Parusieverzögerung III

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Münek
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#541 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Di 14. Jul 2015, 22:22

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wenn Johannes der Täufer und Jesus öffentlich dem Volk den unmittelbar bevorstehenden Anbruch der Gottesherrschaft verkündet haben, sollte man davon ausgehen dürfen, dass sie das nicht nur gesagt, sondern auch so gemeint haben.
Wenn es richtig reziert ist und dementsprechend niedergeschrieben wurde, hast Du recht. - Aber genau das wissen wir doch nicht.

Ja, aber...

... sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche sowie allen anderen christlichen Kirchen
scheinen diesbezüglich meines Wissens nicht die geringsten Zweifel zu hegen.

Kurti, alter Don Quichotte, die Luft wird immer dünner und die Windmühlen werden immer größer... :thumbup:
Zuletzt geändert von Münek am Di 14. Jul 2015, 22:23, insgesamt 1-mal geändert.

closs
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#542 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Di 14. Jul 2015, 22:22

Münek hat geschrieben:nach Jesu eigener Aussage haben sie es
Du machst immer wieder den selben Fehler (machen übrigens Christen auch oft):

Weil der Schreiber schreibt, die Jünger hätten Jesus verstanden (es gibt übrigens motivisch das Gegenteil mindestens genauso), schließt Du daraus, dass die Jünger Jesus verstanden hätten - das ist ein lupenreiner Zirkelschluss.

Münek hat geschrieben:Es ist exegetisch völlig unerheblich, ob die Jünger die Worte ihres Meisters "rezipiert", d.h. geistig (richtig) erfasst und verarbeitet haben oder nicht
Das hieße, dass es exegetisch vollkommen egal ist, was Jesus WIRKLICH gemeint hat. - Natürlich kann man Einzel-Textbetrachtung machen und somit ein Rendevouz mit dem Wort machen - aber das sagt im Ernstfall nichts über Jesus aus. - Im schlimmsten Fall ist es eine geschlossene Veranstaltung zwischen Exegeten und Schreiber.

Natürlich ist das von Dir Gemeinte der Ausgangspunkt jeder Exegese - aber es gehört mehr dazu. - Und wenn es das Motiv des "Sie verstanden ihn nicht" con variazione seit dem AT gibt, ist dies mit einzubeziehen. Denn dann muss man unweigerlich fragen: Haben Jünger/Schreiber ihn im Kontext der gesamten Bibel verstanden. - Darauf wird es nicht immer eine klare Antwort geben - aber es ist ein exegetisches Muss, diese Frage zu stellen.

Münek hat geschrieben:Die neutestamentliche Forschung geht einvernehmlich davon aus, dass es so ist, dass hier ein "echtes Jesuswort" vorliegt!
Glaube (!) ich persönlich auch - aber ich bin recht sicher, dass mit dem nahen Reich Gottes die Erlösung am Kreuz gemeint ist. - Und immer wieder: Die Theologen, die ich kenne, sehen das genauso - weil es eigentlich folgerichtig ist.

Münek hat geschrieben:on einem nahen "inneren Gottesreich" ist in Jesu Botschaft an seine Landsleute doch überhaupt nicht die Rede.
Wie kommst Du denn darauf? - Seit der "Beschneidung des Herzens" (irgendwo im AT) ist auch dies ein Leitmotiv. - Und eigentlich gilt auch hier, dass dies bei einer umfassenden Exegese miteinbezogen werden muss.

Münek hat geschrieben:sollten kein "inneres" Gottesreich verkünden, sondern nur sagen: "Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen". Punkt.
Was der eine oder andere Jünger darunter verstanden hat, weiss ich nicht. - Aber biblisch schlüssig und leitmotivisch belegt seit dem AT ist das innere Gottesreich (das fängt schon an mit dem "Tempel im Menschen" und der Aussage, dass Jahwe nicht nur im Tempel sei, sondern auch fern der Heimat in der Gefangenschaft bei seinem Volk sei).

Dein Gottesreich-Verständnis ist eines VOR Salomon - es erinnert an David, der in heimischer Erde sterben will, weil er meint, nur da könne er Gott nahe sein (oder so ähnlich). - Das ändert nichts daran, dass zur Zeit Jesu die Leute auch nicht weiter waren - um so mehr, dass es offensichtlich heute noch so verstanden wird. - Heilsgeschichte ist schon eine zähe Veranstaltung.

closs
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#543 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Di 14. Jul 2015, 22:24

Münek hat geschrieben:... sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche sowie allen anderen christlichen Kirchen
scheinen diesbezüglich meines Wissens nicht die geringsten Zweifel zu hegen.
Natürlich haben Johannes der Täufer und Jesus das bald kommende Gottesreich gepredigt. :!: - Aber es ist die Frage, was man darunter versteht.

closs
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#544 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Di 14. Jul 2015, 22:29

sven23 hat geschrieben:"SPIEGEL: Hielt sich Jesus für Gottes Sohn? Lindemann: Nein."
Bei Lindemann blicke ich nicht durch. - Trotzdem: Wenn man es genau liest, geht es darum, ob sich Jesus als Sohn Gottes thematisiert - weiß ich jetzt auswendig auch nicht.

Aus SPIEGEL-Sicht klingt es so (das meine ich mit "platt-atheistisch"), als würde dem armen Jesus etwas untergejubelt, von dem er selber keine Ahnung hatte - das ist etwas ganz anderes.

