Thaddäus hat geschrieben:Transzendental bedeutet: etwas ist eine Voraussetzung der Erfahrung, als Bedingung zur Erkenntnis. Das ist nicht zu verwechseln mit transzendent. Transzendent ist etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, wie z.B. jede Definition von Gott. Transzendente Entitäten sind jenseits aller Erfahrung.
Danke für die gute Erklärung, Thaddäus. Deine Beiträge zeugen insgesamt von hoher Qualität, auch wenn wir sicher nicht immer einer Meinung sind (dies ist aber auch nicht für die Qualität Deiner Beiträge entscheidend); insbesondere hier gefallen mir sie sehr gut.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Deine Aussage, dass wirklich jede Definition über Gott über alle Erfahrung hinausgeht, so absolut formuliert, wirklich stehts zutreffend ist.
Wenn nun jemand als Naturalist beteuert, keine Atheist zu sein, sondern an einen erfahrbaren Gott zu glauben, welcher der Welt immanent ist, sagen wir im pantheistischem Sinne, so würde Dir diese hypothetische Person widersprechen. Wäre sie im Irrtum?
Oder man erhebt einen Menschen, wie Kaiser Augustus, zum "Gott". In neuester Zeit zeigten der Führerkult und der Stalinismus Züge eine "Anbetung". Sogesehen könnte man bezweifeln, dass Stalinisten Atheisten waren, denn ihr "Gott" war Stalin.
Bin ich zu spitzfindig?
Thaddäus hat geschrieben:Transzendental ist dasjenige, welches wir annhemen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind. So sind für unsere Wahrnehmung und Erfahrung Raum und Zeit sowohl apriorisch als auch transzendental, denn um überhaupt wahrnehmen zu können und damit wir überhaupt Erfahrungen machen können, müssen wir innerhalb von Raum und Zeit wahrnehmen. Ist etwas Gedachtes außerhalb von Raum und Zeit, können wir es per Defintion nicht wahrnehmen und wir können auch keine Erfahrungen damit machen.
Danke für die Erklärung, liebe Thaddäus - da habe ich was hinzuglernt. Künftig werde ich darauf achten.
Folgerungen, die sich aus unserer unmittelbaren Erfahrung ergeben, müssen aber nicht notwendigerweise die Realität selbst zutreffend beschreiben. Unsere Intuition kann uns auch in die Irre führen. Hierzu ein Zitat aus einem meiner Bücher:
Zitat aus Gravitation und Raumzeit - 1. Große Menschen - Große Ideen:
Unter „Ordnungen der Dinge“ verstand Leibniz, daß wir uns selbst Raum und Zeit als Vorstellungen erschaffen, um die auf uns einfallenden Sinneseindrücke sinnvoll ordnen zu können. Einstein folgte Leibniz in der Auffassung, daß Raum und Zeit Begriffe sind, in denen wir denken, nicht aber Bedingungen, unter denen wir leben.
Hermann Minkowski erkannte, dass aus Einsteins SRT folgt, dass Raum und Zeit keine Eigenständigkeit besaßen, sondern dass sie eine Art "Union" bilden, die Raumzeit, welche unserer unmittelbaren Erfahrung nicht zugänglich ist (allerdings aus der Wissenssumme der Erfahrungen geschlossfolgert werden kann). Raum und Zeit erweisen sich als bloße "Schatten" der Raumzeit und insofern folgte Einstein Leibniz darin, dass es sich dabei um Vorstellungen handelt, aber nicht um Bedingungen, unter denen wir leben.
Wir sind für das Leben im Mesokosmos angepasst. Doch bei anderen "Skalen", wie dem Makrokosmos und umso mehr bei Mikrokosmos sind unsere Erfahrungswerte nicht mehr zutreffend.
Thaddäus hat geschrieben:Das transzendentale Ego ist nach Kant also eine Instanz unseres Bewusstseins, welches wir annehmen müssen, damit Wahrnehmung und Erfahrung überhaupt möglich sind. Denn es muss etwas geben, was wahrnimmt und Erfahrungen machen kann.
Dies ist logisch. Unser Gehirn ist hinreichend komplex, um Denkmuster zu erzeugen, die uns befähigen, uns in unserem Spiegelbild zu erkennen, uns selbst zu realisieren - uns unserer bewusst zu sein. Ich vermute, dass wir unser Ich, unser Bewusstsein, dem Frontalhirn und den enorm entwickelten Assoziationscortex verdanken.
