Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
ThomasM
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#281 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von ThomasM » Do 1. Okt 2015, 10:42

Pluto hat geschrieben: Es geht um das intersubjektive Bestätigen einer Wahrnemung unter kontrollierten Bedingungn.
Aber die kontrollierte Bedingung "Gemeinde" und die intersubjektive Bestätigung "heute haben wir im Gebet Gottes Nähe gespürt" würdest du vermutlich nicht als solche anerkennen.
Warum?
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Savonlinna
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#282 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 1. Okt 2015, 10:45

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:closs, falls Du das mitliest: Ich glaub, jetzt hab ich's.
Dem kann ich auch zustimmen. Das ist EINE wesentliche Perspektive.

Wo ich nochmals nachfragen muss: Versteht man/verstehst Du unter "Geist" ausschließlich "menschlichen Geist"? - Wenn ja: Wodurch würde dieser erzeugt?
Was mir klar und deutlich ist: dass die Übergänge fließend sind. Der Übergang zwischen dem, was wir als "Tier" bezeichnen und dem, was wir als "Mensch" bezeichnen, ist fließend.

Begriffe, die die Grenzen markieren sollen, mögen für die Naturwissenschaft hilfreich und gut sein, sie gelten aber nicht absolut.
Aussagen wie "Der Mensch ist Tier" können immer nur bezüglich eines bestimmten Merkmals gelten, eine Gesamtaussage ist nicht möglich.
Und ob ich etwas als "tierisch" oder als "menschlich" in mir wahrnehme, ist eine Frage der Wahl der Begriffe, und sonst gar nichts.

Jetzt gibt es Menschen, die in sich den "göttlichen Funken" wahrnehmen. Zum Beispiel, wenn sie beobachten, dass sie über ihr Ich hinauswachsen und ein Gemeinwohl fördern. Oder wenn sie über sich hinauswachsen, wenn sie plötzlich die Zusammenhänge zwischen den Dingen "wahrnehmen", also spüren.

Das ist eine reine Frage der Definition, ob ich sage: Im Menschen wächst bereits Gott, oder ob ich sage: Im Menschen wächst eine neue Erfassungsmöglichkeit des Menschen.
Es ist ebenfalls eine reine Frage der Definition, ob ich das Heranwachsen eines kleinen Menschen im Leib der Mutter als einen menschlichen Vorgang aufnehme oder als einen göttlichen.
Es hängt mit dem Staunen über solche Vorgänge zusammen.

Ich rekonsturiere noch einmal, wie ich auf die von Dir oben zitierte und von Dir gebilligte Aussage 嫟ber "Geist" gekommen bin:

Ich habe auf das reagiert, was NIS geschrieben hat:
"Geist ist mehr als die Summe seiner Teile".

Jetzt kann jeder, wie er möchte, definieren:
Ich nenne das, was als Ergebnis des Zusammenwirkens von Menschen entsteht, als "menschlichen Geist". Oder:
Ich nenne das, was als Ergebnis des Zusammenwirkens von Menschen entsteht, als "göttlichen Geist".

Wichtig ist mir, dass das, was da entsteht, in seiner Wirksamkeit vohanden, also registrierbar ist.

Selbstverständlich weiß der Mensch nicht, was alles in ihm ist. Er hat nur einen Bruchteil von dem verstanden, was ihn ausmacht.
Und er hat noch nicht das verstanden, was mehr ist als die Summe seiner Teile, was also "unsichtbar", aber wirksam ist.

Es spricht nichts dagegen, das als "göttlichen" Geist zu bezeichnen.
Wir wissen eben nicht, wohin unsere Reise geht. Wir können uns als Menschen weiterentwickeln, vielleicht sogar einen andersgefügten Körper bekommen, den einige schon erahnt haben.
Vielleicht hat auch einer unserer "tierischen Vorfahren" mal plötzlich eine Vision ins Gehirn geschleudert bekommen, wo er sekundenlang schon mal vorempfunden hat, was "die menschliche Freiheit" ausmacht.
Weil das potentiell in ihm war, konnte er das blitzartig wahrnehmen.

