Alles Teufelszeug?

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#321 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Fr 12. Feb 2016, 19:03

Thaddäus hat geschrieben: Die älteste Überlieferungsschicht des NT und deren Jesus-Logien bestätigen also ausdrücklich nicht, dass Jesus sich selbst als Gottesohn oder gar Gott gesehen hätte.
Wie mehrmals begründet, gilt hier nicht die an sich bewährte Verfahrensweise, pauschal die älteste Quelle als die sinn-näheste zu verstehen. - Jesus KANN sich so oder anders gesehen haben - vollkommen offen. - Je nach eigener Weltanschauung wird man so oder anders interpretieren. - Mehr ist hier nicht rauszuholen.

Thaddäus hat geschrieben: Eine Entwicklung, die erst in der dogmatischen Festlegung Jesu als wahrer Mensch und wahrer Gott und also als Hypostase und wesensgleich mit Gott und heiligem Geist als Trinität auf dem Konzil von Nicäa (325) zu ihrem Ende kommt.
So ist es. - Nun wäre die Frage: Welche dieser Entwicklungs-Stufen kommt der tatsächlichen Wirklichkeit Jesu am nähesten? - Die Antwort ist eine reine Glaubenssache - egal ob von Säkularisten oder von Christen.

Thaddäus hat geschrieben:Die HKM sagt also eine ganze Menge zu Gott bzw. zur Vergottung Jesu als historisch-dogmatischem Fakt. Sie sagt aber in der Tat nichts zur Existenz Gottes. Das ist nicht ihre Aufgabe.
Schon klar. - Die HKM als Instanz zur Nachzeichnung und Bewertung der Rezeptions-Geschichte ist ja auch voll akzeptiert - genau das ist ihr Feld. - Aber sie kann - ich wiederhole mich - nichts darüber aussagen, welche Rezeptions-Stufe der tatsächlichen Identität Jesu (also der "Wirklichkeit") am nähesten kommt.

Und hier kommt es aus meiner Sicht gelegentlich aus methodischer Selbstsicherheit zu interpretatorischen Übergriffen in Bezug auf die wirkliche Identität Jesu.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#322 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Fr 12. Feb 2016, 19:09

Novalis hat geschrieben: Alleine ich wurde mehrfach als wahnsinnig bezeichnet oder mit ähnlichen Begriffen beschmissen. .
Kannst du das belegen?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#323 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Fr 12. Feb 2016, 19:13

sven23 hat geschrieben:Das ist das exakte Gegenteil der kanonischen Exegese, denn wie wir inzwischen wissen, interessiert sie sich nicht für den urprünglichen Sinn eines Textes, sondern für dessen spätere Rezeption.
Aus bisheriger Erfahrung ist es genau umgekehrt: Denn es wird hier ohne Unterlass der Eindruck erweckt, als seien Rezeptions-Untersuchungen der HKM der Maßstab für den WIRKLICHEN Ursprungs-Sinn à Jesus.

Natürlich geht es der kanonischen Exegese um den ursprünglichen Sinn (ich weiss nicht, wer diesen wiki-Text geschrieben hat :| ). - Es geht der kanonischen Exegese darum, diesen ursprünglichen Sinn in die heutige Rezeption zu überführen - insofern ist der kanonischen Exegese ein lebendiges Verständnis heute ("Rezeption") wichtiger als ein toter Ursprungstext - SO kann man es eventuell hinbiegen.

Hast Du die Ausführungen Savis mit mühevoll zusammengetragenen Ratzi-Texten nicht gelesen?

Möglicherweise liegt es am Begriff "Rezeption":
1) Die HKM versteht es im Sinne von
"Wie wurde der Text im Lauf der Jahrtausende rezipiert?"

