Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

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Savonlinna
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#81 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Sa 26. Sep 2015, 12:03

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Darum kann man nicht fragen, was "das Sein" ist, weil man ja nicht weiß, was "Sein" für jeden transportiert.
Da sind wir uns NICHT einig. - Man kann aus meiner Sicht sehr wohl fragen, welche Eigenschaften "Sein" in Abgrenzung zu "Wahrnehmung" haben kann.
Fragezeichen. ;)
Ich sagte, man kann nicht fragen, was "das Sein" ist, und Du sagst, man kann sehr wohl fragen, welche Eigenschaften "Sein" in Abgrenzung zur "Warhnehmung" haben kann.
Hast Du Dich verschrieben oder bist Du aus Versehen in eine falsche Zeile gerutscht?

Was ich sagen wollte: Du und keiner weiß, was jemand unter „Sein“ versteht.
Gegenfrage mal an Dich:
Wer hat das Wort „Sein“ geprägt und was wollte er mit dieser Wortschöpfung assoziieren?


closs hat geschrieben: Ansonsten stimme ich Dir pragmatisch zu: Für den Menschen ist nur das verarbeitbar, was "Sein" für ihn transportiert. - Heisst das auch, dass ein "Sein" dann nicht auf den Menschen wirken kann, wenn es für ihn nicht verarbeitbar ist?

Auch hier die Frage: Wer hat das Wort „Sein“ mit welcher Intention geprägt?


closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Haupsache, jeder denkt überm Daumen an dasselbe, wenn das Wort "Badewanne" kommt.
Und das ist eben nur bei den simpelsten Dingen der Fall.
Weit kommt man damit nicht.
Wäre diese Aussage so interpretierbar, dass man mit Wahrnehmung nur sich, aber nicht dem "Objekt" gerecht werden kann?
Ich verstehe nicht ganz Deine Frage.
Ich spreche hier von einem wahrgenommenen Ding: der Badewanne.
Höchstwahrscheinlich verstehen die meisten Ähnliches darunter.

Anders bereits beim Baum, wie ich vorher schon mal andeutete:
Der Holzfäller nimmt am Baum ganz anderes wahr als der Künstler, der den Baum zeichnen möchte.
Und selber unter den Künstlern nimmt der Impressionist den Baum ganz anders wahr als der Expressionist.

Vielleicht kann man so zwischenfolgern:
Wahrnehmung eines bestimmten Gegenstandes folgt zum einen aus der im jeweiligen Menschen installierten Intention, und dann natürlich auch aus der von der jeweiligen Kultur installierten Allgemeinauffassung, was ein bestimmter Gegenstand „sei“.


closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Die Alternative zu "Sein" ist nicht "Wahrnehmung", sondern "seiend"
Im anderen Kontext, ja. - Aber ist das "Seiende", das Bewusstsein hat, nicht das Wahrnehmende?
Du bringst jetzt "Bewusstsein" hinein, das verwirrt mich.
Ist es nicht besser, eins nach dem anderen zu machen? Im Moment ging es um Trug und Nicht-Trug, und woran man sie unterscheidet, und um Subjekt-Objekt.
Wenn ungeklärte Begriffe plötzlich aus dem Zauberhut kommen, dann ist eine „logische“ Entwicklung der Diskussion irgendwie blockiert.


closs hat geschrieben:Zur Vermeidung von Verhedderungen: Wollen wir lieber zu "Subjekt" und "Objekt" wechseln? - Alles Vereinbarungs-Sache.
Auf jeden Fall besser, wenn man eins nach dem anderen beleuchtet.
Wir haben jetzt zwei Sachen: Subjekt-Objekt und Wirklichkeit-Illusion.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Es wäre wahrscheinlich sinnvoll, einfach mal von diesem verkopften Denken wegzukommen und sich zu fragen, wie wir Wirkliches und Illusionäres unterscheiden - also, welche Bezugssysteme es da gibt.
Pragmatisch gesehen einverstanden - dies wäre eine Diskussion innerhalb der Kategorie "Wahrnehmung". - Hier aber geht es doch um das "Objekt", also das, was unabhängig von Wahrnehmung ist - egal, ob oder wie es wahrgenommen wird. - Oder gäbe es überhaupt kein "Objekt" und alles wäre Wahrnehmungs-Projektion?
Ich meinte einfach nur, das wir von dem verkopften Begriff "Sein" wegkommen, stattdessen konkret werden.