Wenn Du also oben fragst:
"Versteht man/verstehst Du unter "Geist" ausschließlich "menschlichen Geist"?,
dann handelt es sich um eine Definitionsfrage.

Wenn Du abgrenzen möchtest, also fließende Übergänge nicht berücksichten möchtest, sondern an Hand von einem Merkmal oder mehreren Merkmalen klar beschreiben möchtest: das ist "menschlicher Geist", das ist "göttlicher Geist" - dann musst Du das Merkmal nennen, das als Unterscheidungskriterium gelten soll.

Ich stelle die Frage darum nun an Dich:
Was könnte ein Kritierum sein, das in Deinen Augen einen göttlichen Geist von einem menschlichen Geist unterscheidet?

Oder von mir aus im Auschlussverfahren: das und das im Menschen könnest Du nicht mehr als Produkt eines menschlichen Geistes ansehen, es sei bereits "göttlicher" Geist.

Oder, wenn wir vom Menschen absehen:
Das und das in der Natur und im Kosmos kann jemand nicht mehr als Resultat eines "natürlichen" Vorganges ansehen, sondern möchte es als Resultat eines "göttlichen" Vorganges bezeichnen.
Dann müsste das Kriterium ebenfalls angegeben werden, sonst kann man da ja keine Kategorien aufstellen.

Oder eine noch andere Herangehensweise:
Da wir Menschen nicht wissen, wer oder was mit uns entstanden ist, bezeichnt jemand all das, was wir noch nicht erforscht haben, als "gottlichen Ursprungs'", all das, was wir schon erforscht haben, als "menschlichen Ursprungs".

Das ist der naturwissenschaftliche oder wissenschaftliche Gedankengang, dem ich Dich auch zuordne.
Aus diesem "Geist" heraus fragst Du offenbar:

Du willst bestätigt wissen, dass Undenkbares, Ungeahntes, Ungespürtes eines Tages denkbar, geahnt, spürbar werden könnte.
Oder auch, dass es nie denkbar, nie geahnt, nie gespürt bleiben wird, aber dennoch vorhanden ist.

Das kann ich Dir ohne Mühe bestätigen. Wir Menschen haben ja sogar Mühe, das zu verstehen, was uns im Handeln lenkt.
Wir sollten wir wissen, was sonst noch alles um uns herumschwirrt.

Nur ist meines Wissens noch nie jemand auf die Idee gekommen, ausgerechnet das, was auf uns null wirkt, als "Gott" zu bezeichnen.
Got ist der Wirkende, in jeder Religion.
Also muss er etwas bewirken, und was er bewirkt, ist wahrnehmbar.
Zuletzt geändert von Savonlinna am Do 1. Okt 2015, 11:11, insgesamt 2-mal geändert.

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#283 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Do 1. Okt 2015, 10:58

ThomasM hat geschrieben:Aber die kontrollierte Bedingung "Gemeinde" und die intersubjektive Bestätigung "heute haben wir im Gebet Gottes Nähe gespürt" würdest du vermutlich nicht als solche anerkennen.
Warum?
Weil sie das, was sie gespürt haben, bitte in Satzform und unter Verwendung einer angemessenen Fachsprache beschreiben sollten.


Savonlinna hat geschrieben:Aussagen wie "Der Mensch ist Tier" können immer nur bezüglich eines bestimmten Merkmals gelten, eine Gesamtaussage ist nicht möglich.
So ist es. Und das trifft auch auf die Aussage "der Hamster ist ein Tier" sowie auf die Aussage "die gemeine Brombeere ist eine Pflanze" zu.

