Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#181 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mo 28. Sep 2015, 22:47

SilverBullet hat geschrieben:Die Sinneszellen sind sehr gut erforscht, bestimmt kannst du mit Hilfe der Funktionsbeschreibung aufzeigen, wie es ablaufen soll.
So, wie es ein Neurowissenschaftler beschreiben würde. - Wie würde es ein Neurowissenschaftler beschreiben, wenn eine Mutter nachts aufschreckt und ihr Kind sieht, und am nächsten Tag erfährt, dass es gerade da verunglückt ist? - Wenn diese Mutter in diesem Moment an Messgeräten angeschlossen wäre, würde man sicherlich etwas sehen - ohne neuronale Aktivität kann man nicht aufschrecken.

SilverBullet hat geschrieben:Erklären kannst du sie aber nicht?
Nicht naturwissenschaftlich.

SilverBullet hat geschrieben:Das geht nicht, denn ich weiss ja nicht, was „Gott“ sein soll.
Wie kommst Du darauf, dass es nicht geht? - Das kannst Du doch gar nicht entscheiden (hier wieder: Du machst Deinen Wahrnehmungs-Horizont zum Maßstab dessen, was "sein" könnte).

Angenommen, wir würden modellhaft setzen, dass das Saulus-Paulus-Erlebnis tatsächlich stattgefunden hat: Wie würdest Du es erklären?

SilverBullet hat geschrieben:Hast du „Gott“ gefunden oder hat man dir davon erzählt?
Beides. - Mich haben die Erzählereien früher genervt (auch heute noch weitgehend) - auf einem ganz anderen Weg bin ich zu eigenen Erkenntnissen gekommen. - Aber richtig ist: Die begriffliche Matrix war von früher ausgelegt.

SilverBullet hat geschrieben:Mir kommt es vor, wie das Aufstellen von „unvollständigen Vermutungen“, die letztlich nicht in konkreten Vorstellungen enden.
Das ist ganz richtig beobachtet - stell Dir vor, Du wärest in einem Korridor, der in die richtige Richtung geht, aber (zu Lebzeiten) nie aufhört.

SilverBullet hat geschrieben:In meinem Verständnis gab es auf Basis von ungeklärten, rätselhaften Zusammenhängen, genauer dem menschlichen Bewusstsein, den Verdacht, dass da etwas sein könnte, was nicht der Körper ist.
Dieses Verständnis war durchaus sinnvoll.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn sich nun aber das Bewusstsein als rein „körperlich begründet“ herausstellt, fällt die Basis für den Begriff weg. D.h. mit der heutigen Kenntnis hätten unsere Vorfahren den Begriff „metaphysisch“ nie kreiert.
Fehlschluss. - Wenn sich Bewusstsein technisch über seine (zweifellos vorhandene) Körperlichkeit erklären lässt, sagt das überhaupt nichts über das Wesen des Bewusstseins aus - das scheint mir ein gängiges Missverständnis innerhalb der Naturwissenschaft zu sein.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn ich deine WIKI-Angabe gerade richtig gelesen habe, wird dort von „über die herkömmliche empirische oder praktische Erfahrung hinausgehen“ gesprochen. - Das wirkt auf mich, als möchte die Philosophie eine herausragende Position einnehmen und eher auf die Naturwissenschaft herabschauen.
Man muss das nicht wertend sehen. - Physik ist eben aus methodischen Gründen für die naturalistische Welt zuständig. - Wenn man aber philosophische Gründe hat (geht allerspätestens mit Platon los), dass diese naturalistische Welt nicht aus sich ist, sondern Ableitung von "etwas" anderem, kann man dieses Feld nicht naturwissenschaftlich untersuchen.

Ich korrigiere ein bißchen: Frank Tipler hat es mit überraschenden Ergebnissen getan, die im spirituellen Sinne wieder-erkennbar sind, obwohl er es nicht so geplant hat (er meint, dass Unendlichkeit ein physikalisches Phänomen ist - siehe "Omegapunkt").

