Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

closs
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#171 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Mi 15. Jul 2015, 23:41

sven23 hat geschrieben:Deswegen bist du ja so ein Fan von geistigen Dingen.
Das kommt auf's Sujet an - beim Pilzesammeln bin ich überhaupt kein Fan davon.

sven23 hat geschrieben:Widerlegen kann man es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit menschlicher Erfindung ist sehr hoch.
"Wahrscheinlich" in Bezug auf welches System? - In Bezug auf den Naturalismus ist die Wahrscheinlichkeit so gut wie Null - in anderen Systemen kann die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher sein.

sven23 hat geschrieben: Die Kirche aber läßt die Gläubigen im Glauben, daß es sich bei der Jesusstory um historisch verbürgte Berichte handelt und sie unterfüttert es mit Glaubensdogmen.
Wie gesagt: Es ist eine Mischung - davon kann man sicherlich einen Teil zuordnen.

Was Du aber immer noch nicht berücksichtigst: Es geht nicht darum, welche Passage historisch korrekt wiedergegeben ist und welche nicht - das ist zwar interessant, aber nicht relevant. - Bsp:

Wenn man sich mit der Bergpredigt beschäftigt, kann man sich historisch-kritisch damit beschäftigen, von welchem Berg diese stattfand - und zum Ergebnis kommen, dass es im besagten Landstrich überhaupt keine Berge gibt. - Man weiterhin textkritisch feststellen, dass die Sprache eher nach Matthäus/Markus(?)(einer der beiden wurde genannt - weiss nicht mehr welcher) klingt als nach Jesus. - OK.

Aber egal, ob die Bergpredigt vom Kilimandscharo oder von der Zugspitze oder ob die Bergpredigt von Herodes oder Dieter Bohlen stammt: Theologisch wird die Hauptfrage sein, was sie geistig bedeutet. - Eben weil jegliche geistige Äußerung Chiffre für einen geistigen Inhalt ist.

Das ist keine Aussage gegen die HKM, sondern eine Aussage zu deren begrenztem Mandat. - Insofern ist es wurscht, ob etwas historisch verbürgt ist - davon abgesehen, dass es schwer sein sollte, etwas zu verbürgen, wenn man die Bibel als Märchenbuch versteht und andere Quellen nicht da sind. - Da kann man weder das Ja noch das Nein verbürgen.

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#172 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Pluto » Do 16. Jul 2015, 00:27

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Widerlegen kann man es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit menschlicher Erfindung ist sehr hoch.
"Wahrscheinlich" in Bezug auf welches System? - In Bezug auf den Naturalismus ist die Wahrscheinlichkeit so gut wie Null - in anderen Systemen kann die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher sein.
Eine Wahrscheinlichkeit ist eine mathematische Zahl die mit postulierten Systemen überhaupt nichts zu tun hat.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#173 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 16. Jul 2015, 01:43

Pluto hat geschrieben:Eine Wahrscheinlichkeit ist eine mathematische Zahl die mit postulierten Systemen überhaupt nichts zu tun hat.
Moment: Wenn man eine Frage unter der Perspektive x untersucht, kann die Wahrscheinlichkeit für eine Antwort y höher sein, als wenn man sie unter der Perspektive y untersucht. - Oder nicht?

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#174 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Queequeg » Do 16. Jul 2015, 08:24

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Was Du aber immer noch nicht berücksichtigst: Es geht nicht darum, welche Passage historisch korrekt wiedergegeben ist und welche nicht - das ist zwar interessant, aber nicht relevant. - Bsp:

Wenn man sich mit der Bergpredigt beschäftigt, kann man sich historisch-kritisch damit beschäftigen, von welchem Berg diese stattfand - und zum Ergebnis kommen, dass es im besagten Landstrich überhaupt keine Berge gibt. - Man weiterhin textkritisch feststellen, dass die Sprache eher nach Matthäus/Markus(?)(einer der beiden wurde genannt - weiss nicht mehr welcher) klingt als nach Jesus. - OK.