Wenn Du jetzt aber "Kategorie" einführst, ohne es zu klären, dann zerfleddert sich das sofort wieder, und man landet in Sackgassen.
Du neigst dazu – sehe ich auch an Deiner Antwort an Münek -, die Diskussion so lenken zu wollen, dass Dein Ergebnis, das Du schon vorentschieden hast, am Ende als richtig rauskommt.

Und ich habe die undankbare Auffage, dergleichen „Manöver“ dort, wo es geschieht, aufzudecken.
Das geschieht am besten, wenn wir wirklich selbstdiszipliniert nur das besprechen, was wir grad besprechen. Dann wird am ehesten deutlich, wo genau sich die Ansichten gabeln, und vor allem, warum sie sich gabeln.

closs hat geschrieben:Bei Beispiel 1 kann man zeigen, dass Wahrnehmung nicht den "Original-Zustand" des hier spezifischen Seins ("Ast ist gerade") erkennt. - Aber die Brechung des Astes im Wasser ist andererseits doch auch keine Projektion der Wahrnehmung, oder?
Meine Lösung war eine andere:

eine Sprachgemeinschaft - die natürlich beeinflusst ist von der Kultur dieser Gemeinschaft - hat mit den Jahrhunderten definiert, dass der Ast, so wie die meisten Menschen ihn sehen, als "Norm" gilt.
Wer ihn anders sieht, sieht nicht der Norm entsprechend, sieht also "un-normal".
Der im Wasser gebrochene Ast ist durchaus ein Produkt der Wahrnehmung.
Es ist die ratio, die dann auf die gebildete Norm verweist: Realität sei, wie die meisten Menschen den Ast ohne Zusatzbeeinflussung sehen.

In dem Fall kann auch der Tastsinn korrigieren.
Taste ich den Ast im Wasser ab, merke ich, dass er gerade geblieben ist. Der Augensinn widerspricht also dem Tastsinn, und der Tastsinn entspricht dem Ast außerhalb des Wassers, so wie er sich da dem Auge zeigt.

closs hat geschrieben:Beispiel 2 würde ich eher im Bereich "Selbst-Therapie" anordnen. - Denn die Wesen, die gesehen werden, "sind" entweder "irreal" oder "real" - durch den Spruch "Ihr seid nicht real" ändern sie nicht ihren Status. - Es sei denn, man würde solchen Abwehr-Flüchen Seins-Qualität zusprechen - was in alten Kulturen sehr wohl denkbar war (Stichwort: Fluch). - Meinst Du es so?
Nein, ich wollte auf etwas anderes hinaus. Was Du andeutest, könnte aber vielleicht später eine Rolle spielen.
Ich hab vielleicht nicht genau genug markiert, was ich damit sagen wollte, tut mir Leid.
Ich versuch es neu:
In diesem Beispiel hat der Junge sein Norm-Wissen eingesetzt, um seiner Panik Herr zu werden: in unserer Kultur gelten Albtraumfiguren, die man nachts beim Aufwachen über das Bett fliegen sieht, nicht als real.

Und die Figuren sind eben dadurch verschwunden. Er hat sie mit seinem Wissen, dass sie aus seinen Träumen stammen, aufgelöst.
Er hat nicht gestattet, dass das Unbewusste Herr über das Bewusste wird.

Also der Augensinn kann nicht nur bei Ästen im Wasser trügen - wenn man die Norm als Maßstab nimmt -, sondern auch bei Traumfiguren, die beim Aufwachen noch sichtbar sind.

Insgesamt wollte ich darauf hinaus, dass die Frage Wirklichkeit oder Täuschung von der "Norm" abhängt, die den Maßstab liefert.

closs hat geschrieben:Für meine allgemeine Fragestellung sind diese Beispiele zielführend, aber nicht ausreichend. - Die Frage lautet ganz allgemein:
Closs hat geschrieben:Kann das Subjekt ("Wahrnehmung") unterscheiden, ob das Objekt Projektion des Subjekts oder subjekt-unabhängige Größe ist?
"Allgemein" gibt es aber nicht. :) Darum war mir so wichtig zu zeigen, dass erst der Bezugspunkt, von wo aus man das unterscheidet, ausfindig gemacht wird.