Oder Hans-Peter Dürr, der als (ehemaliger) Naturwissenschaftler sagt (zitiert aus wik):
„Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nennen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist. Nach Albert Einstein ist Materie nur eine verdünnte Form der Energie. Ihr Untergrund jedoch ist nicht eine noch verfeinerte Energie, sondern etwas ganz Andersartiges, eben Lebendigkeit. Wir können sie etwa mit der Software in einem Computer vergleichen.“

Ich will das gar nicht weiter kommentieren - aber vielleicht sind die beiden Genannten in der Lage, einem naturwissenschaftlich Denkenden etwas nahe zu bringen, was ein "gelernter" Philosoph oder Theologe (und somit Nicht-Naturwissenschaftler) nicht bieten kann.

Beide sprechen (siehe Thread-Thema) von einem "Sein", das über die Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Methodik (= Wahrnehmung) hinausgeht.

SilverBullet hat geschrieben:Ich denke, exakt dazu bist du nicht bereit.
Nicht "nicht bereit", sondern nicht in der Lage. - Bei Dir blitzt immer durch, dass "Sein" immer durch intersubjektiv nachvollziehbare Methodik greifbar sein MUSS - vergleiche das mal mit Dürr: "Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist".

SilverBullet hat geschrieben:Mit der Vernachlässigung der Autosuggestion überspringst du einen Schritt.
Es gibt Autosuggestion. - Aber die Tatsache, dass es Autosuggestion gibt, heisst nicht, dass alles, was man über den Kamm als Autosuggestion erklären kann, Autosuggestion "ist". - Naturwissenschaftlich sind Autosuggestion und real-geistige Erlebnisse ("real" im Sinne von: von einem "Sein" unabhängig vom Menschen angestoßen) (mit großer Wahrscheinlichkeit) nicht unterscheidbar.

SilverBullet hat geschrieben:Merkst du, dass du sehr lange für eine konkrete Antwort brauchst?
Jemand anderes, der Sensoren dafür hat, würde sofort verstehen. - Die Antwort ist nicht das Schwere, sondern die Übersetzung in (D)eine andere Welt. - Was würdest Du Dürr schreiben, nachdem Du seinen obigen Satz gelesen hast?

SilverBullet hat geschrieben:Meinst du Kulturen, die Dank der Wissenschaft in so ziemlich allen Lebensbereichen gigantische Fortschritte gemacht haben?
Die technischen Fortschritte aufgrund von Wissenschaft errungen wurden, stehen überhaupt nicht in der Kritik - wenn doch, wäre es ein ganz anderes Thema (Klimawandel durch Technik, etc.).

Es geht hier darum, dass die Wissenschaft irgendwann weltanschaulich dahin beeinflusst wurde, dass sie jetzt selber zu meinen scheint, dass die Untersuchung von Neuronen der Schlüssel zur Lösung geistiger Fragen wäre - man hat seine Leisten verlassen und ein Feld besetzt, das nicht physischer, sondern metaphysischer Art ist.

Ich halte es für eine geistige Katastrophe, dass man heute weutgehend "Methodik" mit "Philosophie" verwechselt.

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#182 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Mo 28. Sep 2015, 23:35

closs hat geschrieben:Wie würde es ein Neurowissenschaftler beschreiben, wenn eine Mutter nachts aufschreckt und ihr Kind sieht, und am nächsten Tag erfährt, dass es gerade da verunglückt ist? - Wenn diese Mutter in diesem Moment an Messgeräten angeschlossen wäre, würde man sicherlich etwas sehen - ohne neuronale Aktivität kann man nicht aufschrecken.
Ein gewissenhafter Neurowissenschaftler würde schauen ob und wie oft sich der Vorfall wiederholen lässt.

closs hat geschrieben:stell Dir vor, Du wärest in einem Korridor, der in die richtige Richtung geht, aber (zu Lebzeiten) nie aufhört.
Mir scheint hier mangelt es an Daten.
Wie wollte man (ohne Anhaltspunkte) feststellen, dass der Korridor überhaupt in die richtige Richtung geht?

closs hat geschrieben: Wenn man aber philosophische Gründe hat (geht allerspätestens mit Platon los), dass diese naturalistische Welt nicht aus sich ist, sondern Ableitung von "etwas" anderem...
Welche philosophischen Gründe hat man denn?

closs hat geschrieben:Frank Tipler hat es mit überraschenden Ergebnissen getan, die im spirituellen Sinne wieder-erkennbar sind, obwohl er es nicht so geplant hat (er meint, dass Unendlichkeit ein physikalisches Phänomen ist - siehe "Omegapunkt").
Hatten wir nicht schon vor einiger Zeit festgestellt, dass Tiplers Omegapunkt eine reines Phantasieprodukt ist?

