen - dies sollte natürlich nicht bevormundend erfolgen. Das allein Spirituelle kann zwar erfüllen, geht aber nicht darüber hinaus.
Erfolgt eine Bevormundung, Zwang oder Intoleranz, entsteht statt glauben Angst und Abwehr. Diese Abwehr kann man heute bei vielen Menschen erkennen.

Novas
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#202 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Novas » Fr 4. Mär 2016, 09:04

Samantha hat geschrieben:nicht aus Intoleranz, sondern weil sie den einzigen Weg aufzeigen wollen - dies sollte natürlich nicht bevormundend erfolgen.

Dann erkläre mal, weshalb es - deiner Meinung nach - der einzige Weg ist und man an Jesus nicht vorbei kommt? Behaupten kann man alles. :) Wie würdest Du den Satz „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Johannes 14:6) in deinen eigenen Worten erklären?

Ich zitiere noch mal den Kuhlmann:

Ist Christus Gott? Ja, fühlt beseligt Tomas (Joh 20,28), und auch auf seinen Glauben gründet sich die Kirche. Nein, widersprechen Juden wie Moslems. Und Jesus stimmt ihnen zu: "Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott dem Einen" (Mk 10,18). Insofern a) das Wort "Gott" den Vater meint und b) der Name "Jesus" die menschliche Natur bezeichnet, ist Jesus nicht Gott. Diesen kritischen Sprachgebrauch darf das innerchristliche Dogma den anderen nicht verbieten, also soll ein Christ ihr Zeugnis achten, es hilft auch ihm gegen die Versuchung, Endliches zu vergötzen.
Darf, umgekehrt, ein glaubendes Ich sich als Selbstvollzug des göttlichen ICH fühlen? Nein, erschrickt der Normalchrist, ihm bleibt Gott stets das hohe DU. Ja, glauben Hindu-Mystiker wie auch unser Meister Eckhart. Und irren nicht; denn "ehe Abraham ward, bin ICH" sagt Christus (Joh 8,58) und "nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20), bezeugt Paulus und fährt fort: "Ihr alle seid Einer in Jesus Christus" (3,28): Einer, nicht bloß irgendwie eins, sondern in Person das Ur-ICH selbst, ähnlich wie in jedem Haaransatz wahrhaft du selbst, dein Gesamt-Ich, es spürt, wenn an dem Haar gezupft wird. O Freude: "Kein Kopfhaar kommt um" (Lk 21,18)!

Sollen wir nach Gott fragen? Gewiß, weiß der Christ. Nein, erwidern Atheisten. Und gibt Jesus (Joh 14,9) ihnen nicht recht? "Wer mich sieht, sieht den Vater. Wie kannst du sagen: zeig uns den Vater?" Das sagt ein Mensch, der eben noch seinen Freunden die Füße wusch. Dürfen wir demnach solchen, die von Gott absehen, nicht widersprechen? Doch, wir sollen es. Denn wir sind ein anderer Wahrheitspol als sie. Widersprechen heißt aber nicht so tun, als hätten sie unrecht. Sondern wir seien wie ein Trompetenstoß ins Geflirre der Streicher, weil ohne ihn der gemeinsamen Musik Entscheidendes abginge. Recht kann ein Atheist aber auch haben; denn wie sagte so schön ein berühmter Theologe: "So wie den Bodensee gibt es Gott nicht." In Aida tritt kein Verdi auf.


[...]

Ich erinnere an das prophetische Wort von Romano Guardini ("Der Herr", S. 360): "Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft. Vielleicht wird Buddha der letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinanderzusetzen hat. Was er christlich bedeutet, hat noch keiner gesagt. Vielleicht hat Christus nicht nur einen Vorläufer aus dem alten Testament gehabt, Johannes, den letzten Propheten, sondern auch einen aus dem Herzen der antiken Kultur, Sokrates, und einen dritten, der das letzte Wort östlich-religiöser Erkenntnis und Überwindung gesprochen hat, Buddha."

~ Jürgen Kuhlmann
http://www.stereo-denken.de/zen-chri.htm

Das zeigt schon sehr gut, dass alle diese verschiedenen Perspektiven Funken der Wahrheit enthalten. Das „prophetische Wort“ von Guardini kann ich aus meinem eigenen Leben nur bestätigen: denn ich habe mich mit allen Weltreligionen beschäftigt, und dabei ist mir die besondere Nähe zum Buddhismus aufgefallen. Selbst wenn man den Buddhismus für sich ablehnt, aber da gibt es eine Nähe und ich respektiere aufrichtige Buddhisten ;)
Es gibt auch nicht wenige Christen, die beispielsweise durch Zen wieder einen lebendigen Zugang zu ihrer eigenen spirituellen Tradition gefunden haben, weil für sie die Quelle irgendwie verschüttet war.

