Hi, Thomas
ThomasM hat geschrieben:Letztlich ist das "jeder trägt selbst die Verantwortung" genau so eine Abstraktion wie das "der Satan war es". Beides sind Extrempositionen, Extremmodelle. Und die Wahrheit liegt dazwischen.
Dann versuche ich, meine Sicht etwas mehr auszudifferenzieren.
Erst mal ging es mir darunm, dem Christentum - oder allgemeiner, der Religion - als einzig gültiger Antwort auf das, was im Menschen passiert - "Satan ist ein Begriff der Religion - das Recht abzusprechen.
Darum ist Deine obige Alternative - entweder der Mensch oder Satan - für mich ungültig.
Es ging mir nicht um die Abstraktion, sondern darum, ob die Religion geeignet ist, zu erklären, was im Menschen passiert.
Und dazu sage ich: "Nein". Auch wenn manche Theologen es geschafft haben, (für mich) Gültiges in religiöser Sprache auszudrücken, ohne dass es auf das Christliche begrenzt ist.
Aber das, was im Menschen passiert, habe ich nicht genügend ausdifferenziert, das stimmt.
Deine Beispiele dazu sind hilfreich. ->
ThomasM hat geschrieben:
Dennoch kann der Wortgebrauch "das war Satans Werk" durchaus zutreffend sein.
Menschen geraten sehr leicht in "teuflische Situationen", in denen sie dann reagieren, wie sie sich das selbst niemals zugetraut haben und auch nachträglich nicht zutrauen. Sie fragen sich selbst "Wie habe ich das nur tun können".
Für mich ist der Wortgebrauch "das war Satans Werk" gerade eben NICHT zutreffend. Es führt in die Irre, es verhindert, das, was im Menschen geschieht, sowohl zu erklären als auch zu verändern.
Satan kann man nicht verändern, und darum ist dieser Begriff für mich ein Irrtum, und nicht einmal ein harmloser.
Man hat seit langem herausgefunden, dass es so etwas wie "Massenrausch" bis hin zur "Massenpsychose" gibt - das Individuum reagiert in der Masse anders, als wenn er alleine ist.
Das konnte man sogar bei den Massenausrufen kurz vor der DDR-Öffnung beboachten, wo zum Beispiel die Menge stereotyp, ohne Aufhören "Wir sind das Volk" skandierte. Sie haben sich in Rausch skandiert. Als Norbert Blüm einmal auf sie zuging, um jemandem von ihnen die Hand zu geben, sahen sie ihn nicht einmal, starrten leeren Auges geradeaus, und Blüm zog seine Hand wieder zurück, ging etwas irritiert wieder weg.
Der Massenrausch ist eine gut dokumentierte Angelegenheit, und da trifft das mitunter zu, was Du sagst: dass das Individuum im Nachhinein mitunter nicht mehr verstehen kann, was man in der Menge gesagt und getan hat.
Ein anderes Beispiel:
Erich Maria Remarque hat in seinem Buch "Im Westen nichts Neues" - das sehr stark autobiographisch ist - eine Situation an der Front beschrieben, wie er, der unter der Grausamkeit an der Front litt, plötzlich - aus seiner Todesangst heraus - in einen Blutrausch geriet. Lässig, mit Messern und ähnlichem bewaffnet, war er plötzlich ein anderer; er überschritt des Nachts die Frontlinie und erstach mit Freude und Lust einen nach dem anderen der schlafenden "Feinde". Er sah das Blut, aber er erfreute sich seiner Macht.
Das war, wenn ich Remarque richtig verstanden habe, als wenn sich ein Hebel umgeschaltet hat.
ThomasM hat geschrieben:Im Rückblick ist die beste Art dieser Menschen, ihre eigenen Handlungen zu verstehen, ein "Etwas Fremdes, etwas, mit dem ich mich nicht identifizieren kann und will, hat mich gepackt/verleitet/getrieben".
Ja, richtig. Das ist gut beschrieben.
Aber der Mensch ist eben nicht nur Individuum, sondern auch Kollektivwesen.
Das Individualbewusstsein ist vielleicht sogar nur die jünst errungene Oberfläche, die leicht wieder absacken kann.
Demagogen sprechen immer das Kollektivwesen an, bis die Masse brüllt: "Jaaaa!"
Hab kürzlich in einem Roman gelesen - fällt mir aber nicht ein, wo -, wie jemand sich gegen diesen Sog in der Masse wehrte, bis "er sich selber reden hörte", wie er genau das johlte, was die Menge johlte.
Da kommt das zum Vorschein, was Du beschrieben hast: das individuelle Bewusstsein will anderes als das Kollektivbewusstsein, kann aber nur schwer widerstehen.
Hoffe, Du verstehst, was ich meine. Mit "Satan" ist so ein Vorgang nicht korrekt beschrieben. Es IST ein menschlicher Vorgang, da der Mensch auch Kollektivwesen ist und das kollektive Unterbewusste eine starke Macht hat.
Nur wenn man das weiß, kann man das auch ändern.
Von der Sache her sind wir wahrscheinlich einer Meinung.
Nur dass ich eben finde, dass mit "Satan" gar nichts erklärt wird, sondern eher in die falsche Richtung führt.