Alles Teufelszeug?

closs
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#91 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 09:32

Münek hat geschrieben:die historisch-kritische Exegese an die Peripherie drängen, sie zur eigentlich unbedeutenden Randwissenschaft degradieren will.
Sie ist keine geistige Deutungs-Größe, sondern Hilfsmittel dazu - korrekt.

Münek hat geschrieben:Im Gegensatz zu Dir sagt Ratzinger, dass das historische Geschehen für den Glauben WESENTLICH ist.
Du zitierst Inhaltliches ständig falsch - man muss ständig korrigieren:
Für mich ist Jesus als historische Größe im Großen auch wichtig (man kann nicht auf dem Papier oder in der Metapher leiden und am Kreuz sterben), aber nicht in Einzel-Szenen.

Münek hat geschrieben:Das historische Geschehen ist aber nunmal Gegenstand historisch-kritischer Untersuchungen.
Welche auch sehr gewünscht sind. - Solange es nicht in weltanschauliche Konkurrenz ausartet, ist das gut.

Münek hat geschrieben:Fest steht, dass Ratzi - im Gegensatz zu Dir - keine Rezeptionssorgen plagen.
Ich bin kein Parteigänger Ratzis, finde nur seinen gesamt-kanonischen Ansatz um Längen überzeugender als eine Ansammlung von Mosaik-Interpretationen. - Im übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass Ratzi nicht um die Widersprüche einiger Schriften gegeneinander weiss - Dein unterstellter Ansatz erscheint grober zu sein als Ratzis differenzierte Denkweise.

Münek hat geschrieben:Belege doch mal Deine Behauptung, dass sich das Motiv (Dein Wort) "sie verstanden ihn nicht" heilsgeschichtlich wie ein roter Faden durch die gesamte "Heilige Schrift" zieht.
Mehrfach geschehen - Thaddäus hat hierzu an die 10 schlagkräftige Zitate von AT bis NT gebracht. - "Ohren zu haben und nichts zu hören" kommt bspw. wörtlich im AT und NT vor.

Münek hat geschrieben:Die will - salopp gesagt - mit dem ganzen Glaubenskram nix am Kopp haben.
Und macht an dessen Stelle Mosaik-Teilchen zum Glaubens-Ersatz - was ist besser? - Du hast überhaupt nicht verstanden, dass geistig-spirituelle Absenz zu einem eigenen Glauben führen kann ("Wir glauben, worauf wir methodisch stoßen").

Und Du bestätigst doch selber, dass Motive wie NT-Paradigmen-Wechsel und Nicht-Verstehen-des-Menschen/der Jünger für Dich fremd klingen. - Und schon hat man eine "wunderbare" Grundlage ("Liebe Textverfasser, wir bestehen darauf, dass Ihr Euch nicht geirrt habt, weil wir sonst unsere Methodik nicht bedienen können").

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Savonlinna
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#92 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Mo 8. Feb 2016, 09:36

Münek hat geschrieben:
closs hat geschrieben: Einen Dogmatiker wie Ratzinger interessieren Deine Rezeptions-Einwände doch nicht die Bohne. Er hält die
überlieferte Geschichte Jesu, wie sie sich in den Evangelien niedergeschlagen hat, in allen Belangen, in Wort
und Tat für völlig authentisch. Und nun?
Ja, und nun musst Du das belegen.

Wo also steht das? Ich will Dir ja gerne glauben, nur: wo steht das?

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#93 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Mo 8. Feb 2016, 10:44

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die will - salopp gesagt - mit dem ganzen Glaubenskram nix am Kopp haben.
Und macht an dessen Stelle Mosaik-Teilchen zum Glaubens-Ersatz - was ist besser? - Du hast überhaupt nicht verstanden, dass geistig-spirituelle Absenz zu einem eigenen Glauben führen kann ("Wir glauben, worauf wir methodisch stoßen").

Und Du bestätigst doch selber, dass Motive wie NT-Paradigmen-Wechsel und Nicht-Verstehen-des-Menschen/der Jünger für Dich fremd klingen. - Und schon hat man eine "wunderbare" Grundlage ("Liebe Textverfasser, wir bestehen darauf, dass Ihr Euch nicht geirrt habt, weil wir sonst unsere Methodik nicht bedienen können").