Wenn Du immer wieder rasch verallgemeinern willst, dann flüchtest Du vor Erkenntnis.
„Allgemein“ kann man jede Menge behaupten, aber immer nur um den Preis, dass man von der Oberflächlichkeit nicht weg kommt.
„Allgemein“ kann man sagen: alle Moslems sind so, der christliche Glaube ist so, Wahrnehmung ist so.
Man weigert sich zu differenzieren.
Zum Beispiel in Deinem Satz oben:

Wir haben weder "Subjekt" noch "Objekt" noch "Wahrnehmung" noch "Projektion" noch "unabhängig" genauer semantisch analysiert.
Du willst in einer Nacht- und Nebelaktion diese Begriffe aber schnell unanalysiert einführen, statt Dich dem untersuchenden Erkenntniswillen zu stellen.

Das hier hast Du unterschrieben ->

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Insofern vorläufige Definition von "Objekt": Das, was ein Subjekt im Blick hat.
Super Definition. :thumbup:
Und das war ein Fazit aus meinem Baum-Beispiel. ->

Savonlinna hat geschrieben:Meiner Erfahrung nach sieht ein Holzfäller einen Baum anders als ein Kunstmaler.
Beide haben quasi verschiedene Objekte.
Die Naturwissenschaft hat nicht mal den ganzen Baum als Objekt, sondern immer nur das, auf das die wissenschaftliche Frage zielt:
zum Beispiel auf sein Alter und wie man es erkennt.
Anderes ist nicht im Blick.

Unterschreibst Du diese Herleitung?
Der Alltagsbegriff „Objekt“ wird quasi präzisiert.
„Objekt“ ist jetzt das, was unter dem vorgeprägten Raster, der Absicht zum Beispiel, einen Baum zu malen oder eben zu fällen oder sein Alter erkennen zu können, erscheint.

Und was ist dann das Subjekt?
Mir scheint, dass auch da der Alltagsbegriff nicht mehr genügt.
Das Subjekt, das nur auf das am Baum schaut, was für die Wirtschaft an wertvollem Holz hergibt und auf dieser Basis entscheidet, ob der Baum gefällt oder nicht gefällt wird, ist ja nur ein Teil des Menschen.
„Subjekt“ wird hier nur auf das bezogen, was er als sein momentanes „Objekt“ betrachtet.

Mit anderen Worten:
In der Untersuchung, was „Wahrnehmung“ in diesem Beispiel ist, werden die Begriffe „Subjekt“ und „Objekt“ im Rahmen der Wahrnehmung neu inhaltlich gefüllt.

- Fortsetzung folgt -

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#82 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Sa 26. Sep 2015, 12:03

- Fortsetzung -

Oder nehmen wir die Pilze. Wer den Wald nach essbaren Pilzen durchforstet, achtet nur auf „essbar-nicht-essbar“.
Die Pilze sind in dem Fall auf das Kriterium „essbar-nicht-essbar“ reduziert, die Essbarkeit der Pilze ist das Objekt. Und das dazugehörige Subjekt ist das nach essbaren Pilzen suchende Subjekt.
Die beiden sind unlösbar miteinander verbunden.

Das schließt nicht aus, dass genau derselbe Mensch am nächsten Tag in die Pilze geht, um sie zu malen.
Angenommen, seine Kunstrichtung ist der Expressionismus, dann sieht er das Expressionistische an ihnen. Er muss dazu seinen Blick vom „normalen Blick“ entfernen – also die durch die Kultur entwickelte „Norm“ außer Gefecht setzen – und sie so malen, wie er die Realitat AUCH versteht oder sieht.
Hier ist also eine andere Subjekt-Objekt-Beziehung. Das Objekt wird hier durch die diesmalige Intention des Subjekts geprägt, und umgekehrt: das so wahrgenommene Objekt prägt das wahrnehmende Subjekt.

Das also ist ganz unabhängig von irgendeiner „Weltanschauung“, sondern ist Alltag.
Wir haben verschiedene Perspektiven, mal die expressionistische, mal die essbare Pilze essen wollende und tausend andere mehr.

closs hat geschrieben: Sind der gerade Ast außerhalb des Wassers und der gebrochene Ast innerhalb des Wassers BEIDE "Projektion des Subjekts" oder "subjekt-unabhängige Größe"? - Bzw.: Ist diese Frage überhaupt beantwortbar?
Wenn man den Normgedanken einbezieht - als normal gilt das, was die meisten Menschen wahrnehmen -, dann ist der gerade Ast außerhalb des Wassers "die richtige Auffassung".