Der Hirnforscher Prof. Wolf Singer erklärte 2005 auf einen Festvortrag (auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock) gem. dem PDF-Dokument
Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent:
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
Inwieweit sich darin etwas in der letzten Dekade bis heute geändert hat, kann uns vermutlich SilverBullet beantworten.
Auf Seite 17 des PDF-Dokumentes (die Datei beginnt mit Seite 15) erklärt Singer:
Zitat von Prof. Wolf Singer:
Unserer Intuition erscheint es fremd, dass das neuronale Korrelat dessen, was wir als solides, „greifbares“ Objekt wahrnehmen, ein hoch abstraktes, räumlich und zeitlich strukturiertes Erregungsmuster sein soll – und dass auf diese Weise nicht nur dreidimensionale Gegenstände, sondern ebenso Gerüche, Gefühle oder Handlungsintentionen repräsentiert werden. Dabei entspricht jede solche Repräsentation einem bestimmten Zustand unter nahezu unendlich vielen möglichen. Oder anders ausgedrückt: Das System Großhirnrinde bewegt sich in einem unvorstellbar hochdimensionalen Raum fortwährend von einem Punkt zum nächsten. Dabei hängt die Trajektorie, also die Spur dieser Bewegung, von der Gesamtheit aller inneren und äußeren Einflüsse ab, die auf das System einwirken.
Dun Funktionsweise unseres Gehirns ist unserem Denken schwerlich zugänglich, da die Funktionsweise des Gehirns sehr beschieden von unserer Alltagserfahrung ist. Es ist fast schon eine Ironie, dass dem Denken, was unser Gehirn erzeugt, so schwer fällt zu verstehen, was es wie erzeugt.
Prof. Wolf Singer ist Experte für Wahrnehmung. Doch wenn wir ein Objekt wahrnehmen, z.B. einen Stein, so erfolgt die Wahrnehmung im Gehirn über ein verteiltes System von Neuronen. Singer erklärt hierzu unter dem Abshnitt (auf Seite 16 unter
Gleichtakt vermittelt Arbeitspakt, letzter Abs. (Spalte 1) erkärt Singer:
Sie repräsentieren Objekte der Wahrnehmung – ob visuell, akustisch oder taktil erfasste – jeweils durch eine Vielzahl gleichzeitig aktiver Neuronen, von denen jedes aber nur einen Teilaspekt des gesamten Objekts kodiert.
Weiter erkärt er dazu (1. Abs., Spalte 2, Seite 16) :
Die nicht weiter reduzierbare neuronale Entsprechung eines kognitiven Objekts besteht demnach in einem raumzeitlich strukturierten Erregungsmuster in der Großhirnrinde, jeweils erzeugt durch eine Vielzahl von Zellen.
Unser Denken, unser Bewusstsein, unser Unterbewusstsein, ja unser Ich, verstehe ich als Resultate hochkomplexer und dynamischer neurologischer Erregunstmuster, die man als nichtlineare und hochdimensionale Prozesse verstehen kann.
Die Frage nach der "Substanz", die das Ich repräsentieren soll (welche manche Menschen stellen, damit spiele ich keineswegs auf Dich an

), scheint mir vom Ansatz her falsch gestellt zu sein. Es wäre in etwa so, als würden wir nach der Substanz des Strickmusters eines Pullovers oder nach der Substanz "Feuer" fragen und dabei schlicht verkennen, dass nicht eine Subanz aus Wolle einen Polluver macht, sondern ein Muster und dass Feuer ein Prozess ist und kein Element (soweit ich informiert bin, verstand bereits der vorsokratische Philosoph Heraklit von Ephesos Feuer als "Prozess").
Leben, Denken und Bewusstsein durch eingeführte Substanzen, seien sie feinstofflich oder metaphysisch, erklären zu wollen, ist meiner Meinung nach einem irrigen Denken entsprungen, welches die Welt durch Substanzen erklären will und die fundamentale Bedeutung von Information verkennt.
Die "Substanz" eines Gemäldes ist sogesehen nicht die Farbe, sondern der in Farbe "geronne" Geist des Künstlers.
Abschließend noch ein Leibniz-Zitat:
Zitat von Gottfried Wilhelm Leibniz (Gravitation und Raumzeit):
Obwohl gesagt wurde, daß dieses ganze Leben nichts als ein Traum ist und die physikalische Welt nichts als ein Phantasma sei, so sollte ich doch diesen Traum oder dieses Phantasma für real genug halten, falls wir, den Verstand wohl gebrauchend, nie von ihnen getäuscht worden sind.