Parusieverzögerung

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Halman
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#201 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Di 21. Apr 2015, 23:14

Münek hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Diese Aussage stand im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu. Darüber sind sich alle Theologen einig.
Nicht alle. ;)

Naja, vielleicht einer.

Aber selbst Dein Lieblings-Theologe Klaus Berger zieht Jesu Zentralbotschaft des "nahen Gottesreiches"
meines Wissens nicht in Zweifel. Oder?
Ganz ehrlich, ich habe in Teilen Schwiergikeiten der pastoral-theologischen Argumenation Bergers zu folgen (vielleicht, weil sie so "katholisch" ist, aber sicher auch, weil Berger ein sehr gelehrter, älterer Herr ist, der - ähnlich wie Paulus - nicht immer leicht zu verstehen ist). Bezüglich der Prophetie (und die Parusie Christie wurde ja prophezeit) vertritt Berger ein ekstatisches Zeitverständnis. Dies verstehe ich so, dass die Bibelschreiber auf die Wahrheit der jesuaischen und göttlichen Prophetie so sehr vertrauten, dass das darin Verheißende für sie im Glauben schon Wirklichkeit war, obgleich sie der Erfüllung harrten.

Um mehr über Bergers Sicht bezüglich Deiner Frage in Erfahrung zu bringen, habe ich diese Rezension (6seitiges PDF-Dokument) von Susanne Luther rausgesucht. Auf Seite (letzter Abs.) steht:
Das Verhältnis von Kirche und Reich Gottes ließe sich daher beschreiben als: „Kirche ist das Reich Gottes im Stadium der Sammlung“ (197), d.h. als Anbruch der neuen Schöpfung in der Welt. Vom diesem „Kirchenverständnis Jesu“ ausgehend werden Verbindungslinien zu den Wundern gezogen: Der Verfasser plädiert dafür, dass „[j]edes Wunder [...] die jetzt sichtbare Spitze der neuen Schöpfung, schon hier, inmitten der schwachen und vergänglichen Welt“ ist (198). Wunder seien somit als Einblicke in die heile, neue Schöpfung des Eschaton zu betrachten, die in der Welt noch nicht vollkommen sein kann, die sich aber im Kontext der Kirche ansatzweise zeige.
Wenn ich mich nich täusche, folgt Berger in Graden der augustinischen Theologie, gem. der sich das Reich Gottes in der katholischen Kirche verwirklich, wenn auch bei Berger stark relativiert. Berger sieht das Reich Gottes im Himmel und durch die jesuanischen Wunder Präsent, aber in der vergänglichen Welt noch nicht entfaltet. Die Wunder kündigen das vollkommene Eschaton an, welches noch kommen wird. Ich wüsste zu gern, was Berger darunter konkret versteht.
Allerdings bin ich nicht sicher, dass ich Berger richtig verstanden habe. Falls ich ihn missverstehe, zeige mit bitte meinen Irrtum auf.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Savonlinna
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#202 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Savonlinna » Di 21. Apr 2015, 23:37

Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Könnte es sein, dass Du diesen Beitrag völlig in die falsche Kehle gekriegt hast und da ein Thema herausliest, das weder ich noch der Artikelschreiber thematisiert haben?
Dies scheint nur so. Der "Ostergraben" hängt mit der Thematik über die Parusie und dem "historischen Jesus" zusammen.
Okay. Dann verstehst Du das so, und es war kein Versehen.
Für mich sind da aber keine Zusammenhänge.

Halman hat geschrieben:und ich denke, dass es dem Artikelschreiber auch bewusst ist.
Dafür sehe ich bislang keinen Hinweis.
Der Artikelschreiber heißt Ulrich Mell, ist Prof an der Uni Hohenheim.
Wenn ich das richtig verstanden habe, unterstellst Du ihm - unterschwellig - Befangenheit und sprichst ihm die Wissenschaftlichkeit ab, weil er seinen persönlichen Glauben mit der Wissenschaft vermenge oder die Wissenschaft untergrabe.

Ich werde das überprüfen, soweit mir das im Internet möglich ist.


Halman hat geschrieben: Und dies hängt damit zusammen, dass die Jünger gem. der liberalen - und historisch-kritischen Exegese nach Ostern die jesuanische Botschaft neu interpretierten.
Hier musst Du nun aber wirklich etwas falsch verstanden haben, denn die historisch-kritische Exegese ist keine Interpretationssicht - vom Resultat her -, sondern ist eine Methode. Wenn Du eine Methode mit einer "liberalen Exegese" in einen Topf wirfst, dann komme ich da nicht mehr mit und kann nichts dazu sagen.


Halman hat geschrieben: Theißens "historischer Jesus" ist vorösterlich, ein Rabbi, ein Prediger und ein Reformer - aber nicht Sohn Gottes.
Moment. Mir geht es hier nicht darum, was verschiedene Theologen "glauben"; auf so einen Disput lasse ich mich nicht ein, weil es mich nicht interessiert.
Mich interessiert, welche Möglichkeiten der Text zulässt.


Halman hat geschrieben:Ist der Rezipient ein Naturalist oder gar ein Vertreter des Szientismus, so wird er Hume zustimmen.
Gläubige Menschen sind allerdings bereit, über das rational und empirisch Greifbare hinauszugehen und ziehen in Betracht, dass es "jenseits aller bedingt-bedingten Kräfte" (Barth) noch mehr gibt. Mit dieser Prämisse fällt das Vorurteil, dass Wunder prinzipiell unmöglich sind.
Aber das hat doch alles nichts mit dem Thema zu tun.
Auf Karl Barths Position zu der Parusie übrigens bin ich zufällig gestern bei meinen Recherchen gestoßen. Das scheint mir eine Glaubensposition zu sein, und eine hochinteressante.
Ich wollte ihn erst zitieren, habe es dann aber gelassen, weil ich ungern aus einem Buch zitiere, das ich nicht gänzlich kenne.
Seine Position ist aber eben erst möglich, weil die Christengemeinde sich ein Bild von Christus gemacht hat.
Die Behauptung, dass Jesus sich selber genau so gesehen hat, wie die Christengemeinde ihn gesehen hat, ist für mich nur textanalytisch zu klären.

