"Je suis Charlie"

Politik und Weltgeschehen
closs
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#101 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von closs » Sa 17. Jan 2015, 02:17

sven23 hat geschrieben:Es ist doch geradezu eine journalistische Pflicht, gegen islamistische Halsabschneider anzugehen in Wort, Bild und Ton.
Wenn DAS die Frage wäre, gäbe es kein Problem. - Glaubst Du wirklich, dass "Charlie" eine moralische Haltung hat? - Oder geht es vielleicht doch nur um Provokation an sich?

jsc hat geschrieben:Oder hat jemand schon mal gesehen, dass man Kariakturen über die am Baukran aufgeknüpften Menschen im Irak lustig macht.
Mir nichts bekannt. - Inhaltlich stimme ich Dir ja zu - aber seit wann interessiert das die Medien, wenn sie auf Presse-Freiheit pochen?

jsc hat geschrieben: Es gibt aber notwendigerweise keine Karikaturen, wo man sich über den Holocaust lustig macht
Weil es bei uns ein gesellschaftliches Tabu ist - da ist man hellhörig genug, um dieses Tabu nicht zu brechen. - Ich erwarte jedoch, dass solche Karikaturen noch kommen - und zwar von Gesellschaften, für die es kein Tabu ist und die damit bewusst (ebenfalls) verhöhnen wollen. - Und dann möchte ich mal hören, ob diese Pressefreiheit dann auch verteidigt wird. - Oder ob es scheinheilige Empörung gibt - "Missbrauch der Pressefreiheit - Unverschämtheit" - wo dieser Missbrauch doch gerade auch bei "Charlie" (auch bei "Titanic") programmatisch stattfindet.

jsc hat geschrieben:Richtig wäre dein Vergleich, wenn du forderst, dass man zu den Mohammed Karikaturen auch Hitler (und Merkel) Karikaturen macht, und dann dürfte dir auffallen, dass es das bereits gibt.
Wenn man Kategorie-Fehler vermeiden will, müsste man diejenigen karikieren, die im Namen Mohameds morden - aber nicht Mohamed, der gleichzeitig eine "heilige" Person für Milliarden (?) friedlicher Moslems ist.

Dasselbe gilt auch für Darstellungen von Gott (da gibt es ja hammerharte Beispiele in "Charlie" und "Titanic") - man kann Katholiken oder Zeugen Jehovas nach Deiner Logik karikieren, aber nicht Gott, der sich einen blasen lässt (Titanic). - Damit verletzt man Christen genauso wie Juden, wenn man Hitler mit Anne Frank vögeln lässt. - Siehst Du den Bogen?

Übrigens: Ich persönlich fühle mich NICHT verletzt, aber ich spüre das Böse.

Hemul
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#102 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von Hemul » Sa 17. Jan 2015, 02:28

closs hat geschrieben: Dasselbe gilt auch für Darstellungen von Gott (da gibt es ja hammerharte Beispiele in "Charlie" und "Titanic") - man kann Katholiken oder Zeugen Jehovas nach Deiner Logik karikieren, aber nicht Gott, der sich einen blasen lässt (Titanic). - Damit verletzt man Christen genauso wie Juden, wenn man Hitler mit Anne Frank vögeln lässt.
Clösschen-clösschen? :roll:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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sven23
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#103 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von sven23 » Sa 17. Jan 2015, 07:15

closs hat geschrieben:Wenn DAS die Frage wäre, gäbe es kein Problem. - Glaubst Du wirklich, dass "Charlie" eine moralische Haltung hat? - Oder geht es vielleicht doch nur um Provokation an sich?

Satire muß immer dahin gehen, wo es weh tut, muß Grenzen ausloten und Mißstände ansprechen, insofern hat sie einen moralischen Auftrag. Übrigens ist bei Charlie auch ein marokkanischer Zeichner angestellt.

Hier ein Kurz-Interview mit Klaus Staek:
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=48659

Zitat daraus: Religion hat in der Demokratie kein Sonderrecht.

Die Gefahr nach solchen Anschlägen wie in Frankreich ist die Selbstzensur, die Schere im Kopf, die es übrigens auch in großen Teilen der amerikanischen Medien nach 9/11 gab. Gelegentlich aufkommende Kritik am geplanten Irak-Krieg verschwand durch Selbstzensur fast völlig, bis es zu spät war.

