Sein und Wahrnehmung II

Säkularismus
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closs
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#101 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von closs » So 29. Nov 2015, 22:32

Thaddäus hat geschrieben:A priori bedeutet keine merkürdigen Substanzen oder dergleichen.
Beruhigend. :thumbup:

Thaddäus hat geschrieben:So ist die Aussage: "Alle Junggesellen sind unverheiratet" a priori wahr
A-Priori als Tautologie?

Thaddäus hat geschrieben:Das ist nicht zu verwechseln mit transzendent.
Richtig - diesen Fehler findet man gelegentlich.

Thaddäus hat geschrieben:Transzendent ist etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, wie z.B. jede Definition von Gott. Transzendente Entitäten sind jenseits aller Erfahrung.
Jetzt wird's schwierig, denn damit setzt Du eine Definition von "Erfahrung" voraus, die zutreffend ist oder nicht. - Konkret:

Christen würden sich nicht einreden lassen, dass das, was sie "Erfahrung mit Gott" nennen, notwendig "Illusion" ist. - Die Frage bliebe also: Gibt es geistige Erfahrung, die sich nicht auf Raum und Zeit bezieht? - Aus meiner Sicht nur weltanschaulich beantwortbar, also nicht zwingend.

Thaddäus hat geschrieben:Das transzendentale Ego ist nach Kant also eine Instanz unseres Bewusstseins, welches wir annehmen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind.
Passt. - Macht sich eigentlich Kant Gedanken darüber (sorry - ich bin zu lange draußen), ob diese "Instanz des Bewusstseins" materiell erzeugt wird oder durch Materie vermittelt wird? - Verwandte Frage bezüglich "Das innere Gesetz in mir": Ist dies nach Kant ein Produkt der Materie?

Pluto
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#102 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » So 29. Nov 2015, 23:30

Thaddäus hat geschrieben:Das transzendentale Ego ist nach Kant also eine Instanz unseres Bewusstseins, welches wir annehmen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind. Denn es muss etwas geben, was wahrnimmt und Erfahrungen machen kann.
Das klingt wieder nach einem Homunculus vor einer Leinwand. Diese Vorstellung ist sehr intuitiv, führt uns aber in einen unendlichen Regress wie in einer Matroschka-Puppe.
Das Problem mit einer solchen Vorstellung ist, dass man im Gehirn nirgendwo eine Leinwand vorfindet, also muss es eine andere Erklärung für Geist (und Bewusstsein) geben.
Meine Vorstellung von Geist ist diejenige eines Prozesses der die Funktion des Körpers steuert. Das Bewusstsein ist die Aneinanderreihung von Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen, die als eine bruchhaften und fehlerhaften Film im Gehirn festgehalten werden und nach Belieben wieder abgerufen werden können.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#103 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » So 29. Nov 2015, 23:56

Pluto hat geschrieben:Das klingt wieder nach einem Homunculus vor einer Leinwand. Diese Vorstellung ist sehr intuitiv, führt uns aber in einen unendlichen Regress wie in einer Matroschka-Puppe.
Nein, es klingt nach dem, was es ist, nämlich einer logisch zwingenden Notwendigkeit! Egal, ob man von Wahrnehmung, Erfahrung oder Wissen spricht, ist es logisch zwingend anzunehmen und eine transzendentale Voraussetzung, dass es etwas geben muss, DASS wahrnimmt, Erfahrungen macht oder etwas weiß. Es geht gar nicht anders und es ist mir schleierhaft, weshalb dieser schlichte Umstand so schwer zu begreifen sein soll. Von Humunculus ist da nirgendwo die Rede und ich weiß auch nicht, wo du da beständig einen zu finden glaubst.
Offenbar haben Silverbullet und du Schwierigkeit damit, diese Instanz so abstrakt zu denken wie Kant, der lediglich von einem "Ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können" spricht.

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#104 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Mo 30. Nov 2015, 00:02

Thaddäus hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das klingt wieder nach einem Homunculus vor einer Leinwand. Diese Vorstellung ist sehr intuitiv, führt uns aber in einen unendlichen Regress wie in einer Matroschka-Puppe.
Nein, es klingt nach dem, was es ist, nämlich einer logisch zwingenden Notwendigkeit!
Mag sein, aber deine Hypothese lässt sich nun mal nicht empirisch bestätigen. Es gibt keinen solche Ort im Gehirn, wo alles zusammenkommt.

Thaddäus hat geschrieben:Offenbar haben Silverbullet und du Schwierigkeit damit, diese Instanz so abstrakt zu denken wie Kant, der lediglich von einem "Ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können" spricht.
Kant war nun mal Philosoph und kein Naturwissenschaftler von heute.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#105 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Mo 30. Nov 2015, 12:46

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Man kann somit in keiner Weise festlegen, dass eine „Ich-Instanz“ vorhanden sein muss, die sich selbst beobachtet.
Doch, genau das ist es, was man sogar unzweifelhaft feststellen kann.
Ein guter Bekannter des Wortes „Unzweifelhaft“ ist das Wort „Beweis“.

