Homöopathie III

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closs
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#151 Re: Homöopathie III

Beitrag von closs » Sa 28. Feb 2015, 12:47

Anton B. hat geschrieben:Eine Beobachtung ist keinesfalls eine "wertungsfreie Größe", sondern etwas, was auf irgendeinem Weg in den closs reingekommen sein muss.
OK - wie unterscheiden wir dann folgendes?

"Der Arzt beobachtet, dass AntonB einen hohen Puls hat" versus "Der Arzt beobachtet, dass AntonB einen hohen Puls hat, weil er gerade einen 100m-Lauf hinter sich hat". - Ich meine, dass die Beobachtung an sich unabhängig davon ist, ob man weiss, ob ein 100m-Lauf voranging oder nicht - Puls 120 = Puls 120. - Das hatte ich mit "wertungsfrei" gemeint.

Pluto
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#152 Re: Homöopathie III

Beitrag von Pluto » Sa 28. Feb 2015, 13:18

closs hat geschrieben:Wie Du siehst, habe ich rein phänomenologisch und ohne kausale Wertung formuliert.
Das schon, aber aus der Geschichte wissen wir immer noch nicht, ob der selbsternannte HP-Experte, wirklich etwas erreicht ha, oder nur glaubt etwas erreicht zu haben. Ihm fehlt die solide Verankerung in der Realität.

closs hat geschrieben:Für den Arzt ist entscheidend, dass am Ende etwas ist, was ihn im Sinne seines ärztlichen Auftrags befriedigt. - Für ihn ist das am Ende Stehende "Realität" - unabhängig von "wahren Hintergründen".
Ich würde mich durch eine solche Behandlung ins tiefste Mittelalter zurückversetzt fühlen, wo Aderlass noch das höchste der Gefühle bei den damligen Ärzten auslöste. Es waren erst die "wahren Hintergründe" (wie du es nennst), die zur Aufgabe solcher Handlungen führte.
Wenn es heute noch in der Praxis so wäre, wäre es in der Tat ein trauriges Zeugnis für den Fortschritt in der Medizin.
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sven23
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#153 Re: Homöopathie III

Beitrag von sven23 » Sa 28. Feb 2015, 13:26

closs hat geschrieben:- Für ihn ist das am Ende Stehende "Realität" - unabhängig von "wahren Hintergründen".

Und wieder sind wir bei der Realtität. Es wäre aber ein schlechter Arzt, den die Hintergründe nicht interessieren. Soll es ja leider auch geben.

Ich habe übrigens einen interessanten Blog gefunden, der sich u. a. mit Koinzidenz, Korrelation und Kausalität beschäftigt hat.

Zitat daraus:
"Aberglaube [ist] nichts anderes als das vorschnelle Annehmen kausaler Zusammenhänge."

"Krank gewesen, Globuli genommen, gesund geworden

Nach demselben Muster funktioniert die von mir, wie ihr wisst, heiß geliebte Homöopathie. Krank gewesen, Globuli genommen, gesund geworden. Eine klassische Korrelation, wie sie jedes Jahr vermutlich millionenfach vorkommt. Noch deutlich übertroffen allerdings von der Korrelation Krank gewesen, nichts genommen, gesund geworden. Denn der menschliche Körper verfügt nun mal glücklicherweise über Selbstheilungskräfte, die sich auch durch die Einnahme noch so vieler Globuli nicht aus dem Konzept bringen lassen. Der Umstand, dass sich hier keine Kausalität nachweisen lässt, ist für Freunde der Homöopathie schwer zu verstehen und wird von ihnen daher in aller Regel großzügig ignoriert"


https://buggisch.wordpress.com/2014/08/ ... usalitaet/
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Anton B.
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#154 Re: Homöopathie III

Beitrag von Anton B. » Sa 28. Feb 2015, 13:45

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Eine Beobachtung ist keinesfalls eine "wertungsfreie Größe", sondern etwas, was auf irgendeinem Weg in den closs reingekommen sein muss.
OK - wie unterscheiden wir dann folgendes?

"Der Arzt beobachtet, dass AntonB einen hohen Puls hat" versus "Der Arzt beobachtet, dass AntonB einen hohen Puls hat, weil er gerade einen 100m-Lauf hinter sich hat". - Ich meine, dass die Beobachtung an sich unabhängig davon ist, ob man weiss, ob ein 100m-Lauf voranging oder nicht - Puls 120 = Puls 120. - Das hatte ich mit "wertungsfrei" gemeint.
Hmm. Der Arzt hat zuerst mit "Hand und Uhr" einen Puls von 115 BPM gemessen. Anschließend hat er an seinem elektronischen Pulsmessgerät 125 abgelesen. Er erlaubt sich eine Mittelwertbildung (120 BPM). Denn er ist der Ansicht, nach seinen beiden Beobachtungstheorien stütze die eine Messung die andere, weil die Abweichungen innerhalb der von ihm angenommenen Messfehler beider Systeme lägen.

Merkst Du, was da schon alles passiert ist?