Die Schere im Kopf kann auch aus falscher Rücksichtnahme seltsame Blüten treiben:

http://www.3sat.de/page/?source=/kultur ... index.html
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

barbara
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#104 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von barbara » Sa 17. Jan 2015, 09:37

closs hat geschrieben:Die meine ich nicht - ich meine Holocaust-Karikaturen. - Bei Freigabe aller Geschmacklosigkeiten müsste so was dann doch auch als Sieg der Pressefreiheit gefeiert werden - oder nicht?
Grundsätzlich ja. Wobei natürlich sowas wie Aufruf zum Mord an Juden oder Homosexuellen oder andern Gruppen nicht geht. Nicht, weil es Satire ist, sondern weil es eine Aufforderung zu einer Untat ist.

Wie gesagt: solche Satire kann ich mir nicht wirklich vorstellen, aber wo es sie gibt (geben könnte), hat sie ihre Existenzberechtigung.


Warum geht es dann in der Regel gegen Minderheiten? -
na ja, von Millionen Katholiken gibt's halt nur einen Papst und von Millionen Deutschen nur eine Bundeskanzlerin, Eliten sind ihrer Natur nach Minderheiten. Allerdings mächtige und einflussreiche und symbolisch beladene Minderheiten.

Wenn Du recht hättest, müssten die Postillen voll sein von beißendem Spott über Mainstreaming, Political Correctness und "Aufklärung". - Fehlanzeige. - Warum wohl? Weil man selbst Teil davon ist.
Wenn ich heute auf den Postillon gehe, lese ich:

"Verschluckungsgefahr - Bayer ruft Aspirin zurück" - bekannte reiche mächtige Marke, bekanntes Medikament.
"Traumhochzeit: Cristiano Ronaldo heiratet sich selbst" - Bekannter Fussballer wird auf die Schippe genommen
"Jogger nutzt letzte Kraftreserven, um dynamisch an Gruppe Frauen vorbeizusprinten" - männliches Imponiergehabe (und Männer sind die Postillione) wird kommentiert.
"Union fordert Vorratsdatenspeicherung wie in Frankreich, um Terroranschläge zu verhindern " - ein ziemlich ernsthafter politischer Artikel, wo das Leben selbst die Satire schrieb, da die französische Vorratsdatenspeicherung den Anschlag ganz offensichtlich NICHT verhinderte.

... die gehen auf alle Fälle nicht auf Minderheiten los, sondern auf die Mächtigen, die Reichen, die Prominenten.


Aber seit wann interessiert das die Meinungs-Freiheit/Presse-Freiheit? - Das käme fast so rüber, als sei "Charlie" ein Kämpfer für die Schwachen - das kann ja wohl nicht von Dir so gemeint sein - odrr?

Doch, natürlich ist Charlie ein Kämpfer für die Schwachen. Was denn sonst?

Tabubruch als solcher - Verhöhnung der Juden - was halt grad gut kommt.

Tabubruch um des Tabubruchs willen ist noch längst keine Satire. Satire ist eher, wenn existierende Tabus überhaupt erst bewusst gemacth werden, wenn es überraschende Parallelen zwischen zwei Dingen gibt, die auf den ersten Blick, nicht unbedingt was miteinander zu tun haben.

Stimmt - das ist im Ergebnis ein ganz wesentlicher Unterschied. - Von der Gesinnung auch?
Die Gesinnung, jemanden zu verspotten, muss nicht notwendigerweise darin resultieren, den Verspotteten umbringen zu wollen.

Beim Fall Wulff war erkennbar, dass im Rahmen der Demokratie (das ist ok) und unter Berufung auf die Demokratie (da wird's kritisch) bewusstlose und triebhafte Fuchsjagd auf Menschen möglich ist.
Ist aber ein allgemeines Problem von Medien und nicht auf Satireblätter beschränkt. Die hiesige lokale Zeitung praktiziert das immer mal wieder, leider auch immer wieder mal mit Erfolg. und wenn Satire darin zu finden sein sollte, bloss unfreiwillig.

- Man verzichtet also auf eigene geistige Kompetenz, weil diese einem von der Demokratie (scheinbar) abgenommen wird, und gibt sich somit bedenkenfrei der eigenen Triebhaftigkeit hin.
Das ist jetzt sehr gesucht.

- Man hat also nichts, was Kant "das innere Gesetz" genannt hat, auf das man sich berufen kann oder will.
Dafür kann auch Charlie Hebdo nichts.