ThomasM
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#284 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von ThomasM » Do 1. Okt 2015, 12:42

JackSparrow hat geschrieben: Weil sie das, was sie gespürt haben, bitte in Satzform und unter Verwendung einer angemessenen Fachsprache beschreiben sollten.
Das ist kein Problem. Gerade unter christlichen Gemeinden ist das sogeannte "Kanaanäisch" äußerst beliebt.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Savonlinna
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#285 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 1. Okt 2015, 12:45

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Konvention wäre hier die Übereinkunft, ob Äste im Wasser "wirklich" gekrümmt sind. Das bedeutet inhaltlich schon eine Menge, weil wir sonst mit Ästen nicht umgehen können.
Dann hieße dies, dass die dahinter stehende Konvention sinnvoll ist. - Es sagt ja keiner, dass etwas hohl sei, nur weil es Konvention ist.
Mir ging es lediglich darum zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen "Wirklichkeit" und "Illusion" bereits auf der Basis der Übereinkuft innerhalb einer Kultur geschieht.
Es ist keine objektive Unterscheidung, sondern aus einer bestimmten Perspektive heraus als sinnvoll erkannte Unterscheidung.

closs hat geschrieben: Wenn man sich - ein beliebiges Beispiel - in die Zeit der mittelalterlichen Mystik einführen lässt (und überhaupt dazu in der Lage ist, sich einführen zu lassen) und dann Texte von Meister Eckart liest, merkt man schnell, dass man das heute nicht mehr versteht. - Nicht weil die Menschen dümmer werden, sondern anders formatiert sind.
Die Menschen?
Wir haben eine Eckhart-Renaissance.
Ich wünschte, Du würdest ein bisschen von Eckhart lernen. Dann könnten wir beide uns viel besser verständigen.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:"Authentisch zum Sein" ist ideologiebefrachtet, das sortiere ich da gleich aus.
Ich habe immer noch nicht verstanden, warum das wertfreie "authentisch zu dem, was ist, egal, was es ist" ideologie-befrachtet sein sollte.
Du hast den Begriff "Sein" benutzt. DER ist bei Dir ideologiebefrachtet.

closs hat geschrieben: - Aus meiner Sicht ist es ein bescheidener Satz, der dem, was auch ungekannterweise "ist", den Vorrang vor dem gibt, welches Bild man sich davon macht. - Also wenn DAS ideologisch sein soll, weiss ich echt nicht mehr ...
Du tauschst Deine obige Ausssage aus gegen eine andere und fragst, wieso diese andere ideologisch sei.
Warum tust Du so etwas?

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Man kann auch im geistigen Bereich ideologiefrei argumentieren, indem man das beschreibt, das dort intersubjektiv vorhanden ist.
Wieso "intersubjektiv"?

Mit diesem Begriff habe ich eh ein Problem. - In der Wissenschaft versteht man unter intersubjektiv, dass - überm Daumen gesagt - ein Phänomen von allen Menschen einvernehmlich als dasselbe verstanden wird
Nein. Sondern was von vielen gleich wahrgenommen wird.

closs hat geschrieben:("Das was ich hier sehe, ist ein Baum"). - Nur sieht ein Blinder eben keinen Baum. - Ist dieser Satz trotzdem intersubjektiv? - Die Wissenschaft sagt meines Wissens JA - "Blindheit" sei eine klar definierbare Ausnahme, die der Grundsätzlichkeit der Aussage nichts nähme (oder so ähnlich).
Richtig. Darum habe ich von "Norm" geredet. Nicht nur der Blinde sieht keinen Baum innerhalb der Norm, sondern auch der den Baum expressionistisch malende Künstler nicht.