Da man beweisen kann, dass elekrische Impulse in einer neuronalen Verschaltung verarbeitet werden, muss man mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% davon ausgehen, dass das Gehirn eine Datenverarbeitung durchführt.
Wer aus der virtuellen Bedeutungsumgebung einer Datenverarbeitung, zu irgendeiner Art „aktiver Instanz“ kommen möchte, der muss eine funktionierende Schnittstelle beweisen.

Die Schnittsstelle, die Funktion, der Beweis und die Instanz wurden bisher nicht geliefert.

Thaddäus hat geschrieben:Es ist völlig ausschichtslos, die Fähigkeit des Menschen zur unmittelbaren Selstbeobachtung leugnen zu wollen, - einfach deshalb, weil jeder Mensch genau diese introspektive Erfahrung macht.
„introspektive Erfahrung“ ist, wenn man durch die Augenhöhlen in einer „Aussenwelt“, Farben sieht, obwohl die, durch Lichtfrequenzen angeregten Daten am Hinterkopf verarbeitet werden.

„introspektive Erfahrung“ ist, wenn man eine Farbe sieht und dazu einen Ton hört (Synästhesie)

„introspektive Erfahrung“ ist, wenn man eine Textzeile liest und die einzelnen Wörter im Raum verteilt sind (Synästhesie)

„introspektive Erfahrung“ ist, wenn man Körperteile als nicht zum eigenen Körper zugehörig ansieht (Agnosie)

„introspektive Erfahrung“ ist, wenn man menschliche Charakterzüge als Form wahrnimmt (Synästhesie)

usw. usw. usw.

Rund um das Verstehen, das Bewusstsein, gibt es sozusagen sämtliche Variationsmöglichkeiten, die man sich durch Effekte im Umgang mit Daten vorstellen kann.

Ich kann nicht nachvollziehen, wie man Lösungsvermutungen für das „Verstehen“ (einmal „generell“ und auch „im speziellen“ für die Krankheits-/Verletzungs-Konstellationen) als „aussichtslos“ bezeichnen kann, und sich gleichzeitig auf die extrem eigenartigen und fehleranfälligen Zusammenhänge verlassen möchte.

Thaddäus hat geschrieben:Dabei macht es auch gar nichts, dass ich nicht in die Köpfe anderer Menschen hineinsehen und an der Selbstbeobachtung anderer Menschen intersubjektiv teilhaben kann.
Das ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Technik auf der einen Seite und Philosophie und Religion auf der anderen Seite.

Selbstverständlich macht es etwas, dass die vermuteten Zusammenhänge nicht beobachtet werden können.
Es relativiert die Vermutungen.
Es relativiert die Behauptungen.
Es relativiert die Ansprüche.

Wer das „Denken in Kategorien“ als Begründung anführen möchte (siehe vorangehende Diskussion), macht den Fehler, dass er sich selbst eine Überblicksposition zugesteht, die er aber gar nicht einnehmen kann.
Der suggerierte Kategorienvergleich ist gar nicht möglich.
Er wäre nur möglich, wenn, wie bei der „physikalischen Kategorie“, eine unabhängige Beobachtung stattfinden könnte.
Da dies aber nicht möglich zu sein scheint, ist das Aufstellen von Kategorien, das Vergleichen, und somit das dadurch beabsichtigte Argument, nicht zulässig.

Thaddäus hat geschrieben:Die unmittelbare Selbstanschauung ist viel zu überzeugend, um hier Zweifel aufkommen zu lassen. Das ist ein Fakt, der zur Kenntnis genommen werden muss.
Die „Überzeugung von Etwas“, also das objekt-/dinghafte Umgehen mit Zusammenhängen, ist exakt der Charakterzug, der beim „Rätsel des Bewusstseins“ erklärt werden soll.

Die „Überzeugung, innerhalb des Bewusstseins“ als Argument und Anspruch, für die Korrektheit des objekt-/dinghaften Umganges, einzusetzen, ist dann natürlich ein grosser Fehler, denn man kann ein Rätsel nicht auflösen, indem man es einfach als Beweis verwendet.

Thaddäus hat geschrieben:Eine andere Frage ist es, wie das funktionieren kann? Man muss keinen Humunculus im eigenen Hirn annehmen, um diese Fähigkeit zur unmittelbaren Selbstbeobachtung erklären zu können. Kant hat hier bereits die beste Vorarbeit geleistet, indem er analysiert, dass das transzendentale (nicht transzendente!) Ego lediglich ein Prozess bzw. eine Instanz des Verstandes ist.
Das aktive Gehirn ist vorhanden.

Wenn ein Philosoph die dortigen Datenverarbeitungsabläufe als „nicht ausreichend“ festlegen möchte (ich weiss nicht, ob Kant diese Absicht hat), dann muss er die oben genannte Schnittstelle liefern.

Die Virtualität einer Datenverarbeitung ist eine Abschirmungskraft, deren Stärke und Intensität vermutlich den wenigsten Menschen bewusst ist.
Es handelt sich hierbei nicht um eine physikalische Abschirmung, um Material und/oder Strahlung abzuhalten.
Es handelt sich um eine Existenzabschirmung, d.h. keine Existenz kommt hinein und keine Existenz entsteht darin und kommt heraus.
Eine Interaktion ist nur über explizite Schnittstellen, d.h. Daten-Ein/Ausgabe-Situationen, die von den virtuellen Bedeutungszusammenhängen akzeptiert werden, möglich.