2) Die kanonische Exegese versteht mehr darunter:
"Wie bringt man heute ein Verständnis im Sinne des WIRKLICH gemeinten rüber?"
(Wobei "wirklich gemeint" natürlich im Sinne der Kirche gemeint ist - ansonsten wäre es im "wirklichen" Sinne der HKM - was ist besser? :| )

Nebenbei:
"Ergebnisoffen" ist die HKM lediglich INNERHALB ihres methodischen Konstrukts. - Das ist kein Vorwurf, sollte aber jedem bewusst sein.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#324 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Fr 12. Feb 2016, 19:31

closs hat geschrieben: Natürlich geht es der kanonischen Exegese um den ursprünglichen Sinn (ich weiss nicht, wer diesen wiki-Text geschrieben hat :| ).
Vermutlich der Antichrist persönlich. :lol:
Nein, es war Tante Wiki:
"Die Kanonische Exegese fragt nicht nach dem ursprünglichen Sinn der Bibeltexte, sondern nach deren Rezeption (Empfang) in der Glaubensgemeinschaft"

"Exegese oder Bibelauslegung nennt man die Hermeneutik der Heiligen Schrift. Die Bibel wird seitens der Kirche als vom Heiligen Geist inspiriert und darum in Glaubensfragen und auch allen wesentlichen historischen Aussagen als irrtumslos vorausgesetzt."
Quelle: Kathpedia

Historisch-kritisch ausgerichtete Exegese:
"Diese Art von Exegese setzt nicht die Irrtumslosigkeit der Bibel voraus, sondern erklärt die Auslegung z. B. anhand der Textkritik"
Quelle: Kathpedia

Fällt dir der Unterschied auf?


closs hat geschrieben: - Es geht der kanonischen Exegese darum, diesen ursprünglichen Sinn in die heutige Rezeption zu überführen - insofern ist der kanonischen Exegese ein lebendiges Verständnis heute ("Rezeption") wichtiger als ein toter Ursprungstext - SO kann man es eventuell hinbiegen.
Hast du mal ein Beispiel für einen toten Ursprungstext?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#325 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Fr 12. Feb 2016, 19:32

closs hat geschrieben: Möglicherweise liegt es am Begriff "Rezeption":
1) Die HKM versteht es im Sinne von
"Wie wurde der Text im Lauf der Jahrtausende rezipiert?"
Im Neuen Testament sind es nur maximal hundert Jahre - seit Verfassung der Evangelien rückwärts bis zu der ersten mündlichen Tradition bezüglich Jesu Leben.
Im Alten Testament könnte es länger sein, aber für "im Lauf der Jahrtausende" hat man, denke ich, keine Quellen.

closs hat geschrieben:2) Die kanonische Exegese versteht mehr darunter:
"Wie bringt man heute ein Verständnis im Sinne des WIRKLICH gemeinten rüber?"
Nicht des "wirklich Gemeinten". Sondern das, was die katholische Kirche als wesentlich erachtet hat.
Ratzinger spricht nie vom Wirklichen, denkt auch gar nicht in diesen Bahnen.

closs hat geschrieben:(Wobei "wirklich gemeint" natürlich im Sinne der Kirche gemeint ist - ansonsten wäre es im "wirklichen" Sinne der HKM - was ist besser? :| )
Aber eben auch Ratzinger spricht nicht vom Wirklichen. Das ist ja das Spannende. Er denkt in anderen Bahnen, was er aber im Vorwort erst andeutet, dann im Buch wahrscheinlich durchreflektiert.