Aber, wie ich schon sagte: Der Wahrnehmung entspricht das nicht. Nach der Wahrnehmung gibt es zwei Formen der Äste: der gerade und der gebrochene.
Wenn man aber wissen will, wie der Ast "wirklich" ist, gerade oder gebrochen, dann antwortet man mit dem Verstand, der sich an der Norm orientiert: das Wasser bricht den Stab nicht "wirklich", sondern es sieht nur so aus. "In Wirklichkeit“ sei der Stab ungebrochen, was der Tastsinn im Wasser bestätigt und die Experimente bestätigen, die zeigen, dass nicht der Stab, sondern das Licht gebrochen wurde.

Deine Frage oben geht aber noch weiter. Du fragst nämlich auch:
Was ist der Ast, bevor er von der Norm als "ungekrümmt" definiert wurde.
Denn diese Definition stammt ja von einer Kulturgemeinschaft, die es für sinnvoll hält, von einem ungekrümmten Ast zu sprechen.

Dazu schreibe ich dann vielleicht demnächst.

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#83 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Sa 26. Sep 2015, 12:07

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Was verstehst Du unter "PROJEKTION der Wahrnehmung"?
Der Thread lautet ja "Sein" und "Wahrnehmung".

Will man sauber das Verhältnis von "Sein" und "Wahrnehmung" beschreiben, ist eine Definition der Begriffe "Sein" und "Wahrnehmung" notwendig. Dies haben wir hier bisher noch nicht geschafft.
Hier begehst Du den Urfehler: Du willst das Ergebnis definieren statt erforschen.
Die Prämissen sollen das Ergebnis sein.

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#84 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 26. Sep 2015, 13:24

Savonlinna hat geschrieben:Was ich sagen wollte: Du und keiner weiß, was jemand unter „Sein“ versteht.
Deshalb muss man definieren, was man damit meint. Das gilt für alle Worte: "Giraffe = das Tier mit dem langen Hals".

Savonlinna hat geschrieben:Hier begehst Du den Urfehler: Du willst das Ergebnis definieren statt erforschen. Die Prämissen sollen das Ergebnis sein.
Gegenfrage: Wie kann man über etwas reden, was nicht einvernehmlich definiert ist? (passiert hier ständig im Forum)

Außerdem will ich nicht das ERGEBNIS definieren, sondern die Begriffe, die zu erforschen sind. - Insofern lautet meine Aussage: "Sein" sei (vorläufig) definiert als das, was ohne unsere Wahrnehmung ist bzw. sein kann. - Wie ist dieses zu erforschen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses "Sein" eine Giraffe oder Gott ist.

Savonlinna hat geschrieben:Wer hat das Wort „Sein“ geprägt und was wollte er mit dieser Wortschöpfung assoziieren?
Verstehe es als Synonym für "Entität" - das gibt es seit Jahrtausenden. - Wik sagt dazu:

" Zum einen bezeichnet er etwas, das existiert, ein Seiendes, einen konkreten oder abstrakten Gegenstand. In diesem Sinn wird der Begriff der Entität in der Regel als Sammelbegriff verwendet, um so unterschiedliche Gegenstände wie Dinge, Eigenschaften, Relationen, Sachverhalte oder Ereignisse auf einmal anzusprechen. Dies ist die im zeitgenössischen Sprachgebrauch gängige Verwendung.
Zum anderen kann er auch für das Wesen eines Gegenstandes stehen im Sinne eines für das Dasein des Gegenstands und seiner Identität notwendigen Elements. In dieser Hinsicht ist Entität dem klassischen Substanz­begriff sinnverwandt.[2] Der erste Sinn des Begriffes ist der heute gebräuchlichere. Allerdings wird oft die Selbstständigkeit der Existenz der Entität nur noch in Bezug auf ein konkretes Diskursuniversum behauptet.
"


Ich wollte es halt nicht so kompliziert machen. - Für mich ist "Sein" das, was "ist", egal ob wir davon wissen oder nicht und egal ob es stofflicher oder geistiger Art ist.