Im Gehirn sind die Schnittsellen:
Sinnszellen als Eingang und
Motoneurone als Ausgang
(vielleicht auch noch die Ausschüttung von biochemischen Botenstoffen durch Spezialneurone oder Gliazellen)

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#106 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Mo 30. Nov 2015, 12:50

Pluto hat geschrieben:Das Problem mit einer solchen Vorstellung ist, dass man im Gehirn nirgendwo eine Leinwand vorfindet, also muss es eine andere Erklärung für Geist (und Bewusstsein) geben.
Genau richtig:
das Nicht-Vorfinden von existentiellen Zusammenhängen in Form von „Mentalstoffen“ und/oder Schnittstellen, an denen man Wechselwirkung erkennen könnte, ist die zentrale Verzweigung, an der die Plausibilität von Vermutungen gemessen werden sollte.

Pluto hat geschrieben:Meine Vorstellung von Geist ist diejenige eines Prozesses der die Funktion des Körpers steuert.
Das sehe ich genauso als die eigentliche Aufgabe von Wahrnehmung an, wobei dies auch die Interaktionsfunktionen des Körpers mit seiner Umwelt einschliesst.
(das Wort „Geist“ benutze ich nicht, weil dadurch sehr schnell eine Bedeutung verstanden wird, die ich in keiner Weise vermitteln möchte)

Pluto hat geschrieben:Das Bewusstsein ist die Aneinanderreihung von Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen, die als eine bruchhaften und fehlerhaften Film im Gehirn festgehalten werden und nach Belieben wieder abgerufen werden können.
So eigenartig es klingt, aber in erster Linie bedeutet „Bewusstsein“ wohl, dass die „Überzeugung, ein Bewusstsein zu sein“ stattfindet.

Wahrnehmung von Wahrnehmung kann man auch als Bewusstsein ansehen, ist aber im Grunde „einfacher“ herstellbar, als die „Überzeugung etwas zu sein“.

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#107 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Mo 30. Nov 2015, 20:18

@ Pluto
@ SilverBullet

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das klingt wieder nach einem Homunculus vor einer Leinwand. Diese Vorstellung ist sehr intuitiv, führt uns aber in einen unendlichen Regress wie in einer Matroschka-Puppe.
Nein, es klingt nach dem, was es ist, nämlich einer logisch zwingenden Notwendigkeit!
Mag sein, aber deine Hypothese lässt sich nun mal nicht empirisch bestätigen. Es gibt keinen solche Ort im Gehirn, wo alles zusammenkommt.
Es ist zum Verzweifeln! :cry:
An euch (SilverBullet und dir) scheint ein stringentes philosophisches Argumentieren abzuprallen, wie Wasser an einer Ente. Ihr nehmt analytisch-philosophisches Argumentieren in keiner Weise ernst. Wenn ich nicht davon ausgehe, dass ihr das in einer bösartigen Absicht macht (um mich in den Wahnsinn zu treiben), dann muss ich davon ausgehen, dass ihr die logische Stringenz bestimmter Aussagen von mir einfach nicht versteht (vielleicht drücke ich mich auch nicht klar und deutlich genug aus).

Du kannst auf meine Ausführung oben nicht mit: "Mag sein, aber ..." antworten! Jedenfalls nicht, wenn du wirklich verstanden hast, was ich oben geschrieben habe.

Ich hatte argumentiert: Um von Wahrnehmung, Empfindungen (wie z.B. Schmerz etc.) oder Wissen-von-etwas sinnvoll sprechen zu können, muss es etwas (ganz vorsichtig ausgedrückt) geben, welches Wahrnehmungen, Empfindungenen (Schmerzen etc.) oder Wissen haben kann. Dies sei eine zwingende logische Voraussetzung dafür, sinnvoll über diese Dinge sprechen zu können.

Meine These ist also, ein Etwas logisch zwingend annehmen zu müssen. Und meine Begründung ist: weil man ansonsten nicht sinnvoll über diese Dinge sprechen kann.

Du kannst nun nur in zweierlei Weise hierauf argumentativ antworten:
1) kannst du bestätigen: "Ja, das ist korrekt." Oder du kannst ...
2) hierauf antworten: "Nein, das ist nicht korrekt." Hältst du meine Begründung für nicht korrekt, dann musst du plausibel machen, dass man sinnvoll über Wahrnehmung sprechen kann, auch wenn es niemanden gibt, der Wahrnehmungen hat. Dass man sinnvoll über Empfindungen sprechen kann, auch wenn es niemand gibt, der Empfindungen haben kann. Und das man sinnvoll über Wissen sprechen kann, auch wenn es niemanden gibt, der dieses Wissen hat.
Wie kann man also sinnvoll über Schmerzen sprechen, wenn man nicht gleichzeitig annimmt, dass es jemand gibt. der Schmerzen haben kann?

Wie kann man also über Wahrnehmungen , Empfindungen und Wissen sprechen, ohne gleichzeitig und logisch zwingend anzunehmen, dass jemand Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen hat?

