Die HKM ist mitten unter euch

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sven23
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#411 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von sven23 » Sa 23. Jan 2016, 14:42

Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das ist unbestritten so, weshalb ich mich immer wundere, warum closs für seinen Glauben den Wissenschafts-TÜV-Stempel haben will.
Wer hat denn DAS erfunden? - Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ich wundere mich, dass manche glauben, Glaube/Geist wäre per Wissenschaft TÜV-prüfbar.
Du liest aber sehr seltsam, sven.
closs schreibt doch andauernd, seit ich hier im Forum bin, dass der Glaube wissenschaftlich nicht nachgeweisen werden kann, und dass dies auch nicht die Aufgabe der Wissenschaft sei.

Das sage ich auch und zwar schon mindestens seit gefühlten 10000 Beiträgen. ;)
Clossens Fehler liegt in der mangelnden Unterscheidung zwischen der historisch kritischen Methode und glaubens- und dogmenbasierter Exegese. Seiner Meinung nach habe die kanonische Exegese den gleichen oder sagar höheren Stellenwert als die HKM. So wird bei nicht Gefallen eines historisch-kritischen Ergebnisses dieses flugs zu einem geisten Inhalt umettiketiert und die HKM für nicht zuständig erklärt. Im Zweifelsfalle bügelt die kanonische Exegese einfach die HKM-Ergebnisse weg. (so geht auch Ratzinger vor)
Dazu zitiere ich immer wieder gerne Thäddäus:

"Die HKM nimmt die Inhalte der von ihr untersuchten Texte in einer viel radikaleren Weise ernst, als es Ratzinger- und Kanonische Exegese tun. Sie nimmt die Ausagen und Inhalte der Texte exakt so ernst, wie es z.B. auch die vergleichenden Religionswissenschaftler tun, wenn sie die textlichen und rituellen Äußerungsformen der Religionen dieser Welt auf Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen vergleichend untersuchen, um sich dem Phänomen des Religiösen in all seinen geistigen historischen Äußerungsformen zu nähern und also zu verstehen, was Religion ausmacht."
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#412 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von closs » Sa 23. Jan 2016, 14:52

sven23 hat geschrieben: Seiner Meinung nach habe die kanonische Exegese den gleichen oder sagar höheren Stellenwert als die HKM.
Substantiell JA. - Aber beide müssen sich nicht weh tun, wenn jeder in seinen Grenzen bleibt. - Der HKM (bzw. dem Bild der HKM, wie es hier gezeichnet wird) ist vorzuwerfen, dass sie aus Standard-Methodik ohn Berücksichtigung gesamt-biblischer Zusammenhänge zu geistigen Aussagen ("Jesus hatte eine Naherwartung") kommt und zudem den Eindruck erweckt, als sei die HKM in Bezug auf den wirklichen Jesus authentischer als die kanonische Exegese.

sven23 hat geschrieben:Die HKM nimmt die Inhalte der von ihr untersuchten Texte in einer viel radikaleren Weise ernst, als es Ratzinger- und Kanonische Exegese tun.
Das ist substantiell falsch, weil dies klammheimlich unterstellt, die HKM-Vertreter würden die Texte substantiell besser verstehen als die Kanoniker.

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sven23
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#413 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von sven23 » Sa 23. Jan 2016, 15:10

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Seiner Meinung nach habe die kanonische Exegese den gleichen oder sagar höheren Stellenwert als die HKM.
Substantiell JA. - Aber beide müssen sich nicht weh tun, wenn jeder in seinen Grenzen bleibt. - Der HKM (bzw. dem Bild der HKM, wie es hier gezeichnet wird) ist vorzuwerfen, dass sie aus Standard-Methodik ohn Berücksichtigung gesamt-biblischer Zusammenhänge zu geistigen Aussagen ("Jesus hatte eine Naherwartung") kommt und zudem den Eindruck erweckt, als sei die HKM in Bezug auf den wirklichen Jesus authentischer als die kanonische Exegese.
Sag ich doch. Die Naherwartung wird einfach zu einer geistigen Frage deklariert und schon ist die Glaubenswelt wieder in Ordnung. Dabei ist die Frage, ob der Wanderprediger aus Galiläa an das zeitlich nahe Gottesreich glaubte, zunächst mal eine ganz formal und banale Frage. Daß er sich darin geirrt hat, wie so viele vor und nach ihm, ist erst mal so hinzunehmen.