closs hat geschrieben:Warum sollte es nicht anders in geistigen Dingen sein, nur dass es dort mehr Blinde gibt?
Verstehe jetzt die Rückfrage irgendwie nicht.
Ich sagte doch gerade, dass das, was intersubjektiv wahrnehmbar oder erkennbar ist, als eine Realitätsebene verstanden werden kann.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Und wenn man es nicht findet, dann ist es eben nicht intersubjektiv.
Als allgemeinen Satz würde ich das nicht so stehen lassen - ich könnte blind sein und trotzdem wäre es "an sich" intersubjektiv.
Wenn ich mal Dein "an sich" außen vor lasse:
gerade eben, weil nicht jeder die gleiche Wahrnehmung hat, die die meisten haben, spreche ich von intersubjektiv.

closs hat geschrieben:Gehen wir mal ins Religiöse: Ich bin voll überzeugt, dass "Gott" für jeden prinzipiell wahrnehmbar ist, wenn seine geistigen Anlagen aktiviert sind (warum auch immer das so wäre) - gleichzeitig haben wir eine erdrückende Mehrheit an Agnostikern. - Das schließt sich für mich nicht aus.
Jetzt redest Du aber von Überzeugungen und nicht mehr von intersubjektiven Wahrnehmungen.
Im Nazireich waren Abertausende davon überzeugt, dass rassistische Merkmale ausfindig gemacht werden können, die bestimmte Rassen menschlich verächtlich machen.
Das wurde dann auch geglaubt.
Was lehrt uns das? Dass Menschen suggestibel sind und sich gerne etwas einreden lassen, was sie selber als wertvoller herausstellt.

Aber zurück zu Deiner Frage:
Ja, falls Dein Glaube wirklich von vielen so geäußert wird, dann ist das ein intersubjektiver Satz.
Die Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, ist ebenfalls ein intersubjektiver Satz.
Nur: was da ganz konkret nicht wahrgenommen wird oder wahrgenommen wird - das ist mit dem Satz nicht mitgeliefert.
Insofern ist man so schlau wie vorher. Man weiß nicht, auf welche Wahrnehmungen und Erkenntnisse sich der Gläubige stützt.
Der Agnostiker könnte genau das wahrnehmen, was Du wahrnimmst, und könnte da täglich mit umgehen.
Nur dass er das nicht als "Gott" bezeichnet.

Beide Überzeugungen sind daher in meinen Augen uninteressant für das Thema hier:
denn bei dem Thema geht es ja darum, was man wahrnimmt, und nicht, was man für wahr hält.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich mache mal einen Vorschlag: Satz 1: "Der Mensch hat Geist."
OK - ich versuche jetzt mal, brav in Deiner Disziplin zu bleiben.

Savonlinna hat geschrieben:Angenommen, der Satz stammt von Dir: Wie würdest Du für diesen einen Satz "Geist" definieren.
Aus der Tradition, aus der ich spreche, könnte das sein: "Der Mensch ist Ebenbild (Ableitung/Derivat/???) von "etwas", von dem wahrzunehmen er Anlagen hat, die er "geistige Anlagen" nennt".
Das ist aber keine Definition von "Geist".

Du hast ja "geistige Anlagen" als Erklärung für Geist" benutzt.
Das wäre ja so, als würde ich "Tisch" definieren mit": Das, was ich als Tisch verstehe.
Weiter hast Du eine Unbekannte gegen eine andere ersetzt: "Ebenbild". Ebenbild hast Du nicht definiert.
Kein Mensch kann also auf Grund Deines Satzes verstehen, was Du unter "Geist" verstehst, weil er Ebenbild nicht versteht.
Wie definierst Du "Ebenbild"?