Oder wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Dazu ist die kanonische Exegese bestens geeignet.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#94 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Mo 8. Feb 2016, 11:20

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Im Gegensatz zu Dir sagt Ratzinger, dass das historische Geschehen für den Glauben WESENTLICH ist.
Du zitierst Inhaltliches ständig falsch - man muss ständig korrigieren:
Für mich ist Jesus als historische Größe im Großen auch wichtig (man kann nicht auf dem Papier oder in der Metapher leiden und am Kreuz sterben), aber nicht in Einzel-Szenen.
Ja, Münek zitiert falsch. Und sven plappert das nach.

Auf Seite 14f z.B. steht:
Ratzinger hat geschrieben:Die historisch-kritische Methode - wiederholen wir es - bleibt von der Struktur des christlichen Glaubens her unverzichtbar.
Zwischen historischem Geschehen und historisch-kritischer Methode sind ja nun Welten.

Und vorher schreibt er, auf Seite 14:
Ratzinger hat geschrieben:Wenn also Geschichte, Faktizität in diesem Sinn, zum christlichen Glauben gehört, dann muss er sich der historischen Methode ausswetzen - der Glaube selbst verlangt das.

Das sind erst mal die Grundlagen.
Dann geht Razinger aber weiter. Er sagt, dass die Vergangenheit nicht alles ist.
Hier kann ich auch noch keinen Fehler entdecken ->

Ich schrieb ja bereits vor kurzem, dass die Rezeptionsmethode der Literaturwissenschaft genauso vorgeht:
wenn die historisch-kritische Methode so in etwa herausgefunden hat, wie Goethes "Faust" damals rezipiert wurde, dann ist das für heute zwar interessant, aber das Verstehen entwickelt sich weiter.

Analog dazu schreibt Ratzinger, dass die historisch-kritische Methode lediglich die damalige Bedeutung des Geschehens rekosntruiert und untersucht.
Ich schrieb ja schon, als ich die rezeptionshistorische Methode der Literaturwissenschaft versucht habe, darzustellen, dass die dann folgende Rezeption durch die verschiedenen Generationen hindurch nicht zu vernachlässigen sei und neue Schichten der Texte aktualisiere.

Ratzinger scheint, schrieb ich damals, sich hervorragend in dieser literaturwissenschaftlichen Methode auszukennen, und er scheint sie für seine Hermeneutik anzuwenden.

Der Grund, weshalb Ratzinger über die Rekonstruktion damaliger Auffassung hinausgehen will, ist, dass er das, was in den Texten steht, heutig gemacht sehen will ->

Ratzinger hat geschrieben:Soweit die historische Methode sich treu bleibt, muss sie das Wort nicht nur als vergangenes aufsuchen, sondern auch im Vergangenen stehenlassen. Sie kann darin Berührungen mit der Gegenwart, Aktualität ahnen, Anwendungen auf die Gegenwart versuchen, aber "heutig" machen kann sie es nicht - da überschritte sie ihr Maß.

Das alles ist in der rezeptionsgeschichtlichen Methode der Literauranalyse nicht anders.
Auch sie legt Wert auf das "Heute" und untersucht das jeweils "heutige" Verständnis des "Faust" zum Beispiel als wesentliche Aktualisierung des ursprünglichen Textes.

Bis dahin überschneidet sich die Methodik Ratzingers nicht von ihr.
Sie unterscheidet sich sogar auch dann noch nicht von ihr, wenn Ratzinger auf den historischen Punkt verweist, wo die einzelnen Schriften zu einem Kanon zusammengefügt wurden. Denn auch das ist ein historisches Ereignis, das die literarische Rezeptionsgeschichte ebenfalls als historisch reflektieren würde.
Und ebenfalls würde die literaturwissenschaftliche Rezeptions-Methode auf die lebendige Entwicklung verweisen, die gute literarische Werke nach sich ziehen.

Ratzinger zeigt auf, dass die historisch-kritische Methode es also bereits in sich trägt, über die Rekonstruktion des Vergangenen hinauszuweisen, weil sie ja den lebendigen Prozess akzeptiert und untersucht.
Soweit ist es ebenfalls analog zu der literarischen Rezeptionsmethode.

Die Unterschiede kommen, wenn Ratzinger 1. den biblischen Texten das Attribut "Gottes Wort" - und nicht Menschenwort - zuweist. Allerdings eben nicht in dem "Damaligen", sondern in der Entwicklung bis heute. Die Rezeption bis heute ist inspiriert.
Und 2., wenn Ratzinger diese Rezeptionsentwicklung auf die katholische Kirche beschränkt, auf die Gläubigen.

