Ist Gott ein Antisemit?

closs
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#31 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von closs » Mo 19. Okt 2015, 12:10

sven23 hat geschrieben:Das NT liegt hier den Keim für eine Saat, die später mit tödlicher Sicherheit aufgehen wird.
Rezeptions-geschichtlich ist das richtig - substantiell (also im Sinne der Verfasser) nicht.

Das ist fast immer so: Jemand sagt etwas, der Nachkommende instrumentalisiert es. - Dazu braucht man nicht in religiöse Schriften zu gehen - das war bei Marx genauso. - Marx hat selbst einmal gesagt: "Ich bin kein Marxist". - Und so hätte auch Jesus sicherlich gesagt: "Ich bin kein Christ" (wenn er die Rezeption seiner Worte zum Maßstab genommen hätte).

Insofern MUSST Du sehr streng unterscheiden, worüber Du reden willst: Willst Du über die christliche Lehre sprechen oder deren Rezeption/Interpretation meinetwegen durch Renaissance-Päpste? - Der Unterschied ist etwa so groß, als würdest Du über "Gasthof" oder "Gustav" reden. - Also: sauber arbeiten!!

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sven23
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#32 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von sven23 » Mo 19. Okt 2015, 12:31

closs hat geschrieben:Rezeptions-geschichtlich ist das richtig - substantiell (also im Sinne der Verfasser) nicht.
Auch substantiell war es von den Schreibern so gemeint. Der endgültige Bruch mit dem Judentum sollte durch die Schuldzuweisung manifestiert werden. Kubitza arbeitet das sehr schön heraus. Er hebt auch hervor, daß sie sicher nicht die Folgen in vollem Umfang bedenken konnten. Wäre das Christentum eine unbeutende Sekte geblieben, wäre das ganze nicht so schlimm gewesen.
Nicht die Renaissance-Päpste führten den Terminus Gottesmörder ein, sondern die frühen Kirchenväter, und beriefen sich dabei auf das NT.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#33 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von closs » Mo 19. Okt 2015, 14:47

sven23 hat geschrieben:Auch substantiell war es von den Schreibern so gemeint.
Es war natürlich "etwas" damit gemeint - wird aber gesagt ohne Rücksicht auf rezeptionelle Folgen.

Kleiner Ausflug:
Bei der Buber-Übersetzung habe ich gelernt, dass die Juden offensichtlich eine Vorliebe hatten, Dinge wertfrei zu formulieren (wenn man das mal kapiert hat, versteht man die Bibel anders - aber das ist wirklich ein eigenes Thema). - Ein Beispiel:

Ich sage zu Dir: "Du hast die Wahl: Willst Du versuchen, Christ zu werden oder nicht" und füge hinzu: "Du schaffst das, wenn Du willst". - Die normale Konnotation wäre: "Er hat jetzt die Entscheidung, die er eigenverantwortlich zu tragen hat - wenn er gegen besseren Wissens sich dafür entscheidet, Agnostiker zu bleiben, muss er die Folgen tragen und selber schuld daran".

Die Konnotation im jüdischen Verständnis (so wie es Buber durch seine ultra-feine Wortwahl rüberbringt) ist eine ganz andere: "Da sind zwei Möglichkeiten - dahin und dorthin. - Wenn Du mir folgst, wählst Du die Dahin-Variante - wenn Du das nicht erkennst, kannst Du es auch nicht wollen. - Trotzdem wirst Du die Folgen tragen müssen, weil es halt so ist".

Verstehst Du den Unterschied?

Wenn ja: Übertrage dies auf diesen Thread. - NATÜRLICH kommt Jesus durch Judas um, ohne den die Römer gar nichts zu entscheiden hätten. - NATÜRLICH sind die Juden das Volk, das (aus Sicht des Christentums) der Vollendung des AT durch Jesus nicht folgen wollen, obwohl gerade sie das auserwählte Volk sind. - Fakt - ganz ohne Konnotation.

Die Konnotation kommt dann, wenn man (unnötigerweise) sagt: "Ja, wenn das SO ist, dann sind es Ärsche und wir sind sauer - und dann gibt's auch Saures".

Jede Konnotation hat ihre Interpretatitons-Grundlage in der Denotation. - So wie jedes Böse seine Interpretations-Grundlage im Guten hat. - Wenn Du also (gilt auch für Kubitza) diese Frage substantiell tief angehen willst, reichen ein paar Zitate nicht. - Dann muss man auch geistig einsteigen.

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Halman
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#34 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von Halman » Mo 19. Okt 2015, 15:35

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das NT liegt hier den Keim für eine Saat, die später mit tödlicher Sicherheit aufgehen wird.
Rezeptions-geschichtlich ist das richtig - substantiell (also im Sinne der Verfasser) nicht.

Das ist fast immer so: Jemand sagt etwas, der Nachkommende instrumentalisiert es. - Dazu braucht man nicht in religiöse Schriften zu gehen - das war bei Marx genauso. - Marx hat selbst einmal gesagt: "Ich bin kein Marxist". - Und so hätte auch Jesus sicherlich gesagt: "Ich bin kein Christ" (wenn er die Rezeption seiner Worte zum Maßstab genommen hätte).

Insofern MUSST Du sehr streng unterscheiden, worüber Du reden willst: Willst Du über die christliche Lehre sprechen oder deren Rezeption/Interpretation meinetwegen durch Renaissance-Päpste? - Der Unterschied ist etwa so groß, als würdest Du über "Gasthof" oder "Gustav" reden. - Also: sauber arbeiten!!
Diesen Beitrag von Dir unterschreibe ich.