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Satz 2: "Der Mensch ist nicht nur Natur, sondern auch Geist". Angenommen, auch dieser Satz stammt von Dir: Wie würdest für diesen Satz dann "Geist" definieren.
Der Mensch ist nicht nur definiert durch seine Materie, sondern auch durch den Ursprung, aus dem Materie ist".
Du hast "Geist" durch "Ursprung der Materie" ersetzt; also auch hier eine Unbekannte durch eine andere ersetzt.
Ob Materie überhaupt einen Ursprung hat, kann man nicht setzen und nicht als Definition behaupten.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Satz 3: "Man muss die Bibel geistig lesen." Da Du diesen Satz ja tatsächlich oft sagst, wäre jetzt die Frage: Wie würdest Du für diesen Satz "geistig" definieren.
Dass der Text auf eine menschliche Instanz ("Der Mensch ist Ebenbild (Ableitung/Derivat/???) von "etwas", von dem wahrzunehmen er Anlagen hat, die er "geistige Anlagen" nennt") stößt, die in der Lage ist, den Text zu verstehen.
Geistiges Lesen sei das, was auf Grund geistiger Anlagen geschehe. Das ist keine Definition, da Du "geistig" durch "geistig" definierst.

closs hat geschrieben:Das steht natürlich in herbem Widerspruch zur sogenannten "Ergebnisoffenheit" der Wissenschaft (eine Ergebnisoffenheit,die ohnehin letztlich keine ist, weil es immer nur Ergebnissoffenheit INNERHALB eines Systems gibt, also nie universal ist). - Aber anders geht's nicht.
Es geht schon anders.
Letztlich hast Du zugegeben, dass Du keine Definiition von "Geist" kennst.
Vielleicht spürst Du etwas, was Du als "Geist" wahrnimmst, aber das wird man ja wohl noch in Worte kriegen können.

Definieren kann man es nämlich tatsächlich nicht, weil man erst herausfinden muss, was Leute damit meinen.

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#286 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Do 1. Okt 2015, 13:30

ThomasM hat geschrieben:Gerade unter christlichen Gemeinden ist das sogeannte "Kanaanäisch" äußerst beliebt.
Ich schrieb Fachsprache, nicht Fremdsprache. Wenn sich eine Floskel wie "Nähe Gottes" sogar auf Kanaanäisch interpretieren lässt, sollte das auf Deutsch doch umso leichter gelingen.

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#287 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Do 1. Okt 2015, 13:37

Savonlinna hat geschrieben:Du hast den Begriff "Sein" benutzt. DER ist bei Dir ideologiebefrachtet.
Zu clossens Verteidigung sollten wir festhalten, dass diese ideologische Befrachtung bei allen Verfechtern der Heidegger'schen Philosophie besteht.

Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Mit diesem Begriff habe ich eh ein Problem. - In der Wissenschaft versteht man unter intersubjektiv, dass - überm Daumen gesagt - ein Phänomen von allen Menschen einvernehmlich als dasselbe verstanden wird
Nein. Sondern was von vielen gleich wahrgenommen wird.
Mmm... Intersubjektivität ist gut, aber ohne Reproduzierbarkeit nicht immer überzeugend.

Savonlinna hat geschrieben:Nicht nur der Blinde sieht keinen Baum innerhalb der Norm, sondern auch der den Baum expressionistisch malende Künstler nicht.
Die "Sternennacht" von van Gogh ist ein Paradebeispiel dafür. Der Künstler malte was er empfand, nicht was er sah.

Bild
[Quelle: The Moon & the Stars...]

Wissenschaftliche Schlussfolgerung aus dem Bild:
van Gogh muss ein Frühaufsteher gewesen sein, denn der Vollmond präsentiert sich nur kurz vor Sonnenaufgang am westlichen Himmel. 8-)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#288 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 1. Okt 2015, 13:56

Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Du hast den Begriff "Sein" benutzt. DER ist bei Dir ideologiebefrachtet.
Zu clossens Verteidigung sollten wir festhalten, dass diese ideologische Befrachtung bei allen Verfechtern der Heidegger'schen Philosophie besteht.
Nur schnell dazu:
closs hält sich in dieser Hinsicht nicht an Heidegger. Er hat ihn in meinen Augen missverstanden, und das hat closs auch gar nicht ausgeschlossen.
Insofern könnte ich closs von seiner Ideologiebefrachtung schon ein wenig erlösen: wenn er endlich mal Heidegger richtig verstehen würde.