Closs hat geschrieben: Wäre diese Aussage so interpretierbar, dass man mit Wahrnehmung nur sich, aber nicht dem "Objekt" gerecht werden kann?
Savonlinna hat geschrieben: Ich verstehe nicht ganz Deine Frage.
Wie kann man dem Objekt gerecht werden, wenn man nur Wahrnehmung hat, die anthropozentrisch ist (das gilt auch für naturwissenschaftliche Wahrnehmung).

Savonlinna hat geschrieben:Vielleicht kann man so zwischenfolgern:Wahrnehmung eines bestimmten Gegenstandes folgt zum einen aus der im jeweiligen Menschen installierten Intention, und dann natürlich auch aus der von der jeweiligen Kultur installierten Allgemeinauffassung, was ein bestimmter Gegenstand „sei“.
Klingt nicht schlecht. - Und es ist ja auch ok, wenn man es weiss (ich schiele ein bißchen auf den Objektivierungs-Wahn unserer Zeit, der dies NICHT zu wissen scheint).

Savonlinna hat geschrieben:Du bringst jetzt "Bewusstsein" hinein, das verwirrt mich.
Mir ging es um die Abgrenzung des Menschen von einem Stein - beide sind seiend, aber der Stein kann (mutmaßlich) nicht wahrnehmen. - "Wahrnehmung" ist ja nicht notwendige Eigenschaft des Seienden (siehe "Stein").

Savonlinna hat geschrieben:Ich meinte einfach nur, das wir von dem verkopften Begriff "Sein" wegkommen, stattdessen konkret werden.
Eigentlich ist es doch gar nicht verkopft: Die Entität "Giraffe" und "Badewanne" ist doch eigentlich sehr einfach.

Ich vermute, dass das, was ich "Sein" nenne, von jedem ohne Reflexion gesetzt wird: Das "ist" eine Giraffe (statt: "Ich nehme etwas wahr, was ich 'Giraffe' nenne".

Und immer wieder eingefügt: Im Alltag bin ich wirklich ein sehr pragmatischer Mensch - hier geht es darum, dass die Philosophien unserer Zeit offensichtlich auf höchstem Niveau rum-schwadronieren, ohne vorher die Basis dazu zu thematisieren - zumindest ist dies mein dringender Verdacht.

Savonlinna hat geschrieben:Du neigst dazu – sehe ich auch an Deiner Antwort an Münek -, die Diskussion so lenken zu wollen
Klar - ich kenne ja das Ergebnis. - Aber es soll allgemein nachvollziehbar sein. - Und wenn es Überraschungen gibt, die mich eines Besseren belehren - sehr gerne.

Savonlinna hat geschrieben:Wenn Du jetzt aber "Kategorie" einführst, ohne es zu klären
Auch dieses Wort können wir ersetzen - gemeint ist damit, dass "Sein" und "Wahrnehmung" auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. - "Sein" ist auch ohne uns - "Wahrnehmung" geht ohne uns NICHT.

Savonlinna hat geschrieben:Das geschieht am besten, wenn wir wirklich selbstdiszipliniert nur das besprechen, was wir grad besprechen.
Prinzipiell richtig - aber dann kommt plötzlich ein an sich einfaches Wort, dass dann auch noch definiert werden muss. - Schwierig.

Savonlinna hat geschrieben:Der im Wasser gebrochene Ast ist durchaus ein Produkt der Wahrnehmung.
Da bin ich nicht sicher - nehmen wir zwei Fälle:

Ich sehe meine Nachbarin, die mir nach einer Ladung LSD vorkommt wie Aphrodite - das wäre aus meiner Sicht "Produkt der Wahrnehmung". - Ich sehe einen durch Lichtbrechung geknickten Ast im Wasser - das wäre aus meiner Sicht KEIN "Produkt der Wahrnehmung".

Savonlinna hat geschrieben:Was ist der Ast, bevor er von der Norm als "ungekrümmt" definiert wurde.
Das, was er "ist" - genau das, was ich mit "Sein" meine.

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#85 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 26. Sep 2015, 13:46

Savonlinna hat geschrieben:Die Pilze sind in dem Fall auf das Kriterium „essbar-nicht-essbar“ reduziert, die Essbarkeit der Pilze ist das Objekt. Und das dazugehörige Subjekt ist das nach essbaren Pilzen suchende Subjekt.
Ach so - das verstehe ich anders.