closs hat geschrieben:Oder Hans-Peter Dürr, der als (ehemaliger) Naturwissenschaftler sagt (zitiert aus wik):
„Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen.
Bis hierhin kann ich Dürr folgen, und auch teilweise zustimmen, denn wir kennen die Struktur der Materie noch viel zu wenig.
Daher frage ich mich wie er [Dürr] daraus folgendes zu schließen wagt...
Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage.
Die einzige ehrliche Schlussfolgerung wäre: Wir haben keine Ahnung.

closs hat geschrieben:vergleiche das mal mit Dürr: "Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist".
...und wider frage ich mich woher er diese Erkenntnis hat, wenn er sie sich nicht aus den Fingern gesogen hat.

closs hat geschrieben:Es gibt Autosuggestion. - Aber die Tatsache, dass es Autosuggestion gibt, heisst nicht, dass alles, was man über den Kamm als Autosuggestion erklären kann, Autosuggestion "ist".
Was sind in einem solchen Fall deine Unterscheidungskriterien?

closs hat geschrieben:Die technischen Fortschritte aufgrund von Wissenschaft errungen wurden, stehen überhaupt nicht in der Kritik - wenn doch, wäre es ein ganz anderes Thema (Klimawandel durch Technik, etc.).
Die "Technik" um gegen den Klimawandel anzugehen ist bekannt. Es liegt nicht an der Technik sondern am mangelnden politischen Willen, dass der Klimawandel seinen Lauf nimmt.

closs hat geschrieben:man hat seine Leisten verlassen und ein Feld besetzt, das nicht physischer, sondern metaphysischer Art ist.
Auf welcher Grundlage urteilst du hier? Wie willst du feststellen ob die Neurowissenschaftler überhaupt ihre Leisten verlassen haben? Vielleicht sind sie auf dem genau richtigen Weg?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#183 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Di 29. Sep 2015, 00:11

Pluto hat geschrieben:Ein gewissenhafter Neurowissenschaftler würde schauen ob und wie oft sich der Vorfall wiederholen lässt.
Das muss er, weil es seine Methodik verlangt - aber er KÖNNTE es nicht schaffen, weil sich solche Einzelereingnisse nicht beliebig reproduzieren lassen.

Pluto hat geschrieben:Wie wollte man (ohne Anhaltspunkte) feststellen, dass der Korridor überhaupt in die richtige Richtung geht?
Wissenschaftlich geht es nicht - deshalb: Wir sind hier in (mutmaßlichen) Seins-Bereichen außerhalb wissenschaftlich-methodischen Zugriffs - da geht auch nichts mit Randomisierung.

Pluto hat geschrieben:Welche philosophischen Gründe hat man denn?
Es gehört zu den naheliegenden Vermutungen, dass die Entstehung des Seins allein aus einem Quanten-Vakuum erklärbar sein soll, nicht die einzige Möglichkeit ist.

Pluto hat geschrieben:Hatten wir nicht schon vor einiger Zeit festgestellt, dass Tiplers Omegapunkt eine reines Phantasieprodukt ist?
Er hat es rein rechnerisch nachgewiesen - weiter würde ich nicht spekulieren. Es fällt nur auf, dass er auf mathematischen/spekulativ physikalischem Weg auf ein Ergebnis kommt, dass der Philosophie nicht fremd ist.

Pluto hat geschrieben:Die einzige ehrliche Schlussfolgerung wäre: Wir haben keine Ahnung.
Kann sein - aber allein dieses "Wir haben keine Ahnung" macht jede andere Hypothese ebenfalls zur Spekulation. - Das entscheidende bei Dürr scheint mir zu sein, dass er Materie als etwas "Verdünntes" versteht, also als Derivat von etwas Anderem - allein dieser allgemeine Gedanke ist bemerkenswert.

Pluto hat geschrieben:...und wider frage ich mich woher er diese Erkenntnis hat
Weiss ich nicht - Ich vermute, dass er in solche anfechtbaren Sätze die Gesamtheit seiner wissenschaftlichen Erkenntnis unwissenschaftlich verpackt.