Aber, und darum ging es mir erstmal, liegt Ratzinger ständig an der Weiterentwicklung des "Wortes".
Ich zitiere von Seite 17:
Ratzinger hat geschrieben:Die alten Texte werden in neuer Situation neu aufgenommen, neu verstanden, neu gelesen. Im Neulesen, Fortlesen, in stillen Korrekturen, Vertiefungen und Ausweitungen trägt sich die Schriftwerdung als ein Prozess des Wortes zu, das allmählich seine inneren Potentialitäten entfaltet, die irgendwie wie Samen bereitlagen, aber erst in der Herausforderung neuer Situationen, in neuen Erfahrnissen und Erleidnissen sich offenbaren.

Auf Seite 18, ich tippe das jetzt in seiner Länge nicht ab, weist Ratzinger darauf hin, dass dies bereits für "das Menschenwort" gilt: dass "der Autor nicht einfach aus sich selbst und für sich selbst" spricht, sondern "aus einer gemeinsamen Geschichte heraus" redet.
Das wäre dann sein Hinweis auf die literaturwissenschaftliche rezeptions-historische Methode.

Dann schließlich erklärt Ratzinger - und legt seine Prämisse auf den Tisch -, dass es "ein Glaubensentscheid" sei, die Bibel als Einheit zu verstehen.
Aber, fügt er hinzu, dieser Glaubensentscheid trage historische Vernunft in sich.

Für mich liegt der entscheidende "Glaubensentscheid" darin, "Menschenwort" von "Gotteswort" zu unterscheiden.
Weiter liegt für mich der entscheidende "Glaubensentscheid" darin, die Rezeption auf die Kirche und die Gläubigen zu beschränken.

In beiden Punkten bin ich anderer Ansicht. Für mich ist alles und jedes Geschriebene und Gesagte "Gotteswort" oder, synonym damit, "Menschenwort", kann es nicht anders sein, wenn man alles und jedes Geschehen als gleichzeitig individuell und überindivdiuell versteht.

Setze ich aber den Glaubensakt, den Ratzinger als Prämisse setzt, voraus, dann wäre der Punkt, wohin ihn das führt, wenn er die alten Texte zu heutigen machen will.
Daran würde ich ihn messen.
Zuletzt geändert von Savonlinna am Mo 8. Feb 2016, 11:31, insgesamt 1-mal geändert.

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#95 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 11:26

sven23 hat geschrieben:Oder wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Dazu ist die kanonische Exegese bestens geeignet.
Das ist doch bei DEN HKM-lern, die hier zitiert werden genauso - der Unterschied:

Kanonische Exegese basiert tatsächlich auf einen geglaubten, also, wenn Du so willst, "gewollten", geistigen Entwurf, den es via kanonischer Exegese aufzuarbeiten gilt (und INNERHALB dieses Entwurfs sogar ergebnisoffen). - Die hier i.d.R. genannten HKM-ler jedoch werden so dargestellt, als würde sie nicht wissen, dass sie innerhalb ihres eigenen Glaubens-Entwurf agieren - also gar nicht merken, dass sie glauben. - Ich finde das schlimmer.

Im übrigen: Schau mal, wie differenziert Savi Ratzi auseinander nimmt - wäre eigentlich Euer Bier, weil IHR ständig Sachen über ihn behauptet.

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#96 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Mo 8. Feb 2016, 12:20

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Oder wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Dazu ist die kanonische Exegese bestens geeignet.
Das ist doch bei DEN HKM-lern, die hier zitiert werden genauso - der Unterschied:

Kanonische Exegese basiert tatsächlich auf einen geglaubten, also, wenn Du so willst, "gewollten", geistigen Entwurf, den es via kanonischer Exegese aufzuarbeiten gilt (und INNERHALB dieses Entwurfs sogar ergebnisoffen). - Die hier i.d.R. genannten HKM-ler jedoch werden so dargestellt, als würde sie nicht wissen, dass sie innerhalb ihres eigenen Glaubens-Entwurf agieren - also gar nicht merken, dass sie glauben. - Ich finde das schlimmer..
Häh, die historisch-kritische Methode ist doch kein Glaubensentwurf. Wo hast du das denn her? :shock:

closs hat geschrieben:[
Im übrigen: Schau mal, wie differenziert Savi Ratzi auseinander nimmt - wäre eigentlich Euer Bier, weil IHR ständig Sachen über ihn behauptet.
Haben wir doch schon längst gemacht. Ein immer wieder gehörter Vorwurf an Ratzinger ist doch der, daß er einerseits die HKM in höchsten Tönen lobt, andererseits ihre Ergebnisse ignoriert, wenn sie seinem Glaubensentwurf zuwider laufen. Darauf hatte auch schon Thäddäus mit Recht hingewiesen. Das hat nichts mit wissenschaftlicher Vorgehensweise zu tun.
Wie schon so oft gesagt: Glaubenskonstrukt mit wissenschaftlichem TÜV Stempel gibt es auch für einen Ratzi nicht.