Der "Pilz an sich" ist für mich das Objekt. "Essbarkeit" ist eine Wahrnehmung, die man sogar naturwissenschaftlich begründen kann - aber das hat mit der "Entität Pilz" nichts zu tun. - Die "Entität Pilz" ist: Hat einen Hut (wenn's einer mit Hut ist), besteht chemisch aus ... - also die rein objektive Beschreibung. - Wobei - und jetzt kommt der Haken - diese Beschreibung nur per Wahrnehmung erfolgen kann.

Mein Zwischenstand wäre hier: "Entität Pilz" ist das, was ohne Vermengung mit dem Beobachter ("Subjekt") beschreibbar ist. - Wobei wir ganz streng genommen immer wieder im Auge behalten müssen, dass sogar dann nicht nachweisbar ist, ob der Pilz Produkt der Wahrnehmung (also "Subjekt-Appendix") oder Objekt (= eigenständig vom Subjekt) ist. - Hier gefällt mir Descartes' Ansatz sehr gut - ich wiederhole:
closs hat geschrieben:Er sagt, dass das "Ich-bin" die einzig sichere Beobachtung ist, und setzt, dass es nichtsdestoweniger eine "äußere Welt" gibt, also ein von der Wahrnehmung "unabhängiges Sein". - Da er gläubig ist, nennt er diese Setzung "Glauben".
Also fundamental eine Glaubens-Sache - erst dann kann man objektivieren.

Savonlinna hat geschrieben:Angenommen, seine Kunstrichtung ist der Expressionismus, dann sieht er das Expressionistische an ihnen. Er muss dazu seinen Blick vom „normalen Blick“ entfernen – also die durch die Kultur entwickelte „Norm“ außer Gefecht setzen – und sie so malen, wie er die Realitat AUCH versteht oder sieht.
Meine Interpretation dazu: Das "Sein" ("Entität Pilz") wirkt so stark, dass es selbst in expressionistischer Wiedergabe oder als Karikatur wieder-erkennbar ist. - Das würde zu einem meiner Lieblings-Begriffe, nämlich "con-scientia" führen - aber lassen wir das erst mal.

Savonlinna hat geschrieben:Das also ist ganz unabhängig von irgendeiner „Weltanschauung“, sondern ist Alltag.
Das könnte damit zu tun haben, dass sich die Macht des Entitätischen über jede Weltanschauung hinweg bemerkbar macht.

Savonlinna hat geschrieben:Insgesamt wollte ich darauf hinaus, dass die Frage Wirklichkeit oder Täuschung von der "Norm" abhängt, die den Maßstab liefert.
Da würde ich sagen: Die eigentliche Norm sollte sein, wie sehr die Wahrnehmung mit dem Sein koinzidiert - dazu mag die eine Norm besser geeignet sein als die andere.

Jeder sollte sich bewusst sein, dass jegliche Norm nur ein Modell ist, deren Ziel nicht die Selbst-Erfüllung ist, sondern die Geeignetheit als authentisches Instrument zum Approachen des Seins. - Bist Du da anderer Meinung?

Savonlinna hat geschrieben:„Allgemein“ kann man jede Menge behaupten, aber immer nur um den Preis, dass man von der Oberflächlichkeit nicht weg kommt.
Da bin ich diamatral anderer Meinung - aus meiner Sicht kann man nur dann von Oberflächlichkeit wegkommen, wenn man Frage generell stellt. - Dazu sind konkrete Beispiele zwar hilfreich, aber nur als Instrument zur Verständnishilfe.

Savonlinna hat geschrieben:Wir haben weder "Subjekt" noch "Objekt" noch "Wahrnehmung" noch "Projektion" noch "unabhängig" genauer semantisch analysiert.
Das versuche ich doch die ganze Zeit - per Vereinbarung. - In anderen Worten: Es macht keinen Sinn, irgendwelche gerade hippen wissenschaftlichen Ergebnisse dazu zu "lernen" und zu kopieren, sondern wir müssen das selber machen. - Denn sonst landen wir sofort in einer wissenschaftlichen Begriffs-Diskussion, die mit Sicherheit zu KEINEM Ergebnis führt.

