closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Im Gegensatz zu Dir sagt Ratzinger, dass das historische Geschehen für den Glauben WESENTLICH ist.
Du zitierst Inhaltliches ständig falsch - man muss ständig korrigieren:
Für mich ist Jesus als historische Größe im Großen auch wichtig (man kann nicht auf dem Papier oder in der Metapher leiden und am Kreuz sterben), aber nicht in Einzel-Szenen.
Ja, Münek zitiert falsch. Und sven plappert das nach.
Auf Seite 14f z.B. steht:
Ratzinger hat geschrieben:Die historisch-kritische Methode - wiederholen wir es - bleibt von der Struktur des christlichen Glaubens her unverzichtbar.
Zwischen historischem Geschehen und historisch-kritischer Methode sind ja nun Welten.
Und vorher schreibt er, auf Seite 14:
Ratzinger hat geschrieben:Wenn also Geschichte, Faktizität in diesem Sinn, zum christlichen Glauben gehört, dann muss er sich der historischen Methode ausswetzen - der Glaube selbst verlangt das.
Das sind erst mal die Grundlagen.
Dann geht Razinger aber weiter. Er sagt, dass die Vergangenheit nicht alles ist.
Hier kann ich auch noch keinen Fehler entdecken ->
Ich schrieb ja bereits vor kurzem, dass die Rezeptionsmethode der Literaturwissenschaft genauso vorgeht:
wenn die historisch-kritische Methode so in etwa herausgefunden hat, wie Goethes "Faust" damals rezipiert wurde, dann ist das für heute zwar interessant, aber das Verstehen entwickelt sich weiter.
Analog dazu schreibt Ratzinger, dass die historisch-kritische Methode lediglich die
damalige Bedeutung des Geschehens rekosntruiert und untersucht.
Ich schrieb ja schon, als ich die rezeptionshistorische Methode der Literaturwissenschaft versucht habe, darzustellen, dass die dann folgende Rezeption durch die verschiedenen Generationen hindurch nicht zu vernachlässigen sei und neue Schichten der Texte aktualisiere.
Ratzinger scheint, schrieb ich damals, sich hervorragend in dieser literaturwissenschaftlichen Methode auszukennen, und er scheint sie für seine Hermeneutik anzuwenden.
Der Grund, weshalb Ratzinger über die Rekonstruktion
damaliger Auffassung hinausgehen will, ist, dass er das, was in den Texten steht,
heutig gemacht sehen will ->
Ratzinger hat geschrieben:Soweit die historische Methode sich treu bleibt, muss sie das Wort nicht nur als vergangenes aufsuchen, sondern auch im Vergangenen stehenlassen. Sie kann darin Berührungen mit der Gegenwart, Aktualität ahnen, Anwendungen auf die Gegenwart versuchen, aber "heutig" machen kann sie es nicht - da überschritte sie ihr Maß.
Das alles ist in der rezeptionsgeschichtlichen Methode der Literauranalyse nicht anders.
Auch sie legt Wert auf das "Heute" und untersucht das jeweils "heutige" Verständnis des "Faust" zum Beispiel als wesentliche Aktualisierung des ursprünglichen Textes.
Bis dahin überschneidet sich die Methodik Ratzingers nicht von ihr.
Sie unterscheidet sich sogar auch dann noch nicht von ihr, wenn Ratzinger auf den historischen Punkt verweist, wo die einzelnen Schriften zu einem
Kanon zusammengefügt wurden. Denn auch das ist ein historisches Ereignis, das die literarische Rezeptionsgeschichte ebenfalls als historisch reflektieren würde.
Und ebenfalls würde die literaturwissenschaftliche Rezeptions-Methode auf die
lebendige Entwicklung verweisen, die gute literarische Werke nach sich ziehen.
Ratzinger zeigt auf, dass die historisch-kritische Methode es also bereits in sich trägt, über die Rekonstruktion des Vergangenen hinauszuweisen, weil sie ja den lebendigen Prozess akzeptiert und untersucht.
Soweit ist es ebenfalls analog zu der literarischen Rezeptionsmethode.
Die Unterschiede kommen, wenn Ratzinger 1. den biblischen Texten das Attribut "Gottes Wort" - und nicht Menschenwort - zuweist. Allerdings eben nicht in dem "Damaligen", sondern in der Entwicklung bis heute.
Die Rezeption bis heute ist inspiriert.
Und 2., wenn Ratzinger diese Rezeptionsentwicklung auf die katholische Kirche beschränkt, auf die Gläubigen.
Aber, und darum ging es mir erstmal, liegt Ratzinger ständig an der Weiterentwicklung des "Wortes".
Ich zitiere von Seite 17:
Ratzinger hat geschrieben:Die alten Texte werden in neuer Situation neu aufgenommen, neu verstanden, neu gelesen. Im Neulesen, Fortlesen, in stillen Korrekturen, Vertiefungen und Ausweitungen trägt sich die Schriftwerdung als ein Prozess des Wortes zu, das allmählich seine inneren Potentialitäten entfaltet, die irgendwie wie Samen bereitlagen, aber erst in der Herausforderung neuer Situationen, in neuen Erfahrnissen und Erleidnissen sich offenbaren.
Auf Seite 18, ich tippe das jetzt in seiner Länge nicht ab, weist Ratzinger darauf hin, dass dies bereits für "das Menschenwort" gilt: dass "der Autor nicht einfach aus sich selbst und für sich selbst" spricht, sondern "aus einer gemeinsamen Geschichte heraus" redet.
Das wäre dann sein Hinweis auf die literaturwissenschaftliche rezeptions-historische Methode.
Dann schließlich erklärt Ratzinger - und legt seine Prämisse auf den Tisch -, dass es "ein Glaubensentscheid" sei, die Bibel als Einheit zu verstehen.
Aber, fügt er hinzu, dieser Glaubensentscheid trage historische Vernunft in sich.
Für mich liegt der entscheidende "Glaubensentscheid" darin, "Menschenwort" von "Gotteswort" zu unterscheiden.
Weiter liegt für mich der entscheidende "Glaubensentscheid" darin, die Rezeption auf die Kirche und die Gläubigen zu beschränken.
In beiden Punkten bin ich anderer Ansicht. Für mich ist alles und jedes Geschriebene und Gesagte "Gotteswort" oder, synonym damit, "Menschenwort", kann es nicht anders sein, wenn man alles und jedes Geschehen als gleichzeitig individuell und überindivdiuell versteht.
Setze ich aber den Glaubensakt, den Ratzinger als Prämisse setzt, voraus, dann wäre der Punkt, wohin ihn das führt, wenn er die alten Texte zu heutigen machen will.
Daran würde ich ihn messen.