Dieser Jemand kann eine Person sein. Wir sprechen Personen sinnvoll zu, Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben zu können. Behauptet man, die Person sei eigentlich ihr Gehirn, dann ist "Jemand/Person" also ein Gehirn, welches Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben kann. Hier stellt sich die Frage, WAS in der grauen Substanz Gehirn Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben könnte (denn ein Organ kann keine Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben)? So kommt man zu einer Instanz des Denkens bzw. des Bewussteins, welches Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben kann.

Damit ist noch nichts über die Beschaffenheit dieser Instanz gesagt! Es ist aber zwingend und logisch notwendig, dass es eine solche Instanz geben muss, da man ansonsten nicht sinnvoll über Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen sprechen kann.
Es sei denn, zu zeigst plausibel auf, wie das möglich sein soll!

Du kannst also nicht antworten: "Mag sein, aber ..."
Dein Versuch einer Gegenargumentation: "... deine Hypothese lässt sich nun mal nicht empirisch bestätigen" greift nicht, denn wenn ein solches Etwas, welches Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben können muss tatsächlich stringend und logisch zwingend angenommen werden muss, dann muss man es nicht empirisch bestätigen können, weil es eben eine logisch zwingende Denkvoraussetzung ist, um hierüber ünerhaupt sinnvoll sprechen zu können.

Dasselbe liegt bei SilverBullets Weigerung vor, dass ein Bewusstsein angenommen werden muss.
Er glaubt, Bewusstsein müsse intersubjektiv nachweisbar sein (was immer das bedeuten soll). Das ist aber Unsinn. Niemand weiß, wie sich der Schmerz eines anderen anfühlt. Es ist aber sinnvoll zu sagen: "Ich habe Zahnschmerzen." Und ein Zahnarzt kann sinnvoll äußern, er könne einen von den Zahnschmerzen befreien. Es ist schlicht absurd anzunehmen, man müsse Zahnschmerzen erst einmal intersubjektiv nachweisen, damit es so etwas wie Zahnschmerz geben kann.


Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Offenbar haben Silverbullet und du Schwierigkeit damit, diese Instanz so abstrakt zu denken wie Kant, der lediglich von einem "Ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können" spricht.
Kant war nun mal Philosoph und kein Naturwissenschaftler von heute.
Nö, Kant hat den logisch zwingenden Charakter der Annahme einer Instanz des Denkens, die Wahrnehmung, Empfindungen wie Schmerz usw. und Wissen haben können muss nur weitaus besser als eben logisch zwingende und transzendentale Annahme verstanden!

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#108 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Halman » Mo 30. Nov 2015, 23:06

Thaddäus hat geschrieben:Transzendental bedeutet: etwas ist eine Voraussetzung der Erfahrung, als Bedingung zur Erkenntnis. Das ist nicht zu verwechseln mit transzendent. Transzendent ist etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, wie z.B. jede Definition von Gott. Transzendente Entitäten sind jenseits aller Erfahrung.
Danke für die gute Erklärung, Thaddäus. Deine Beiträge zeugen insgesamt von hoher Qualität, auch wenn wir sicher nicht immer einer Meinung sind (dies ist aber auch nicht für die Qualität Deiner Beiträge entscheidend); insbesondere hier gefallen mir sie sehr gut. :thumbup:

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Deine Aussage, dass wirklich jede Definition über Gott über alle Erfahrung hinausgeht, so absolut formuliert, wirklich stehts zutreffend ist.
Wenn nun jemand als Naturalist beteuert, keine Atheist zu sein, sondern an einen erfahrbaren Gott zu glauben, welcher der Welt immanent ist, sagen wir im pantheistischem Sinne, so würde Dir diese hypothetische Person widersprechen. Wäre sie im Irrtum?
Oder man erhebt einen Menschen, wie Kaiser Augustus, zum "Gott". In neuester Zeit zeigten der Führerkult und der Stalinismus Züge eine "Anbetung". Sogesehen könnte man bezweifeln, dass Stalinisten Atheisten waren, denn ihr "Gott" war Stalin.

Bin ich zu spitzfindig? :oops:

Thaddäus hat geschrieben:Transzendental ist dasjenige, welches wir annhemen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind. So sind für unsere Wahrnehmung und Erfahrung Raum und Zeit sowohl apriorisch als auch transzendental, denn um überhaupt wahrnehmen zu können und damit wir überhaupt Erfahrungen machen können, müssen wir innerhalb von Raum und Zeit wahrnehmen. Ist etwas Gedachtes außerhalb von Raum und Zeit, können wir es per Defintion nicht wahrnehmen und wir können auch keine Erfahrungen damit machen.
Danke für die Erklärung, liebe Thaddäus - da habe ich was hinzuglernt. Künftig werde ich darauf achten.