Auch die HKM spricht nie vom Wirklichen, das ist für sie doch ganz ausgeschlossen.
Um das Wirkliche handelt es sich an keiner Stelle, schon gar nicht bei der kanonischen Exegese.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#326 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Fr 12. Feb 2016, 19:33

Savonlinna hat geschrieben:Ich bin kein Christ. Ich lehne das Christentum komplett für mich ab. Ich kann im Prinzip das Christentum nicht einmal ausstehen.
Es ist meine Vernunft und mein Bestreben, allem gerecht zu werden, was Menschen für sich gewählt haben

Deine Ehrlichkeit ehrt Dich. Mir geht es im Prinzip sehr ähnlich. Sehr vieles finde ich sehr abstoßend. Jesus von Nazareth finde ich aber unendlich anziehend. Ihm folge ich nach mit meinem ganzen Herzen und meinem Verstand. Oder ich versuche es. Jeder kann das tun. Man muss keinem Verein beitreten und wie ein blödes Schaf irgendwelche Phrasen auswendig lernen, um ihm folgen zu können. Vielleicht ist Nietzsche ein echter Nachfolger, wer kann das entscheiden? ;) Er sagte ja mal ganz richtig: 'Erlöstere Gesichter müßten mir die Christen machen, damit ich an ihren Erlöser glauben kann. “
Genau so ist es. Das ist der Maßstab, dem ich gerecht werden möchte.
Zuletzt geändert von Novas am Fr 12. Feb 2016, 21:29, insgesamt 2-mal geändert.

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#327 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Halman » Fr 12. Feb 2016, 19:34

sven23 hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Oh, er kommt sogar häufiger als im NT vor. Im hebräischen Grundtext steht in der Regel der Ausdruck ben-ʼa·dhám (w. Sohn [des] Menschen), bspw. in Jeremia 49:18.
Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) wird recht häufig als Menschensohn bezeichnet, bpsw. in Hes 2:1.
Wirklich öfter als im NT?
Markus verwendet ihn 2 mal, Mätthäus 79 mal.
Danke für diese Information, Sven. - Ja, im AT kommt der Ausdruck tatsächlich noch häufiger vor. Zwar wird der Begriff eher selten verwendet (versuche einfach mal die Ausdrücke "Menschensohn", "Menschenkind" und "Sohn des Menschen" in verschiedenen Bibelübersetzungen als Suchparameter im Bibelserver), z.B. in Hi 35:8, Num 23:19 sowie Ps 80:18, Jer 49:18, 33 u. Jer 50:40.
In Psalm 144:3 steht eine andere Variante, nämlich ben-ʼenṓsch, welcher dem aramäischen Ausdruck bar ʼenásch) in Daniel 7:13 entspricht.
Auffällig ist, dass der Ausdruck "Menschensohn" am häufigisten im prophetischen Buch Hesekiel zu finden ist, in dem der Prophet über 90 Mal als Menschensohn bezeichnet wird.
In den Evangelien erscheint er Deiner korrekten Recherche zufolge 81 mal. Hinzu kommen die Erwähnungen in Apostelgeschichte 7:56, Hebräer 2:6, Offenbarung 1:13 und 14:14 - dies sind 85 mal. Das viel kürzere NT erwähnt den Begriff also beinahe so häufig wie das viel umfangreichere AT und das AT liegt nur aufgrund der Besonderheit des Propheten Hesekiel hinsichlich der Begriffsnennungen vorn.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#328 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Fr 12. Feb 2016, 19:35

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben: - Es geht der kanonischen Exegese darum, diesen ursprünglichen Sinn in die heutige Rezeption zu überführen - insofern ist der kanonischen Exegese ein lebendiges Verständnis heute ("Rezeption") wichtiger als ein toter Ursprungstext - SO kann man es eventuell hinbiegen.
Hast du mal ein Beispiel für einen toten Ursprungstext?
Tot ist ein Text dann, wenn man nur seinen Ursprung rekonstruiert und wie ein Gralshüter darüber wacht, dass er tot bleibt und nicht lebendig weiterentwickelt wird.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#329 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Fr 12. Feb 2016, 19:40

Novalis hat geschrieben: Vielleicht ist Nietzsche ein echter Nachfolger, wer kann das entscheiden? ;) Er sagte ja mal ganz richtig: 'Erlöstere Gesichter müßten mir die Christen machen, damit ich an ihren Erlöser glauben kann. “
Genau so ist es. Das ist der Maßstab, dem ich gerecht werden möchte.
Hast du eine Erklärung dafür, daß Nietzsche geradezu ein Paulus-Hasser war und ihm Verfälschung der Lehre Jesu vorwarf?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#330 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Fr 12. Feb 2016, 19:58

