Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

closs
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#381 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von closs » Sa 12. Dez 2015, 09:36

sven23 hat geschrieben:Systematiker bzw. Dogmatiker sind die eigentlichen Exoten eines sich längst überlebten Fachgebiets an den Universitäten.
Das ist ganz sicher richtig - aber das sagt doch nichts darüber aus, wer die Nase vorn hat.

Im Grunde unterscheiden sich Dogmatik und Natur-Wissenschaften darin, dass der Natur-Wissenschaftler aufgrund methodischer Vorgaben menschliche Wahrnehmungs-Möglichkeiten organisiert und objektiviert: "Was von dem, was ich wahrnehme, ist intersubjektiv darstellbar?" - Das ist gut und in der Physik unangefochten das Mittel der Wahl.

Die Philosophie nun hat sich in den letzten Generationen dem angepasst - siehe Analytische Philosophie. - Man will auch dazu gehören und eine "richtige" Wissenschaft sein. - Übersehen wird dabei, dass "Philosophie" primär etwas mit "Weisheit" (sophia) und erst sekundär mit analytischem Wissen zu tun haben sollte. - Denn wie sonst könnte Sokrates zum Ergebnis kommen "Ich weiss, dass ich nichts weiss"? - Zu solchen Ergebnissen ist eine analytische Philosophie gar nicht mehr in der Lage, weil für sie dass Nicht-Wissbare nicht relevant ist - sie suhlt sich also im selben Trog wie die Natur-Wissenschaft. - Ist das ein Fortschritt?

Insofern hat sich die Philosophie tatsächlich von der Dogmatik entfernt, was die Dogmatik ziemlich allein übrig lässt. - Der Grund dafür mag sein, dass die heutige Philosophie ihre Epistemologie methodisch versteht (das macht die Naturwissenschaft ohnehin - aber bei ihr ist es angebracht), während die Dogmatik ihre Epistemologie ontologisch versteht. - Insofern ist die Dogmatik einem Plato und Sokrates heute näher, als es die Philosophie ist.
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Queequeg
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#382 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von Queequeg » Sa 12. Dez 2015, 09:58

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Systematiker bzw. Dogmatiker sind die eigentlichen Exoten eines sich längst überlebten Fachgebiets an den Universitäten.
Insofern ist die Dogmatik einem Plato und Sokrates heute näher, als es die Philosophie ist.

Jetzt fehlt aber noch der stehende Beweis, das Sokrates und Plato ausgewiesene Fundamentaltheologen waren und eigentlich sowieso und immer schon katholisch..

:lol:

Clossen, clossen, ich sehe dich als unermüdlich katholisch-priesterlichen Hamster, der unentwegt in seinem tehologischen Rad läuft und der der Meinung ist, die Drehung des Rades ist der Beweis der Erstbewegung des ersten Bewegers, aber das, das kriegst du sicherlich auch noch hin...

Dir einen feinen dritten Adwent, dicke Stollen, frohes Kinderlachen, Glühwein oder Punsch in Hekatomben, und die Tropfen, die jedes Glas enthält seien deinen Lebensjahren zugelegt.

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#383 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von Pluto » Sa 12. Dez 2015, 10:04

closs hat geschrieben: - aber das sagt doch nichts darüber aus, wer die Nase vorn hat.
Doch.
Die Dogmatiker haben im Festhalten an nicht falsifizierbaren Behauptungen ganz sicher die "Nase vorn".

Im Grunde unterscheiden sich Dogmatik und Natur-Wissenschaften darin, dass der Natur-Wissenschaftler aufgrund methodischer Vorgaben menschliche Wahrnehmungs-Möglichkeiten organisiert und objektiviert: "Was von dem, was ich wahrnehme, ist intersubjektiv darstellbar?" - Das ist gut und in der Physik unangefochten das Mittel der Wahl.

closs hat geschrieben:Die Philosophie nun hat sich in den letzten Generationen dem angepasst - siehe Analytische Philosophie. - Man will auch dazu gehören und eine "richtige" Wissenschaft sein.
Wie immer "panta rhei".

closs hat geschrieben:Übersehen wird dabei, dass "Philosophie" primär etwas mit "Weisheit" (sophia) und erst sekundär mit analytischem Wissen zu tun haben sollte.
Ist nicht falsifizierbare Weisheit besser als nicht-falsifizierbare?