Folgerungen, die sich aus unserer unmittelbaren Erfahrung ergeben, müssen aber nicht notwendigerweise die Realität selbst zutreffend beschreiben. Unsere Intuition kann uns auch in die Irre führen. Hierzu ein Zitat aus einem meiner Bücher:
Zitat aus Gravitation und Raumzeit - 1. Große Menschen - Große Ideen:
Unter „Ordnungen der Dinge“ verstand Leibniz, daß wir uns selbst Raum und Zeit als Vorstellungen erschaffen, um die auf uns einfallenden Sinneseindrücke sinnvoll ordnen zu können. Einstein folgte Leibniz in der Auffassung, daß Raum und Zeit Begriffe sind, in denen wir denken, nicht aber Bedingungen, unter denen wir leben.
Hermann Minkowski erkannte, dass aus Einsteins SRT folgt, dass Raum und Zeit keine Eigenständigkeit besaßen, sondern dass sie eine Art "Union" bilden, die Raumzeit, welche unserer unmittelbaren Erfahrung nicht zugänglich ist (allerdings aus der Wissenssumme der Erfahrungen geschlossfolgert werden kann). Raum und Zeit erweisen sich als bloße "Schatten" der Raumzeit und insofern folgte Einstein Leibniz darin, dass es sich dabei um Vorstellungen handelt, aber nicht um Bedingungen, unter denen wir leben.

Wir sind für das Leben im Mesokosmos angepasst. Doch bei anderen "Skalen", wie dem Makrokosmos und umso mehr bei Mikrokosmos sind unsere Erfahrungswerte nicht mehr zutreffend.

Thaddäus hat geschrieben:Das transzendentale Ego ist nach Kant also eine Instanz unseres Bewusstseins, welches wir annehmen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind. Denn es muss etwas geben, was wahrnimmt und Erfahrungen machen kann.
Dies ist logisch. Unser Gehirn ist hinreichend komplex, um Denkmuster zu erzeugen, die uns befähigen, uns in unserem Spiegelbild zu erkennen, uns selbst zu realisieren - uns unserer bewusst zu sein. Ich vermute, dass wir unser Ich, unser Bewusstsein, dem Frontalhirn und den enorm entwickelten Assoziationscortex verdanken.

Der Hirnforscher Prof. Wolf Singer erklärte 2005 auf einen Festvortrag (auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock) gem. dem PDF-Dokument Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent:
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
Inwieweit sich darin etwas in der letzten Dekade bis heute geändert hat, kann uns vermutlich SilverBullet beantworten.

Auf Seite 17 des PDF-Dokumentes (die Datei beginnt mit Seite 15) erklärt Singer:
Zitat von Prof. Wolf Singer:
Unserer Intuition erscheint es fremd, dass das neuronale Korrelat dessen, was wir als solides, „greifbares“ Objekt wahrnehmen, ein hoch abstraktes, räumlich und zeitlich strukturiertes Erregungsmuster sein soll – und dass auf diese Weise nicht nur dreidimensionale Gegenstände, sondern ebenso Gerüche, Gefühle oder Handlungsintentionen repräsentiert werden. Dabei entspricht jede solche Repräsentation einem bestimmten Zustand unter nahezu unendlich vielen möglichen. Oder anders ausgedrückt: Das System Großhirnrinde bewegt sich in einem unvorstellbar hochdimensionalen Raum fortwährend von einem Punkt zum nächsten. Dabei hängt die Trajektorie, also die Spur dieser Bewegung, von der Gesamtheit aller inneren und äußeren Einflüsse ab, die auf das System einwirken.
Dun Funktionsweise unseres Gehirns ist unserem Denken schwerlich zugänglich, da die Funktionsweise des Gehirns sehr beschieden von unserer Alltagserfahrung ist. Es ist fast schon eine Ironie, dass dem Denken, was unser Gehirn erzeugt, so schwer fällt zu verstehen, was es wie erzeugt.

Prof. Wolf Singer ist Experte für Wahrnehmung. Doch wenn wir ein Objekt wahrnehmen, z.B. einen Stein, so erfolgt die Wahrnehmung im Gehirn über ein verteiltes System von Neuronen. Singer erklärt hierzu unter dem Abshnitt (auf Seite 16 unter Gleichtakt vermittelt Arbeitspakt, letzter Abs. (Spalte 1) erkärt Singer:
Sie repräsentieren Objekte der Wahrnehmung – ob visuell, akustisch oder taktil erfasste – jeweils durch eine Vielzahl gleichzeitig aktiver Neuronen, von denen jedes aber nur einen Teilaspekt des gesamten Objekts kodiert.
Weiter erkärt er dazu (1. Abs., Spalte 2, Seite 16) :
Die nicht weiter reduzierbare neuronale Entsprechung eines kognitiven Objekts besteht demnach in einem raumzeitlich strukturierten Erregungsmuster in der Großhirnrinde, jeweils erzeugt durch eine Vielzahl von Zellen.

Unser Denken, unser Bewusstsein, unser Unterbewusstsein, ja unser Ich, verstehe ich als Resultate hochkomplexer und dynamischer neurologischer Erregunstmuster, die man als nichtlineare und hochdimensionale Prozesse verstehen kann.
Die Frage nach der "Substanz", die das Ich repräsentieren soll (welche manche Menschen stellen, damit spiele ich keineswegs auf Dich an ;) ), scheint mir vom Ansatz her falsch gestellt zu sein. Es wäre in etwa so, als würden wir nach der Substanz des Strickmusters eines Pullovers oder nach der Substanz "Feuer" fragen und dabei schlicht verkennen, dass nicht eine Subanz aus Wolle einen Polluver macht, sondern ein Muster und dass Feuer ein Prozess ist und kein Element (soweit ich informiert bin, verstand bereits der vorsokratische Philosoph Heraklit von Ephesos Feuer als "Prozess").
Leben, Denken und Bewusstsein durch eingeführte Substanzen, seien sie feinstofflich oder metaphysisch, erklären zu wollen, ist meiner Meinung nach einem irrigen Denken entsprungen, welches die Welt durch Substanzen erklären will und die fundamentale Bedeutung von Information verkennt.
Die "Substanz" eines Gemäldes ist sogesehen nicht die Farbe, sondern der in Farbe "geronne" Geist des Künstlers.