Ich bin da ergebnisoffen. Ich finde beide Möglichkeiten spannend.
Mir ging es hier erst mal nur darum, zu klären, dass die Worte Jesu aus der Feder der Evangelisten stammen.


Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Dein Thema ist das konkrete Ostern offenbar, aber davon spricht der Artikel gar nicht. Er hat als Überschrift "Parusie".
Dies hängt allerdings unmittelbar mit Ostern zusammen.
Wir bewegen und hier auf hypothetisch-theoretischem "Boden" und stützen uns keineswegs auf empirische Erkenntnis.
Habe ich denn das Gegenteil gesagt? Sagt der Artikelschreiber das Gegenteil?
Aber "hypothetisch-theoretisch" kann man die Ergebnisse von texthistorischer Forschung nun auch nicht nennen. Das ist eine Abwertung, deren Berechtigung man eigentlich nachweisen müsste. Aber mir ist klar, dass das hier im Forum nicht geht.


Halman hat geschrieben:Der "historische Jesus" ist eine theoretische Kontruktion, welche sich der Wahrheit annähern mag, oder auch nicht. Hierüber kann man geteilter Meinung sein und dies hängt unmittelbar mit dem Zusammen, was man für möglich hält.
Letzteres hängt, wie ich schon sagte, nicht mit der Textanalyse zusammen. Denn:
Ich kann sehr wohl die Christus-Gestalt - also die Erhöhung - als Urbild für einen utopischen Menschen, also tatsächlich, bildlich gesehen, für einen "Sohn", oder eine "Tochter" Gottes nehmen; ich kann es sogar für möglich halten, dass so eine Realisierung tatsächlich schon mal auf Erden anwesend war. Warum auch nicht? Keine Forschung kann so etwas widerlegen.
DENNOCH kann Jesus selber sich nicht so gesehen haben. Das hängt doch einfach nicht miteinander zusammen.

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#203 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Di 21. Apr 2015, 23:48

Münek hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Weil im "Hier und Jetzt" die Botschaft an die "Kinder Israels" verkündet wurde. JETZT war die Gelegenheit das Wort des Messias zu vernehmen und umzukehren. Daher ging ja Johannes der Täufer Jesus voraus. Es war die Zeit Jesu Wirkens, denen die Evangelisten so viel Aufmerksamkeit schenkten. Dies war ihnen wichtig und daher hob Markus es hervor.

Mein lieber Halman,

was Du schreibst, klingt sehr "pastoral"... ;)
Gut. :D

Münek hat geschrieben:Dass die "Zeit erfüllt IST und das Reich Gottes NAHE IST", also das Zentrum der Botschaft Jesu (Evan-
gelium = frohe Botschaft), das klammerst Du bei Deinen Überlegungen aus - verständlich, weil sich Jesus geirrt hat....
Dies hängt davon ab, was man unter dem Reich Gottes versteht. Vielleicht sollten wir dies mal in einem anderem Thread diskutieren. Da es ja ein Kernthema ist, zu dem es sicher viele Ansichten gibt, würde es sich mMn gut für einen Thread eignen. Mal sehen ... heute bin ich zu :yawn: dazu.

Münek hat geschrieben:Jesus sagte nicht: "Ich, der Messias, bin da, sondern das Reich Gottes steht vor der Tür." Mit dieser Botschaft folgte
er der Sekte der "Essener" (mach Dich diesbezüglich mal schlau! ;) ) und "Johannes, dem Täufer" - und Jesus stellte
auch seine Person - nach den Synoptikern - nicht in den Mittelpunkt "heilsgeschichtlichen Geschehens".
Was, ist denn Jesus etwa nicht der Menschensohn? Zumal Markus bereits in seiner Einleitung klar stellt, über wenn er hier berichtet.

Und schlau gemacht hatte ich mich schon vor einiger Zeit. Da hatte Jesus vermutlich mehr theologische Übereinstimmungen mit den Pharisäern als mit den Essern. Er verkehrte mit Menschen mit Behinderungen, die für die Essener unrein waren. Auch teilte er nicht ihre rigorose Sabbatheiligung, noch ihren Feindeshass (gegen den er sich in seiner Bergpredigt sogar aussprach).

Münek hat geschrieben:Das Gottesreich ja, aber nicht sich selbst. Die "Vergottung" seiner Person setzte erst nach seinem Tode ein (siehe Pau-
lus, siehe das Johannesevangelium)...
Nun, da verstehe ich Paulus und das JohEv aber gänzlich anders. - Dies scheint mir eine komplexe Thematik zu sein, über die wir reden können, idealerweise in einem neuen Thread. (Natürlich darfs Du es auch hier ansprechen, aber im Detail darauf einzugehen, würde hier wohl den Rahmen sprengen).
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#204 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Mi 22. Apr 2015, 00:05

Münek hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:@ Mein lieber Halman,

ich stimme Dir grundsätzlich zu. :)

Mit einer Einschränkung: Die "Zeit war nicht insofern erfüllt", dass der Messias auftrat, sondern die
Zeit war erfüllt, weil der Anbruch der Gottesherrschaft auf Erden nahe war.
Hmm, ich sehe hier eine andere Bedeutung: Ging es nicht um Jesu Tätigkeit als "Wanderprediger"? Davon berichten doch die Evangelisten so ausführlich. Der Zeit des Wirkens Jesu wird im NT doch höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Zu Beginn des MkEv trat Jesus seinen Dienst an.


Also das habe ich jetzt nicht verstanden. Was wolltest Du zum Ausdruck bringen?
Dass die "Nähe des [König]Reiches" durch die Präsens Jesu als "Prophet" verwirklich war. Ob er nun ein davidsches Königreich im Sinn hatte, oder ein himmlisches Königreich - er war der künftige König des verkündeten Reiches.