„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“
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#414 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von closs » Sa 23. Jan 2016, 15:12

sven23 hat geschrieben:Daß er sich darin geirrt hat, wie so viele vor und nach ihm, ist erst mal so hinzunehmen.
Du kannst Dir in Deinem Glauben offenbar nicht vorstellen, dass die geistige Interpretation näher an der tatächlichen Wirklichkeit Jesu ist - gell?

sven23 hat geschrieben:„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“
Gerd Theißen
Wenn man ein Modell dementsprechend anlegt, kann man zu solchen ERgebnissen kommen. - Immer wieder dasselbe.

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sven23
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#415 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von sven23 » Sa 23. Jan 2016, 15:19

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Daß er sich darin geirrt hat, wie so viele vor und nach ihm, ist erst mal so hinzunehmen.
Du kannst Dir in Deinem Glauben offenbar nicht vorstellen, dass die geistige Interpretation näher an der tatächlichen Wirklichkeit Jesu ist - gell?
Das kann ich mir genau so wenig vorstellen wie die Mehrheit der NT-Forschung. Wie Münek sagte: nimm es einfach hin. ;)
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 23. Jan 2016, 19:11, insgesamt 1-mal geändert.
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#416 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von closs » Sa 23. Jan 2016, 15:54

sven23 hat geschrieben:Wie Münek sagte: nimm es einfach hin.
Es ist natürlich hinzunehmen. - Mich stört dabei, dass die Modell-Theologen überhaupt nicht auf die Idee zu kommen scheinen, dass sie in Bezug auf die Wirklichkeit komplett daneben liegen könnten.

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Savonlinna
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#417 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von Savonlinna » Sa 23. Jan 2016, 16:48

Teil I

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Wer hat denn DAS erfunden? - Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ich wundere mich, dass manche glauben, Glaube/Geist wäre per Wissenschaft TÜV-prüfbar.
Du liest aber sehr seltsam, sven.
closs schreibt doch andauernd, seit ich hier im Forum bin, dass der Glaube wissenschaftlich nicht nachgeweisen werden kann, und dass dies auch nicht die Aufgabe der Wissenschaft sei.
Das sage ich auch und zwar schon mindestens seit gefühlten 10000 Beiträgen. ;)

Du hast schon so oft beteuert, dass closs nicht für seinen Glauben den Stempel den Wissenschafts-TÜV-Sempel haben will?
Warum fängst Du denn jetzt plötzlich mit dem Gegenteil an? :o

sven23 hat geschrieben: Clossens Fehler liegt in der mangelnden Unterscheidung zwischen der historisch kritischen Methode und glaubens- und dogmenbasierter Exegese.
Das kann ich nicht beurteilen. Mir ist nur klar, dass Du und Münek wenig Ahnung von der HKM haben und komische Sachen darüber verbreiten.
Ich habe längst aufgegeben, das zu korriigieren, weil Euch die Verbreitung falscher Fakten so am Herzen liegt, dass da die Vernunft nicht gegen ankommt.

Allerdings erzählt auch closs mitunter Stuss darüber, obwohl er selber historisch-kritisch gearbeitet hat, wenn auch in der Literaturwissenschaft.
Trotzdem erzählt er darüber Sachen, die davon zeugen, dass er ihr Wesen in diversen Punkten nicht versteht, jedenfalls nicht bezüglich Theologie.

sven23 hat geschrieben:Seiner Meinung nach habe die kanonische Exegese den gleichen oder sagar höheren Stellenwert als die HKM.
Ich habe nur flüchtig über die kanonische Exegese gelesen. Richtig scheint zumindest, dass sie im Moment Aufwind hat. Sie wird in einem Artikel bei bibelwissenschaft.de erwähnt und dort als legitim erklärt.