Pluto hat geschrieben:Was sind in einem solchen Fall deine Unterscheidungskriterien?
Ich habe keine verbindlichen Kriterien - wenn ich sie hätte, wäre ich der King. - Wichtig ist zunächst einmal, dass es überhaupt beides geben kann bzw. weder das eine noch das andere falsifiziert werden kann. - Rein praktisch wäre zu sagen, dass es Menschen zu geben scheint, die hier sehr fein unterscheiden können - aber das spielt wissenschaftlich keine Rolle, da methodisch nicht verarbeitbar.

Pluto hat geschrieben:Die "Technik" um gegen den Klimawandel anzugehen ist bekannt.
Die Technik an sich ist nicht das Problem - deshalb auch keine Anwürfe gegen die Wissenschaft an sich.

Pluto hat geschrieben:Wie willst du feststellen ob die Neurowissenschaftler überhaupt ihre Leisten verlassen haben?
Ich weiss nicht einmal, ob sie das tun - wenn sie diszipliniert arbeiten, tun sie es nicht. - Wirksam ist aber sehr wohl die Rezeption wissenschaftlicher Leistungen, die sehr schnell weltanschauliche Natur gewinnen können.

Um es einfach zu sagen: Wenn der Wissenschaftler beobachtet, Schlussfolgerung lediglich im naturalistischen Sinne zieht UND nicht auf die Idee kommt, damit Metaphysisches in Frage zu stellen (das ist nämlich nicht sein Bier), ist alles gut.

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#184 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Di 29. Sep 2015, 00:33

closs hat geschrieben:a) das Gehirn ein Instrument des Geistes, oder
b) Geist ein Produkt des Gehirns ist.
Begründung: Die Beobachtungen sind in beiden Fällen haargenau die Selben.
Wenn das Experiment kein Ergebnis liefert, muss eventuell die durch das Experiment zu klärende Fragestellung überarbeitet werden.

Genau diese Punkte a) oder b) sind aber entscheidend, wenn man nachdenkt, ob es "Sein" jenseits der eigenen Wahrnehmung (incl. naturwissenschaftlicher Wahrnehmung) geben kann.
Sich erst eine Wortgruppe auszudenken und anschließend drüber nachzudenken, ob es die Wortgruppe, welche man sich gerade ausgedacht hat, geben kann, erscheint mir durchaus etwas redundant.


Savonlinna hat geschrieben:Über die Begriffsgeschichte des Wortes "existieren" habe ich gerade nachgelesen, dass es ursprünglich meinte:
"räumlich vorhanden sein".
Es handelt sich um ein gewöhnliches lateinisches Verb.
http://dela.dict.cc/?s=exsistere

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#185 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Di 29. Sep 2015, 00:50

JackSparrow hat geschrieben:Wenn das Experiment kein Ergebnis liefert, muss eventuell die durch das Experiment zu klärende Fragestellung überarbeitet werden.
Sinnlos. - Dass kognitive Fähigkeiten mit wachsendem Gehirn mitwachsen (vereinfacht gesagt), ist eine Binse. - Wie aber willst Du wissenschaftlich unterscheiden, ob das Gehirn durch dem ihm zugrundeliegenden Geist wächst, oder der Geist durchs Wachsen des Gehirns selbst erst erwächst. - Neurowissenschaftlich ist das meines Erachtens nichts zu unterscheiden, weil physiologisch in beiden Fällen dasselbe passiert.

JackSparrow hat geschrieben:Sich erst eine Wortgruppe auszudenken
Das ist bei Sprache so: Man sucht Worte, um etwas zu benennen. - Dieses "etwas" ist nicht beweisbar, scheint sich aber in allen Zeiten in allen Hochkulturen rumgesprochen zu haben - einfach ignorieren sollte man das nicht.

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#186 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Di 29. Sep 2015, 09:47

closs hat geschrieben:Wie aber willst Du wissenschaftlich unterscheiden, ob das Gehirn durch dem ihm zugrundeliegenden Geist wächst, oder der Geist durchs Wachsen des Gehirns selbst erst erwächst.
Wie ich hörte, können Schlangen infrarotes Licht wahrnehmen. Der Mensch kann das nicht. Der Geist der Schlange also stärker gewachsen als der Geist des Menschen. Im Fall der Schlange dürfte dieses geistige Wachstum wohl an ihrer speziellen Netzhaut liegen.

