Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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Münek
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#2231 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 14. Nov 2015, 16:18

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Übrigens unterscheidet dieser Mythos zwischen Gott und Geist (Gen. 1,2): Nicht Gott schwebte
über dem Wasser, sondern sein Geist. Wenn Gott aber selbst "Geist ist", wozu bedarf es dann eines weiteren Geistes ?
Weil Gottes Geist als Offenbarungsform verstanden wird, die als Wirkkraft innerhalb der Schöpfung aktiv ist - das ist die Offenbarungsform "Vater" nicht - sie steht für "Schöpfung". - Hier sind das Zeugen und das Austragen offenbarungs-mäßig geteilt. - Beides ist "Gott".

Wo hast Du denn diese Erkenntnis her? ;)

Im Genesismythos schwebte der Geist Gottes über dem Wasser. Aber nicht dieser Geist, sondern Gott sprach: "Es werde Licht." Gott wird als aktive "Wirkkraft" dargestellt, nicht der Geist Gottes, der lediglich passiv über den Urfluten weste und sich auch niemandem offenbarte.

Deshalb nochmals meine Frage: Wenn Gott Geist ist, wieso wird im Schöpfungmythos noch ein weiterer
Geist
als passiver Zeuge der Weltschöpfung genannt? Ich spreche hier im Übrigen nicht vom sog. "Heili-
gen Geist" - einer späteren Erfindung des Christentums (Stichwort: Trinität. Übrigens: Meines Wissens ist
auch aus Sicht gläubiger Trinitarier nicht der "Vater", sondern "Gott" = Elohim der Schöpfer der Welt).

Anton B.
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#2232 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Anton B. » Sa 14. Nov 2015, 16:20

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Und genau DAS scheint Kurt augenscheinlich nicht zu kapieren oder erkennen zu wollen.
Doch - das ist doch die poppersche Setzung, dass dies als "real" zu verstehen ist. - Sonst könnte doch Wissenschaft gar nicht anfangen zu arbeiten.
Nee, das ist closs'sches Verständnis von Popper'scher Arbeit. Wo macht Popper denn diese Setzung zur Fundamentierung, Begründung und Rechtfertigung seiner philosophischen Aussagen?
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

closs
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#2233 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 16:24

Anton B. hat geschrieben:Also ich weiß nicht, ob Pluto in einem Punkt es hier nicht auch falsch darstellt, er es zu salopp formuliert oder ich zu kritisch bin. Nämlich da, wo er sagt, aus einer oder auch mehreren bis vielen Beobachtungen "entstehe" ein Modell "induktiv". In nicht salopper Form anders ausgedrückt: Die Beobachtungen bzw. Wahrnehmungen induzieren das Modell. Genau so sei es ja auch, meint der closs dazu. Und genau dieser Fall würde dann auch treffend als "induktive Methode" der Wissenschaft bezeichnet werden.

Induktion meint hier, dass die Wahrnehmungen bzw. die Beobachtungen direkt auf logisch-rationaler Weise zum Modell führen. Gerade das, so hat der Popper philosophisch analysiert, ist eben nicht der Fall. Nicht der Fall, obwohl uns das "naiv" so vorkommt, denn bevor wir ein Modell kreieren, haben wir irgendwelche Wahrnehmungen, die wir rational, am liebsten mit einer Vorhersagequalität, verstehen möchten.

Logisch-rational, also wirklich induktiv, wäre die Methode, mit Hilfe von Statistiken Modelle generieren zu lassen. Übrigens wäre das schöne an der "induktiven Methode", dass wir uns von "Intersubjektivität" ein gutes Stück weiter in Richtung "Objektivität" bewegen könnten.

Alsio summa summarum eine ganz tolle Sache. Nur eben mit dem Nachteil: Es funktioniert nicht. Die logisch-rationale Methode, die von der Wahrnehmung zum Modell führt und sich nach außen auch noch fruchtbar erweist, gibt es nicht. Deshalb hat Wissenschaftstheorie spätestens seit Popper von der Vorstellung induktiver Methodik für Wissenschaften mit "empirischen" Untersuchungsgegenständen gelöst. Seitdem darf jeder, "hypothetisch" ein Modell entwickeln. Danach kommt der deduktive Teil der Ableitung von Beobachtungsvorhersagen und der Versuch der Falsifizierung. Eben die sogenannte hypothetisch-deduktive Methode
Methodisch kann ich Dir wirklich folgen - ansonsten gar nicht.