Salome23
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#86 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Salome23 » Sa 26. Sep 2015, 14:00

closs hat geschrieben: Das gilt für alle Worte: "Giraffe = das Tier mit dem langen Hals".
Giraffe: Bild
:D


Gegenfrage: Wie kann man über etwas reden, was nicht einvernehmlich definiert ist?

In der rumänischen Sprache (ich glaub, auch in einigen andren Sprachen) gibt es das Wort "soll" nicht(du sollst nicht stehlen)
Nur müssen oder dürfen
Wie willst du nun einem Rumänen klar machen, was das Wort "soll" bedeutet?
Zuletzt geändert von Salome23 am Sa 26. Sep 2015, 14:06, insgesamt 1-mal geändert.

SilverBullet
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#87 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » Sa 26. Sep 2015, 14:03

closs hat geschrieben:Ziel ist, die Relativität JEGLICHER Wahrnehmung klarzustellen. - Diese Relativität spielt nur dann eine Rolle, wenn man weltanschauliche Aussagen macht.
Das ist ein sehr vernünftiges Ziel.
Allerdings vermute ich, dass der Umfang der „Relativität“ das Weltbild eines Menschen ganz schön durchschütteln kann.

Bei den uns bekannten Lebewesen (einschliesslich Mensch) ist mir nur eine Technik der Wahrnehmung bekannt:
Sinneszellen liefern elektrische Impulse, die anschliessend über ein Nervennetz verarbeitet/ausgewertet werden.

Auch das menschliche Gehirn arbeitet auf dieser Basis
(Wurm, Schnecke und Ameise genauso)

Man könnte diese „elektrische Form“ der Verarbeitung durchaus verallgemeinern und sagen, dass über eine Sensorik, Daten gewonnenen werden, die anschliessend verarbeitet werden -> Datenverarbeitung.

Diese Technik sieht auf den ersten Blick harmlos aus, aber wenn es um Realität und Nicht-Realität geht, ist sie wie ein „eissener Vorhang“.

Man könnte es so ableiten:
Realität ist das, was die Sinneszellen dazu anregt, einen elektrischen Impuls abzugeben.
Nicht-Realität ergibt sich in den Vorstellungen der anschliessenden Auswertung.

Anders gesagt:
Das, was ein Wahrnehmungssystem von aussen zum Arbeiten anregt, wird von dem Wahrnehmungssystem als „das Reale“ bezeichnet.
Das, was das Wahrnehmungssystem daraus für Vorstellungen aufbaut und Schlussfolgerungen zieht ist „das Nicht-Reale“.
Die dort aufgebauten Vorstellungen können zwar sehr praktisch sein und auch funktionieren, aber es sind maximal gute Annäherungen (Abstraktionen) an die realen Gegebenheiten.

Beispiel:
Das Wort „Licht“ beschreibt ein physikalisches Strahlenphänomen, das auf die Netzhautzellen einwirken kann. Die elektrischen Impulse werden vom Gehirn verarbeitet und als „Farben“ verstanden.
Farben sind eine Vorstellung, also nicht real.
Licht gehört zur Realität, kann aber vom Wahrnehmungssystem nicht direkt erfasst werden.

Durch die Technik der Sensordaten (elektrische Impulse) haben die nachfolgenden Wahrnehmungsvorgänge nie direkten Kontakt zur Realität.
(in 640Mio Jahren Entwicklung hatte das Gehirn nie Kontakt zu Licht)

Es gibt bestimmt auch Ansätze das Wort „Realität“ anders einzusetzen.
Sozusagen:
Die nicht direkt zugängliche Aussenwelt ist die „existenzielle Wirklichkeit“ und jedes Wahrnehmungssystem baut sich aus den Sensordaten seine eigene „Realität“ auf.

Egal wie man es auffasst, die Grenzlinie ist die Sensorik.

Wie ich am Anfang geschrieben habe, ergibt sich daraus ein Umfang der „Relativität“, der im ersten Moment erschreckend wirkt:
das Bewusstsein ist nicht die „Realität“.
(ich verzichte aber darauf, im Folgenden "Bewusstsein" in Anführungsstriche zu setzen)

Im Alltag ist das Bewusstsein selbstverständlich voll ausreichend.
Die Fähigkeiten des menschlichen Wahrnehmungssystems haben sich an die Umweltauflösung angepasst und sind dort sehr praktisch und erstaunlich genau gültig.
Die Naturwissenschaften dringen aber immer mehr in Bereiche vor, in denen offensichtlich wird, dass etwas nicht ganz stimmen kann.
Das menschliche Denken besitzt nur lokale Gültigkeit.

