Von einer Jungfrau geboren?

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Thaddäus
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#461 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Thaddäus » Fr 22. Jan 2016, 19:00

closs hat geschrieben:
Janina hat geschrieben:Warum soll sich die Essenz und die Gesamtheit aller Entitäten gegenseitig ausschließen?
Prinzipiell richtig. - Trotzdem eine Verständnisfrage: Definierst Du "Essenz" als reine Wahrnehmungs-Größe?
Essenz ist ein philosophischer Fachterminus, den man keine neue eigene Bedeutung verleihen sollte (es sei denn man hat dafür trifftige philosophische Gründe). Ich weise darauf hin, weil du Janina fragst, ob Essenz für sie eine Wahrnehmungs-Größe sei, was auf eine eigentümliche Verwendung des Begriffs bei dir schließen lässt. Zudem ist das eine suggestive Frage, denn du willst vermutlich darauf hinaus, dass Essenz eben keine oder nicht nur eine Wahrnehmungsgröße ist, sondern (auch) eine geistige Entität.

Stark verkürzt ist die Essenz einer Sache seine Washeit (quidditas), was eine Sache also ist bzw. was eine Sache zu eben genau dieser Sache macht. Es ist also die Antwort auf die Frage: Was ist diese Sache?

Die Essenz eines Tisches z.B. besteht also nicht darin, aus was er besteht (das Material) und welche genaue Form oder Farbe er hat (das sind sekundäre Eigenschaften, in klassischer Terminologie so genannte Akzidentien). Ein Tisch wird zum Tisch durch ganz bestimmte Eigenschaften, die man ihm nicht absprechen kann, ohne das er aufhört ein Tisch zu sein. Also Eigenschaften wie: man kann auf ihm etwas abstellen; man kann sich an einen Tisch setzen (oder stellen, wenn es ein sehr hoher Tisch ist); man kann an ihm arbeiten, essen oder Karten spielen etc.

So wird klar, dass auch ein Baumstumpf ein Tisch sein kann, oder ein Stück niedriger Mauer oder eine umgedrehte Bananenkiste usw. Selbst ein Stuhl kann (zweckentfremdet) zum Tisch werden ohne dabei aufzuhören (auch) ein Stuhl zu sein. Ein Hammer oder Moleküle u.a. können freilich nicht zu einem Tisch werden usw. Die Essenz von etwas, sind also die wesentlichen (= die proprietären Eigenschaften im Unterschied zu den akkzidentiellen Eigenschaften) von etwas.

Da die Essenz von etwas lediglich seine proprietären, also wesentlichen Eigenschaften sind, muss sie aber keine eigenständige geistige Entität sein, also so etwas wie eine platonische Idee.

Die moderne Modallogik hat den alten Begriff der Essenz in gewisser Weise reaktiviert und zwar durch ihr Postulat, dass eine Aussage dann notwendig wahr ist, wenn sie in allen möglichen Welten wahr ist. Das heißt, wenn dass, worauf sich ein Name oder eine Aussage bezieht, in allen möglichen Welten dasselbe ist, dann kann man von notwendiger Wahrheit sprechen.


Jean Paul Sartre hat in einer bewusst widersprüchlichen Formulierung gesagt: die Essenz des Menschen besteht darin, dass er keine Essenz hat: dass er also keine exakt bestimmbare Natur hat, die aus ihm einen Menschen macht, - denn der Mensch kann frei wählen, was er sein will. Seine Existenz, also das, was er real gerade ist (weil er real gerade das und das tut), geht seiner Essenz voraus.
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Novas
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#462 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Novas » Fr 22. Jan 2016, 19:01

Savonlinna hat geschrieben:"Vorstellung", "Gott", "Objekt", "Entität" - alles schwammige Begriffe, auf die ich mich nicht einlasse. Wir sind hier doch nicht beim Kaffeekränzchen. ;)

Das kommt darauf an, wer sie verwendet. Ob man sie mit wirklichem Interesse betrachtet oder nicht, man kann sie schwammig verwenden oder ihnen einen Inhalt zuweisen, aber das weißt Du eigentlich selbst. Außerdem sind die Begrifflichkeiten der Materialismus-Gläubigen nicht unbedingt präziser.
Zuletzt geändert von Novas am Fr 22. Jan 2016, 19:07, insgesamt 1-mal geändert.

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#463 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Savonlinna » Fr 22. Jan 2016, 19:06

Novalis hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:"Vorstellung", "Gott", "Objekt", "Entität" - alles schwammige Begriffe, auf die ich mich nicht einlasse. Wir sind hier doch nicht beim Kaffeekränzchen. ;)

Das kommt darauf an, wer sie verwendet. Man kann sie schwammig verwenden oder ihnen einen Inhalt zuweisen, aber das weißt Du eigentlich selbst. Außerdem sind die Begrifflichkeiten der Materialismus-Gläubigen nicht unbedingt präziser.
Natürlich nicht. Aber die sind im Moment nicht dran. :D

Und was ersteres betrifft, so habe ich diese Schwammigkeit ja in einen konkreten Kontext gestellt.