Aus christologischer Sicht setzte er sich unmittelbar nach seiner Himmelfahrt zur rechten Gottes und berief die Urchriten in das Reich des Sohnes seiner Liebe.

Damit ist natürlich nicht die Parusie Christie erfüllt, doch Im Himmel ist das Reich Gottes schon in Kraft. ...
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Zeus
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#205 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Zeus » Mi 22. Apr 2015, 00:13

Halman hat geschrieben:
Zeus hat geschrieben:Es könnte auch sein, dass der gute Münek aus philanthropischen, humanitären Gründen hier in diesem Forum ist, um Mitmenschen von ihrem religiösen Wahn zu befreien. :P
Indem Fall wäre es reine Zeitverschwendung. Menschen, die am religiösen Wahn leiden, können durch Sachargumente eines Users nicht geheilt werden, sie brauchen professionelle Hilfe. Auf die große Mehrheit der religiösen Menschen, die Du hoffentlich nicht als Wahnsinnig einstufst, trifft die von Dir vermutete Motivation nicht zu.
Dies hält weder Münek noch Dich davon ab, sich mit Usern zu unterhalten, die keinesfalls am religiösen Wahn leiden. Die Motivation kann somit nicht die Heilung von religösen Wahn sein, es sei denn, man würde - rein hypthetisch - normale Religiösität mit religiösem Wahn verwechseln. Somit ist Deine "Theorie", unter der Prämisse, dass Unterscheidungsvermögen angewandt wird, durch die Beobachtung falsifiziert.
Duden: Wahn
(gehoben) Einbildung, irrige Annahme; falsche Vorstellung, die sich bei jemandem festgesetzt hat
Synonyme:
Einbildung, Fantasie[bild], Fantasievorstellung, Illusion, irrige Annahme, Luftschloss, Phantom, Realitätsverlust, Täuschung, Trugbild, Utopie, Vision; (gehoben) Gaukelbild; (bildungssprachlich) Fiktion, Imagination, Phantasmagorie, Schimäre; (abwertend) Hirngespinst; (Psychologie) Phantasma.
Ich sehe da kaum einen Unterschied zwischen normaler Religiösität und religiösem Wahn. :D
e^(i*Pi) + 1 = 0
Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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#206 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Mi 22. Apr 2015, 00:23

Münek hat geschrieben: Lieber Halman,

Dein Lieblingstheologe in allen Ehren - aber Du merkst ja wahrscheinlich selbst, wie stark Klaus Berger in seinen
gläubigen Wunschvorstellungen ge- und befangen ist. Der Mann ist (war) Wissenschaftler - und dann schreibt er so...

Aus seiner Glaubensposition heraus die Auffassungen seiner "Theologen-Kollegen" als "grotesk" zu bezeichnen, finde
ich wiederum "grotesk".
In diesem Fall stimme ich ihm allerdings zu. Auch der jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide und der (Alt-)Historiker Dr. Jürgen Spieß halten die Auferstehung für plausibler als eine kollektive "Autosuggestion" der Jüngerschar. Damit steht und fällt natürlich die Bedeutung von Ostern.

Bild
Ein Zitat aus der Bildquelle:
In Bergers Wohnung in der Heidelberger Weststadt wimmelt es von Schätzen aus der Vergangenheit. Er liebt seine Bücher, die in mehreren Räumen eine umfangreiche Bibliothek ergeben. An seinem hölzernen Stehpult aus dem 18. Jahrhundert liest er sie am liebsten.
Klaus Berger ist ein Insider, der die Theologie seit Jahrzehnten kennt und offenkundig sehr bewandert in alter, religiöser Literatur ist. Er dürfte über tiefe und fundierte Kenntnisse verfügen. (Dies gilt sicher auch für seine "Gegner", wie Gerd Theißen und Rudolf Bultmann.)
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#207 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Mi 22. Apr 2015, 01:38

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Könnte es sein, dass Du diesen Beitrag völlig in die falsche Kehle gekriegt hast und da ein Thema herausliest, das weder ich noch der Artikelschreiber thematisiert haben?
Dies scheint nur so. Der "Ostergraben" hängt mit der Thematik über die Parusie und dem "historischen Jesus" zusammen.
Okay. Dann verstehst Du das so, und es war kein Versehen.
Für mich sind da aber keine Zusammenhänge.
Okay, dann lass uns Deine textkritische Methode nehmen.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:und ich denke, dass es dem Artikelschreiber auch bewusst ist.
Dafür sehe ich bislang keinen Hinweis.
Der Artikelschreiber heißt Ulrich Mell, ist Prof an der Uni Hohenheim.
Wenn ich das richtig verstanden habe, unterstellst Du ihm - unterschwellig - Befangenheit und sprichst ihm die Wissenschaftlichkeit ab, weil er seinen persönlichen Glauben mit der Wissenschaft vermenge oder die Wissenschaft untergrabe.

Ich werde das überprüfen, soweit mir das im Internet möglich ist.
Nicht nötig, da ich Prof. Ulrich Mell keineswegs die Wissenschaftlichkeit absprach. Ich denke lediglich, dass ihm der Zusammenhang zwischen dem, was Berger als Ostergraben bezeichnet und dem historischen Jesus bewusst ist. Um es kurz zu machen: Die allgemeine Lehrmeinung der Exegeten ist, dass die christologische Deutung von Jesus nachösterlich ist und Jesus selbst vor Ostern dergleichen nicht verkündet haben kann. Dies führt zur möglicherweise sinnfreien Debatte über "echte" Jesusworte, denn nach welchen Kritierien will man diese Herausfiltern?