Abschließend noch ein Leibniz-Zitat:
Zitat von Gottfried Wilhelm Leibniz (Gravitation und Raumzeit):
Obwohl gesagt wurde, daß dieses ganze Leben nichts als ein Traum ist und die physikalische Welt nichts als ein Phantasma sei, so sollte ich doch diesen Traum oder dieses Phantasma für real genug halten, falls wir, den Verstand wohl gebrauchend, nie von ihnen getäuscht worden sind.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#109 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Mo 30. Nov 2015, 23:15

Thaddäus hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Mag sein, aber deine Hypothese lässt sich nun mal nicht empirisch bestätigen. Es gibt keinen solche Ort im Gehirn, wo alles zusammenkommt.
Es ist zum Verzweifeln! :cry:
An euch (SilverBullet und dir) scheint ein stringentes philosophisches Argumentieren abzuprallen wie Wasser an einer Ente.
Tut mir Leid... Ich vermag in deinen Ausführungen kein Argument zu erkennen, sondern nur die Behauptung, es gebe eine Instanz im Gehirn, wo alles zsammenläuft. Eine solche Instanz gibt es nicht.

Thaddäus hat geschrieben:Ihr nehmt analytisch-philosophisches Argumentieren in keiner Weise ernst.
Das Argument, es gebe einer Instanz wo alles zusammenkommt, kann man nicht ernst nehmen.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn ich nicht davon ausgehe, dass ihr das in einer bösartigen Absicht macht (um mich in den Wahnsinn zu treiben),
I-wo.
Niemand greift dich an!
Wir sind einfach nicht gleicher Meinung. ;)

Thaddäus hat geschrieben:Du kannst auf meine Ausführung oben nicht mit: "Mag sein, aber ..." antworten! Jedenfalls nicht, wenn du wirklich verstanden hast, was ich oben geschrieben habe.
Ich habe dich verstanden, nur teile ich nicht deine Meinung.

Thaddäus hat geschrieben:Ich hatte argumentiert: Um von Wahrnehmung, Empfindungen (wie z.B. Schmerz etc.) oder Wissen-von-etwas sinnvoll sprechen zu können, muss es etwas (ganz vorsichtig ausgedrückt) geben, welches Wahrnehmungen, Empfindungenen (Schmerzen etc.) oder Wissen haben kann. Dies sei eine zwingende logische Voraussetzung dafür, sinnvoll über diese Dinge sprechen zu können.
Ein Frage...
Wenn du von "Instanz" redest, meinst du damit vielleicht das ganze Gehirn, oder gar den ganzen Körper?

Thaddäus hat geschrieben:Meine These ist also, ein Etwas logisch zwingend annehmen zu müssen. Und meine Begründung ist: weil man ansonsten nicht sinnvoll über diese Dinge sprechen kann.
Doch das kann man sehr wohl. Das Gehirn ist einfach nur eine Ansammlung von Regionen welche zusammen kooperieren. Sie brauchen dazu keinen "Kommandeur" der die Übersicht inne hat.

Thaddäus hat geschrieben:Wie kann man also sinnvoll über Schmerzen sprechen, wenn man nicht gleichzeitig annimmt, dass es jemand gibt. der Schmerzen haben kann?
Man empfindet Schmerzen oft punktuell im Körper. Nur sind Schmerzen nicht substanziell, sondern körperliche Empfindungen (z. Bsp. Zahnweh).

Thaddäus hat geschrieben:Dieser Jemand kann eine Person sein. Wir sprechen Personen sinnvoll zu, Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben zu können. Behauptet man, die Person sei eigentlich ihr Gehirn, dann ist "Jemand/Person" also ein Gehirn, welches Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben kann. Hier stellt sich die Frage, WAS in der grauen Substanz Gehirn Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben könnte (denn ein Organ kann keine Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben)? So kommt man zu einer Instanz des Denkens bzw. des Bewussteins, welches Wahrnehmungen, Empfindungen und Wissen haben kann.
Das Gehirn ist ein Musterbeispiel von Kooperativem Verhalten ("Cooperative Management")
Die Instanz von der du redest, ist für mich die Ganzheit der Person und nicht ein Teil davon.

Thaddäus hat geschrieben:Damit ist noch nichts über die Beschaffenheit dieser Instanz gesagt!
Also könnte damit auch die gesamte Person damit gemeint sein?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#110 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Di 1. Dez 2015, 18:55

Halman hat geschrieben: Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Deine Aussage, dass wirklich jede Definition über Gott über alle Erfahrung hinausgeht, so absolut formuliert, wirklich stehts zutreffend ist.
Jedes als transzendent gedachte Wesen entzieht sich unserer unmittelbaren Sinneserfahrung, wie eben z.B. der christliche, aber auch der muslimische Gott per Definition. Die griechische Volksreligion hat sich die Götter grundsätzlich in menschlicher Gestalt vorgestellt, aber bei denen konnte ein Gott auch beliebige Gestalten annehmen, von Felsen, über Bäume und Tiere bis hin zur Menschengestalt.