Neurowissenschaftlich ist das meines Erachtens nichts zu unterscheiden, weil physiologisch in beiden Fällen dasselbe passiert.
Neurowissenschafltich benutzt man auch nicht zwei verschiedene Namen für die gleiche Beobachtung.

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#187 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 29. Sep 2015, 10:14

JackSparrow hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Über die Begriffsgeschichte des Wortes "existieren" habe ich gerade nachgelesen, dass es ursprünglich meinte:
"räumlich vorhanden sein".
Es handelt sich um ein gewöhnliches lateinisches Verb.
http://dela.dict.cc/?s=exsistere
Und bei dem Wort "existieren" handelt es sich um ein gewöhnliches deutsches Verb. ;)

Ich hatte aber danach gesucht, aus welcher Sprache das Wort ursprünglich stammt und was es dort bedeutete.
Da ich Altgriechisch nicht beherrsche, habe ich Wikipedia vertraut, die schrieben:

lat. existo gehe auf griech. existemi (ek-histemi) zurück und bedeute „auslegen, aufstellen, herausstehen“, also „räumlich vorhanden sein“.


closs hat geschrieben:...
Interessant für diesen Thread könnte dann weiterhin sein, dass die Substantivbildung des lateinischen "existentia" erstmals 360 auftauchte, in einer Übersetzuung des griechischen Hyparxis.
https://de.wikipedia.org/wiki/Existenz

Hyparxis wiederum stehe im Altgriechischen dem griechischen Ousia gegenüber, was wörtlich übersetzt "Seiendheit" übersetzt.

Hyparxis wäre dann eher "Vorhandensein", während ousia eben "Seiendheit" wäre.
Was mir daran gefällt, ist, dass das griechische ousia zumindest ursprünglich lediglich die Eigenschaft des Seienden benennt, aber kein abstraktes "Sein" und schon eben gar nicht "Existenz".

"Ousia" hat einen ganzen Artikel bei Wikipedia, aus dem ich das für diesen Thread für mich Wichtige zitiere:
Wikipedia hat geschrieben:Die Ableitung aus einer Wurzel mit der Bedeutung „sein“ gilt als sicher, die etymologische Entwicklung kann aber nur hypothetisch rekonstruiert werden.[1] Die älteste belegte Bedeutung von ousia ist „Vermögen“, „Eigentum“. Dieser Wortgebrauch kommt schon bei Herodot und noch in der römischen Kaiserzeit vor.[2] Insbesondere diente das Wort zur Bezeichnung von Immobilien. Am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. hatte es auch die Bedeutung „Realität“ oder „wirkliche Existenz“.

In die philosophische Terminologie wurde ousia als Fachbegriff im 4. Jahrhundert v. Chr. von Platon eingeführt.[3] Er bezeichnete damit das ontologisch Stabile, Unveränderliche und Wesentliche, wobei er an die mit Grundbesitz verbundene Vorstellung von Beständigkeit anknüpfen konnte. In diesem philosophischen Sinn drückt ousia aus, dass etwas die Eigenschaft aufweist, im Sinne eines beständigen Seins „seiend“ zu sein. Darauf bezieht sich die wörtliche Übersetzung „Seiendheit“. Da Platon nur ein wahrhaftes Sein im Sinne einer unveränderlichen Wirklichkeit meint, kann ousia auch mit „Wirklichkeit“ übersetzt werden. Zugleich bezeichnet Platon mit ousia auch das Wesen eines Dings (das, was dem Ding seine dauerhafte Identität verleiht). Je nach dem jeweiligen Zusammenhang ist Platons ousia in manchen Fällen mit „Sein“ (Seiendheit), in anderen mit „Wesen“ zu übersetzen. Daneben kommen bei ihm noch weitere Bedeutungen vor, woraus ersichtlich ist, dass der philosophische Wortgebrauch in der Anfangsphase noch nicht eindeutig fixiert war.[4]

Auch bei Aristoteles ist eine naturgegebene Konstanz das, was die ousia ausmacht. Für ihn ist eine ousia ein einzelnes Ding, das als solches eigenständig existiert. Ermöglicht wird diese Existenz durch das Vorhandensein eines stabilen Substrats, das die konstante Identität des Dings trotz aller Veränderungen variabler Eigenschaften gewährleistet. In diesem Substrat, das dem Dasein des Einzeldings zugrunde liegt, besteht dessen ousia; das Ding als solches ist das Substrat. Daher wurde schon in der Antike ousia lateinisch mit substantia wiedergegeben, einem Substantiv, das zum Verb substare gehört, das „darunter (oder dabei, darin) vorhanden sein“, „zugrunde liegen“ bedeutet.[5] Davon ist das deutsche Fremdwort „Substanz“ abgeleitet.