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Und dies hängt damit zusammen, dass die Jünger gem. der liberalen - und historisch-kritischen Exegese nach Ostern die jesuanische Botschaft neu interpretierten.
Hier musst Du nun aber wirklich etwas falsch verstanden haben, denn die historisch-kritische Exegese ist keine Interpretationssicht - vom Resultat her -, sondern ist eine Methode. Wenn Du eine Methode mit einer "liberalen Exegese" in einen Topf wirfst, dann komme ich da nicht mehr mit und kann nichts dazu sagen.
Hier gebrauchte ich einfach nur eine unglückliche Forumlierung. Natürlich wandten Jesu Jünger keine historisch-kritische Exegese an. Die modernen Exegeten kamen Überwiegend zu dem Schluss, dass die Jünger Jesu Botschaft nach Ostern uminterpretierten.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Theißens "historischer Jesus" ist vorösterlich, ein Rabbi, ein Prediger und ein Reformer - aber nicht Sohn Gottes.
Moment. Mir geht es hier nicht darum, was verschiedene Theologen "glauben"; auf so einen Disput lasse ich mich nicht ein, weil es mich nicht interessiert.
Mich interessiert, welche Möglichkeiten der Text zulässt.
Darüber können wir reden. Die historisch-kritische Exegese geht aber über Textinterpretation hinaus, da sie die historische Dimension einbezieht, was sicher auch ihre größte Leistung ist.
Nach der analytischen Philosophie von Hume sind Wunder unmöglich und daher nicht historisch. Wer diese naturalstische "Brille" trägt, muss Wunder für Erfindungen halten. Die Exegese führt m. E. zur Entmythologisierung und Anthropologisierung der Bibel, womit sie "entkernt" wird. Was bleibt dann noch vom Text übrig, wenn die Auferstehung als Bewusstseinsphänomen interpretiert wird? Ich lese da etwas anderes.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Ist der Rezipient ein Naturalist oder gar ein Vertreter des Szientismus, so wird er Hume zustimmen.
Gläubige Menschen sind allerdings bereit, über das rational und empirisch Greifbare hinauszugehen und ziehen in Betracht, dass es "jenseits aller bedingt-bedingten Kräfte" (Barth) noch mehr gibt. Mit dieser Prämisse fällt das Vorurteil, dass Wunder prinzipiell unmöglich sind.
Aber das hat doch alles nichts mit dem Thema zu tun.
Auf Karl Barths Position zu der Parusie übrigens bin ich zufällig gestern bei meinen Recherchen gestoßen. Das scheint mir eine Glaubensposition zu sein, und eine hochinteressante.
Ich wollte ihn erst zitieren, habe es dann aber gelassen, weil ich ungern aus einem Buch zitiere, das ich nicht gänzlich kenne.
Seine Position ist aber eben erst möglich, weil die Christengemeinde sich ein Bild von Christus gemacht hat.
Die Behauptung, dass Jesus sich selber genau so gesehen hat, wie die Christengemeinde ihn gesehen hat, ist für mich nur textanalytisch zu klären.
Okay. dann lass es uns so angehen. :)

Savonlinna hat geschrieben:Ich bin da ergebnisoffen. Ich finde beide Möglichkeiten spannend.
Mir ging es hier erst mal nur darum, zu klären, dass die Worte Jesu aus der Feder der Evangelisten stammen.
Wie soll Textanalyse Licht auf diese Frage werfen? So könnte man z.B. Fragen: Wurde die Bergpredigt so von Jesus gehalten, oder ist sie eine Erfindung des Evangelisten? Ist sie jesuanisch oder matthäisch? Ich denke, sie ist gewissermaßen beides. Jedenfalls komme ich bei einem Vergleich mit der lukaischen Feldrede zu diesem Schluss.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Dein Thema ist das konkrete Ostern offenbar, aber davon spricht der Artikel gar nicht. Er hat als Überschrift "Parusie".
Dies hängt allerdings unmittelbar mit Ostern zusammen.
Wir bewegen und hier auf hypothetisch-theoretischem "Boden" und stützen uns keineswegs auf empirische Erkenntnis.
Habe ich denn das Gegenteil gesagt? Sagt der Artikelschreiber das Gegenteil?
Nun, dann sollte es erlaubt sein, die theoretischen Folgerungen in Frage zu stellen.

Savonlinna hat geschrieben:Aber "hypothetisch-theoretisch" kann man die Ergebnisse von texthistorischer Forschung nun auch nicht nennen. Das ist eine Abwertung, deren Berechtigung man eigentlich nachweisen müsste. Aber mir ist klar, dass das hier im Forum nicht geht.
Ja, dies würde hier wohl den Rahmen sprengen. Vielleicht zur meiner Verteidigung nur so viel: Bezüglich der Pentateuchforschung spricht der Exeget Prof. E. Zenger von einem unüberschaubaren "Spektrum der Hypothesenbildung". Gut, sie ist auch laut Zenger das "schwierigste und kontroverseste Feld der Exegese", dies ist sicher nicht analog zu den Evangelien. Aber ich denke, dass es auch da Thesen, Annahmen und verschiedene Theorien gibt.
Vor einiger Zeit las ich mal eine theologische Abhandlung zu 1Kor 11. Darin heißt es z.B.:
W. O. Walker Jr. 1983, 101-112 vertritt die These, ...
Wenn in Examen-Arbeiten von Zenger von Hyperthesenbildung und in theologischen Arbeiten von Thesen die Rede ist und ich mich ferner auf den Theologen und Neutestamentler Klaus Berger stütze, erlaube ich mir auch, von einem hypothetisch-theoretischem "Boden" zu sprechen.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Der "historische Jesus" ist eine theoretische Kontruktion, welche sich der Wahrheit annähern mag, oder auch nicht. Hierüber kann man geteilter Meinung sein und dies hängt unmittelbar mit dem Zusammen, was man für möglich hält.
Letzteres hängt, wie ich schon sagte, nicht mit der Textanalyse zusammen. Denn:
Ich kann sehr wohl die Christus-Gestalt - also die Erhöhung - als Urbild für einen utopischen Menschen, also tatsächlich, bildlich gesehen, für einen "Sohn", oder eine "Tochter" Gottes nehmen; ich kann es sogar für möglich halten, dass so eine Realisierung tatsächlich schon mal auf Erden anwesend war. Warum auch nicht? Keine Forschung kann so etwas widerlegen.
DENNOCH kann Jesus selber sich nicht so gesehen haben. Das hängt doch einfach nicht miteinander zusammen.
Warum nicht? Das verstehe ich nicht. (Vielleicht liegt es an der Urzeit. :yawn: )
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#208 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Savonlinna » Mi 22. Apr 2015, 09:27

Halman hat geschrieben: Um es kurz zu machen: Die allgemeine Lehrmeinung der Exegeten ist
Nicht böse sein, aber eine Diskussion dieser Art ist nichts für mich.
Über eine "allgemeine Lehrmeinung" bilde ich mir lieber selber ein Bild, wenn es mich interessiert.
Da Du das hier nicht belegen kannst, ist das kein Fundament, auf dem ich diskutieren kann.
Es ist ohnehin kein Argument, wenn man Mainstreammeinungen ins Feld führt.