Der christliche Gott wird durch den Einfluss der Philosophie als absolut transzendent gedacht. Um Erfahrungen mit ihm machen zu können, was durchaus möglich ist, muss sich Gott aber sinnlich erfahrbar für den Menschen offenbaren, z.B. als brennender Dornbusch bei Mose, als ein gewöhnlicher Mann, mit dem Jakob bis in die Morgenstunden ringt oder eben als Gottes-Sohn, in Jesus Christus, von dem es ja theologisch heißt, dass Gott in ihm Mensch geworden ist. Offenbart sich dieser transzendente Gott nicht, dann kann ihn der Mensch auch nicht erkennen, - außer vielleicht über sein Schöpfungswerk indirekt. Das nennt man dann natürliche Theologie.
Im Christentum wird Gott über die Jahrhunderte immer adikaler als transzendent gedacht, so dass es sogar zu einer negativen Theologie gekommen ist, die postuliert, dass Gott prinzipiell unerkennbar ist und überhaupt nur negativ bestimmt werden kann, über das, was er nicht ist.

Halman hat geschrieben: Wenn nun jemand als Naturalist beteuert, keine Atheist zu sein, sondern an einen erfahrbaren Gott zu glauben, welcher der Welt immanent ist, sagen wir im pantheistischem Sinne, so würde Dir diese hypothetische Person widersprechen. Wäre sie im Irrtum?
Oder man erhebt einen Menschen, wie Kaiser Augustus, zum "Gott". In neuester Zeit zeigten der Führerkult und der Stalinismus Züge eine "Anbetung". Sogesehen könnte man bezweifeln, dass Stalinisten Atheisten waren, denn ihr "Gott" war Stalin.
Na ja, in diesem Falle würde man "Gott" eben nicht als transzendentes Wesen verstehen. Die epikureischen Philosophen dachten sich die Götter als in den Freiräumen zwischen den Atomen wohnend. Und zwar deshalb, weil sie alle anthropomorphen Vostellungen ihrer Zeitgenossen für Unfug hielten.

Halman hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Transzendental ist dasjenige, welches wir annhemen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind. So sind für unsere Wahrnehmung und Erfahrung Raum und Zeit sowohl apriorisch als auch transzendental, denn um überhaupt wahrnehmen zu können und damit wir überhaupt Erfahrungen machen können, müssen wir innerhalb von Raum und Zeit wahrnehmen. Ist etwas Gedachtes außerhalb von Raum und Zeit, können wir es per Defintion nicht wahrnehmen und wir können auch keine Erfahrungen damit machen.
Danke für die Erklärung, liebe Thaddäus - da habe ich was hinzuglernt. Künftig werde ich darauf achten.
Wir wissen nicht, was es überhaupt bedeuten könnte, etwas wahrzunhemen, welches außerhalb von Raum und Zeit existiert. Unser ganzer Sinnesapparat ist auf Wahrnehmung innerhalb der drei räumlichen Dimensionen und der Zeit ausgelegt. Es ist prinzipiell denkbar, dass etwas außerhalb von Raum und Zeit geben könnte, - aber dann entzieht es sich unserer sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeit.

Halman hat geschrieben: Hermann Minkowski erkannte, dass aus Einsteins SRT folgt, dass Raum und Zeit keine Eigenständigkeit besaßen, sondern dass sie eine Art "Union" bilden, die Raumzeit, welche unserer unmittelbaren Erfahrung nicht zugänglich ist (allerdings aus der Wissenssumme der Erfahrungen geschlossfolgert werden kann). Raum und Zeit erweisen sich als bloße "Schatten" der Raumzeit und insofern folgte Einstein Leibniz darin, dass es sich dabei um Vorstellungen handelt, aber nicht um Bedingungen, unter denen wir leben.
Nun, wir leben schon in einem dreidimensionalen Raum, in dem wir auch nur wahrnehmen können. Deshalb kann man sich eine relative 4-dimensionale Raumzeit ja auch nur schlecht anschaulich machen. Man muss dafür zu Hilfsvorstellungen greifen. Die Mathematik hat aufgrund ihrer Abstraktheit den Vorteil, dass man sogar mit n-dimensionalen Räumen rechnen kann und die String-Theorie arbeitet mit 9- bzw. 27-dimensionalen mathematischen Konstrukten. Aber natürlich kann sich kein Mensch 9- oder 27-Dimensionalität vorstellen, auch nicht die Mathematiker. Das übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Das erschöpft sich schon bei drei Dimensionen + der Zeit.

Halman hat geschrieben: Wir sind für das Leben im Mesokosmos angepasst. Doch bei anderen "Skalen", wie dem Makrokosmos und umso mehr bei Mikrokosmos sind unsere Erfahrungswerte nicht mehr zutreffend.
So ist es.