Ratzinger begründet das in seinem Jesus-Buch im Grunde einleuchtend, da ja das, was Jesus ist, nur durch Überlieferung - Rezeption also - bekannt ist.
Ratzinger endet mit der Überlieferungsgeschichte nicht bei der Herstellung der Bibel, sondern führt die Überlieferungsgeschichte weiter fort bis in die Gegenwart.
Da de facto die kirchliche Tradition der Jahrhunderte in die Überlieferungsgeschichte der Bibel gehört, ist das Verstehen von Jesus heute noch nicht abgeschlossen,
Und richtig ist auch, dass seit dem Entstehen der Bibel kanonisch gelesen wird. Man wusste früher ja gar nicht um deren Einzelhistorie.
Insofern ist das Verstehen der Jesus-Figur von dem kanonischen Denken stark mitgeprägt.

Ich halte es für korrekt, die jahrtausendelange Rezeptionsgeschichte - Geschichte der Überlieferung - bei der Deutung mit einzubeziehen, wenn man nicht behauptet, das sei die einzige Wahrheit. Das behauptet Ratzinger aber meines Wissens nicht.

Ich studierte noch an der Uni, als die Rezeptionstheorie in der Literaturwissenschaft um sich griff.
Ich nehme mal ein Beispiel: Goethes "Faust".

Die Rezeptionstheorie geht so vor: Sie fragt nicht, was Goethes Faust "eigentlich" oder "an sich" als Werk aussagt, sondern untersucht die Wirkung des Werkes auf die Menschen.
Dabei geht sie historisch vor. Zunächst versucht sie zu rekonstruieren, auf der Basis überlieferter Dokumente, wie man zur Zeit Goethes, als der "Faust" erstmalig unter die Leute kam, auf das Werk reagierte. Positiv oder negativ, und wie beides genau.

Ja, und jetzt kommt es. Die Rezeptionstheorie geht von der These aus, dass ein Werk desto höheren literarischen Wert hat, je mehr sie den "Erwartungshorizont" der Zeitgenossen durchbricht.
Es wird von der Rezeptionstheorie also auch der jeweilig historische Erwartungshorizont der Zeitgenossen versucht zu rekonstruieren.

Und dann wird verglichen: der rejonstruierte Erwartungshorizont, als die Leute mit "Faust" konfrontiert wurden, mit der rekonstruierten Reaktion der Leser oder Zuschauer.
Und je empörter die Leute sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Werk einen hohen Wert hat. Denn das Bedienen von Erwartungen sieht die Rezeptionstheorie nicht als hohen Wert an.

Jetzt aber kommt der wirklich entscheidende Punkt und betrifft dann besonders die kanonische Exegese:

- Fortsetzung im nächsten post -

Pluto
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#418 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von Pluto » Sa 23. Jan 2016, 16:56

Savonlinna hat geschrieben:Ich sprach von heute. Und "heute" sind die neuen Atheisten in den Foren, und da kann ich keine Toleranz erkennen.
Dann stimmt was nicht mit deiner Wahrnehmung.

Savonlinna hat geschrieben:Wehret den Anfängen, das ist meine Devise. Die Anfänge kann man nämlich erkennen, es fängt immer gleich an.
Welchen Anfängen? Was meinst du damit?
Seit rund 5 Jahrhunderten hat der Mensch den Weg der Barbarei verlassen (Die Sklaverei ist abgeschafft, und Autodafés gelten heute nicht mehr als Volksbelustigung). Das hat mit dem Glauben nichts zu tun.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Savonlinna
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#419 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von Savonlinna » Sa 23. Jan 2016, 16:58

II
(Fortsetzung)

Nehmen wir an, im Jahre 0000 (der "Faust" ist auf den Markt geworfen") ist die Akzeptanz des "Faust" mager.
Eine Generation später, sagen wir, im Jahre 0030, entdecken die Forscher und die Leser und Zuschauer neue Seiten am "Faust".
Das kann durch neue politische Situationen, neue andere Werke, oder allgemein durch Bewusstseinswandel passieren, passiert immer.