Halman hat geschrieben:Dies führt zur möglicherweise sinnfreien Debatte über "echte" Jesusworte, denn nach welchen Kritierien will man diese Herausfiltern?
Wenn Du diese Kriterien nicht kennst, dann ist für mich darüber auch kein Reden. Denn eine Unkenntnis über eine Methode erfordert für mich, dass man sich diese Kenntnisse erwirbt.
Sie nicht kennen und darum für sinnfrei halten - das ist für mich nichts.
Falls man die Kriterien kennt, aber für Betrug hält, dann müsste das begründet werden.

Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Und dies hängt damit zusammen, dass die Jünger gem. der liberalen - und historisch-kritischen Exegese nach Ostern die jesuanische Botschaft neu interpretierten.
Hier musst Du nun aber wirklich etwas falsch verstanden haben, denn die historisch-kritische Exegese ist keine Interpretationssicht - vom Resultat her -, sondern ist eine Methode. Wenn Du eine Methode mit einer "liberalen Exegese" in einen Topf wirfst, dann komme ich da nicht mehr mit und kann nichts dazu sagen.
Hier gebrauchte ich einfach nur eine unglückliche Forumlierung. Natürlich wandten Jesu Jünger keine historisch-kritische Exegese an.
So was Komisches würde ich auch nicht behaupten. ;)
Ich hatte Deine Formulierung schon verstanden: gemäß der heutigen liberalen etc. Exegese würde die und die Interpretation gängig sein.
Aber das eben hast Du in meinen Augen falsch verstanden. Eine Methode erzwingt nicht dies oder jenes Ergebnis. Du verwechselst Methode mit Weltanschauung. 'Eine Methode erhebt auch keinen Absolutheitsanspruch.

Halman hat geschrieben: Die modernen Exegeten kamen Überwiegend zu dem Schluss, dass die Jünger Jesu Botschaft nach Ostern uminterpretierten.
Ja, aber das war ja nun nicht mein Thema, und das ist nicht das Thema des Artikels.
Der Artikel thematisiert nicht die Auffassung der Jünger, sondern die des Urchristentums.
Und da wird gezeigt - und das hatte 2Lena bereits angeschnitten -, dass das Urchristentum sich in einer anderen Zeit vorfand und von dieser mitgeprägt war:

Ulrich Mell hat geschrieben:finden sich jedoch Begriff wie Vorstellung [von Parousie] im röm.-hell. Kulturkreis (s.u. 3.1), ist die Forschung überwiegend der Meinung, dass das Urchristentum den Begriff seiner Umwelt entnommen und für seine Erwartung aktiviert hat. hier noch einmal der LInk: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex ... 2bec5d6df/

Halman hat geschrieben:Die historisch-kritische Exegese geht aber über Textinterpretation hinaus, da sie die historische Dimension einbezieht, was sicher auch ihre größte Leistung ist.
Es gibt keine "historisch-kritische Exegese", sondern nur eine historisch-kritische Methode oder historisch-kritische Forschung.
Die Ergebnisse der historisch-kritischen Untersuchung werden dann in der Textinterpretation angewandt, aber als Modell - das aus den Ergebnissen heraus nachvollziehbar sein muss.
Das kann man in dem Artikel sehr schön sehen. Die Untersuchung, wie "Parousie" zu Zeiten des Urchristentums benutzt wird, führt zu der Wahrscheinlichkeit, dass das Urchristentum selber diesen Begriff auch so verstanden hat.

Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich bin da ergebnisoffen. Ich finde beide Möglichkeiten spannend.
Mir ging es hier erst mal nur darum, zu klären, dass die Worte Jesu aus der Feder der Evangelisten stammen.
Wie soll Textanalyse Licht auf diese Frage werfen?
Du verstehst möglicherweise unter "Textanalyse" eine werkimmanente Deutung?
Die Textanalyse im Rahmen der historisch-kritischen Methode untersucht die historische Herkunft der dort benutzen Begrifflichkeiten und Mentalitäten.

Halman hat geschrieben:Nun, dann sollte es erlaubt sein, die theoretischen Folgerungen in Frage zu stellen.
Man kann alles und jedes in Frage stellen. Nur muss das Substanz haben. Aber aus Unkenntnis heraus ist ein In-Frage-Stellen für mich ohne Substanz. Ich kann dazu nichts sagen.

Was Du vielleicht auch außer Acht lässt, ist, dass grundsätzlich vierzig oder fünfzig Jahre nach einem Ereignis dieses Ereignis seinen eigenen Verlauf genommen hat. Das merke ja sogar ich schon in meinem eigenen Leben. Ist der eigene Vater gestorben, bekommt man von diesem Vater nach seinem Tod ein anderes Bild. Oder ist ein Politiker gestorben, wird er schon kurz nach seinem Tod in irgendeiner Weise verklärt.
Der Tod erschüttert immer, und er produziert im Menschen neue Deutungsformen.

