closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Wenn du diese pdf öffnest, darfst du einen sehr guten Artikel über Hegels "spekulativen Karfreitag" lesen, in dem steht, warum das gläubige Gefühl, dass Gott tot ist - seit dem Nihilismus der Aufklärung, am Ende doch wichtig ist für die Selbstbewussterkenntis des Weltgeistes.
Moment - nach meinem Verständnis wird dort gesagt, dass am Karfreitag eine Wende stattfindet, aus der "die höchste Totalität …
auferstehen kann und muß".
Der
spekulative Karfreitag, von dem Hegel spricht, führt den historischen Karfreitag des Volksglaubens ("Gott [= Jesus] ist für uns gestorben") in einen Vernunftglauben über ("Gott [= Jesus]
musste für uns sterben". Warum?
Wenn sich der
Geist durch die Entwicklung der Natur-, der Menschheits- und der Geistesgeschichte des Menschen - kurzum:
in der Geschichte - fortentwickelt, um sich am Ende selbst als absoluten Geist erkennen und begreifen zu können, dann stellt das historische Geschehen des Kreuzestodes und das Christentum insgesamt, als ja eine geistige Erscheinung innerhalb dieser Entwicklung, einen Wendepunkt dar. Der Geist spiegelt sich in jedem Menschen in der Art und Weise, dass diese Menschen permanent irgendwelche geistigen Inhalte hervorbringen, - u. a. eben auch in dem Glauben an einen absoluten Geist in der Form des christlichen Gottes und anderer Götter. Der monotheistische Gott ist dabei bereits eine vernunftgetriebene Weiterentwicklung des Polytheismus (nach Hegel).
In dieser dialektischen geistigen Entwicklungsgeschichte stellt der am Kreuz selbst sterbende Gott eine Besonderheit dar, weil hier der "Geist-Gott-Glaube" sich von sich selbst auf das äußerste entfremdet (denn er stirbt ja). Aber auch diese äußerste Form der Selbstentfremdung des Gottes wird dialektisch dadurch wieder in einer höheren Ebene aufgehoben, als der sich so selbst negierende Geist-Gott in der geistig-menschlichen Erfahrung der eigenen Sterblichkeit und des eigenen Todes, sich seiner selbst wiederum auf einer höheren Stufe bewusster wird.
Der Geist (= der Gott des Volksglaubens) selbst muss also auf seinem Weg, sich seiner selbst als
absoluten Geist begreifen zu können, den eigenen Tod erfahren,
gespiegelt im Glauben der Gläubigen an den Kreuzestod Jesu, dass Gott selbst gestorben ist, - was ja ein zentrales faktisches geistiges Geschehen in der Geschichte der Menscheit darstellt. Das ist der
spekulative Karfreitag, der das historische Geschehen des Kreuzestodes überhöht in die philosophische Reflexion (natürlich innerhalb des philosophischen Systems von Hegel selbst).
Keine Ahnung, ob das noch irgendwer versteht, aber es ist Hegel, falls ich Hegel diesbezüglich richtig verstanden habe. Ich selbst kann das nicht beurteilen.
closs hat geschrieben:
Zu Hegel eine reine Verständnisfrage, die Du vielleicht beantworten kannst:
Wenn man "Weltgeist" als letztes Ziel im Sinne einer Realisierung der Vernunft in der Geschichte versteht (also inner-weltlich interpretiert): Welchen Grund hätte dann Hegel, das Christentum mit Mitteln der Vernunft zu erklären UND Religion als höchste Form der Erkenntnis (so oder so ähnlich sagt er es) zu verstehen? - Christentum ist nun nicht gerade charakterisiert durch eine innerweltliche Weltgeist-Realisierung.
Die (christliche) Religion (der Kreuzestod Jesu als Tod des Gottes selbst) ist zwar eine wichtige Durchgangsstation (und Wendepunkt) des
absoluten Geistes auf dem Weg seiner Selbstbegreifung als
absoluten Geist (nämlich als dem
Weltgeist), aber die christliche Religion ist bei Hegel nicht die höchste Form der Erkenntnis.
Die höchste Form der Erkenntnis stellt bei Hegel die philosophische Reflexion, also den Vernunftglauben dar, der dies alles reflektiert und begreift. Die höchste Form der Erkenntnis des absoluten Geistes seiner selbst stellt in der Tat die hegelsche Philosophie dar, weil er ja in seinem vernünftig-philosophischen System die Selbtwerdung des absoluten Geistes konsequent reflektiert und offenlegt. Tatsächlich glaubt Hegel, dass der absolute Geist sich in IHM - in Hegel und seiner dialektischen Systemphilosophie - letztgültig als absoluten Geist und damit als WELTGEIST begreift. Der absolute Geist spiegelt sich in seiner Selbsterkenntnis logischerweise in allen geistigen Erzeugnissen des Menschen, - zuletzt aber in der Philosophie Hegels selbst! Hegel sieht sich in seinem philosophischen Denken und in seiner systemischen Philosophie tatsächlich als den Erfüller jener dialektischen Bewegung durch die gesamte (Geistes-)Geschichte, durch die sich der Weltgeist am Ende als das erkennt, was er tatsächlich ist, - nämlich der
absolute Geist. In der hegelschen Philosophie kommt also der absolute Geist zu sich selbst und begreift sich endgültig. Denn auch Hegels Philosophie ist ja ein Teil der Geistesgeschichte, durch die der Geist aber nun endgültig zu seiner Selbsterkenntnis als
absoluten Geist gelangt.
Niemals in der Geschichte der Philosophie hat ein Denker einen größeren Anspruch an sein eigenes Werk erhoben!