Ich kann auch nicht erkennen, daß Münek falsch zitiert hätte:
Münek schrieb:
"In seinem Jesus-Buch sagt Ratzinger GENAU das GEGENTEIL (Bd. I S. 14):.

"Denn für den biblischen Glauben ist es WESENTLICH, dass er sich auf wirklich HISTORISCHES Geschehen bezieht.""
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#97 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Mo 8. Feb 2016, 13:22

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Oder wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Dazu ist die kanonische Exegese bestens geeignet.
Das ist doch bei DEN HKM-lern, die hier zitiert werden genauso - der Unterschied:

Kanonische Exegese basiert tatsächlich auf einen geglaubten, also, wenn Du so willst, "gewollten", geistigen Entwurf, den es via kanonischer Exegese aufzuarbeiten gilt (und INNERHALB dieses Entwurfs sogar ergebnisoffen). - Die hier i.d.R. genannten HKM-ler jedoch werden so dargestellt, als würde sie nicht wissen, dass sie innerhalb ihres eigenen Glaubens-Entwurf agieren - also gar nicht merken, dass sie glauben. - Ich finde das schlimmer..
Häh, die historisch-kritische Methode ist doch kein Glaubensentwurf. Wo hast du das denn her? :shock:
Hier hast Du Recht, sven. Eine Methode ist kein Glaubensentwurf. Erst wenn man eine Methode als einzig richtige erklärt, ist sie zur Ideologie mutiert und kann auch als "Glaube" bezeichnet werden.

Allerdings hat closs sich auf hier zitierte HKM-ler bezogen, und diese werden hier ja oft als Ideologie behandelt.

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#98 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 13:37

sven23 hat geschrieben:Ich kann auch nicht erkennen, daß Münek falsch zitiert hätte
Das kannst Du auch nicht aufgrund Deines HKM-Entwurfs - und diesbezüglich stimme ich auch Thaddäus nicht zu.

Es gibt hier zwei HKM-Fraktionen, von denen auf beiden Seiten schon HKM-mäßig gearbeitet wurde - auf der einen Seite Thaddäus, auf der anderen Seite Savonlinna und ich. - Wer hat nun "recht"? Wahrscheinlich beide, weil es eine reine Konzeptsache ist.

Die eine Seite sieht es rein induktiv: "Wir gucken uns etwas vollkommen voreingenommen an und gucken, was dabei rauskommt". - Wir tun also so, als wüssten wir nichts über Sinn und Zweck der Bibel respektive Sinn und Zweck von Goethes "Faust". - Die andere sieht es deduktiv: "Wir wissen aus NICHT-historisch-kritischen Aspekten, dass die Bibel ein geistiges Buch ist und 'Faust' im Grunde ebenfalls. Lass uns nun auf dieser NICHT-historisch-kritischen Grundlage ergebnisoffen ermitteln, was es historisch-kritisch dazu zu erkennen gibt".

Die eine Seite versucht den geistigen Gehalt ("Jesus hatte eine oder keine Naherwartung") via HKM zu ergründen (das ist flapsig gesagt dasselbe, als wolle man an den Schrauben eines Fernsehers ermitteln, welche Programme kommen). - Die andere GLAUBT, den geistigen Inhalt bereits zu kennen und will ihn verfeinern, gegebenenfalls korrigieren ("Hermeneutischer Zirkel").

sven23 hat geschrieben:Häh, die historisch-kritische Methode ist doch kein Glaubensentwurf. Wo hast du das denn her?
Aus der Praxis. - Denn wenn die eine Seite die HKM sich als DEN Monopol-Schlüssel zum Substanz-Verständnis der Bibel ("Exegese") versteht, ist dies ein Glaubens-Entwurf.

sven23 hat geschrieben: Ein immer wieder gehörter Vorwurf an Ratzinger ist doch der, daß er einerseits die HKM in höchsten Tönen lobt, andererseits ihre Ergebnisse ignoriert, wenn sie seinem Glaubensentwurf zuwider laufen.
Hier KANN es in der Tat Berührungspunkte geben, wenn beide ihre jeweilige Disziplin verlassen (also buchstäblich "un-diszipliniert" agieren).