Halman hat geschrieben:Vielleicht zur meiner Verteidigung nur so viel: Bezüglich der Pentateuchforschung spricht der Exeget Prof. E. Zenger von einem unüberschaubaren "Spektrum der Hypothesenbildung". Gut, sie ist auch laut Zenger das "schwierigste und kontroverseste Feld der Exegese", dies ist sicher nicht analog zu den Evangelien. Aber ich denke, dass es auch da Thesen, Annahmen und verschiedene Theorien gibt.
Selbstverständlich. Oben aber hast Du noch geschrieben, dass sie alle gleich denken.
Ich habe diesen Artikel überhaupt nur gebracht, um aufzuzeigen, dass es keine einhellige Meinung gibt und diese Dinge kontrovers diskutiert werden.
Es war hier ja andauernd von "Fakten" die Rede, die bewiesen seien und eine gegenteilige Meinung nicht mehr zuließen.

Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Der "historische Jesus" ist eine theoretische Kontruktion, welche sich der Wahrheit annähern mag, oder auch nicht. Hierüber kann man geteilter Meinung sein und dies hängt unmittelbar mit dem Zusammen, was man für möglich hält.
Letzteres hängt, wie ich schon sagte, nicht mit der Textanalyse zusammen. Denn:
Ich kann sehr wohl die Christus-Gestalt - also die Erhöhung - als Urbild für einen utopischen Menschen, also tatsächlich, bildlich gesehen, für einen "Sohn", oder eine "Tochter" Gottes nehmen; ich kann es sogar für möglich halten, dass so eine Realisierung tatsächlich schon mal auf Erden anwesend war. Warum auch nicht? Keine Forschung kann so etwas widerlegen.
DENNOCH kann Jesus selber sich nicht so gesehen haben. Das hängt doch einfach nicht miteinander zusammen.
Warum nicht? Das verstehe ich nicht. (Vielleicht liegt es an der Urzeit. :yawn: )
Vielleicht liegt es an der Uhrzeit, ja. Dann könnte helfen, das noch mal zu einer anderen Uhrzeit zu lesen. :)

Aber ich versuche es noch einmal in einfacherer Satzstruktur:
Wenn ich mir ein Bild von dirr mache, heißt das nicht, dass Du Dich selber so siehst wie ich.

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#209 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Mi 22. Apr 2015, 18:12

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Um es kurz zu machen: Die allgemeine Lehrmeinung der Exegeten ist
Nicht böse sein, aber eine Diskussion dieser Art ist nichts für mich.
Über eine "allgemeine Lehrmeinung" bilde ich mir lieber selber ein Bild, wenn es mich interessiert.
Da Du das hier nicht belegen kannst, ist das kein Fundament, auf dem ich diskutieren kann.
Woher willst Du wissen, dass ich das nicht belegen kann?

Savonlinna hat geschrieben:Es ist ohnehin kein Argument, wenn man Mainstreammeinungen ins Feld führt.
Nun, ich hatte angenommen, dass Du dich auf diese Mainstreammeinung der Exegeten stützt. Lass uns diesen Punkt doch einfach überspringen.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Dies führt zur möglicherweise sinnfreien Debatte über "echte" Jesusworte, denn nach welchen Kritierien will man diese Herausfiltern?
Wenn Du diese Kriterien nicht kennst, dann ist für mich darüber auch kein Reden. Denn eine Unkenntnis über eine Methode erfordert für mich, dass man sich diese Kenntnisse erwirbt.
Mit meiner Frage wollte ich zum Nachdenken anregen und dazu appellieren, Kritierien zu benennen.

Eine Möglichkeit wäre, die Synoptiker miteinander zu vergleichen - insbesondere die Jesusworte in Parallelstellen. Wie weit stimmen sie überein, wo liegen die Unterschiede?

In einem anderem Forum vertrat ein User (vertreter der historisch-kritischen Methode) die Auffassung, dass lediglich folgender Auspruch mit Sicherheit authentisch ist: Eloí, Eloí, lemá sabachtháni?. Doch dabei handelt es sich um ein Zitat aus einem davidischen Psalm, in dem zumindest sabachtháni eine gräzisierte Form des aramäischen schwaqtani ist.

Falls Dich dieses Zitat mehr interessiert, kannst Du in meinen Beitrag reinschauen. Besonders informativ ist die Antwort von Rembremerding im direkt darauf folgenden Beitrag.

Ich selbst tendiere dazu, die matthäisch Wiedergabe für authentischer zu halten (bin mir aber nicht sicher), weil diese die Besonderheit aufweist, Hebräisch und Aramäisch zu kombinieren - vielleicht ein galiläisch-hebräischer Dialekt.
Doch selbst wenn dies tatsächlich authentisch ist, so können wir nur rekonstruieren, dass Jesus Psalm 22 betete. Interessanter wäre ein frei formuliertes Jesuswort. Allerdings liegen uns lediglich die synoptischen und johanneischen "Jesusworte" in Koine (altgriechische Gemeinsprache der Spätantike) vor, die wir wiederum in deutschen Übersetzungen lesen. Dies sind streng genommen nur Annäherungen an die jesuanischen Worte, welche sicherlich (vielleicht bis auf wenige Ausnahmen, er sprach ja auch einmal mit einem Römer) in Hebräisch und Aramäisch gesprochen wurden.

Sehr sicher bin ich mir, dass Jesus die Anrede Abba für Gott verwandte und ihn somit persönlich als "Vater" ansprach.
Eben habe ich diese Übersicht über Aramäische Ausdrücke im NT gefunden und ich hoffe, dass wir fortan etwas entspannter miteinander reden können. ;)

Savonlinna hat geschrieben:[Sie nicht kennen und darum für sinnfrei halten - das ist für mich nichts.
Falls man die Kriterien kennt, aber für Betrug hält, dann müsste das begründet werden.
Darum hatte ich ja die Ausführungen des Theologen Klaus Berger verlinkt, auf den ich mich insbesondere bei meiner Kritik an der Exegese stütze.