Daraus kann ein Faschismus bedingungsloser Libertinität werden - also eine Entgleisung inneren Zusammenhalts - oder, wie es mein alter Prof in England schon vor 30 Jahren genannt hat: "A loss of center".
Dann muss man sich um die Ursachen kümmern, aber nicht um jene, die mit dem Finger darauf hinweisen, dass der Verlust geschah und schmerzhaft ist.

gruss, barbara

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#105 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von closs » Sa 17. Jan 2015, 09:47

sven23 hat geschrieben:Satire muß immer dahin gehen, wo es weh tut
Auf sehr anspruchsvolle Weise macht das Loriot auch - das "Problem" bei ihm: Entweder er wird verstanden, dann genießt man diese Schärfe - oder er wird nicht verstanden, dann versteht man ihn als lustigen Zeichner (übrigens ähnlich wie bei Wilhelm Busch).

Grenzen ausloten ist kein moralischer Anspruch - Mißstände aufzeigen wohl eher, aber dann kommt es dann schon drauf an, wie man es macht.

sven23 hat geschrieben: Religion hat in der Demokratie kein Sonderrecht.
Stimmt. - Mich stört insgesamt dabei, dass Demokratie und Meinungs-Freiheit oft de facto erscheinen als Raum der Exzesse und der Desorientierung. - Als wolle man Exzesse und Desorientierung idolisieren.

sven23 hat geschrieben:Die Gefahr nach solchen Anschlägen wie in Frankreich ist die Selbstzensur, die Schere im Kopf
Die haben doch die Mainstream-Medien mehr als vor 50 Jahren - siehe Berichterstattung über Wulff, Putin, Pegida, etc. - Merkst Du nicht, dass "Charlie" für die Mainstream-Medien eine Steilvorlage ist, diese eigene Schere im Kopf zu überspielen - man feiert in "Charlie" das, was man anspruchsvoll selber machen müsste, aber nicht kann.

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#106 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von barbara » Sa 17. Jan 2015, 09:57

Magdalena61 hat geschrieben:Man "darf" aber nicht alles sagen, in dieser freiheitlich- demokratischen Gesellschaft, denn die Freiheit der Meinungsäußerung wird, wenn sie sich nicht gerade in Gotteslästerungen oder der Verunglimpfung kollektiv gering geschätzter/ verachteter Minderheiten verwirklicht, gesetzlich recht schmerzlich eingeschränkt.

und das womöglich zu sehr. Journalisten in Frankreich setzen sind ein für ein Recht auf Blasphemie, weil was dir teuer und heilig ist, muss es mir nicht ebenfalls sein, nur aus dem Grund, weil es für dich gilt.

Du kannst das gerne ausprobieren und deinen Bürgermeister, deinen Chef oder wen auch immer, also jemanden, der nicht zu deiner Zufriedenheit arbeitet und deiner Meinung nach auf die harte Tour "korrigiert" werden sollte, per Karikatur lächerlich machen; an den Pranger stellen.

Warum sollte ich? Wenn ich mit konkreten Menschen aus meinem Umfeld ein Problem habe, dann gehe ich zu ihnen und bespreche das Problem.

allerdings, sollten sie sich über längere Zeit uneinsichtig zeigen und womöglich gegen ihre selbst gewählten Prinzipien verstossen, welche immer das sein mögen, und nachdem sie sich explizit weigerten, auf Kommunikation einzutreten, kann's schon mal vorkommen, dass DANN ein satirischer Kommentar kommt.


Damit aber nicht genug: Am besten reißt du auch noch Äußerungen, die von besagter Person tatsächlich getätigt wurden, aus dem Zusammenhang, lässt entscheidende Informationen unter den Tisch fallen und beleuchtest den kärglichen Rest von einer wenig ehrenvollen Seite, hübsch garniert mit einigen Mutmaßungen deinerseits.

Was dann keine gute Satire wäre, sondern lediglich eine mehr oder weniger starke Form von Rufmord. Geschieht in den Medien täglich. Und damit meine ich nicht Charlie Hebdo, sondern ich meine die sogenannten Leitmedien, die angeblich Seriösen. Guck die Berichterstattung zur Ukraine von letztem Jahr an, guck die Berichterstattung von Pegida dieses Jahr an - da geschieht genau das, was du hier bemängelst.

Es sollte nicht allzu schwer sein, eine unbeliebte Person oder bestimmte Gruppen der Bevölkerung mit den geeigneten stilistischen Mitteln als gefährliche Volksfeinde zu diffamieren. Wenn sie sich tatsächlich etwas haben zuschulden kommen lassen: Umso besser. Solche Leckerbissen kann man strategisch nützen.

ja. siehe Pegida und die Lügenpresse.