Ratzi wird hier von Euch wirklich nicht verstanden - weil Ihr, wie ich glaube, die HKM "un-diszipliniert" versteht. - Ratzi glaubt, dass die Bibel (im Gegensatz zu "Faust") einen wesentlichen historischen Kern hat (hier gibt es in der Tat einen Unterschied zwischen Bibel und "Faust") - und zwar aus spirituellen Gründen (salopp: Den Kreuzestod kann man nicht theoretisch in einem Buch erleiden). - Das Missverständnis dabei: Diese historische Substanz in Ratzis Glauben ist historisch-kritisch eh nicht falsifizierbar, wird aber - wie ich meine - aus methodisch-ideologischen Gründen in Frage gestellt. - Hiergegen stellt er sich.

Konkret: Wäre die HKM selbst-kritisch, würde sie nie den Satz "Jesus hatte eine Naherwartung" äußern. Ein entscheidender Punkt, der der HKM hier zu entgehen scheint, ist, dass die oft bewährte Regel "Älteste Quelle = authentischste Quelle" hier aus mehrfachst gegebenen Begründungen nicht zutreffend sein muss. - Damit aber fällt "Schema F" weg - und das führt natürlich zu Rechtfertigungs-Druck, den manche mit einer Flucht nach vorne zu kontern scheinen.

sven23 hat geschrieben:"Denn für den biblischen Glauben ist es WESENTLICH, dass er sich auf wirklich HISTORISCHES Geschehen bezieht."
Ja - siehe oben. - Wobei man unterscheiden muss zwischen der grundsätzlichen Historizität ("Starb Jesus am Kreuz/Pfahl?") und Einzelszenen ("Wurde Jesus in einem Stall geboren?"). - Ich vermute, dass Ratzi da auch Unterschiede macht - wenn nein, fände ich es nicht gut.

Es geht hier nicht um einen Kampf zwischen Menschen, die wissen, was HKM ist, und anderen, die NICHT wissen, was HKM ist, sondern um HKM-ler (zu denen auch Ratzi gehört), die die historisch-kritische Forschung signifikant unterschiedliche in ihrem Stellenwert und ihren Möglichkeiten bewerten.

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#99 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Mo 8. Feb 2016, 14:23

Savonlinna hat geschrieben:Hier hast Du Recht, sven. Eine Methode ist kein Glaubensentwurf. Erst wenn man eine Methode als einzig richtige erklärt, ist sie zur Ideologie mutiert und kann auch als "Glaube" bezeichnet werden.

Allerdings hat closs sich auf hier zitierte HKM-ler bezogen, und diese werden hier ja oft als Ideologie behandelt.

Ich bin wirklich froh über die Lichtschimmer der Vernunft, die von Dir ausgehen. ;) Das Problem der Bibelkritik scheint mir folgendes zu sein:

»Etwas kann sie bestimmt mit ihren Methoden nie feststellen, nämlich Handeln Gottes in der Geschichte. Sie kann immer nur festhalten, was Menschen von Gott geredet, gedacht und geglaubt haben und dass Menschen bestimmte Begebenheiten als Handeln Gottes verstanden. Insofern ist sie prinzipiell atheistisch und steht in Spannung zu den biblischen Texten.«
(Ulrich Luz)

und hier eine kleine Kritik der Bibelkritik:

»Die Bibelkritik ist [...] bankrott, weil sie die Aufgabe nicht erfüllen kann, die die meisten ihrer Vertreter als
ihre Aufgabe ansahen: die Schrift so zu interpretieren, dass die Vergangenheit lebendig wird
«. (Walter Wink)
Zuletzt geändert von Novas am Mo 8. Feb 2016, 14:23, insgesamt 1-mal geändert.

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#100 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Mo 8. Feb 2016, 14:23

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ich kann auch nicht erkennen, daß Münek falsch zitiert hätte
Das kannst Du auch nicht aufgrund Deines HKM-Entwurfs - und diesbezüglich stimme ich auch Thaddäus nicht zu.

Es gibt hier zwei HKM-Fraktionen, von denen auf beiden Seiten schon HKM-mäßig gearbeitet wurde - auf der einen Seite Thaddäus, auf der anderen Seite Savonlinna und ich. - Wer hat nun "recht"? Wahrscheinlich beide, weil es eine reine Konzeptsache ist.