Substantia drückt zwar aus, dass etwas zugrunde liegt, umfasst aber nicht die Gesamtheit dessen, was im Griechischen mit ousia gemeint sein kann. Es handelt sich nicht um eine getreue Übersetzung, denn substantia lässt den Zusammenhang von ousia mit dem Sein nicht erkennen. Schon in der Antike wurde auch eine andere, wörtliche lateinische Übersetzung verwendet, die auf die Grundbedeutung „Seiendheit“ Bezug nimmt: essentia, abgeleitet vom Verb esse („Sein“). Das Kunstwort essentia wurde eigens zum Zweck der Wiedergabe von ousia geschaffen. Sein Schöpfer war Cicero, wie Seneca berichtet.[6] In der Spätantike verwendeten manche Autoren (Augustinus, Calcidius) essentia noch als Synonym des gebräuchlicheren Ausdrucks substantia. Unter dem Einfluss des Aristoteles-Übersetzers Boethius bürgerte sich aber eine Unterscheidung ein, die für die Begriffsverwendung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Philosophen maßgeblich wurde. Nach diesem Verständnis ist substantia die Standardübersetzung von ousia und drückt dessen Substrat-Aspekt aus; essentia hat die Bedeutung „Wesen“ („Washeit“) und steht für die charakteristische Natur eines Dings, die diesem die Definitionsmerkmale und damit ein bestimmtes Sein verleiht. Substantia bezieht sich auf das Sein, das dem Einzelding als solchem zukommt, essentia auf die Art- und Gattungsnatur, welche die Einzeldinge aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Arten und Gattungen aufweisen.[7]
https://de.wikipedia.org/wiki/Ousia
Bei letzterem kann man schon sehen, wie der Wandel von Plato zum Rationalismus des Mittelelters vollzogen wurde:
"Seiendheit" sei die Gattungszugehörigkeit. Damit wird die Naturwissenschaft mit ihren Gattungsbegriffen bereits auf den Thron gesetzt, und sie entscheidet, was das Seiende eines Einzeldinges sei.

Interessant wäre dann, zu Plato selber zurückzukehren, was ER mit dem Wort "ousia" gemeint hat, denn er habe den Fachbegriff "ousia" in die Philosophie eingeführt.

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#188 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Di 29. Sep 2015, 10:23

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ein gewissenhafter Neurowissenschaftler würde schauen ob und wie oft sich der Vorfall wiederholen lässt.
Das muss er, weil es seine Methodik verlangt - aber er KÖNNTE es nicht schaffen, weil sich solche Einzelereingnisse nicht beliebig reproduzieren lassen.
Eben. Mehr als Anekdoten fürs Kaffeekränzchen lässt sich da nicht rausholen.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wie wollte man (ohne Anhaltspunkte) feststellen, dass der Korridor überhaupt in die richtige Richtung geht?
Wissenschaftlich geht es nicht - deshalb: Wir sind hier in (mutmaßlichen) Seins-Bereichen außerhalb wissenschaftlich-methodischen Zugriffs.
Ja. Mehr als vage Vermutungen sind das nicht, deshalb könnte der Korridor genauso gut in einen Abgrund führen.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Welche philosophischen Gründe hat man denn?
Es gehört zu den naheliegenden Vermutungen, dass die Entstehung des Seins allein aus einem Quanten-Vakuum erklärbar sein soll, nicht die einzige Möglichkeit ist.
Verstehe ich richtig, dass alles nur auf Vermutung und Verdacht gründet? Wie kann man da von Erkenntnis reden, wenn keine Möglichkeit der Überprüfung besteht?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Hatten wir nicht schon vor einiger Zeit festgestellt, dass Tiplers Omegapunkt eine reines Phantasieprodukt ist?
Er hat es rein rechnerisch nachgewiesen...
Ja. Zu einer Zeit, wo man noch an einen "Big Crunch" glaubte. Diese Hypothese ist aber inzwischen widerlegt, wodurch auch Tiplers Berechnungen sich ebenfalls als "reif für die Mülltonne" herausstellten.