Samantha

#203 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Samantha » Fr 4. Mär 2016, 12:04

Novalis hat geschrieben:Dann erkläre mal, weshalb es - deiner Meinung nach - der einzige Weg ist und man an Jesus nicht vorbei kommt? Behaupten kann man alles. :) Wie würdest Du den Satz „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Johannes 14:6) in deinen eigenen Worten erklären?
Niemand kann ohne die Vergebung der Sünden auferstehen, und das geht nicht ohne Jesus.
Gott vergibt, wenn wir Jesus anerkennen bzw. das Gott-Jesus-Duo.
Der Weg zu Gott führt immer über Jesus ... man kann ihn nicht ausklammern.
Jesus ist der Schlüssel.

Es gibt auch nicht wenige Christen, die beispielsweise durch Zen wieder einen lebendigen Zugang zu ihrer eigenen spirituellen Tradition gefunden haben, weil für sie die Quelle irgendwie verschüttet war.
Der Weg über den Buddhismus kann ein Weg zu Gott sein, bleibt aber ein Umweg, auch um nicht glauben zu müssen. Es ist ein menschengemachter Weg, der Gott nicht kennt ... auch ein Weg, um sich selbst erst mal akzeptieren zu können, zu lernen und das Irdische in den Vordergrund zu stellen.

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lovetrail
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#204 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von lovetrail » Fr 4. Mär 2016, 15:55

Jesus Christus ist das Brot des Lebens welches vom Himmel auf die Erde kam.

Joh.6,35; Elb. hat geschrieben:Jesus sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten.

Sein Fleisch ist wahre Speise und sein Blut ist wahrer Trank. Wer von diesem Fleisch isst und von diesem Blut trinkt, hat ewiges Leben und Er wird ihn auferwecken am letzten Tag.

Joh.6,51-55; Elberfelder hat geschrieben:51 Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, wird er leben in Ewigkeit. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.
52 Die Juden stritten nun untereinander und sagten: Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?
53 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch selbst.
54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag;
55 denn mein Fleisch ist wahre Speise, und mein Blut ist wahrer Trank.

LG lovetrail
Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten!

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#205 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Lena » Fr 4. Mär 2016, 16:37

lovetrail hat geschrieben:Jesus Christus ist das Brot des Lebens welches vom Himmel auf die Erde kam.

Erfüllte Gemeinschaft unter Menschen gibt es nur durch die Liebe. In der Bibel wird Gott die Liebe genannt. Er, als der Schöpfer des Menschen, dem Menschen zum Bruder geworden durch sein Menschwerden, nur er bewirkt durch seinen Geist, was im Wort - eins sein - heisst. Diese Liebe, diese Bruderliebe, dieses Philia im Menschen erzeugen.

Was immer jeder von dem Wort Spiritualität hält und was er für Religionen kennt. Herzensliebe benötig die Liebe im Herzen. Ein Geist, hat die Macht, tote und kalte Herzen, zu erfüllen und dieser ist der Heilige Geist, der Geist, der Jesus Christus bezeugt und verherrlicht.
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

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#206 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von janosch » Fr 4. Mär 2016, 18:17

Samantha hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Dann erkläre mal, weshalb es - deiner Meinung nach - der einzige Weg ist und man an Jesus nicht vorbei kommt? Behaupten kann man alles. :) Wie würdest Du den Satz „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Johannes 14:6) in deinen eigenen Worten erklären?
Niemand kann ohne die Vergebung der Sünden auferstehen, und das geht nicht ohne Jesus.
Gott vergibt, wenn wir Jesus anerkennen bzw. das Gott-Jesus-Duo.

Dann sollten wir entscheiden, wer ist der Größere... Beim "Duo" gibt es ein Duellieren und einer ist der Gewinner. Der andere ist der Verlierer... :(

Entweder hier Jesus redet zu Menschen, die noch keinen "Gott" kennen oder eben einen falschen Gott anbeteten.
Wenn ich die Chronologie betrachte, hier redet Jesus zu Menschen, die ihren "VATER" nicht kannten! Also die Juden hier haben noch keinen Geist der Sohnschaft gehabt. Und das erklärt einiges! Oder wovon reden wir eingentlich? :shock:
Und nach meiner Erkenntnis aus dem Evangelium nach Pfingsten das ändert sich komplett! Also diesen Satz Jesus sollte man nach dem Tod und der Auferstehung und nach Pfingsten anders interpretieren. Nach der Ausgießung des HG haben sie erkannt, was sie in dieser Zeit noch gar nicht ahnen könnten. Siehe Petrus Zeugnis.