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#464 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von sven23 » Fr 22. Jan 2016, 19:13

Savonlinna hat geschrieben: Ich bin mir da nicht sicher, zumal "Placebo" ja nur ein Wort ist, das nichts erklärt.
Jendenfalls ist da etwas wirksam, von dem man nicht weiß, wie die Wirksamkeit funktioniert.
Placebos werden ja in pharmakologischen Blindstuden verwendet. Ein Placebo enthält keinen Wirkstoff, kann also selbst nicht ursächlich für eine gefühlte oder tatsächliche Verbesserung sein. Ursache kann also nur der Glaube an die Wirksamkeit sein. Das Placebo ist dabei beliebig austauschbar durch andere Stoffe, Verfahren, auch Steine usw.
Der Glaube kann Selbstheilungskräfte aktivieren, manchmal ist es auch nur eine gefühlte Verbesserung, begünstigt durch Autosuggestion. Das ganze hat natürlich seinen Grenzen. Bei ernsthaften oder lebensbedrohlichen Krankheiten verbietet sich der Einsatz von Placebos aus ethischen Gründen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#465 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Münek » Fr 22. Jan 2016, 19:17

SilverBullet hat geschrieben:
closs hat geschrieben:zu Savonlinna:
Welchen folgenden Aussagen würdest Du zustimmen?

a) "Gott" ist eine Entität (also unabhängig von menschlicher Wahrnehmung existierend)?
b) Ohne Wahrnehmung des Menschen ist "Gott" nicht existent?
c) "Ich weiss es nicht?"
Ich könnte keiner dieser Antworten zustimmen, denn das Wort „Gott“ ist im Grunde immer noch die Fragestellung des Anfangsverdachtes. Die Frage nach der Existenz stellt sich somit noch gar nicht.

Völlige Zustimmung. Auch ich könnte keiner dieser Aussagen zustimmen. :thumbup:

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#466 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von closs » Fr 22. Jan 2016, 19:17

sven23 hat geschrieben:Gibt es ihn nicht, würde er auch dann nicht existieren, wenn alle an ihn glauben.
Genau - sorum stimmt auch.

SilverBullet hat geschrieben:Beim Wort „Gott“ handelt sich somit auch nach der Konkretisierung immer noch um eine Suche und nicht um eine Zielvorstellung.
Suche sowieso, Zielvorstellung aber auch. - Man verbindet mit dem Ziel Eigenschaften (dies habe ich Dir mehrfach genannt). - Dabei gibt es zwei Ebenen: eine intellektuelle und eine emotionale.

SilverBullet hat geschrieben: Allerdings ist das „Ergebnis“ nur eine unvollständige Vermutung
Natürlich ist es so - aber was ändert es daran, dass das Ziel Realität sein kann und man selbst mit SEINEN Kriterien dieses Ziel zwar unscharf, aber der Richtung nach lokalisiert hat?

SilverBullet hat geschrieben:In deiner Sicht wird das Wort „Gott“ vermutlich nicht mehr als Suche interpretiert sondern als Ergebnis.
Allenfalls gibt es eine subjektive Gewissheit - aber "Ergebnis" gibt es nie - denn dann müsste man auf der Ebene Gottes sein, um ihn genau zu beschreiben - aber genaus das KANN ja gerade nicht sein.

SilverBullet hat geschrieben:Da hat die Suggestion ganze Arbeit geleistet
Es ist DEINE Suggestion, wenn Du meinst, eine nur ansatzweise Konkretisierung sei automatisch als "Suggestion" zu verstehen. - Nochmals: Entscheidend ist, ob das Ziel "Realität" ist - was man nur glauben, nie aber wissen kann. - Was wiederum kein Argument dafür ist, dass das Ziel NICHT ist.

SilverBullet hat geschrieben:Warum machst du bei „Gott“ eine komplette Ausnahme?
Wieso DAS? - Das Ziel qualifiziert sich über geistig plausibel erscheinende Eigenschaften, die Harvey, der Hase, mit SIcherheit NICHT hat.

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#467 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Novas » Fr 22. Jan 2016, 19:21

Savonlinna hat geschrieben:Natürlich nicht. Aber die sind im Moment nicht dran. :D

Eckhart Tolle hat die Gotteserfahrung meisterlich beschrieben ohne auch nur ansatzweise die übliche religiöse Sprache zu verwenden:

Schaue einen Baum, eine Blume, eine Pflanze. Richte deine ganze Aufmerksamkeit darauf. Wie still sind sie, wie tief verwurzelt mit dem Sein. Erlaube der Natur, die Stille zu lehren.

Wenn du einen Baum anschaust und seine Stille wahrnimmst, wirst du selbst still. Du verbindest dich mit ihm auf einer sehr tiefen Ebene. Du fühlst diese Einheit mit was immer du in und durch Stille wahrnimmst. Diese Einheit deines Selbst mit allen Dingen zu spüren, das ist wahre Liebe.

[...]

Wirkliche Intelligenz arbeitet schweigend. Stille ist wo Kreativität ihre Quelle hat, Lösungen zu Problemen gefunden werden.