Der Rezeptionsforscher vergleicht nun einerseits ebenfalls für das Jahr 0030 so, wie er es für das Jahr 0000 gemacht hat, aber auch noch folgendes Entscheidende:
Er sagt, dass im Jahr 0030 anderes im Werk entdeckt wird als im Jahr 0000.
Und dass dies möglich ist, zeigt, dass das Werk kein billiger Schund ist, sondern eine gewisse Komplexität hat, die erst im historischen Ablauf stückweise aktualisiert wird. Denn Schund überlebt selten eine Generation.

200 Jahre später wird immer noch "Faust" rezipiert - sowohl gelesen als auch ständig auf den Bühnen aufgeführt -, und in jeder Generation entdeckte man Neues an dem Werk.
In der Sprache der Rezeptionstheorie: Das Werk ist dermaßen reichhaltig und komplex, dass es so vieler Generationen bedurfte, um alle diese vielen Schichten zu aktualisieren.

Und jetzt entsteht die Frage, und das betrifft auch die kanonische Exegese und deren Historie:
Wann ist "Faust" richtiger rezipiert worden: zu der Zeit, als der "Faust" erschien, oder 200 Jahre später, wo man das Absurde und Expressionistische des "Faust" im Werk entdeckte?

Die Rezeptionstheorie sagt: Erst alle Deutungen zusammen spiegeln die Kompexität des Werkes wider.
Alle diese Deutungen sind von Anfang an latent im Werk enthalten, durch seine Komplexität ermöglicht, können aber erst durch die Historie, die Geschichte aktualisiert werden.


So, und jetzt komme ich zur kanonischen Exegese. Laut Ratzinger - im "Jesus-Buch" - entfaltet sich das Verstehen von"Jesus" erst durch die Zeiten hindurch.
Das ist rezeptionstheoretisch korrekt. Das Jesusbild verändert sich mit der Zeit, und es sei nicht behauptbar, dass die Rezeption im Jahr oooo die Wichtigste ist. Sie sagt - laut Rezeptionstheorie - nur etwas darüber aus, wie die Leute in diesem Jahr auf das Erzählen über Jesus reagiert haben.
Aber erst die Entfaltung der Wirkungen durch die Jahrhunderte zeige, was an Vielschichtigkeit in dem Ursprungswerk - ich meine jetzt die Bibel - enthalten sei. Alle Deutungen zusammen zeigen diese Vielschichtigkeit auf.

Wenn Ratzinger sagt, er beziehe sich in der Rezeption der biblischen Erzählungen nur auf die Tradition der katholischen Kirche - und klammere die Rezeption durch die Evangelische Kirche, durch die Nicht-Kirchlichen Menschen etc. aus -, dann ist das für mich zwar nicht befriedigend, aber wissenschaftlich und methodisch sauber.
Ich kann ja schließlich auch die Rezeption der Jesus-Figur in Afrika untersuchen, ohne überhaupt irgendeine europäische Kirche mit in die Untersuchung einzubeziehen, und das geht ebenfalls wissenschaftlich und methodisch sauber.

sven23 hat geschrieben:So wird bei nicht Gefallen eines historisch-kritischen Ergebnisses dieses flugs zu einem geisten Inhalt umettiketiert und die HKM für nicht zuständig erklärt. Im Zweifelsfalle bügelt die kanonische Exegese einfach die HKM-Ergebnisse weg. (so geht auch Ratzinger vor)
Ich hab das Jesus-Buch noch nicht durch, ich bin ein sehr langsamer Leser, und ich muss sehr viel beruflich lesen.
Darum jetzt nur zu closs:
Mir gefällt die Inflation des Begriffes "geistig" auch nicht.