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Zeus
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#35 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von Zeus » Mo 19. Okt 2015, 15:38

Abischai hat geschrieben:
Salome23 hat geschrieben:...Apostelgeschichte 4...
Ich weiß, daß Du es weißt, Gottvater (Zeus) in seiner Weisheit sollte darüber nachsinnen.
Was gibt es da nachzusinnen? Die Paulus-Zitate (in ihrer Gesamtheit) sprechen eine eindeutige Sprache.
Offensichtlich beherzigt er bei seinen Tiraden gegen Juden nicht seine eigene schöne Predigt.
Zuletzt geändert von Zeus am Mo 19. Okt 2015, 15:52, insgesamt 2-mal geändert.
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#36 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von Halman » Mo 19. Okt 2015, 15:49

sven23 hat geschrieben:Nicht die Renaissance-Päpste führten den Terminus Gottesmörder ein, sondern die frühen Kirchenväter, und beriefen sich dabei auf das NT.
Tja, dies taten sie halt zu unrecht. Unter Berufung auf judenchristliche Schriften, gem. dem einige Sadduzäer die Hauptschuld trugen, die zurzeit der Kirchenväter längst im Dunkel der Geschichte verschwunden waren, den großen Kamm über alle Juden zu kehren und sie als Gottesmörder zu diffamieren, obgleich Jesus laut dem NT weder Gott war, noch von den Juden im Kollektiv ermordert wurde, ist die wohl historisch fatalste Eisegese. In diesem Fall hat Kurt zu hundert Prozent recht.

(Zeus hat die Bibelverse übrigens aus dem Kontext gerissen und sie auf unzulässige Weise verallgemeinert. Sowas nenne ich Fehlinterpretation.)

Deine Threadfrage ist mit NEIN zu beantworten. Der Gott der Bibel erwählte das Volk Israel Rö 11:1-2 und das Heil für alle Völker sollte aus den Juden kommen Joh 4:22, denen die heiligen Schriften anvertraut waren Rö 3:2.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#37 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von sven23 » Mo 19. Okt 2015, 16:07

Halman hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nicht die Renaissance-Päpste führten den Terminus Gottesmörder ein, sondern die frühen Kirchenväter, und beriefen sich dabei auf das NT.
Tja, dies taten sie halt zu unrecht. Unter Berufung auf judenchristliche Schriften, gem. dem einige Sadduzäer die Hauptschuld trugen, die zurzeit der Kirchenväter längst im Dunkel der Geschichte verschwunden waren, den großen Kamm über alle Juden zu kehren und sie als Gottesmörder zu diffamieren, obgleich Jesus laut dem NT weder Gott war, noch von den Juden im Kollektiv ermordert wurde, ist die wohl historisch fatalste Eisegese. In diesem Fall hat Kurt zu hundert Prozent recht.

(Zeus hat die Bibelverse übrigens aus dem Kontext gerissen und sie auf unzulässige Weise verallgemeinert. Sowas nenne ich Fehlinterpretation.)

Deine Threadfrage ist mit NEIN zu beantworten. Der Gott der Bibel erwählte das Volk Israel Rö 11:1-2 und das Heil für alle Völker sollte aus den Juden kommen Joh 4:22, denen die heiligen Schriften anvertraut waren Rö 3:2.

Hier liegst du komplett daneben.
Das Herausstellen der jüdischen Verantwortung war genau so gewollt.
Der Jesusverräter heißt nicht umsonst Judas, Pilatus als Vertreter der römischen Gerichtsbarkeit darf seine Hände in Unschuld waschen, seine Frau hat seltsame Träume, die Freilassung von Barrabas wird angeblich von den Juden gefordert, obwohl Historikern ein solcher Brauch nicht bekannt ist und so weiter und so weiter. Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, die Juden als Gottesmörder darzustellen.
Die Zitate von Zeus sind natürlich nicht aus dem Zusammenhang gerissen, sondern beziehen sich explizit auf die zugeschriebe Schuld der Juden.
Die Reinwaschung des Christentums oder des NT wird hier nicht gelingen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#38 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von sven23 » Mo 19. Okt 2015, 16:10

closs hat geschrieben:Das ist fast immer so: Jemand sagt etwas, der Nachkommende instrumentalisiert es. -
Da muß noch nicht mal was instrumentalisiert oder verdreht werden. Es steht explizit so im NT und war auch so gemeint.
Dies zu leugnen kann nur ideologische Gründe haben.
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#39 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von Zeus » Mo 19. Okt 2015, 16:11

Halman hat geschrieben:Zeus hat die Bibelverse übrigens aus dem Kontext gerissen
Stimmt. Lebst du unter der Illusion, das im Zusammenhang die Zitate etwas Anderes als Diffamierung der Juden resultieren würde?
Halman hat geschrieben:und sie auf unzulässige Weise verallgemeinert.
Wie das? Ich habe die Zitate ohne Kommentar präsentiert.
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Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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#40 Re: Ist Gott ein Antisemit?

Beitrag von closs » Mo 19. Okt 2015, 16:19

sven23 hat geschrieben:Da muß noch nicht mal was instrumentalisiert oder verdreht werden. Es steht explizit so im NT und war auch so gemeint.
Dies zu leugnen kann nur ideologische Gründe haben.
Das sagt jeder, der rezipiert - Du machst exakt das, was ich an Rezeption kritisiere. - Du hast mein Post nicht verstanden.

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