Aber egal, ob die Bergpredigt vom Kilimandscharo oder von der Zugspitze oder ob die Bergpredigt von Herodes oder Dieter Bohlen stammt: Theologisch wird die Hauptfrage sein, was sie geistig bedeutet. - Eben weil jegliche geistige Äußerung Chiffre für einen geistigen Inhalt ist.

Das ist keine Aussage gegen die HKM, sondern eine Aussage zu deren begrenztem Mandat. - Insofern ist es wurscht, ob etwas historisch verbürgt ist - davon abgesehen, dass es schwer sein sollte, etwas zu verbürgen, wenn man die Bibel als Märchenbuch versteht und andere Quellen nicht da sind. - Da kann man weder das Ja noch das Nein verbürgen.

Guter Closs, mein und also unser Naphta, irgendwie...

ist die HKM nicht zu einem diktatorischen Beliebigkeitsformalismus verkommen, die sich dem exegetischen Subjekt je nach theologisch/konfessionellen Lagen und Launen zu unterwerfen hat?

Oder anders formuliert, das neutestamentlich kanonische Rahmenwerk als Puppenspiel gelangweilter Theologen, die sich in heldischer Pose den exegetischen Jakobinerhut aufgestülpt haben, um den Evangelisten einmal so richtig aufzuzeigen, das sie dem Diktat der HKM-Boliden nun rettungslos unterworfen sind, je nach theologischen Dienstgrad des stets etwas subjektivistisch verlummerten Methodikers.

Was hat die HKM den Christen, dem Christentum nun eigentlich geschenkt?
Denn Otto-Normal-Christ versteht von dem professoralen Bibelsprech nicht einmal Punkt und Komma und die von der Sonne der Glaubens gemiedenen HKM Adepten mutieren immer mehr zu sterilen Schattenjägern sorgsam und eifersüchtig gehüteter, biblischer Frontabschnitte.

Was soll das, alles, nun bewirken, dieses theologisch so unfruchtbare Getöse der postmodernen Pharisäer?

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#175 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Queequeg » Do 16. Jul 2015, 08:40

Mit Verlaub und weil ich nicht extra einen neuen Thread eröffnen wollte, außerdem "schmiegt" sich diese Frage in das Thema ein:

ist diese Ausgabe des Kommentars zum Neuen Testament empfehlenswert:

http://www.amazon.de/Bibelkommentar-Neu ... lkommentar

oder ist dieser Kommentar sozusagen konfessionell mehr oder weniger okkupiert?

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#176 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 16. Jul 2015, 09:12

Hi, schön von Dir zu hören!

Queequeg hat geschrieben:ist die HKM nicht zu einem diktatorischen Beliebigkeitsformalismus verkommen, die sich dem exegetischen Subjekt je nach theologisch/konfessionellen Lagen und Launen zu unterwerfen hat?
So weit würde ich nicht gehen - allerdings ist es wie überall: Man stellt Fragen so, dass die folgende ergebnisoffene wissenschaftliche Arbeit in eine gewünschte Richtung geht.

Queequeg hat geschrieben: HKM-Boliden
Dieses Wort ist gut. :lol:

Queequeg hat geschrieben:Was hat die HKM den Christen, dem Christentum nun eigentlich geschenkt?
Im hilfswissenschaftlichen Sinne schon einiges - wenn es um weltanschauliche Fragen geht, nichts.

Queequeg hat geschrieben:Was soll das, alles, nun bewirken?
Aus meiner Sicht ist es der Versuch einer als aufgeklärt verstandenen Transformation der Bibel von einem geistigen Werk in ein geschichtliches Werk.

Man muss sich den Ablauf mal vorstellen: Eine feuerbachsche Grundausrichtung (zumindest erscheint es so), die die Bibel als Projektion menschlichen Einfallsreichtums versteht, die sich aber auch bitteschön wissenschaftlichem Verständnis unterzuordnen habe: "Wir sind eine freie Gesellschaft, in der jeder glauben darf, was er will - aber bitte macht Eure Projektionen etwas ordentlicher".