Hat mit Charlie Hebdo allerdings nichts zu tun, dieses Thema.



Eine klare Distanzierung von Medienprodukten, die gegen die guten Sitten verstoßen, aber eine ebenso klare Botschaft: In unserem Hoheitsbereich werden wir nicht dulden, dass irgendwelche selbsternannten Richter das BGB sowie die gesamte Bundesregierung überrennen und uns vor vollendete Tatsachen stellen. Wir lassen uns NICHT erpressen.

Das wär ja dann ungefähr wieder das, was Voltaire sagte. Wobei bei Voltaire richtigerweise der Akzent darauf liegt, dass ungeliebte Inhalte eben veröffentlicht werden sollen, wenn das jemand veröffentlichen will.



Würdest du zensurieren? Wenn ja, anhand welcher Kriterien?
Man muß den Artikel 10, Punkt 2 der europäischen Menschenrechtskonventionnur anwenden. [/quote]

Bedauerlicherweise ein extrem schwammiger Artikel. Schutz der Moral? hm. :?


Wenn jemand provoziert wird, und er sagt "STOPP!"-- und von genügend Muslimen kam jetzt dieses Signal... warum weigert sich der Westen, eine akzeptable Streitkultur zu pflegen? Warum ignoriert er dieses "STOPP!"?

Weil einer, der mit der Kalaschinkov in der Hand "Stop" sagt, keine akzeptable Streitkultur pflegt und man mit solchen Leuten nicht diskutiert. Und weil man das, was man selbst für gut und richtig hält, nicht darum aufhört zu tun, weil da irgend eine beledigte Leberwurst was dagegen haben könnte. Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann, also versucht man es doch besser gar nicht.

Bei der Freiheit der Rede und der Presse geht es ja gerade darum, dass auch Inhalte, die man nicht mag, zulässig sind.



Es gibt ein Bilderverbot im Islam. Dieses kann man zwar nicht aus dem Koran ableiten, aber aus den Spezialvorschriften für bestimmte Strömungen des Islam.

Ein Bilderverbot gibt es auch im Christentum, in den zehn Geboten. so what? Niemand zwingt einen Muslim dazu, ein Bild anzufertigen oder anzubeten oder in der Moschee aufzuhängen. Auch Charlie Hebdo nicht.

Vezichtest du jetzt auch auf das Essen von Schweinefleisch, weil das den Juden und Muslimen verboten ist? Machst du den Ramadan mit, bloss weil Muslime Ramadan machen?

Für die Gläubigen dieser Abteilungen des Islam ist das Realität. Sie nehmen diese Vorschrift ernst.

Bitte - sollen sie, dürfen sie, niemand hat je was dagegen gesagt.


Mit welchem RECHT drückt der Westen ihnen weiterhin respektlose Comiczeichnungen... Abbildungen Mohammeds auf?

Was heisst "der Westen drückt auf"?

Jeder hat die Wahl, Charlie Hebdo oder generell Satire NICHT zu lesen. Jeder, der im Westen lebt, kennt die hiesigen Regeln und weiss, dass es hier Satire gibt. Es wird ja weiss Gott nicht nur der Islam karikiert, sondern alle und alles.

Ich weise noch einmal darin, dass auch Hollande, der auch schon mehrfach ziemlich scharf angegangen wurde, sich ohne zu zögern hinter die Pressefreiheit gestellt hat, und das im Fall eines Magazins, wo er auch alles Recht der Welt hätte, beleidigt zu sein - da er ja sogar persönlich angesprochen wurde.

gruss, barbara

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sven23
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#107 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von sven23 » Sa 17. Jan 2015, 10:04

closs hat geschrieben:Stimmt. - Mich stört insgesamt dabei, dass Demokratie und Meinungs-Freiheit oft de facto erscheinen als Raum der Exzesse und der Desorientierung. - Als wolle man Exzesse und Desorientierung idolisieren.

Auch das hält eine gesunde Demokratie aus. Blödheit allein ist noch keine Straftat. ;)


closs hat geschrieben: Die haben doch die Mainstream-Medien mehr als vor 50 Jahren - siehe Berichterstattung über Wulff, Putin, Pegida, etc. - Merkst Du nicht, dass "Charlie" für die Mainstream-Medien eine Steilvorlage ist, diese eigene Schere im Kopf zu überspielen - man feiert in "Charlie" das, was man anspruchsvoll selber machen müsste, aber nicht kann.