Die eine Seite sieht es rein induktiv: "Wir gucken uns etwas vollkommen voreingenommen an und gucken, was dabei rauskommt". - Wir tun also so, als wüssten wir nichts über Sinn und Zweck der Bibel respektive Sinn und Zweck von Goethes "Faust". - Die andere sieht es deduktiv: "Wir wissen aus NICHT-historisch-kritischen Aspekten, dass die Bibel ein geistiges Buch ist und 'Faust' im Grunde ebenfalls. Lass uns nun auf dieser NICHT-historisch-kritischen Grundlage ergebnisoffen ermitteln, was es historisch-kritisch dazu zu erkennen gibt".

Die "dekduktive Methode" gibt es nur bei Dir, closs. Und sie ist nie von Dir durchgezogen worden, sondern nur - für mich unnachvollhiehbar - von Dir als vorhanden behauptet worden.
Ratzinger gehört mit Sicherheit nicht dazu, da er streng methodisch vorgeht. Er redet auch nie von "geistig", sondern geht der historischen Entwicklung - also der Rezeption - nach.

Ich habe mir das Buch gekauft, nicht, um sven oder Münek zu widerlegen, sondern Dich.
Die Frage der Naherwartung ist bereits mit der historisch-kritischen Methode zu klären, und zwar, indem man den "geistigen Gehalt" bereits des Textes feststellt, was die HKM ja auch tut.

sven und Münek unterscheiden nicht zwischen historischem Jesus und theologischem Gehalt der Texte selber, damit muss man sich abfinden.
Sie kommen von der historischen Jesu-Leben-Forschung her, und das ist eben ein ganz anderer Snack.
Sie interessiert nur der Text, inwiefern er etwas über den historischen Jesus sagt, aber dass der Text als theologischer von der HKM gesehen wird, wird aus den Analysen der HKM sichtbar.

Ratzinger geht unendlich viel stringenter vor als Du, da er völlig logisch aus der historisch-kritischen Methode - die den theologischen Gehalt der alten Texte herauspräpariert - den erweiternden Ansatz herausentwickelt, dass die Theologie damals nicht stehen geblieben sei.

So stehen nämlich zwei ganz andere Ansichten einander gegenüber:
a. Was der damalige Text an Theologie beinhaltete, hat auch heute noch seine unantastbare Gültigkeit
b. Wenn der damalige Text Gottes "lebendiges Wort" war, dann ist dieses Gotteswort bis heute lebendig und entwickelt sich weiter.

Sowohl a. also auch b. sind gedeutete Haltungen, also theologische Aussagen.
Die HKM als Methode hat da gar keine Meinung, da ihr Auftrag ist, den theologischen Gehalt der Evangelien festzustellen.
Ob man daraus a. oder b. ableitet, ist dann wieder eine Theologie der Rezipienten.

a. ist mehr die Sache des Pietismus und seinen Nachfolgern
b. ist mehr die Sache der römisch-katholischen Kirche

Das, was Du, closs, als "geistiges Lesen" zu verstehen scheinst, ist möglicherweise schon auch die Ratzingers, da Du den Kanon für gültig hältst und für einzig gültig hältst.
Andererseits sind Dein häufiger Hinweis darauf, dass alles "Chiffre" sei, eher ein Zeichen dafür, dass Du unter "geistig" nur Inddivuelles meinst, nämlich das, so wie Du selber Texte "dechiffrierst". Also nach Deiner persönlichen Auffassung.

Andreas hat das hier ja mal vordemonstriert, wie er die biblischen Bücher - die ersten im Alten Testament - in ihrem "geistigen Aufbau" versteht.
Falls er da vom Heiligen Geist gelenkt wurde, hat er der katholischen Kirche weitergeholfen.
Aber da es da sehr unterschiedliche Auffassungen gibt, wann der Heilige Geist im Spiel ist und wann nicht, würde Andreas im Kreuzfeuer stehen.

Da ich eine Variante von Andreas bereits als Ergebnis der historisch-kritischen Forschung kannte, habe ich ihm den Artikel in bibelwissenschaft.de verlinkt, und Andreas war begeistert.
Zufällig hat sich also Andreas' eigene Erkenntnis mit einem Ergebnis der historisch-kritischen Forschung gedeckt.

Es ist völlig falsch zu glauben, dass die HKM nicht in der Lage sei, das bereits im Text selber enthaltene "Lebendige" herauszuarbeiten. Also das, was die Verasser selber als zu deutende Erkenntnisse formuliert haben und nicht als historisch-faktische.

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