Halman hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Zwar lassen sich meiner Meinung nach viele Bibelstellen anders ausdeuten, z.B. in Hinsicht der "Plötzlichkeit" und "Unbestimmtheit"; andere legen eher eine Zeitspanne von längerer Dauer nahe, doch verbleiben dabei immer noch Bibelverse die zumindest scheinbar auf eine Naherwartung hindeuten. Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass eine solche im Ersten Jahrhundert von vielen Urchristen - soweit ich den Schriften zu entnehmen meine - geglaubt wurde.
Bin ich im Irrtum, oder kannst Du dem guten Gewissens (vielleicht auch nur in Teilen) zustimmen?
Ich gehe zwar anders heran an die Sache - lese die Textstellen nicht, wie die meisten hier, naiv, also vorwissenschaftlich, sondern schaue bei Forschern nach, in welchen Zusammenhängen diese Verse geschrieben sein könnten -, aber vom Ergebnis her stimme ich Dir zu.
Dass sich unsere Herangehensweisen voneinander unterscheiden, ist sicher der auch der Verschiedenheit unserer Biographien geschuldet. Um wissenschaftlich an die Bibel heranzugehen, muss man diese Methode erstmal bis zu einem gewissen Grad beherrschen.
Die historisch-kritische Methode ist in allen Geisteswissenschaften eigentlich im Prinzip gleich: in der Literaturwissenschaft, in der bibelhistorischen Wissenschaft, auch in der Geschichtswissenschaft.
Ich kenne sie primär durch die Literaturwissenschaft, habe aber auch theologische Vorlesungen und Proseminare besucht, kannte vor allem sehr viele Theologen bzw. Theologiestudenten.
Bin aber der Meinung, dass man sich das durch Selbststudium aneignen kann. Im Grunde habe ich das meiste auch aus Büchern.
Halman hat geschrieben:Will man die Bibel komplett im Grundtext studieren, müsste man Griechisch und Hebräisch können; um eine historisch-kritische Exegese zu betreiben, muss man erst mal mit der historisch-kritischen Forschung vertraut sein, denn auf die Forschungsergebnisse basiert ja die Exegese (Auslegung) usw.
Griechisch und Hebräisch muss man in der Tat können, wenn man wissen will, was alles an interpretatorischem Spielraum vorhanden ist und was durch den Transport dieser Texte in einen ganz anderen Kulturraum verloren gegangen ist - und hinzugewonnen hat.
Ich kann beide Sprachen nicht.
Allerdings haben wir heute gute Interlinear-Übersetzungen - Wort für Wort unter dem Original steht die, meist englische, Übersetzung, und das weicht mitunter auf ganz verblüffende Weise von unseren normalen Bibelübersetzungen ab.
Und was die historisch-kritische Textanalyse betrifft, die kann man sich wirklich auch selber aneignen.
Halman hat geschrieben:Als Laie, Nicht-Akademiker und Christ muss meine Herangehensweise eine andere sein. Jedes Lebewesen verhält sich gem. seinen Fähigkeiten und so mögen wir uns ergänzen.
Ich bin kein Theologe, und ich bin nur punktuell an der Bibel interessiert. Insofern muss ich nachschlagen, um festzustellen, was man zum Beispiel über einen bestimmten Begriff herausgefunden hat.
Was aber auch hinzukommen sollte - und das könnte der Grund sein, warum wir beide in manchen Dingen übereinstimmen -, ist, dass man an Texte, vor allem an literarische Texte, sehr sensibel herangehen muss. Wenn man Gespür für "Subtext" hat, also für das, was ein Text enthält, ohne dass es ausdrücklich formuliert wird, dann kommt man gar nicht auf die Idee, dass ein solcher Text "eindeutig" ist.
So, wie Du Dich oben ausgedrückt hast, sieht es so aus, als ob Du tastend vorangehst, nie etwas grundsätzlich ausschließt, viele Aspekte siehst und mehrere Verstehensweisen für möglich hältst.
Und
dann kann man miteinander reden.
Die historisch-kritische Methode geht ja ebenfalls tastend heran, sie beruht ja
auch auf der in der Literaturwissenschaft entwickelten Methode für Textverstehen, und dieses Textverstehen setzt Sensibilität des Lesers voraus.
Halman hat geschrieben:Bemerkenswert finde ich, dass wir in diesem einen Punkt vom Ergebnis übereinstimmen, obgleich unsere Methoden so verschieden sind. Spricht dies nicht für die Richtigkeit des Ergebnisses?
Wenn Menschen sich einig sind, dass solche alten und komplizierten Texte ganz notgedrungen eine Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten hervorbringen, dann haben sie sowieso schon mal die gleiche Basis.
Wenn ein Theologe herausfindet, dass ein Text oder ein Begriff - wie "Naherwartung" - aufgrund von sensibler Betrachtungsweise nicht immer das Gleiche bedeutet oder auch das nicht unbedingt bedeutet, was er an der Oberfläche zu sein scheint:
und ein kundiger Laie ebenfalls so herangeht und zu einem ähnlichen Ergebnis kommt, dann können beide sich freuen.
Das heißt aber trotzdem nicht, dass das Ergebnis "stimmt". Denn beide können trotzdem etwas übersehen.
Aber es stimmt schon mal die Herangehensweise. Und wenn beide ergebnisoffen sind, klammern sie sich auch nicht an ein Ergebnis.