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Savonlinna
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#207 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Savonlinna » Fr 4. Mär 2016, 18:20

Lena hat geschrieben:Ein Geist, hat die Macht, tote und kalte Herzen, zu erfüllen und dieser ist der Heilige Geist, der Geist, der Jesus Christus bezeugt und verherrlicht.
Ich kann nicht erkennen, dass es irgendeinen Unterschied macht, welchen Namen man bekennt, wenn Menschen anderen Menschen empatisch begegnen.

Eher kann ich erkennen, dass das Bestehen darauf, dass man nur im Namen Jesu "das rechte Herz" haben kann, kriegstreiberisch ist.

Novas
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#208 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Novas » Fr 4. Mär 2016, 21:02

Savonlinna hat geschrieben:.

Eher kann ich erkennen, dass das Bestehen darauf, dass man nur im Namen Jesu "das rechte Herz" haben kann, kriegstreiberisch ist.



Das sehe ich auch so. Mir gefällt das Wort Wirklichkeit, denn es bedeutet, dass wir mit allem zusammen-wir-ken, nicht wahr? Der Physiker Hans Peter Dürr erkannte und thematisierte das: "Die wohl bahnbrechendste Erkenntnis der neueren Physik liegt darin, dass wir nicht länger die Materie als Grundbaustein des Universum betrachten können. Ja, wir wissen heute, dass es auch nicht Energie ist, was der Welt zugrunde liegt, denn Energie ist bei Lichte besehen nichts anderes als »verdünnte Materie«, während Materie so etwas wie »zerknüllte Energie« ist. Nein, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist ihre Beziehungsstruktur. Und diese Beziehungsstruktur ist weder materiell noch energetisch erzeugt, sondern sie besteht von Anfang an."- seitdem mir das innerlich aufgegangen ist, lebe ich anders.

Ich weiß, dass jeder seinen Sinn und Platz im Universum hat, denn wir sind alle Mit-Wirkende. Dürr spricht von "Wirks", um zu beschreiben, woraus die Wirklichkeit zusammen gesetzt ist. Es ist wohl so, dass die Evolution nur voran kommt, wenn wir miteinander kommunizieren und experimentieren, wenn wir also "wirken".
" Aber ja. Die Liebe entspricht – nach allem was wir wissen – dem Universum viel besser als unser Verstand. Denn sie folgt einer Logik des »Sowohl-als-auch«, während der Verstand die Logik des »Entweder-oder« bevorzugt. Das »Entweder-oder« existiert aber nur an der Oberfläche der Welt. In ihrer Tiefe ist sie ein Sowohl-als-auch."

http://www.wirks.at/blog/lieben-statt-begreifen/

Dürr ist sicher ein gutes Beispiel für einen Vertreter religionsfreier Spiritualität, die gerade durch die Wissenschaft inspiriert sein kann.

Pluto
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#209 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Pluto » Fr 4. Mär 2016, 21:20

Novalis hat geschrieben:Das sehe ich auch so. Mir gefällt das Wort Wirklichkeit, denn es bedeutet, dass wir mit allem zusammen-wir-ken, nicht wahr? Der Physiker Hans Peter Dürr erkannte und thematisierte das: "Die wohl bahnbrechendste Erkenntnis der neueren Physik liegt darin, dass wir nicht länger die Materie als Grundbaustein des Universum betrachten können. Ja, wir wissen heute, dass es auch nicht Energie ist, was der Welt zugrunde liegt, denn Energie ist bei Lichte besehen nichts anderes als »verdünnte Materie«, während Materie so etwas wie »zerknüllte Energie« ist. Nein, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist ihre Beziehungsstruktur. Und diese Beziehungsstruktur ist weder materiell noch energetisch erzeugt, sondern sie besteht von Anfang an."- seitdem mir das innerlich aufgegangen ist, lebe ich anders.
Das scheint mir nichts weiter als das Prinzip der Selbststrukturierung von Materie zu sein welche den Naturgesetzen folgt.

In hübschen Worten gekleidete Mystik.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Novas
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#210 Re: Gibt es Spiritualität ohne Religion?