Das stimmt doch so gar nicht. Es gibt und gab in den letzten Jahren jede Menge kritische Berichte über den Islam und seine gewaltsamen Auswüchse. Es gab auch pro Putin Berichte, die dann als Putinversteher bezeichnet wurden. Es gibt pro und contra Pegida usw. Die gleichgeschalteten Medien sehe ich nicht.
Was die unter wirtschaftlichem Druck stehenden Printmedien angeht, mag es eine verbindende Gier nach Sensation geben, weil niemand das nächste Kapitel der Geschichte verpassen will.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#108 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von closs » Sa 17. Jan 2015, 10:16

barbara hat geschrieben:Wobei natürlich sowas wie Aufruf zum Mord an Juden oder Homosexuellen oder andern Gruppen nicht geht.
Man kann sich aber satirisch über Opfer lustig machen - das ist keine Aufforderung zu einer Untat.

barbara hat geschrieben:Allerdings mächtige und einflussreiche und symbolisch beladene Minderheiten.
Das ist ok - aber: Es ist ein Unterschied, ob man einen Papst oder Ober-Iman verhöhnt oder eine religiöse Identifikations-Figur wie Jesus oder Mohamed. - Es ist ein Unterschied, ob man Auswüchse eines Glaubens verhöhnt oder den Glauben selbst. - Es ist ein Unterschied, ob man aufrütteln will oder verhöhnen will.

barbara hat geschrieben:... die gehen auf alle Fälle nicht auf Minderheiten los, sondern auf die Mächtigen, die Reichen, die Prominenten
Das ist harmlose Alltags-Karikatur. - Du wirst aber nicht en detail sehen, dass Poroschenko dem Obama einen bläst, weil er in die NATO aufgenommen werden will. - Und Du wirst nicht sehen, dass die Karikaturisten sich selber als Pinscher der Meinungsfreiheit darstellen, die ab und an Brocken vom Tisch der Meinungs-Industrie hingeworfen bekommen.

barbara hat geschrieben:Doch, natürlich ist Charlie ein Kämpfer für die Schwachen. Was denn sonst?
Wie bitte? - Ich halte sie für Mainstream-Terrier - zumindestens in Bezug auf das, was in Bezug auf Christentum und Islam zu sehen ist (das sonstige Programm kenne ich nicht).

barbara hat geschrieben: Satire ist eher, wenn existierende Tabus überhaupt erst bewusst gemacth werden, wenn es überraschende Parallelen zwischen zwei Dingen gibt, die auf den ersten Blick, nicht unbedingt was miteinander zu tun haben.
Das sehe ich genauso - deshalb finde ich Georg Schramm, Volker Vispers und sowieso Loriot so gut.

barbara hat geschrieben:Die Gesinnung, jemanden zu verspotten, muss nicht notwendigerweise darin resultieren, den Verspotteten umbringen zu wollen.
Natürlich nicht - ich sehe eher das Problem, Verhöhnung um der Verhöhung willen zu veranstalten - ohne Ansatz einer Differenzierung. - Gibt es von "Charlie" Karikaturen, in denen normale Moslems und normale Christen als Opfer dargestellt werden?

barbara hat geschrieben:Ist aber ein allgemeines Problem von Medien und nicht auf Satireblätter beschränkt.
Stimmt - der Übergang von Satire und Real-Satire ist fließend.

barbara hat geschrieben:Das ist jetzt sehr gesucht.
Ich weiß nicht - im großen Kontext ist das schon mein Eindruck.

barbara hat geschrieben:Dafür kann auch Charlie Hebdo nichts.
Naja - man könnte ja mal bei sich selber anfangen.

barbara hat geschrieben:Dann muss man sich um die Ursachen kümmern, aber nicht um jene, die mit dem Finger darauf hinweisen, dass der Verlust geschah und schmerzhaft ist.
Moment - "Charlie" ist doch Teil und Protagonist davon.

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#109 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von closs » Sa 17. Jan 2015, 10:33

sven23 hat geschrieben:Auch das hält eine gesunde Demokratie aus.
Auf Dauer nicht, wenn Desorientierung zum Kern wird - gesellschaftlich gibt es dafür deutliche Anzeichen.

sven23 hat geschrieben:Die gleichgeschalteten Medien sehe ich nicht.
Natürlich gibt es Meinungs-Vielfalt, die selbstverständlich NICHT behindert wird - aber: Ist Dir schon mal aufgefallen, dass man sich Meinungs-Vielfalt hält, wie andere sich Papageien halten?