Den hermeneutischen Ansatz, auf den Du vielleicht anspielst, Pluto, habe ich allerdings auch. Aber das ist mir viel zu umfangreich im Moment, um das alles hieb- und stichfest zu belegen.


Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nicht nur der Blinde sieht keinen Baum innerhalb der Norm, sondern auch der den Baum expressionistisch malende Künstler nicht.
Die "Sternennacht" von van Gogh ist ein Paradebeispiel dafür. Der Künstler malte was er empfand, nicht was er sah.

Bild
[Quelle: The Moon & the Stars...]
Wunderschönes Beispiel, Pluto.

Aber kürzlich las ich, dass irgendein Volk nicht Dreidimensionales sieht, wenn wir perspektisch etwas auf ein zweidimensionales Blatt zeichnen. Sie erkennen das Gemeinte nicht, sondern sehen ein anderes Objekt in der Zeichnung.
Mann, wo habe ich das nur gelesen: es war sogar eine Demonstrationszeichnung dabei.
Jedenfalls belegt das, dass man tatsächlich die Außndinge völlig unterschiedlich identizieren kann.

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#289 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 1. Okt 2015, 16:31

Savonlinna hat geschrieben:Der Übergang zwischen dem, was wir als "Tier" bezeichnen und dem, was wir als "Mensch" bezeichnen, ist fließend.
Das ist eine Behauptung, die zutreffend oder nicht zutreffend ist - Glaubenssache oder Modell.

Mein Ansatz ist ein anderer: Ich glaube, dass "Geist" gerade im Unterschied zwischen Tier und Mensch begründet ist (reine Definitionssache) - nämlich: "Geist" ist, wenn der Mensch transzendent zu denken oder zu fühlen in der Lage ist, wenn er also bewusst sein Woher und Wohin reflektieren kann. - Insofern wären Tiere zwar Folge von Geist, aber nicht in der Lage, selbst bewusst geistig zu sein. - Das wäre mein Glaube/Modell.

Savonlinna hat geschrieben:Aussagen wie "Der Mensch ist Tier" können immer nur bezüglich eines bestimmten Merkmals gelten, eine Gesamtaussage ist nicht möglich.
Zustimmung - dass diese Aussage genetisch gälte (wie behauptet), akzeptiere ich unbesehen als zutreffend - auch und gerade, weil diese Aussage geistig nichts ausssagt.

Savonlinna hat geschrieben:Das ist eine reine Frage der Definition, ob ich sage: Im Menschen wächst bereits Gott, oder ob ich sage: Im Menschen wächst eine neue Erfassungsmöglichkeit des Menschen.
Bei allen Definitionen wäre inhaltlich zu klären, ob man "Gott" als inner-menschliches Phänomen versteht oder als Phänomen, das auch unabhängig davon "ist".

Savonlinna hat geschrieben:Wenn Du abgrenzen möchtest, also fließende Übergänge nicht berücksichten möchtest, sondern an Hand von einem Merkmal oder mehreren Merkmalen klar beschreiben möchtest: das ist "menschlicher Geist", das ist "göttlicher Geist" - dann musst Du das Merkmal nennen, das als Unterscheidungskriterium gelten soll.
Göttlicher Geist wäre demnach das, aus dem der Mensch "ist" - menschlicher Geist wäre die Anlage/Befähigung, einen Teil dieses göttlichen Geistes wahrzunehmen. - Menschlicher Geist wäre also eine Ableitung des göttlichen Geistes ins Seiende.

Savonlinna hat geschrieben:Was könnte ein Kritierum sein, das in Deinen Augen einen göttlichen Geist von einem menschlichen Geist unterscheidet?
S.o.