Beitrag von Novas » Fr 4. Mär 2016, 21:51

Der Hans Peter Dürr wählte gerne eine poetische Sprache, weil er erkannte, dass die ganze Wirklichkeit von Natur aus poetisch ist und er hat das mit seinem ganzen Wesen empfunden und dabei nach passenden Worten gefischt, in dem Wissen, dass das Lebendige und Wirkliche niemals ausreichend beschrieben werden kann. Ich zitiere gerne noch mal den gelehrten Atheisten André Comte-Sponville:

Das Sein ist das Mysterium, nicht etwa, weil es verborgen wäre oder selbst etwas verbirgt, sondern, weil Evidenz und Mysterium ein und dasselbe sind – weil das Mysterium das Sein selbst ist.

Lehrt uns nicht auch die Wissenschaft in besonderem Maße das Staunen vor dem Sein? Es gibt wohl zwei Arten sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eines. Ich erinnere gerne an sein Buch „Das Netz des Physikers“, in dem er sich auf die bekannte Parabel des britischen Astrophysikers Sir Arthur Eddington bezieht.......

Der Autor zitiert die Parabel des britischen Astrophysikers Sir Arthur Eddington: Ein Ichtyologe, ein Fischkundiger also, fängt Fische mit einem Netz und formuliert zwei Grundgesetze: 1. „Alle Fische haben Kiemen“, 2. „Alle Fische sind größer als fünf Zentimeter“. Da kommt der Philosoph einher und sagt: „Das zweite ist kein Gesetz. Vielmehr hat dein Netz eine Maschenweite von fünf Zentimetern.“ Unbeeindruckt entgegnet der Forscher: „Über das, was ich nicht fangen kann, kann ich auch nichts sagen.“

Das „Netz“, mit dem die Physiker „fischen“, nämlich ihre physikalische Weltvorstellung, sei bereits eine Abstraktion und könne nicht die ganze Wirklichkeit erfassen, meint Dürr. Allerdings sei das Netz nicht willkürlich geknüpft. Er argumentiert ähnlich wie der Biologie Rupert Riedl in seiner „evolutionären Erkenntnistheorie“: „Das Netz ist gewissermaßen ein Werkzeug für das Überleben der Gattung Mensch. Das Werkzeug des Denkens muß also an die Wirklichkeit angepaßt sein.“

Wie die Physik des 20. Jahrhunderts philosophisch zu deuten sei, ist nach wie vor umstritten. Die Quantenmechanik räumte auf mit der Vorstellung, daß Materie stets so aussehe wie die Dinge, mit denen wir es seit eh und je zu tun haben. Wir können die Mikrowellen nur noch mathematisch oder in Gleichnissen aus unserer Umgangssprache beschreiben. Gewohnte Bilder wie „Welle“ oder „Teilchen“, „Objekt“ und „Beobachter“ führen dabei zu Widersprüchen, die unserem anschaulichen Denken absurd .erscheinen. Diese Probleme sind nicht neu, aber bei Dürr gut nachvollziehbar dargestellt. Sie geben dem alten Streit der Philosophen neue Nahrung, ob es eine vom Bewußtsein unabhängig existierende, also objektive Realität gebe.

Dort allerdings, wo die Physik unanschaulich wird, wird die Philosophie allzuoft nur undeutlich. In dem Bemühen, das modische Bedürfnis nach „ganzheitlichem Wissen“ zu befriedigen, gerät so mancher ins Schwärmen und hält letztendlich der reduktionistischen Botschaft „Das Ganze ist nichts als die Summe seiner Teile“ lediglich entgegen „Das Ganze ist nichts als das Ganze“. In einem schlecht redigierten Interview, das besser keinen Eingang in dieses Buch gefunden hätte, formuliert sich Dürr in die Nähe dieser Ideologie; in anderen Texten dagegen bestätigt er die Berechtigung des analytischen Denkens.

Heisenberg und viele andere haben aus der erkenntnistheoretischen Problematik der neuen Physik Konsequenzen gezogen; sie wagten die von Einstein geforderte „kühne Spekulation“ und wählten neben dem rationalen auch den intuitiven Weg zur Erkenntnis – das beschreibt Dürr sehr plastisch. Er sieht im Dogma den schlimmsten Feind des Denkens.
http://www.zeit.de/1989/03/der-fischende-physiker

Deshalb kann man Wissenschaft und Religion auch als zwei komplementäre Systeme des Wissens miteinander verbinden.

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