Ich habe damals bei Wulff außer der ZEIT kein Medium gesehen (auch nicht die Öffentlich-Rechtlichen), das es ansatzweise geschafft hätte, aus dem Korsett der "Correctness" (inzwischen ein Schimpfwort) auszubrechen. - Da holen sich Journalisten Informationen bei Wulffs Urlaubs-Vermietern (dürfen sie), die extrem belanglos sind (deren Problem) - die aber dann über ZDF und ARD laufen (Skandal) - mit der Begründung (hier die Parallele zu "Charlie"), Wulff sei eine Person öffentlichen Interesses (ist er tatsächlich :lol: ). - Es ist KEIN Impuls erkennbar zu überprüfen, was man da eigentlich selber macht - geht auch im Moment nicht, weil die Dynamik inzwischen derart außer Kontrolle ist, dass jeder dasselbe berichten muss. - Wulff war aus meiner Sicht eine Selbstverletzung der Medien, vor der sie sich vielleicht nie erholen wird.

Die Nato weitet ihren Einflussbereich um viele, viele 100 km nach Osten aus - als Putin die Krim nimmt, texten die Öffentlich-Rechtlichen "Putins Griff nach dem Westen". Allein diese Überschrift hätte eine Untersuchung zur Folge haben müssen, ob man damit dem Verfassungs-Auftrag nach gesellschaftlicher Bildung verletzt habe. - Es gab bisher keine anspruchsvolle öffentliche Auseinandersetzung zum Russland-Europa - stattdessen hält man sich Putin-Versteher, indem man sie reden lässt und dann offiziell einsortiert als Papageien.

Und da kommt die Frage auf: Was ist eigentlich de facto der Unterschied zwischen Honegger, Putin und unserer Papageien-Kultur? - Verblödet wird das Volk gleichermaßen.

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#110 Re: "Je suis Charlie"

Beitrag von barbara » Sa 17. Jan 2015, 10:45

closs hat geschrieben:Man kann sich aber satirisch über Opfer lustig machen - das ist keine Aufforderung zu einer Untat.

man kann - hab ich aber noch nie gesehen. Wenn es gemacht wird, dann höchst selten.


Das ist ok - aber: Es ist ein Unterschied, ob man einen Papst oder Ober-Iman verhöhnt oder eine religiöse Identifikations-Figur wie Jesus oder Mohamed. - Es ist ein Unterschied, ob man Auswüchse eines Glaubens verhöhnt oder den Glauben selbst. - Es ist ein Unterschied, ob man aufrütteln will oder verhöhnen will.

öh, was soll der Unterschied sein? Übrigens: Jesus oder einen Iman oder politischen Führer in einer Karikatur zu zeichnen, heisst noch nicht automatisch, dass er verhöhnt wird. Um zu entscheiden, ob es Verhöhnung ist, muss man schon den Inhalt studieren.


Das ist harmlose Alltags-Karikatur. - Du wirst aber nicht en detail sehen, dass Poroschenko dem Obama einen bläst, weil er in die NATO aufgenommen werden will. - Und Du wirst nicht sehen, dass die Karikaturisten sich selber als Pinscher der Meinungsfreiheit darstellen, die ab und an Brocken vom Tisch der Meinungs-Industrie hingeworfen bekommen.

Was genau ist nun dein Punkt?


Wie bitte? - Ich halte sie für Mainstream-Terrier - zumindestens in Bezug auf das, was in Bezug auf Christentum und Islam zu sehen ist (das sonstige Programm kenne ich nicht).

und Mainstream-Terrier sollen was sein?

Natürlich nicht - ich sehe eher das Problem, Verhöhnung um der Verhöhung willen zu veranstalten - ohne Ansatz einer Differenzierung. - Gibt es von "Charlie" Karikaturen, in denen normale Moslems und normale Christen als Opfer dargestellt werden?

nein, die normalen Leute werden gar nie thematisiert in Charlie. Bloss die Führer, die Symbolfiguren und die Fundis, die politische Aktualität.

Da kommt dann Otto Normalo schno mal als Opfer vor - hier zB als Opfer der Steuern:
https://encrypted-tbn3.gstatic.com/imag ... 5zyXQUJAD0

aber hingewiesen wird auf die allzu hart empfundene Höhe der Steuern.


Moment - "Charlie" ist doch Teil und Protagonist davon.

nein, Charlie ist nicht Protagonist, Charlie ist Beobachter und Kommentator.

gruss, barbara

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