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#177 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » Do 16. Jul 2015, 09:22

closs hat geschrieben:Das kommt auf's Sujet an - beim Pilzesammeln bin ich überhaupt kein Fan davon.
Wieso nicht, wenn der heilige Geist dich beim Pilzesammeln führt, brauchst du auch keine Angst vor Vergiftung zu haben. :lol:

closs hat geschrieben: Wahrscheinlich" in Bezug auf welches System? - In Bezug auf den Naturalismus ist die Wahrscheinlichkeit so gut wie Null - in anderen Systemen kann die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher sein.
Natürlich nicht mathematisch, sondern eher pragmatisch.
Beispiel: Die Chance, daß Lothar Matthäus in diesem Leben mal einen intelligenten Satz sagt, tendiert gegen Null. :lol:

closs hat geschrieben: Was Du aber immer noch nicht berücksichtigst: Es geht nicht darum, welche Passage historisch korrekt wiedergegeben ist und welche nicht - das ist zwar interessant, aber nicht relevant.
Da liegst du falsch. Es ist sehr wohl relevant, was und mit welcher Absicht gefälscht/verändert wurde. Damit lassen sich auch Rückschlüsse auf andere Passagen ziehen.

closs hat geschrieben: Aber egal, ob die Bergpredigt vom Kilimandscharo oder von der Zugspitze oder ob die Bergpredigt von Herodes oder Dieter Bohlen stammt:
Der Berg spielt eine untergeordnete Rolle. Von wem sie stammt, sehr wohl. Wenn Matthäus die Bergpredigt Jesus in den Mund legt, dann doch wohl mit einer bestimmten Absicht. Dann solltest du vielleicht Matthäus anbeten und nicht Jesus.

closs hat geschrieben: Das ist keine Aussage gegen die HKM, sondern eine Aussage zu deren begrenztem Mandat. - Insofern ist es wurscht, ob etwas historisch verbürgt ist - davon abgesehen, dass es schwer sein sollte, etwas zu verbürgen, wenn man die Bibel als Märchenbuch versteht und andere Quellen nicht da sind. - Da kann man weder das Ja noch das Nein verbürgen.
Wie der Name schon sagt, ist die Methode historisch-kritisch, d. h. sie gleicht Historie mit biblischen Texten ab, um den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Wenn dann herauskommt, daß es in der Region überhaupt keine Volkszählung zu dem behaupteten Zeitpunkt gab, keinen Kindermord durch Herodes und daß es überhaupt nicht üblich war, sich bei einer Steuerschätzung an seinen Geburtsort zu begeben, dann kann man daraus schließen, daß die ganze Geburtsgeschichte Jesu eine reine Erfindung der Schreiber ist, um Jesus als den Sohn Gottes verkaufen zu können, weil Prophetien aus dem AT dies so angekündigt haben.
Wenn bei der Geburt schon geschummelt wird, warum dann später nicht auch?
Und nebenbei: wieso sollte der Sohn Gottes auf Lügen angewiesen sein, um sich den Menschen zu offenbaren?
Das ergibt überhaupt keinen Sinn.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#178 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Queequeg » Do 16. Jul 2015, 09:39

closs hat geschrieben:


Queequeg hat geschrieben:Was soll das, alles, nun bewirken?
Aus meiner Sicht ist es der Versuch einer als aufgeklärt verstandenen Transformation der Bibel von einem geistigen Werk in ein geschichtliches Werk.

Man muss sich den Ablauf mal vorstellen: Eine feuerbachsche Grundausrichtung (zumindest erscheint es so), die die Bibel als Projektion menschlichen Einfallsreichtums versteht, die sich aber auch bitteschön wissenschaftlichem Verständnis unterzuordnen habe: "Wir sind eine freie Gesellschaft, in der jeder glauben darf, was er will - aber bitte macht Eure Projektionen etwas ordentlicher".

Guter closs, (gut, zum Thomas Mannischen Naphta machen wir dann doch lieber den König der "Zeujen", hier ...)

ich denke, eine religiöse Ur-Schrift, einmal so gesagt, oder ein so höchst geistlich sublimes Werk wie die Bibel in das "Geschichtliche" zu transformieren läuft doch dem Geist der Bibel höchstselbstens zuwider.