Ist Dir bewusst, dass Popper damit den jahrhundertelangen Umgang mit den Begriffen "induktiv" und "deduktiv" um 180° gedreht hat?

Nun ist mein Verdacht, dass Popper diesen jahrhundertelangen Umgang gar nicht falsifiziert hat, sondern einfach ganz woanders ansetzt.

Einige echte Verständnisfragen:
a) Was bedeutet dann das, was Aristoteles sagt? - Warum wird er in wik beim Begriff "Induktion" nach wie vor als Kronzeuge genannt?
b) Was ist falsch an der Aussage
b1) "100.000 Einzelbeobachtungen unterschiedlicher Schwäne zeigen, dass jeder Schwan weiß ist"
b2) "Aus diesen 100.000 Einzelbeobachtungen induziere ich die allgemeine Aussage: Schwäne sind weiß"
b3) "Finde ich unter 100.000 Einzelbeobachtungen 2 schwarze Schwäne, korrigiere ich diese Aussage in: Schwäne sind zu 99,9... % weiß" - also immer noch eine allgemeine Aussage aufgrund von 100.000 Einzelbeobachtungen". -

Das wäre nach jahrhundertelangem Verständnis eine induktiv gewonnene Erkenntnis - man hat von Einzelbeobachtungen auf allgemeine Aussagen geschlossen. - Was macht man im Kritische Realismus (Popper) vom Ergebnis her anders? - Guckt man da nicht auch auf möglichst viele Einzelfälle, um daraus eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit für eine allgemeine Aussage zu gewinnen? - Würdest Du das "deduktiv" nennen?

Nun will ich Dich nicht zwingen, nochmal zu erklären, wie es Popper aufbaut, und dass er quasi die Sache methodisch dreht. - Aber hebelt das das, was ich eben gesagt habe, INHALTLICH aus?


Umgekehrt: Theologie:
Üblicherweise geht ein christlicher Theologe davon aus, dass es (fundamental-theologische/dialektischen/logischen Gründen) Gott gibt (dem muss man ja als Außenstehender nicht zustimmen). - In Folge davon fragt er - salopp formuliert: "Wie kann man die Existenz Gottes in Einzel-Beobachtungen bestätigt sehen". - Das wäre Deduktion: Man schlussfolgert von einer gegebenen Prämisse auf Phänomen in Einzelfällen (bspw. "Wenn es Gott gibt, ist das persönliche Schicksal des Menschen gefügt" - "Wenn mathematische Axiome korrekt sind, dann stimmt 2+2=4 und 1+3=4 und 4+0=4", etc.).

Wir reden hier nicht darüber, ob es zulässig ist, diese Prämisse zu setzen. - Wir sprechen davon, dass es Schlussfolgerungen ins Einzelne gibt, wenn eine allgemeine Aussage gesetzt ist - und das ist nun mal "Deduktion".

Verstehst Du, wenn ich irritiert bin, dass dies nun komplett auf den Kopf gestellt wird?

Eine mögliche Lösung (und mein Verdacht):
Kann es sein, dass die philosophische und die methodische Versionen diametral unterschiedlich sind, weil beide auf komplett unterschiedlichen Ebenen "daheim" sind. - Anders formuliert: Kann es nicht sein, dass Popper deshalb zu seinen Ergebnissen kommt, weil dies der methodische Preis dafür ist, dass er mit seiner Methodik das Problem des unendlichen Regresses gelöst hat? - Was ja an sich ein Geniestreich ist.

Ist das der Grund, warum sich Popper sträubt, "Philosoph" genannt zu werden? - Weil er weiß, dass sein methodisches Modell Begriffe ("induktiv"/"dedujtiv") ganz anders einsetzen muss als die Philosophie? - Das erschiene mir zumindest sehr plausibel.

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#2234 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 14. Nov 2015, 16:25

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Und genau DAS scheint Kurt augenscheinlich nicht zu kapieren oder erkennen zu wollen.
Doch - das ist doch die poppersche Setzung, dass dies als "real" zu verstehen ist. - Sonst könnte doch Wissenschaft gar nicht anfangen zu arbeiten.

Tut sie aber. Komisch!^

Wenn man in der Realität lebt, muss man diese nicht als "real setzen". Umgekehrt wird ein Schuh draus.