Savonlinna hat geschrieben:Der Chefideologe gibt die Richtung vor: "Der Glaube an Jesus ist ein Wahn, aus, bums", und die Jüngerschaft geht hinaus in alle Welt und verkündet, dass ein Gläubiger ein Wahnbesessener sei.
Man kann das haufenweise hier im Forum finden.

Thomas Metzinger erklärt alle Gläubige für intellektuell unredlich, und die Jüngerschaft greift das auf und erklärt in Foren, dass Gläubige, wenn sie ihren Glauben nicht ablegen, intellektuell unredlich sind.

Mit Schlagworten kann man Jünger bilden - die hinterfragen nicht groß, sie fühlen sich als Missionare und verkünden das Gute: ohne Religion und ohne Gläubige kann die Welt erst besser werden.

Wir sind die Redlichen und die Wahnfreien - erklärt die Jüngerschaft -, und wir sorgen dafür, dass die Welt besser wird, indem wir die Gläubigen darüber aufklären, dass sie Menschen zweiter Klasse sind, wenn sie nicht so werden wie die Neo-Athis.

DAS Denksystem ist uns aus der Historie bekannt.


Kambiz Poostchi schrieb ein Buch (Der Sinn für das Ganze: Von der fragmentierten Gegenwart zur systemischen Zukunft) in dem er unteranderem erklärt, wie die als "normal" propagierte Streitkultur auf der Idee beruhe, dass es immer einen Sieger und einen Verlierer geben müsse. Macht wird immer als „Macht über…“ gesehen.
Das ist der alte Machtbegriff, der immer einer Dominanzhaltung entspricht, in der Macht immer auf Kosten anderer ausgelebt wird. Heute können wir beobachten, wie genau dieser Machtbegriff nicht mehr funktioniert: die Probleme der Zeit können so nicht mehr bewältigt werden, stattdessen ist systemisches/vernetztes Denken erforderlich. Mein Eindruck ist, dass wir gerade erst dabei sind diese Entwicklung zu begreifen.

Wenn jeder für sich und gegen die anderen kämpft, dann ist der Mehrwert deutlich geringer, als durch den Einsatz aller am Netzwerk Mitwirkenden. Macht bedeutet nun - innerhalb einer Community - Ermächtigung aller. Für mich ist klar, dass das auch unser Verständnis von Religion radikal verändern wird. ;)

Eine Welt tut sich auf, die technologisch zu einem globalen Dorf zusammengewachsen ist. An der Schwelle einer neuen Entwicklungsstufe sieht sie sich jedoch Herausforderungen gegenüber, die systemischer Natur sind und sich nicht mit althergebrachten Methoden und mit Stückwerksdenken bewältigen lassen. Ohne die Klarheit systemischen Bewusstsein bleibt man verwirrt und ratlos an den Symptomen hängen und verabsäumt es, der Ordnung zunehmend komplexerer Realitäten gerecht zu werden. Es braucht die Kraft umfassenden Denkens zur Freisetzung der transformativen Energie, welche imstande ist, erstarrte Formen aufzubrechen und einen Prozess des Wandels und der Kristallisation neuer Systemstrukturen auszulösen. Es gilt, in einem gemeinsamen Bemühen zu lernen, die Vielfalt der Nationen, Kulturen, Religionen und Wirtschaftssysteme im Zuge eines organischen Wandlungsprozesses zu einer funktionalen Ganzheit zu integrieren. Im Mittelpunkt dieses Prozesses der dynamischen Veränderung steht nichts Geringeres als die Menschheit in ihrer Gesamtheit.

Kambiz Poostchi

Bild

Antworten