Aber ich gehe jetzt mal kurz wieder zurück zu "Faust". Ich habe ihn x-mal gelesen, ein paarmal auf der Bühne gesehen und Teile daraus ab und zu für Zuschauer inszeniert.
Ich schiebe alle Erläuterungen über "Faust" weg, kenne sie auch kaum.
Es gibt da nur mich und das Werk, die beiden konfrontiere ich miteinander.

Egal, wie oft behauptet wird, man könne Faust II nur verstehen, wenn man die griechischen Anspielungen verstehe:
ich ignoriere das und lese das Werk so, wie ich bin, mit aller meiner Erfahrung und aller meiner Nicht-Erfahrung.
Ich bin glühend begeistert von dieser Wahnsinns-Phantasie des ollen Jöte, und es kommt mir so vor, als sei er besser als alle heutigen Dichter des Genres "Absurdes Theater". Als hätte er das Absurde der Existenz als Einziger zu gestalten vermocht - ohne es vielleicht selber zu wissen.

Es mustten also erst so und so viele Epochen vergehen, bis das Absurde als Phänomen überhaupt erst entdeckt wurde und im Werk Goethes aufgefunden werden konnte.

Darum halte ich es für legitim, so wie closs auch, das Werk ganz unabhängig von irgendeiner Rekonstruktion dessen, wie es zur Zeit Goethes verstanden wurde, zu lesen und zu verstehen.
Das ist auch der Alltag in der Literaturwissenschaft. Wir versuchen natürlich, zu rekonstruieren, wie es zu Goethes Zeit verstanden wurde, Aber wir verfallen nicht dem Wahn, dass die das damals richtiger verstanden haben.

Die HKM ist eine wichtige Methode, aber sie ist tatäschlich nicht maßgeblich für das, wie etwas verstanden werden muss.
In der Theologie untersucht sie die damaligen Texte und das damalige Bewusstsein.
Aber die Bedeutung der Jesus-Figur kann sich sehr wohl durch die Zeiten hindurch entwickeln, und es ist die Entscheidung des Rezipienten, was er davon als für sich gültig hält.

"Geistig lesen" - im Sinne von closs - ist eine subjektive Methode, die allerdings legitim ist. Je nach Maßgabe des jeweiligen geistigen Entwicklungsstandes bezieht man die Teile des Gelesenen aufeinander, und zwar so, dass man selber dadurch Klraheiten bekommt.

Ich mache das mit der Literatur auch. Ich bilde mir meinen persönlichen Kanon unter den Künstlern und filtere mir daraus, was ich für mein eigenes Leben benötige.
Dazu ist Kunst da. Dazu sind auch Religionen da.
Wenn mir jemand erzählt, dass die HKM nachgewiesen hat, dass kein Schwein zur Zeit Goethes das Werk im Sinne des "Absurden Theaters" verstanden habe, dann sage ich: "Na und?"

Goethe hat nicht für die Toten geschrieben, sondern für die Lebendigen.
Und die Rezeptionstheorie - die Ratzinger offenbar gut kennt - setzt auch auf die Lebendigen und nicht auf die Toten.
Wir heute brauchen geistiges Material. Die Bibel kann zur Zeit der Apostel die und die Bedeutung gehabt haben - nur hat sie heute eine andere Bdeutung. Im Sinne der Rezeptionstheorie aktualisieren wir heute erneut eine Deutungsschicht.
Zuletzt geändert von Savonlinna am Sa 23. Jan 2016, 18:02, insgesamt 3-mal geändert.

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#420 Re: Die HKM ist mitten unter euch

Beitrag von closs » Sa 23. Jan 2016, 17:12

Savonlinna hat geschrieben:Die HKM ist eine wichtige Methode, aber sie ist tatäschlich nicht maßgeblich für das, wie etwas verstanden werden muss.
Ohne irgendeinen Senf meinerseits dazu: - Liebe Savonlinna, das war ein hoch-anspruchsvoller und guter Doppel-Post, der in die richtige Richtung führt. :thumbup: :clap:

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