Dann wendet er sich an Anton: "Lieber Anton, das ist doch ein bissel hoch! Hast Du vielleicht gerade Sport gemacht?" Dem Anton wird ganz schummerig. Gerade vor seinem Besuch beim Weißkittel hat er sich seine tägliche Ration Ephedrin eingeworfen, um den Tag mitsamt der bösen Welt besser überstehen zu können. "Ja, Herr Doktor, ich bin gerade auf der Rennbahn meine morgendlichen 100m gelaufen!"

"Na, dann bist Du ja fit wie ein Turnschuh. Weiter so, Anton!" verabschiedet Doktor closs seinen Patienten in der Gewissheit, mit seiner Praxiserfahrung viel Gutes zu bewirken.
Zuletzt geändert von Anton B. am Sa 28. Feb 2015, 13:51, insgesamt 1-mal geändert.
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#155 Re: Homöopathie III

Beitrag von closs » Sa 28. Feb 2015, 13:48

Pluto hat geschrieben: Ihm fehlt die solide Verankerung in der Realität.
Für ihn ist das Solide das Ergebnis. - Wenn er und seine Patienten feststellen, dass sie im Ergebnis in etwa da landen, wo schulmedizinische Patienten landen, ist es aus deren Sicht Verankerung genug.

Pluto hat geschrieben:Wenn es heute noch in der Praxis so wäre, wäre es in der Tat ein trauriges Zeugnis für den Fortschritt in der Medizin.
Da glaube ich eher, dass die Tendenz Richtung "Mittelalter" geht - und zwar nicht, weil man sich von der heutigen Medizin abwendet, sondern weil immer komplexere Erkenntnisse Nachweise immer schwerer machen. - Es kann sein, dass es zukünftig öfter Fälle gibt wie: "Wir wissen nicht, warum es wirkt, aber es wirkt".

Einfaches Beispiel: Als ich vor ca. 15 Jahr mal nahe der tschechischen Grenze auf Kur war, hatten wir Schmerzpatienten, bei denen nichts mehr half - außer Cannabis. Auf inoffizieller Empfehlung der Ärzte gingen diese Leute über die Grenze nach Tschechien, wo man leicht den Stoff kriegen konnte, und haben dann im Kurpark ihre Joints gequalmt - mit super Erfolg - manche waren erstmals seit Jahren über die Wochen schmerzfrei - und auch sonst ging es ihnen gut (keine erwähnenswerten Nebenerscheinungen).

Im Gespräch mit den Ärzten hat sich dann folgendes Bild ergeben: Es war damals nicht nur drogen-gesetzlich verboten, Cannabis zu verschreiben. - Das größere Problem war: Die Pflanze war damals noch gar nicht in Bezug auf ihre Inhaltsstoffe bilanziert (sagt man so?), hätte also selbst ohne gesetzliches Verbot nicht verschrieben werden dürfen (Arzneimittel-Gesetze, etc.) - von Studien ganz zu schweigen, die ja erst möglich wären, wenn dieser Vorlauf erledigt wäre.

Trotzdem "wusste" jeder (und das ist unser Punkt hier), dass der Zusammenhang Cannabis und SChmerzlinderung ein kausaler war. - Hättest Du den Ärzten gesagt, sie seien nicht solide in der Realität verankert, weil dies erst nach erfolgreicher Absolvierung von Doppelblindstudien möglich wäre, hätten sie sich an den Kopf gelangt und gesagt: "Träum weiter".

Mit anderen Worten: Es ist nicht unüblich, auch dann von "Realität" zu sprechen, wenn Zusammenhänge knallhart offensichtlich erscheinen. Natürlich kann man sich hier täuschen - aber da guckt man nicht drauf. - Wichtig für den Arzt ist: Stärkste Phantom-Schmerzen seit 5 Jahren - Cannabis - SChmerzen weg. - Punkt. - Und wenn das (fast) immer so ist, hat so etwas den Rang einer Tatsache, auch wenn es nicht randomisiert ist.

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#156 Re: Homöopathie III

Beitrag von closs » Sa 28. Feb 2015, 13:58

Anton B. hat geschrieben:Denn er ist der Ansicht, nach seinen beiden Beobachtungstheorien stütze die eine Messung die andere, weil die Abweichungen innerhalb der von ihm angenommenen Messfehler beider Systeme lägen.
Das kenne ich von meinem Arzt auch - er vergleicht allerdings linken mit rechten Arm und ist zufrieden, wenn beides halbwegs übereinstimmt. - Das macht mich jetzt nicht stutzig - allenfalls macht es deutlich, dass verschiedene Messarten zu verschiedenen Ergebnissen kommen. - Meinst Du das?

Anton B. hat geschrieben:"Na, dann bist Du ja fit wie ein Turnschuh. Weiter so, Anton!" verabschiedet Doktor closs seinen Patienten in der Gewissheit, mit seiner Praxiserfahrung Gutes zu bewirken.
Wenn man natürlich von Täuschung ausgeht, ist es so. - Unabhängig davon: Ob Ephedrin oder Sport - die Beobachtung ca. 120 BPM bleibt richtig.