closs hat geschrieben:...aber allein dieses "Wir haben keine Ahnung" macht jede andere Hypothese ebenfalls zur Spekulation.
Richtig!
Es sei denn man erhält empirische Bestätigung.
closs hat geschrieben:Das entscheidende bei Dürr scheint mir zu sein, dass er Materie als etwas "Verdünntes" versteht, also als Derivat von etwas Anderem - allein dieser allgemeine Gedanke ist bemerkenswert.
Das einzig Bemerkenswerte an Dürrs Worte, ist sein Hang zu spekulativen Schlussfolgerungen.

closs hat geschrieben:Ich habe keine verbindlichen Kriterien - wenn ich sie hätte, wäre ich der King.
Siehst du... Nur eine Wissenschaft die in Fakten gründet, kann hier helfen Erkenntnisse zu erlangen, die auch alltagstauglich sind.

closs hat geschrieben:Wichtig ist zunächst einmal, dass es überhaupt beides geben kann bzw. weder das eine noch das andere falsifiziert werden kann.
Altes Thema. Wie willst du Wirklichkeit von Illusion unterscheiden?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wie willst du feststellen ob die Neurowissenschaftler überhaupt ihre Leisten verlassen haben?
Ich weiss nicht einmal, ob sie das tun - wenn sie diszipliniert arbeiten, tun sie es nicht.
Wieso unterstellst du es dann?

closs hat geschrieben: Wenn der Wissenschaftler beobachtet, Schlussfolgerung lediglich im naturalistischen Sinne zieht UND nicht auf die Idee kommt, damit Metaphysisches in Frage zu stellen (das ist nämlich nicht sein Bier), ist alles gut.
Der einzige Grund, den du hast, wissenschaftliche Tätigkeit derart einzuengen ist, dass die Ergebnisse nicht in deine Weltanschauung passen, also müssen diese Wissenschaftler gestoppt werden.
Es scheint bei solchen Vorwürfen immer wieder aufs Selbe hinaus zu laufen. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

ThomasM
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#189 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von ThomasM » Di 29. Sep 2015, 10:29

Pluto hat geschrieben: Altes Thema. Wie willst du Wirklichkeit von Illusion unterscheiden?
Altes Thema: Wie definierst du Wirklichkeit und Illusion?
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#190 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 29. Sep 2015, 10:32

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Über die Begriffsgeschichte des Wortes "existieren" habe ich gerade nachgelesen, dass es ursprünglich meinte: "räumlich vorhanden sein".
Diese Beschränkung gibt es beim Wort "wesen" NICHT, sonst macht das Wort keinen Sinn.

Mit "wesen" ist gemeint, dass etwas unabhängig davon "ist", ob es in Raum und Zeit wahrgenommen wird oder nicht.
Von wem ist das so gemeint?
Da bräuchte ich jetzt eine Herleitung.

closs hat geschrieben: - Nachdem dies ein theologisch angehauchtes Forum ist: Unter religiösen Gesichtspunkten "west/ist" Gott unabhängig davon, ob er in der Zeit, über der Zeit, in unser Wahrnehmung, außerhalb unserer Wahrnehmung "ist" - WENN er "ist". - Denn OB er "ist", wissen wir ja nicht.
In diesem Thread ist nun die Gelegenheit, ob die Berechtigung zu der Verallgemeinerung "unter religiösen Gesichtspunkten" zutrifft.
Solange Du Dich auf Heidegger berufst, muss Heidegger daraufhin überprüft werden.
Solange Du Dich auf Plato berufst, muss Plato daraufhin überprüft werden.
Wenn Du Dich auf "religiöse Gesichtspunkte" berufst, müssen diese ausfindig gemacht werden außerhalb Deiner Person.

Nicht, dass ich Dir und allen anderen, auch mir, nicht das Recht gebe, eigene Gedanken, eigene Systeme und eine eigene Form der Religiösität zu entwickeln.
Aber dann möchte ich gerne möglichst präzise markieren, ab wo Du die Tradition verlässt und Deine eigenen Vorstellungen der Tradition entgegensetzt.
Ab wo Du dich also sowohl philosophisch als auch theologisch auf niemanden mehr berufen kannst, sondern im eigenen Namen sprichst.

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