closs hat geschrieben:Denn wie sonst könnte Sokrates zum Ergebnis kommen "Ich weiss, dass ich nichts weiss"?
Diese Aussage erscheint mir typisch für einen sehr analytisch denkenden Menschen, der bereits vor fast 3000 Jahren ahnte, dass nichts auf der Welt beweisbar ist.

closs hat geschrieben:Zu solchen Ergebnissen ist eine analytische Philosophie gar nicht mehr in der Lage, weil für sie dass Nicht-Wissbare nicht relevant ist - sie suhlt sich also im selben Trog wie die Natur-Wissenschaft. - Ist das ein Fortschritt?
Ja. Denn die Aussagen der analytischen Philosophie sind heute nicht mehr beliebig.

closs hat geschrieben:Insofern ist die Dogmatik einem Plato und Sokrates heute näher, als es die Philosophie ist.
Plato, JA. Sokrates, NEIN.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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sven23
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#384 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Dez 2015, 10:14

closs hat geschrieben:Das ist ganz sicher richtig - aber das sagt doch nichts darüber aus, wer die Nase vorn hat.
Eigentlich schon, denn Dogmatik ist so ziemlich das Gegenteil von wissenschaftlicher Vorgehensweise.

closs hat geschrieben: Denn wie sonst könnte Sokrates zum Ergebnis kommen "Ich weiss, dass ich nichts weiss"? -
Die Feststellung von Sokrates ist doch nur eine überspitzte Vorwegnahme der modernen Wissenschaft, die sich ja durchaus bewußt ist, daß ihre Modelle niemals vollständig die gesamte "Realität" abbilden können.


"Wenn man die Theologie schon nicht gleich so radikal wie der Nietzsche-Freund Franz Overbeck
als „Parasit an der Tafel der Wissenschaften“ bezeichnen will, so ist sie doch zweifellos ein
Fremdkörper in einer modernen Universität."

...
Der Theologe Pöhlmann bringt es auf den Punkt: „Wenn die Neutralität oder
Voraussetzungslosigkeit das Wesen der Wissenschaft ausmacht, dann ist die Theologie keine
Wissenschaft."

...
Wieder Pöhlmann:
Gänzlich inakzeptabel ist für die Theologie auf jeden Fall das
Vorurteilslosigkeitspostulat, da sie von dem Vorurteil der Offenbarung und des Glaubens ausgeht.“

Kubitza, Der Dogmenwahn

Farbliche Hervorhebung von mir.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#385 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von closs » Sa 12. Dez 2015, 10:28

Queequeg hat geschrieben:, ich sehe dich als unermüdlich katholisch-priesterlichen Hamster, der unentwegt in seinem tehologischen Rad läuft
Und dabei bin ja nicht einmal ein Mitglied dieser katholischen Kirche.

Queequeg hat geschrieben: das kriegst du sicherlich auch noch hin...
Nicht ohne Deine Hilfe.

Queequeg hat geschrieben:Jetzt fehlt aber noch der stehende Beweis, das Sokrates und Plato ausgewiesene Fundamentaltheologen waren und eigentlich sowieso und immer schon katholisch..
Daran müsse wir noch arbeiten. - Aber im Ernst: Den Unterschied zwischen bottom-up (Naturwissenschaft/Analytische Philosophie) und top-down (Platon/Christentum) erfolgreich zu vermitteln, ist mir doch hoffentlich geglückt - jetzt mache mich nicht traurig.

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#386 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von closs » Sa 12. Dez 2015, 10:32

Pluto hat geschrieben:Ist nicht falsifizierbare Weisheit besser als nicht-falsifizierbare?
Die eigentliche Aussage ist eigentlich, dass Weisheit über Wissen hinausgeht.

Pluto hat geschrieben:Diese Aussage erscheint mir typisch für einen sehr analytisch denkenden Menschen, der bereits vor fast 3000 Jahren ahnte, dass nichts auf der Welt beweisbar ist.
Es gibt Menschen, bei denen sich Weisheit und analytisches Wissen treffen.

Pluto hat geschrieben:Plato, JA. Sokrates, NEIN.
Oje - das müsste man sich genauer angucken. - Aus meiner Sicht haben beide über den Tellerrand des Falsifizierbaren hinaus geguckt.