Savonlinna hat geschrieben:Oder von mir aus im Auschlussverfahren: das und das im Menschen könnest Du nicht mehr als Produkt eines menschlichen Geistes ansehen, es sei bereits "göttlicher" Geist.
Moment: Das Wort "Geist" im Zusammenhang mit "Mensch" bedeutet schon, dass es in Bezug zum göttlichen Geist steht - es gäbe überhaupt keinen menschlichen Geist ohne das, aus dem ("göttlicher Geist") er ist.

Savonlinna hat geschrieben:Das und das in der Natur und im Kosmos kann jemand nicht mehr als Resultat eines "natürlichen" Vorganges ansehen, sondern möchte es als Resultat eines "göttlichen" Vorganges bezeichnen. Dann müsste das Kriterium ebenfalls angegeben werden, sonst kann man da ja keine Kategorien aufstellen.
Auch hier "Moment": Wenn die naturalistische Welt aus göttlichem Geist ist (wovon nicht nur ich ausgehe), gibt es keine Antithese zwischen natürlichen und göttlichen Vorgängen. - ALLES wäre ein göttlicher Vorgang, für den im Seienden als "Transportmittel" die naturalistischen Gesetze vorgesehen sind.

Savonlinna hat geschrieben:Da wir Menschen nicht wissen, wer oder was mit uns entstanden ist, bezeichnt jemand all das, was wir noch nicht erforscht haben, als "gottlichen Ursprungs'", all das, was wir schon erforscht haben, als "menschlichen Ursprungs".
In diese Falle sollte man nicht tappen. - Denn das Ausmaß naturwissenschaftlicher Erforschung des Seienden interferiert nicht mit der Frage "menschlicher"/"natürlicher" Ursprung oder "göttlicher" Ursprung - selbst wenn die Naturwissenschaft alle Frage der naturalistischen Welt gelöst hätte, wäre dies kein Kriterium zur Beantwortung dieser Frage.

Savonlinna hat geschrieben:Nur ist meines Wissens noch nie jemand auf die Idee gekommen, ausgerechnet das, was auf uns null wirkt, als "Gott" zu bezeichnen. - Gott ist der Wirkende, in jeder Religion. Also muss er etwas bewirken, und was er bewirkt, ist wahrnehmbar.
Das kommt darauf an, wo man nach "Wirkung" sucht bzw. wie man sie definiert.

Der eine meint, man müsse ein Etikett auf Geschehen mit dem Namen "Gott" haben, damit Gott in seiner Wirksamkeit wahrnehmbar ist. - Andere (unter anderem ich) meinen, dass die Wirkung Gottes per "Fügung" geschieht - also in Allwissenheit und Allmacht über/"vor" dem geregelt ist, was wir "Zeit" nennen. - Aber das ist ein sehr sperriges Thema, das ich bisher noch nicht erfolgreich vermitteln konnte.

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#290 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Do 1. Okt 2015, 17:08

Savonlinna hat geschrieben:Wunderschönes Beispiel, Pluto.
Danke!
Es steckt aber noch viel mehr hinter dem Bild als man ahnt. Denn damit zollte van Gogh ein Tribut an die Wissenschaft (Astronomie).
Es war das allererste Mal, dass ein Künstler den Himmel so in den Mittelpunkt seiner Kunst stellte. In dem er es schlicht "Sternenhimmel" taufte, und nicht etwa "Stilles Dorf in der Nacht" oder "Landschaft bei Nacht", zeigte er seine Bewunderung für die Größe und Pracht des "Himmelszelts".

Aber kürzlich las ich, dass irgendein Volk nicht Dreidimensionales sieht, wenn wir perspektisch etwas auf ein zweidimensionales Blatt zeichnen.
Sie erkennen das Gemeinte nicht, sondern sehen ein anderes Objekt in der Zeichnung.
Mann, wo habe ich das nur gelesen: es war sogar eine Demonstrationszeichnung dabei.
Das finde ich außerordentlich interessant.
Wenn du dazu weiterführende Hinweise hättest... z. Bsp. einen Link oder etwas in der Art?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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