Man kann es natürlich ins Absurde treiben -bspw: Alle Patienten lügen den Arzt an, wenn sie sagen: "Mir geht es besser". - Wie wollte der Arzt das Gegenteil nachweisen? Weil er ein Wirkstoff-Präparat gegeben hat und deshalb 'weiss', dass es dem Patienten besser gehen MUSS? - Da würde ich als Patient sagen: Obwohl ich weiss, dass Ibu einen Wirkstoff hat, gab es Fälle, bei denen mir auch 1600mg nicht geholfen haben.

Meinst Du, dass Dein Beispiel praxis-gerecht ist?

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#157 Re: Homöopathie III

Beitrag von sven23 » Sa 28. Feb 2015, 14:02

closs hat geschrieben: Mit anderen Worten: Es ist nicht unüblich, auch dann von "Realität" zu sprechen, wenn Zusammenhänge knallhart offensichtlich erscheinen. Natürlich kann man sich hier täuschen - aber da guckt man nicht drauf. - Wichtig für den Arzt ist: Stärkste Phantom-Schmerzen seit 5 Jahren - Cannabis - SChmerzen weg. - Punkt. - Und wenn das (fast) immer so ist, hat so etwas den Rang einer Tatsache, auch wenn es nicht randomisiert ist.

Das ist kein guter Vergleich. Cannabis enthält ja auch Wirkstoffe, die unters BTM-Gesetz fallen. Oder bist du schon mal von Globuli high geworden? :lol:
Das wäre übrigens die Marktlücke überhaupt. Ein hochpotenzierter Globuli-Joint, mit dem man legalerweise das BTM-Gesetz unterlaufen kann und den ultimativen Kick liefert.
Frage dich mal, warum es so was nicht gibt.
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#158 Re: Homöopathie III

Beitrag von Pluto » Sa 28. Feb 2015, 14:03

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Ihm fehlt die solide Verankerung in der Realität.
Für ihn ist das Solide das Ergebnis.
Nein, das wahrgenommene Ergebnis. Eine Kausalität ist aus solchen vagen Aussagen nicht gegeben.
Wahrnehmung ist nicht dasselbe wie Empirie.

closs hat geschrieben:Da glaube ich eher, dass die Tendenz Richtung "Mittelalter" geht - und zwar nicht, weil man sich von der heutigen Medizin abwendet, sondern weil immer komplexere Erkenntnisse Nachweise immer schwerer machen. - Es kann sein, dass es zukünftig öfter Fälle gibt wie: "Wir wissen nicht, warum es wirkt, aber es wirkt".
Das ist sicher richtg, denn wir leben in einer komplexen Welt.
Schon Einstein erkannte dies als er sagte: Falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Hauptsorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.

Das größere Problem war: Die Pflanze war damals noch gar nicht in Bezug auf ihre Inhaltsstoffe bilanziert (sagt man so?), hätte also selbst ohne gesetzliches Verbot nicht verschrieben werden dürfen (Arzneimittel-Gesetze, etc.) - von Studien ganz zu schweigen, die ja erst möglich wären, wenn dieser Vorlauf erledigt wäre.
Du irrst, lieber closs. Die Wirkung von Cannabis als Betäubugsmitel ist seit fast 5000 Jahren bekannt und dokumentiert.
Deren Verschreibung war im 19. Jahrhundert gang und gebe. Erst nach dem Suchtmittelverbot und der Reglementierung solcher Mittel durfte Cannabis nicht mehr verschrieben werden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#159 Re: Homöopathie III

Beitrag von closs » Sa 28. Feb 2015, 14:05

sven23 hat geschrieben:Es wäre aber ein schlechter Arzt, den die Hintergründe nicht interessieren.
Moment - das macht strenggenommen keiner: Stell Dir mal vor, Du hast Kopfschmerzen, der Arzt gibt Dir was, Deine Kopfschmerzen hören aber gerade in diesem Moment von sich aus auf: Meinst Du, der Arzt überprüft, ob es die Wirkung des Stoffes war oder ob der Schmerz spontan aufgehört hat? - Nein - macht er nicht. Er beobachtet lediglich: Der Schmerz ist weg.

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#160 Re: Homöopathie III

Beitrag von Pluto » Sa 28. Feb 2015, 14:07

closs hat geschrieben:Stell Dir mal vor, Du hast Kopfschmerzen, der Arzt gibt Dir was, Deine Kopfschmerzen hören aber gerade in diesem Moment von sich aus auf: Meinst Du, der Arzt überprüft, ob es die Wirkung des Stoffes war oder ob der Schmerz spontan aufgehört hat? - Nein - macht er nicht. Er beobachtet lediglich: Der Schmerz ist weg.
Das alte argumentum ad ignorantiam. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Ein guter Arzt fragt beim nächsten Besuch, ob die Tabletten gewirkt hätten. Wenn du ihm deine Geschichte erzählst, wird es das auf Zufall schieben, und "gut ist".
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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