Es gilt die Regel:
Je mehr Blickwinkel ein Wahrnehmungssystem auf einen Sachverhalt einnehmen kann, desto besser nähern sich die Vorstellungen an die Zusammenhänge in den Daten an.
Aber an die „existenzielle Realität“ werden diese Vorstellungen nie heranreichen.
Wenn die Datenauswertung erschöpft ist, dann ist die Vorstellung maximal aufgebaut – mehr geht nicht.

Wenn nun gesagt wird, das „ich bin“ sei die einzig sichere Beobachtung, dann stimmt das in keiner Weise.
Das „Ich“ entsteht nicht durch reale Einwirkungen auf Sinneszellen und eine Analyse über mehrere Blickwinkel ist nicht möglich.
Folglich ist das „Ich“ lediglich eine praktische Vorstellung, ein Zusammenhang, innerhalb einer "Umweltkonstellation" (Gruppenverhalten) – dies wird von Neurowissenschaftlern bestätigt.

Aus dem Bewusstsein heraus kann man lediglich darauf schliessen, dass eine Art Berechnung vor sich geht, in der es zu Bedeutungszusammenhängen kommt.
Vorsicht, die Deutung der tatsächlichen Vorgänge enthält viel Täuschungspotential.

Angenommen, das Bewusstsein ergäbe sich auf Basis einer Welt-Simulation, so dass das Gehirn und auch die Sinneszellenreizungen vollständig simuliert wären, dann könnte dies das Bewusstsein nicht aufdecken.

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#88 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 26. Sep 2015, 14:07

closs hat geschrieben: Wobei - und jetzt kommt der Haken - diese Beschreibung nur per Wahrnehmung erfolgen kann.
Wahrnehmung ist aber ein "Haken" der in der Wirklichkeit gründet. Unser Gehirn hat sich nicht dazu entwickelt, um die Wahrnehmung zu verstehen, sonder um uns in der realen Welt zu dienen und zurecht zu finden.

closs hat geschrieben:Die eigentliche Norm sollte sein, wie sehr die Wahrnehmung mit dem Sein koinzidiert.
Du meinst hier wohl das Dasein, nicht das Sein, nicht wahr?
Oder ist das Sein inzwischen für dich mit dem Dasein deckunsgleich?

closs hat geschrieben:Jeder sollte sich bewusst sein, dass jegliche Norm nur ein Modell ist, deren Ziel nicht die Selbst-Erfüllung ist...
Sehr richtig. Wahrnehmung erzeugt gute Modelle von der realen Welt. Vom (metaphysischen) Sein aber, kann es keine Modelle erstellen. Auf welcher Basis sollte in solches Modell bauen?

closs hat geschrieben:Es macht keinen Sinn, irgendwelche gerade hippen wissenschaftlichen Ergebnisse dazu zu "lernen" und zu kopieren, sondern wir müssen das selber machen.
Doch dies macht sehr viel Sinn.
Die Zeiten, wo ein einzelner Mensch alles wissen konnte, gehören der Vergangenheit an. Heutzutage sind wir gezwungen, Wissen von anderen zu übernehmen und dieses als Fakt hinzunehmen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#89 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von NIS » Sa 26. Sep 2015, 14:08

Pluto! :Herz:
.
Dein Merkur! ;)
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#90 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 26. Sep 2015, 14:26

Salome23 hat geschrieben:Wie willst du nun einem Rumänen klar machen, was das Wort "soll" bedeutet?
Das könnte schwierig bis unmöglich sein - was doch gerade ein Hinweis ist, dass Normen (hier: Sprachnormen) nur Wahrnehmungs-Ausschnitte ermöglichen.

Um es zu übertragen: Das "Soll" wäre das "Sein", weil es das, was aus unserem Verständnis semantisch dahinter steht, gibt. - Das Rumänische ist Sprache (also Wahrnehmungs-Apparat), die diesen semantische Gehalt nicht fassen kann. - Trotzdem gibt es diesen semantischen Gehalt.

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