Ist Stille nur die Abwesenheit von Geräusch und Inhalt? Nein, sie ist Intelligenz selbst. Ihr liegt das Bewusstsein zugrunde, aus dem jede Form geboren wird.
Und wie kann das von dir getrennt sein? Die Form, von der du denkst, dass du sie bist, kommt aus diesem und wird davon getragen. Es ist die Essenz aller Galaxien und Grashalmen, von allen Blumen, Bäumen, Vögel und all den anderen Formen.

Stille ist das einzige in dieser Welt, das keine Form hat. Aber dann ist sie auch nicht wirklich ein Ding und ist somit nicht von dieser Welt.
http://www.zentrum-fuer-psychosynthese. ... tolle.html

Sei still und wisse, dass ich Gott bin - so heißt es in einem Psalm.

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#468 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Novas » Fr 22. Jan 2016, 19:43

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Beim Wort „Gott“ handelt sich somit auch nach der Konkretisierung immer noch um eine Suche und nicht um eine Zielvorstellung.
Suche sowieso, Zielvorstellung aber auch.

Nietzsche sagte: Gott ist tot. Er meinte den Gott der Begriffe. Ich würde das korrigieren: der Gott der Begriffe hat noch nie gelebt, weshalb er auch nicht sterben kann. "Mache Dir kein Bildnis" könnte man auch übersetzen mit: "Mache Dir keinen Begriff". Manche Zen-Meister sprechen von der "Großen Stille". Das ist einer der schönsten Namen für Gott, die ich je gehört habe.
Zuletzt geändert von Novas am Fr 22. Jan 2016, 19:52, insgesamt 1-mal geändert.

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#469 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Savonlinna » Fr 22. Jan 2016, 19:52

Thaddäus hat geschrieben: Die Essenz eines Tisches z.B. besteht also nicht darin, aus was er besteht (das Material) und welche genaue Form oder Farbe er hat (das sind sekundäre Eigenschaften, in klassicher Terminologie so genannte Akzidentien). Ein Tisch wird zum Tisch durch ganz bestimmte Eigenschaften, die man ihm nicht absprechen kann, ohne das er aufhört ein Tisch zu sein. Also Eigenschaften wie: man kann auf ihm etwas abstellen; man kann sich an einen Tisch setzen (oder stellen, wenn es ein sehr hoher Tisch ist); man kann an ihm arbeiten, essen oder Karten spielen etc.

So wird klar, dass auch ein Baumstumpf ein Tisch sein kann, oder ein Stück niedriger Mauer oder eine umgedrehte Bananenkiste usw. Selbst ein Stuhl kann (zweckentfremdet) zum Tisch werden ohne dabei aufzuhören (auch) ein Stuhl zu sein.
Wunderbar, dass Du das jetzt gerade schreibst. Ein Tisch wird durch seine Funktion zum Tisch, nicht durch seine Materialien.
Der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure - Begründer des Strukturalismus - benutzt das Schachspiel als Beispiel.

Schach kann man auch spielen, wenn man keine Figuren hat. Man kann Brotkrümel nehmen, Murmeln, Papierfetzen, denen man jeweils die Funkton des Läufers, des Bauern etc. zuweist. Es muss nur eindeutig sein, welcher Brotkrümel als Bauer beispielsweise fungiert, welcher Papierfetzen als Läufer usw.

Beim Menschen ist das etwas schwieriger. Er hat zwar für jeden anderen Menschen, der ihn kennt, eine Funktion, das ist vermutlich unbestreitbar. Aber er erhebt Anspruch, nicht nur Funktion zu sein. Er möchte "um seiner selbst willen" akzeptiert werden, mit alein seinen Fehlern angenommen werden.

Und das kann sogar gelingen. Was man dann aber akzeptiert, blind mehr oder weniger, das weiß man nicht. Wenn man jemanden bedingungslos akzeptiert, dann auf eigene Gefahr hin. Denn was der Mensch ist, weiß niemand - von allen Dingen, wenn er aus allen Rollen und Funktionen abhaut.


Thaddäus hat geschrieben:Jean Paul Sartre hat in einer bewusst widersprüchlichen Formulierung gesagt: die Essenz des Menschen besteht darin, dass er keine Essenz hat: dass er also keine exakt bestimmbare Natur hat, die aus ihm einen Menschen macht, - denn der Mensch kann frei wählen, was er sein will. Seine Existenz, also das, was er real gerade ist (weil er real gerade das und das tut), geht seiner Essenz voraus.
Das gefällt mir. Denn die "Essenz" verändert sich andauernd, ist präsent in jedem Hammerschlag, den er tut. Der Mensch ist jeden Tag ein anderer, und er ist es durch seine aktuelle Existenz, ja. Die Essenz verändert sich ständig durch die jeweilige Existenz, die man gewählt hat.

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Savonlinna
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#470 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Savonlinna » Fr 22. Jan 2016, 19:56

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Gibt es ihn nicht, würde er auch dann nicht existieren, wenn alle an ihn glauben.
Genau - sorum stimmt auch.
Ihr stimmt darum darin überein, weil Ihr beide nach materialistischer Methodik denkt. ;)

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