Um Missverständnissen vorzubeugen, ich stimme Berger zu "gefühlen 60%" (plus-minus 10%) zu. Allerdings ist die Auswahl an qualifizierten Kritikern unter den Theologen nicht sehr groß; jedenfalls ist Berger der einzige mir bekannte deutschsprachige Theologe, welcher den Mut aufbringt, die Exegese öffentlich zu kritisieren.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Hier musst Du nun aber wirklich etwas falsch verstanden haben, denn die historisch-kritische Exegese ist keine Interpretationssicht - vom Resultat her -, sondern ist eine Methode. Wenn Du eine Methode mit einer "liberalen Exegese" in einen Topf wirfst, dann komme ich da nicht mehr mit und kann nichts dazu sagen.
Hier gebrauchte ich einfach nur eine unglückliche Forumlierung. Natürlich wandten Jesu Jünger keine historisch-kritische Exegese an.
So was Komisches würde ich auch nicht behaupten. ;)
Ich hatte Deine Formulierung schon verstanden: gemäß der heutigen liberalen etc. Exegese würde die und die Interpretation gängig sein.
Aber das eben hast Du in meinen Augen falsch verstanden. Eine Methode erzwingt nicht dies oder jenes Ergebnis. Du verwechselst Methode mit Weltanschauung. 'Eine Methode erhebt auch keinen Absolutheitsanspruch.
Das ist eine sehr komplexe Thematik, die wir bei Interresse im Thread über die Neuzeitliche Exegese der Bibel weiter diskutieren können.
Wenn Du möchtest, kannst Du Berger im Gespräch sehen und hören.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Die modernen Exegeten kamen Überwiegend zu dem Schluss, dass die Jünger Jesu Botschaft nach Ostern uminterpretierten.
Ja, aber das war ja nun nicht mein Thema, und das ist nicht das Thema des Artikels.
Der Artikel thematisiert nicht die Auffassung der Jünger, sondern die des Urchristentums.
Und da wird gezeigt - und das hatte 2Lena bereits angeschnitten -, dass das Urchristentum sich in einer anderen Zeit vorfand und von dieser mitgeprägt war:

Ulrich Mell hat geschrieben:finden sich jedoch Begriff wie Vorstellung [von Parousie] im röm.-hell. Kulturkreis (s.u. 3.1), ist die Forschung überwiegend der Meinung, dass das Urchristentum den Begriff seiner Umwelt entnommen und für seine Erwartung aktiviert hat. hier noch einmal der LInk: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex ... 2bec5d6df/
Danke für den Link. Im Abschnitt Zur Entstehung der Sprache von einer Parusie Christi im Urchristentum steht:
Da das Anliegen des 'Historischen Jesus' die personale Vermittlung der gegenwärtig ankommenden Gottesherrschaft für → Israel war (vgl. Lk 11,20; 17,20f), deren geschichtlich wirkmächtiger Anfang (vgl. Mk 4,31.32a) sich trotz seines Todes in Vollendung durchsetzen wird (vgl. Mk 14,25), dürfte ihm die postmortale eschatologische Parusie-Hoffnung seiner Person (vgl. die Parusie des Menschensohn-Christus Mt 24,3ff) fremd gewesen sein.

Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass von der Ankunft Christi erst in der nachösterlichen → Gemeinde gesprochen wurde, die ihre Hoffnung im Kontext einer röm.-hell. Umwelt artikulierte.
Farbliche Hevorhebung von mir.

Hier stützt sich Prof. Dr. Ulrich Mell auf G. Theißens "historischen Jesus", auf den ich schon kritisch bezug nahm. Ferner wird von der nachösterlichen Gemeinde gesprochen. Dies würde bedeuten, dass die jesuanischen Worte über die parousías in Matthäus 24:3 bis 24:39 nachösterlich somit nicht authentisch sind.
Hier stellen sich m. E. die Fragen:
- Wer war der Schreiber des Matthäusevageliums?
- Wann wurde das MatEv geschrieben?
Prof. Mell referiert auf Basis der historisch-kritischen Methode auf seriöse Weise sehr detailliert eben auch Annahmen, die sich u.a. insbesondere auf Theißens Rekonstruktion eines "historischen Jesus" stützt und diese Theorie fällt und steht mit dem "Ostergraben".

Darf ich Dich fragen, wie Du es aus textanalytischer Sicht siehst: Sind die "Parusie-Verse" in Mat 24 (s. Mat 24:3; Mat 24:27; Mat 24:37 u. Mat 24:40) jesuanisch oder matthäisch?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Halman
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#210 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Mi 22. Apr 2015, 18:21

@Savonlinna
Entschuldige bitte, dass ich so umfangreich in zwei Beiträgen antworte. In einem habe ich es einfach nicht unterbringen können.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Die historisch-kritische Exegese geht aber über Textinterpretation hinaus, da sie die historische Dimension einbezieht, was sicher auch ihre größte Leistung ist.
Es gibt keine "historisch-kritische Exegese", sondern nur eine historisch-kritische Methode oder historisch-kritische Forschung.
Die Begrifflichkeit der historisch-kritischen Exegese hatte ich von jemanden übernommen, der mehrere Semester katholische Theologie studiert hatte, daher ging und gehe ich von der Korrektheit des Begriffes aus.
Dies bestätigt auch das Institut für Theologie und Religionswissenschaft:
Zitat aus Exegese AT (1. Satz im 4. Abs):
Die historisch-kritische Exegese muss ohne Vorurteile dem Text gegenüber, möglichst unabhängig von ideologischen Beeinflussungen sowie methodisch kontrolliert arbeiten.

Zitat aus Bibelauslegung, historisch-kritische:
Als Leitmethode wissenschaftlicher Bibelauslegung bemüht sich die historisch-kritische Exegese zu ermitteln, welchen Sinn ein biblischer Text zur Zeit seiner Abfassung hatte.
(Hervorhebungen in den Zitaten von mir)

Hat Dr. Joachim Vette etwa falsch formuliert?

Savonlinna hat geschrieben:Die Ergebnisse der historisch-kritischen Untersuchung werden dann in der Textinterpretation angewandt, aber als Modell - das aus den Ergebnissen heraus nachvollziehbar sein muss.
Das kann man in dem Artikel sehr schön sehen. Die Untersuchung, wie "Parousie" zu Zeiten des Urchristentums benutzt wird, führt zu der Wahrscheinlichkeit, dass das Urchristentum selber diesen Begriff auch so verstanden hat.
In Verbindung mit Theißens Theorie über den "historischen Jesus" (hier wird zwischen vorösterlich und nachösterlich unterschieden). Sofern man dieser historischen Rekonstruktion* zustimmt, ist es folgerichtig. Wenn man dieser jedoch kritisch gegenübersteht, muss man auch die daraus nachvollziehbaren Ergebnisse anzweifeln.