Nur jemand, der überzeugt davon ist, nicht in der Realität zu leben, muss diese "Irrealität setzen", weil
alles gegen diese Annahme spricht.
Zuletzt geändert von Münek am Sa 14. Nov 2015, 16:35, insgesamt 1-mal geändert.

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#2235 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 16:30

Münek hat geschrieben:Wenn Gott Geist ist, wieso wird im Schöpfungmythos noch ein weiterer Geist als passiver Zeuge der Weltschöpfung genannt? I
Es gibt keinen "weiteren Geist" - beides ist der selbe Geist in anderer Offenbarung. - Oder meinst Du ernsthaft, dass der göttliche Geist in seinem Wesen teilbar ist?

Münek hat geschrieben:Tut sie aber. Komisch!
Nicht komisch. - Gerade WEIL man die Diskussion "Täuschung ja/nein" nicht führt/methodisch nicht führen muss, kann Popper und somit die Wissenschaft in die Vollen gehen.

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#2236 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 16:35

Anton B. hat geschrieben: Wo macht Popper denn diese Setzung zur Fundamentierung, Begründung und Rechtfertigung seiner philosophischen Aussagen?
Habe ich mal in einem Vorwort zu einem seiner Werke gelesen. - Auch wik geht darauf ein:

"Der Kritische Rationalismus übernimmt die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt wirklich gibt, und dass sie vom menschlichen Erkenntnis­vermögen unabhängig ist. Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht zu existieren aufhört, wenn man die Augen schließt".

Mit anderen Worten: Der Methodiker Popper übergeht philosophische Fragestellungen eines Augustinus/Descartes/etc. - Das ist ausdrücklich KEIN Vorwurf und passt zu Plutos gelegentlichem Hinweis, dass sich Popper ausdrücklich verwahrt hat, als "Philosoph" bezeichnet zu werden. - Das war nicht Ausdruck von Bescheidenheit, sondern weil er gescheit war und den Unterschied zwischen Methodik und Philosophie verstanden hat.

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#2237 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 14. Nov 2015, 16:46

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wenn Gott Geist ist, wieso wird im Schöpfungmythos noch ein weiterer Geist als passiver Zeuge der Weltschöpfung genannt? I
Es gibt keinen "weiteren Geist" - beides ist der selbe Geist in anderer Offenbarung. - Oder meinst Du ernsthaft, dass der göttliche Geist in seinem Wesen teilbar ist?

Ich meine gar nichts. Ich gebe nur das wieder, was klipp und klar in der Genesis steht.

Sofern man Gott selbst als Geist ansieht, ist in dem Schöpfungsmythos von zwei Geistern die Rede.
Der über den Urfluten schwebte war ein passiver Geist neben dem schöpferisch-aktiven Geist Elohim.

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#2238 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 14. Nov 2015, 16:55

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Tut sie aber. Komisch!
Nicht komisch. - Gerade WEIL man die Diskussion "Täuschung ja/nein" nicht führt/methodisch nicht führen muss, kann Popper und somit die Wissenschaft in die Vollen gehen.

Im umgekehrten Fall könnte die Wissenschaft "nicht in die Vollen gehen"? :o

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#2239 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Sa 14. Nov 2015, 17:01

closs hat geschrieben:Weil Gottes Geist als Offenbarungsform verstanden wird, die als Wirkkraft innerhalb der Schöpfung aktiv ist - das ist die Offenbarungsform "Vater" nicht - sie steht für "Schöpfung". - Hier sind das Zeugen und das Austragen offenbarungs-mäßig geteilt. - Beides ist "Gott".
Oh je, du hättest doch Theologie studieren sollen. Den Theologensprech hast du voll drauf. :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#2240 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 14. Nov 2015, 17:02

Münek hat geschrieben:Wenn man in der Realität lebt, muss man diese nicht als "real setzen". Umgekehrt wird ein Schuh draus.

Nur jemand, der überzeugt davon ist, nicht in der Realität zu leben, muss diese "Irrealität setzen", weil
alles gegen diese Annahme spricht.

Was glaubst eigentlich, weshalb Gläubige die Realität Gottes "setzen" müssen?

Weil alles gegen die Existenz des biblischen Gottes und aller sonstigen Gottheiten spricht. Dasselbe gilt
für die Annahme von Teufeln, Engeln, Dämonen, Elfen, Gespenstern und sonstiger unsichtbarer Überwesen.
Zuletzt geändert von Münek am Sa 14. Nov 2015, 17:04, insgesamt 1-mal geändert.

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