Halman hat geschrieben: Unser Gehirn ist hinreichend komplex, um Denkmuster zu erzeugen, die uns befähigen, uns in unserem Spiegelbild zu erkennen, uns selbst zu realisieren - uns unserer bewusst zu sein. Ich vermute, dass wir unser Ich, unser Bewusstsein, dem Frontalhirn und den enorm entwickelten Assoziationscortex verdanken.
Jedenfalls haben wir Bewusstsein, was wir mit Sicherheit wissen, allein schon, weil wir es auch mit Lebewesen zu tun haben, die eben kein Bewusstsein haben oder nur Grade von Bewusstsein. Wir haben keine Hinweise darauf, das Mikroben oder Schnecken Bewusstsein hätten. Höher entwickelte Lebewesen, wie die Primaten scheinen über rudimentäre bis weiter entwickelte Grade von Bewusstein zu verfügen, was man aus ihrem Verhalten und gewissen Fähigkeiten ableiten kann.

Halman hat geschrieben: Der Hirnforscher Prof. Wolf Singer erklärte 2005 auf einen Festvortrag (auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock) gem. dem PDF-Dokument Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent:
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
Ich finde die Hirnforschung super-spannend. Tatsächlich kann sie aber erstaunlich wenig zu unserer Fähigkeit zu Bewusstsein, Intelligenz, Mind-Theory (das sich in andere Hineinversetzen-Können) usw. erklären. Viele Hirnforscher haben schlicht und einfach viel zu dick aufgetragen hinsichtlich dessen, was sie angeblich alles erklären können oder zumindest in naher Zukunft erklären könenn wollen. Im Moment werden sie von den Philosophen diesbezüglich aber ziemlich auseinander genommen. Der Erklärungswert der Hirnwissenschaft ist viel geringer, als viele Laien denken. Insbesondere ihre These, es gäbe gar kein Ich, wird ihnen gerade zunehmend von den Philosophen um die Ohren geschlagen als eine These, die aus vielen Gründen offensichtlich absurd is.

Halman hat geschrieben: Dun Funktionsweise unseres Gehirns ist unserem Denken schwerlich zugänglich, da die Funktionsweise des Gehirns sehr beschieden von unserer Alltagserfahrung ist. Es ist fast schon eine Ironie, dass dem Denken, was unser Gehirn erzeugt, so schwer fällt zu verstehen, was es wie erzeugt.
Es mag eine Ironie sein, aber es ist naheliegend, warum das so schwer ist. Selbst, wenn man annimmt, dass das Gehirn nichts anderes ist, als eine sehr komplexe Maschine, dann hat diese Maschine im Laufe der Evolution offensichtlich eine eigene mentale Repräsentationsinstanz geschaffen, dessen, was es wahrnimmt, was es empfindet und was es weiß etc. So etwas wie Bewussstein zu haben, in dem mentale Zustände repräsentiert sind, ist offenbar eine Voraussetzung für die Höherentwicklung eines Organismus.

Halman hat geschrieben: Weiter erkärt er dazu (1. Abs., Spalte 2, Seite 16) :
Die nicht weiter reduzierbare neuronale Entsprechung eines kognitiven Objekts besteht demnach in einem raumzeitlich strukturierten Erregungsmuster in der Großhirnrinde, jeweils erzeugt durch eine Vielzahl von Zellen.
Ja, aber das ist eigentlich banal und die interessante Frage ist, was das denn eigentlch bedeuten soll? Ich nehme eben nicht wahr, dass eine Vielzahl von Zellen in meinem Hirn aktiv ist, sondern ich nehme wahr, dass ich z.B. einen Tisch sehe. Und wenn das der Tisch meine Oma ist, dann erzeugt seine Wahrnehmung vielleicht sogar ein komplexes System von Gefühlen, die ich mit meiner Oma in Beziehung setze usw. Die Aktivität zahlloser Nervenzellen im Hirn erschafft eine Repräsentation, des Tisches mit vielleicht vielen Konnotationen. Die interessante und komplizierte Frage ist stets, in welcher Beziehung die Reizung der Sinnesrezeptoren in meinen Augen zu dem steht, was in meinem Bewusstsein repräsentiert wird.

Halman hat geschrieben: Unser Denken, unser Bewusstsein, unser Unterbewusstsein, ja unser Ich, verstehe ich als Resultate hochkomplexer und dynamischer neurologischer Erregunstmuster, die man als nichtlineare und hochdimensionale Prozesse verstehen kann.
Die Frage nach der "Substanz", die das Ich repräsentieren soll (welche manche Menschen stellen, damit spiele ich keineswegs auf Dich an ;) ), scheint mir vom Ansatz her falsch gestellt zu sein. Es wäre in etwa so, als würden wir nach der Substanz des Strickmusters eines Pullovers oder nach der Substanz "Feuer" fragen und dabei schlicht verkennen, dass nicht eine Subanz aus Wolle einen Polluver macht, sondern ein Muster ...
Wie gesagt sind unser Bewusstsein/unser Ich/unser Selbst etc. mit Sicherheit keine "Substanzen". Das wäre eine merkwürdige Verdinglichung. Es sind keine Substanzen, aber es sind Instanzen unseres Denkens.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Di 1. Dez 2015, 20:24, insgesamt 1-mal geändert.

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