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#387 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von closs » Sa 12. Dez 2015, 10:43

sven23 hat geschrieben:Eigentlich schon, denn Dogmatik ist so ziemlich das Gegenteil von wissenschaftlicher Vorgehensweise.
Davon abgesehen, dass auch und gerade innerhalb der systematischen Theologie eine wissenschaftliche Vorgehensweise gepflegt ist, hat Du natürlich mit der Annahme der nicht-vorhandenen Ergebnisoffenheit recht: Dir Existenz Gottes gilt als gesetzt. - Andererseits gilt in der Naturwissenschaft die Übereinstimmung von Wahrnehmung/Messung und der Natur ebenfalls als gesetzt. - Altes Thema: Es gibt für uns nur Wissen auf Basis von Prämissen.

Das Problem aus meiner Sicht: Warum braucht man eigentlich noch Philosophie, wenn man sie methodisch den Naturwissenschaften anpasst?

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#388 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von Queequeg » Sa 12. Dez 2015, 10:46

closs hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:, ich sehe dich als unermüdlich katholisch-priesterlichen Hamster, der unentwegt in seinem tehologischen Rad läuft
Und dabei bin ja nicht einmal ein Mitglied dieser katholischen Kirche.

Aber als etwas noch im Mittelalter einwohnender Adept, der es gerne sehen würde, das die Bibel nicht in die Hände des tumben Volkes gehört, dafür bist du eigentlich und vorbildlich urkatholisch.

Aber im Ernst: Den Unterschied zwischen bottom-up (Naturwissenschaft/Analytische Philosophie) und top-down (Platon/Christentum) erfolgreich zu vermitteln, ist mir doch hoffentlich geglückt - jetzt mache mich nicht traurig.

Mit Platon kann man vieles machen, auch einen Vorläufer und Wegbereiter irgendwelcher katholischer Dogmen. Mit ein bisschen Phantasie machen wir aus Platon auch noch einen Vor-Petrus...

Wobei du jetzt ja schon Sokrates hast fallenlassen müssen, das war dann wohl doch zu starker Tobak, selbst für dich, und es täte mir unendlich leid, hätte ich dich jetzt traurig gemacht.

Sie glaubt an Gott, aber sie glaubt auch, dass das Radio wegen den winzigen Leuten dadrin funktioniert.
(W. Allen)

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#389 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von Pluto » Sa 12. Dez 2015, 10:50

closs hat geschrieben:Warum braucht man eigentlich noch Philosophie, wenn man sie methodisch den Naturwissenschaften anpasst?
Eine sehr gute Frage! :clap:

Ich würde sagen, es zeichnet sich am "Menetekel" der Hochschulen ein weiterer Wandel ab: Die Tage der Philosophie als selbstständige Disziplin sind gezählt.
In nicht allzu ferner Zukunft wird die Philosophie von der analytischen Psychologie vereinnahmt, und diese wiederum wird in der Hirnforschung aufgehen. Daraus werden dann Erkenntnisse kommen, dass uns heutigen Menschen die Ohren nur so glühen werden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#390 Re: Theologie - Wissenschaft oder überholtes Relikt?

Beitrag von closs » Sa 12. Dez 2015, 11:14

Queequeg hat geschrieben:Aber als etwas noch im Mittelalter einwohnender Adept, der es gerne sehen würde, das die Bibel nicht in die Hände des tumben Volkes gehört, dafür bist du eigentlich und vorbildlich urkatholisch.
Dazu muss man nicht katholisch sein - das gilt nicht nur für die Bibel, sondern auch die "Phänomologie des Geistes" oder die "Kritik der reinen Vernunft". - Die Gefahr ist einfach zu groß, dass man irgendwas rauspickt ("Da steht abba ...") und dann umher-falsifiziert. - Nebenbei: Es gibt auch heute noch viele, die mit Kant rumhantieren und meinen "Kritik" sei in der heutigen Bedeutung gemeint.

Queequeg hat geschrieben:Mit Platon kann man vieles machen, auch einen Vorläufer und Wegbereiter irgendwelcher katholischer Dogmen.
Die übergeordnete Frage lautet: Ist Geist Folge von Materie, oder ist Materie Folge von Geist. - Wenn man sich für eine Version entscheidet, ergibt sich jeweils eine Gruppe, die in ihren Aussagen verwandt ist - das ergibt sich automatisch.

Queequeg hat geschrieben:Sie glaubt an Gott, aber sie glaubt auch, dass das Radio wegen den winzigen Leuten dadrin funktioniert.(W. Allen)
So was kann rauskommen, wenn man setzt, dass Geist Folge von Materie ist.

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