Aus meiner persönlichen Sicht ist diese Frage ebenfalls irrelevant, weil meine Chiffren allgemeinerer Natur sind - demnach würde ich Jesus als inkarnierte göttliche Selbst-Offenbarung bezeichnen. - Egal ob Sohn oder Neffe - das sind doch alles Chiffren (auch dann, wenn sie historischer Natur sind/wären).

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#545 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Di 14. Jul 2015, 22:36

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Es ist exegetisch völlig unerheblich, ob die Jünger die Worte ihres Meisters "rezipiert", d.h. geistig (richtig) erfasst und verarbeitet haben oder nicht
Das hieße, dass es exegetisch vollkommen egal ist, was Jesus WIRKLICH gemeint hat.

Nein, es ist exegetisch vollkommen egal, wie ihn seine Jünger verstanden haben.

Habe ich mich so unverständlich ausgedrückt? Ich denke nicht! Also was soll das?

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#546 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Di 14. Jul 2015, 22:41

Münek hat geschrieben:Nein, es ist exegetisch vollkommen egal, wie ihn seine Jünger verstanden haben.
Wie willst Du wissen, was Jesus gemeint hat, wenn die Jünger die Grundlage dafür sind, was dann in den Schriften steht? - Dann ist doch das Verständnis der Jünger ausschlaggebend - wessen denn sonst?

Die Jünger geben doch IHR Verständnis weiter. - Wenn Du "Gustav" sagst und ich "Gasthof" verstehe, dann wird doch von mir "Gasthof" weitergeben - anders geht's doch gar nicht. - Oder meinst Du, dass die Jünger gesagt haben: "Ich habe zwar Gasthof verstanden, aber ich gebe jetzt Gustav weiter". - Sie KÖNNEN doch gar nicht "Gustav" weitergeben, weil sie es gar nicht merken, falls sie Jesus falsch verstanden haben.

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#547 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Di 14. Jul 2015, 22:58

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:nach Jesu eigener Aussage haben sie es
Du machst immer wieder den selben Fehler (machen übrigens Christen auch oft):

Weil der Schreiber schreibt, die Jünger hätten Jesus verstanden (es gibt übrigens motivisch das Gegenteil mindestens genauso), schließt Du daraus, dass die Jünger Jesus verstanden hätten - das ist ein lupenreiner Zirkelschluss.

Nix lupenreiner Zirkelschluss.

Nicht der Schreiber = Evangelist, sondern Jesus selbst war dieser Meinung, als er seinen Jüngern bestätigte (Mt. 13,14):

"Euch ist es gegeben, dass ihr das Geheimnis des Himmelreichs [Markus und
Lukas: Gottesreichs] verstehet; diesen [dem Volk] aber ist es nicht gegeben.
"

Du wirst diesen Ausspruch natürlich eisegetisch als Erfindung der Evangelisten abtun. ;)

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#548 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Di 14. Jul 2015, 23:03

Münek hat geschrieben:
Die neutestamentliche Forschung (auch die Kirche) geht davon aus, dass sie dies mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch getan haben, dass also die Verkündigungsworte des Täufers und Jesu authentisch sind - und keine Erfindung der Jünger, Urchristen oder Evangelisten. Da die Jünger bei Jesu Predigten immer dabei waren und auch selbst bei ihren Missionsreisen im jüdischen Lande stets dieselbe frohe Botschaft verkündeten, werden sie den recht einfachen "Wortlaut des Evangeliums" gewiss nicht vergessen - und später so weitergegeben haben.

Kurt, extra nochmal für Dich.

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#549 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Di 14. Jul 2015, 23:05

Münek hat geschrieben:
Es ist exegetisch völlig unerheblich, ob die Jünger die Worte ihres Meisters "rezipiert", d.h. geistig (richtig) erfasst und verarbeitet haben oder nicht (nach Jesu eigener Aussage haben sie es, was Du kurioserweise bezweifelst). Für die historische Forschung ist es allein von Bedeutung, dass der Inhalt der Botschaft Jesu, die Worte seiner Predigt korrekt oder weitgehend wortgetreu weitergegeben worden sind:

"Die Zeit ist erfüllt. Tut Buße. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Glaubt dieser Botschaft!"


Die neutestamentliche Forschung geht einvernehmlich davon aus, dass es so ist, dass hier ein "echtes Jesuswort" vorliegt!

Kurt - extra nochmal für Dich.

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#550 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Di 14. Jul 2015, 23:17

Münek hat geschrieben: Die neutestamentliche Forschung geht einvernehmlich davon aus, dass es so ist, dass hier ein "echtes Jesuswort" vorliegt!
Das ist eine methodische Prämisse, sagt aber doch nichts über den Sachverhalt aus.

Davon abgesehen: Natürlich glaube(!!!!) auch ich, dass Jesus halbwegs authentisch überliefert ist. - Aber es gibt eben auch Gründe anzunehmen, dass die Schreiber manchmal ihr eigenes Verständnis dem Verständnis von Jesus vorgezogen haben ("Meine Gedanken sind nicht Eure Gedanken") - sehr menschlich, zumal es ihnen wahrscheinlich gar nicht bewusst war.

Lösen kann man diese Problematik letztenendes nicht - aber es ist textkritisches Muss, dieses Problem überhaupt zu erkennen.

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