Lassen wir jetzt einmal Feuerbach und ähnlich zitierfähige Kohorten landläufiger Edelsophisten bei Seite, denn wohl grundsätzlich jeder wirklich tief glaubende Christ definiert die biblischen Aussagen und Inhalte auf eine absolut intime und persönliche Ebene, in der der (theologisch/exegetische) Geist Gottes immer den absoluten Vorrang hat, die geschichtlich kritischen Deutungsebenen haben hier höchstens eine periphäre Zweitrangigkeit.

Ich denke eher, die Gralshüter der Neutestamentliche Methodenlehre mäandern sich mühsam durch die Schluchten schriftgelehrter Falschmünzerei und "entgeistlichen" und verflachen das Neute Testament unter der willkürlichen Deutungswut der sich auf theologischen Königsstühlen räkelnden HKM'ler.
Dafür gebührt ihnen sicherlich ein theologischer Pagodenhut, wirklich gebracht hat es dem oder den Christen, an und für sich, doch nichts bleibendes und zu bewahrendes.

Mit einem Satz gesagt: wenn das Neue Testamend nicht grundsätzlich geistig, oder geistlich...

(Du darfst den Satz nun vollendet vollenden.)


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#180 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Do 16. Jul 2015, 15:28

sven23 hat geschrieben: Es ist sehr wohl relevant, was und mit welcher Absicht gefälscht/verändert wurde. Damit lassen sich auch Rückschlüsse auf andere Passagen ziehen.
Das habe ich nicht gemeint (was Du sagst, ist natürlich richtig). - Meine Aussage ist: Ob der (beliebig hier ausgewählte Satz) "Gott ist die Liebe" tatsächlich von Johannes gesagt wurde oder nicht, ist geistig wurscht - hier zählt nur die fundamental-geistige Bedeutung dieses Satze.

sven23 hat geschrieben:Wenn Matthäus die Bergpredigt Jesus in den Mund legt, dann doch wohl mit einer bestimmten Absicht.
Angenommen, Matthäus hätte diese Bergpredigt sprachlich gestaltet: Wie will man unterscheiden, ob er sie primär erfunden oder sprachlich von Jesus nachgezeichnet hat?

sven23 hat geschrieben:Wie der Name schon sagt, ist die Methode historisch-kritisch, d. h. sie gleicht Historie mit biblischen Texten ab
Da sind wir uns einig.

sven23 hat geschrieben: um den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Da sind wir uns NICHT einig. - Du setzt (!!) in Deiner Definition, dass "Wahrheit" dasselbe wie "Historizität" sei. Es meinst also eigentlich: "um die Historizität zu überprüfen". - Das ist etwas ganz anderes.

Und genau das scheint der Grunddefekt der Kubitzas sein: Die ideologische Gleichschaltung von "Wahrheit" und "Historizität". - Natürlich ist es dann leicht, auf Basis dieser Prämisse zu postulieren, dass es "wahr" sei, dass Jesus keine innere Naherwartung hatte.

sven23 hat geschrieben:Wenn dann herauskommt, daß es in der Region überhaupt keine Volkszählung zu dem behaupteten Zeitpunkt gab, keinen Kindermord durch Herodes und daß es überhaupt nicht üblich war, sich bei einer Steuerschätzung an seinen Geburtsort zu begeben
Das ist in der Tat HKM-Terrain - allerdings würde ich dazu gerne mal Experten-Gespräche hören.

sven23 hat geschrieben:Wenn bei der Geburt schon geschummelt wird, warum dann später nicht auch?
Falscher Ansatz - das muss nichts mit "Schummeln" zu tun haben. - Da wären jetzt wieder Schrift-Gelehrte gefragt, die solche Passagen dechiffrieren.

sven23 hat geschrieben:Das ergibt überhaupt keinen Sinn.
Stimmt - deshalb sind die Prämissen zu überprüfen.

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