*Laut Dr. J.Spieß rekonstruieren Historiker, ähnlich wie Juristen einen Sachverhalt rekonstruieren. Sie produzieren ja nichts. Wenn ich also von Rekonstruktion spreche, ist dies keinesfalls abwertend, sondern sachlich-kritisch.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich bin da ergebnisoffen. Ich finde beide Möglichkeiten spannend.
Mir ging es hier erst mal nur darum, zu klären, dass die Worte Jesu aus der Feder der Evangelisten stammen.
Wie soll Textanalyse Licht auf diese Frage werfen?
Du verstehst möglicherweise unter "Textanalyse" eine werkimmanente Deutung?
Die Textanalyse im Rahmen der historisch-kritischen Methode untersucht die historische Herkunft der dort benutzen Begrifflichkeiten und Mentalitäten.
Okay, danke für die Erklärung. Somit ist in Deiner Textanalyse auch die historische Dimension enthalten. Leider sind meine historischen Kenntisse sehr bescheiden - ich arbeite mehr textbezogen.

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Nun, dann sollte es erlaubt sein, die theoretischen Folgerungen in Frage zu stellen.
Man kann alles und jedes in Frage stellen. Nur muss das Substanz haben. Aber aus Unkenntnis heraus ist ein In-Frage-Stellen für mich ohne Substanz. Ich kann dazu nichts sagen.
Mir ist schleierhaft, wie Du darauf kommst, dass ich aus Unkenntnis heraus Kritik übe. Dass ich als Laie in Relation zu einem Fachmann natürlich nur über bescheidene Kenntnisse verfüge, versteht sich von selbst. 4religion ist vorwiegend ein Laien-Forum.

Savonlinna hat geschrieben:Was Du vielleicht auch außer Acht lässt, ist, dass grundsätzlich vierzig oder fünfzig Jahre nach einem Ereignis dieses Ereignis seinen eigenen Verlauf genommen hat. Das merke ja sogar ich schon in meinem eigenen Leben. Ist der eigene Vater gestorben, bekommt man von diesem Vater nach seinem Tod ein anderes Bild. Oder ist ein Politiker gestorben, wird er schon kurz nach seinem Tod in irgendeiner Weise verklärt.
Der Tod erschüttert immer, und er produziert im Menschen neue Deutungsformen.
Die Apostel gingen allerdings so weit, für ihre Überzeugung sogar als Märtyrer zu sterben. Im Angesichts des Todes würde ich jedenfalls keine nachösterliche Lehre vertreten, wenn ich sie selbst abgeändert hätte. Die Apostel mussten - dies glaube ich jedenfalls - wirklich von dem, was sie verkündeten, überzeugt gewesen sein. Die Theorie von einer kollektiven, rückblickenden Verklärung Jesu durch die Apostel überzeugt mich nicht.
Nach der analythischen Philosophie von David Hume muss man natürlich diese phsychologische Sichtweise vertreten, da Wunder - wie die Auferstehung - ja nicht sein dürfen. Bestärkt wurde diese Weltsicht durch den Positivismus des 19. Jhds. und seinem Nachfolger im Wiener Kreis (logischer Positivismus 1930er Jahre und ff.).
Doch wenn man diese naturalistische Weltsicht mal in Frage stellt, eröffnet sich eine ganz neue Dimension, auch für die Exegese. Wäre dies ein Ansatz, der Dir redlich erscheint, oder ist dies für Dich völig abwegig?

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Vielleicht zur meiner Verteidigung nur so viel: Bezüglich der Pentateuchforschung spricht der Exeget Prof. E. Zenger von einem unüberschaubaren "Spektrum der Hypothesenbildung". Gut, sie ist auch laut Zenger das "schwierigste und kontroverseste Feld der Exegese", dies ist sicher nicht analog zu den Evangelien. Aber ich denke, dass es auch da Thesen, Annahmen und verschiedene Theorien gibt.
Selbstverständlich. Oben aber hast Du noch geschrieben, dass sie alle gleich denken.
Nein, habe ich nicht. Ich schrieb über die allgemeine Lehrmeinung der Exegeten und fasste mich kurz. Solche Kurzfassungen sind natürlich nicht detailliert. Zeichnet sich in der bunten Vielfallt von Theorien und Hypothesen unter den Exgesen etwa kein Mainstream ab? Ich denke, dass Münek diesen recht klar vertritt.

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe diesen Artikel überhaupt nur gebracht, um aufzuzeigen, dass es keine einhellige Meinung gibt und diese Dinge kontrovers diskutiert werden.
Es war hier ja andauernd von "Fakten" die Rede, die bewiesen seien und eine gegenteilige Meinung nicht mehr zuließen.
Wir mir scheint, liegen wir gar nicht so weit auseinander. Du scheinst mir die moderate und kritische Position zwischen Müneks Gewissheit und meiner christlich-religiösen Sichtweise zu vertreten.

Savonlinna hat geschrieben:Aber ich versuche es noch einmal in einfacherer Satzstruktur:
Wenn ich mir ein Bild von dirr mache, heißt das nicht, dass Du Dich selber so siehst wie ich.
Das ist sicher richtig. Um zu sehen, welches Jesusbild die Jünger hatten, würde ich mir anschauen, was die Jünger gem. den Evangelien über ihn sagten. Ein Beispiel wäre Luk 24:19 (Die Emmausjünger gehörten nicht zu den elf Aposteln).
Jesu Selbstverständnis ist natürlich eine völlig andere Sicht als die seines sozialen Umfeldes, wozu ja auch seine Jünger zählten. Da denke ich an seine Antwort auf die des Täufers in Mat 11:4-6 u. Mat 11:27-30.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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