Pluto hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Vielleicht bringst Du mal ein Beispiel, wie man in der Literaturwissenschaft ein Ergebnis bekommen kann, das sich nach Überprüfung als richtig herausstellt.
Welche Kafka-Interpretation zum Beispiel hat sich in welcher Form als "richtig" herausgestellt? Oder bei einem anderen Schriftsteller, das ist egal.
Dazu kenne ich Kafka zu wenig. Beschreibe mir erst mal das zugrundeliegende wissenschaftliche Modell.

Was meinst Du mit "zugrundeliegendem Modell"?
Aber siehe weiter unten vielleicht.
Pluto hat geschrieben:Womit wir zum Knackpunkt kommen...
Shakespear, Goethe oder auch Voltaire, Kafka und Mann haben Meisterwerke der lyrischen Kunst hervorgebracht. Allerdings halte ich diese Werke nicht für wissenschaftliche Arbeiten.
Richtig, es sind keine wissenschaftlichen Arbeiten.
Aber die INTERPRETATION von "Hamlet" kann eine wissenschaftliche Arbeit sein.
In den Geisteswissenschaften gilt der Methodenpluralismus, also gibt es mehrere Methoden, die man anwenden kann.
Die werkimmanente Methode z.B. würde den "Hamlet" wahrscheinlich auf der Basis struktureller Baufformen untersuchen, die gesellschaftswissenschaftliche Methode würde sowohl die Behandlung der Gesellschaft in "Hamlet" untersuchen als auch die Gesellschaft, in der Shakespeare lebte. Dann kann man vergleichen und feststellen, wie Shakespeare die Gesellschaft seiner Zeit sah - an der Art, wie sie in "Hamlelt" charakterisiert ist.
Was hier "Methode" genannt wird, ist vermutlich das, was Du "Modell" nennst.
Die gewählte Methode steuert die Art der Ergebnisse, da sie Unterschiedliches untersucht.
Wird die gesellschaftswissenschaftliche Methode von einem Marxisten gemacht, der als Prämisse setzt: Ich untersuche die Gesellschaft nach der Ansicht des Marxismus, dann kommt etwas anderes dabei rum, als wenn dasselbe Thema von einem überzeugt kapitatlistisch Gesonnenen behandelt wird.
Du siehst, es kann sich kein Ergebnis als "richtig" oder "falsch" herausstellen, weil zum einen je nach Methode Unterschiedliches untersucht wird, und zum anderen, weil der Marxist ja eine andere Prämisse hat als der Kapitalist und notgedrungen zu anderen Ergebnissen kommt.
Viel Furore ist entstanden, als die Rezeptionsmethode entstand, die ein Werk daraufhin untersucht, wie weit es den ERWARTUNGSHORIZONT des damaligen Publikums durchbricht.
Es wird also erst historisch gearbeitet: man recherchiert und versucht den damaligen Erwartungshorizont bezüglich Dichtung zu rekonstruieren.
Und dann guckt man, was an diesem Erwartungshorizont der Autor mit seinem Werk alles verletzt hat.
Da Literatur von der Rezeptionsästhetik her so aufgefasst wird, dass sie Erwartungen zu durchbrechen habe, um die Kultur und die Gesellschaft voranzubringen, ist das Verletzen des Erwarteten ein positivum.
Pluto hat geschrieben:Ihre Interpretationen bezeichne ich deshalb eher als Hermeneutik, womit ich allerdings die kulturelle Bedeutung der Werke keineswegs schmälern will. Ist halt einfach eine andere "Baustelle".
Da wir hier aber in einem Religions-Forum sind, ist es schon genau die richtige Baustelle. Die, die wir hier brauchen.
Die Rezeptionsmethode wurde auch in die wssenschaftliche Theologie übernommen, denn genau darum geht es ja:
welcher Erwartungshorizont existierte damals, und wie wurde er durchbrochen.
Das Wort "Hermeneutik" würde ich da erst mal ruhen lassen, obwohl die Rezeptionsmethode tatsächlich ein Ableger der Hermeneutik ist.
Aber "Hermeneutik" wird hier dermaßen chaotisch benutzt, dass ich da im Moment ein Fass ohne Boden sehe.