Neuzeitliche Exegese der Bibel

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Münek
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#451 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von Münek » Di 6. Jan 2015, 09:36

2Lena hat geschrieben:
Hemul hat geschrieben:Kurz: Die Zusammenfassung der Predigt Jesu in Mk 1,15 ist sachgerecht: "Die Zeit ist erfüllt, die Gottesherrschaft ist nahe: Kehrt um und glaubt an die Heilsbotschaft." Diese Gottesherrschaft wurde nicht kommenden Generationen verheißen, sondern der damals lebenden:
...
Die biblischen Texte sind leichter zu verstehen, wenn du etwas über die Funktionen der Verben (in hebräischer Sprache) kennst. Die Erzählform hat bestimmte Ausdrücke. Es ist möglich ×”×™×” (sein, ist) als Imperativ (soll sein) oder als Infinitiv darzustellen.

Kommt ein "und" wird aus einer Zukunftsform auch Vergangenheit, vielmehr ein "somit" und das Abwägen.

Dann siehst du nicht allein den Menschensohn in den Wolken des Himmels, sondern mit der anderen Seite auch das Verständnis der Menschen aufbauen bei richtiger Reaktion. Sie SOLLEN das Reich Gottes erleben. Ganz streng genommen ist auch eine Abkanzelung dabei.

Die Evangelien wie auch die anderen neutestamentlichen Schriften wurden nicht
in hebräischer, sondern altgriechischer Sprache (Koine)
abgefasst.

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Münek
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#452 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von Münek » Sa 10. Jan 2015, 20:58

Halman hat geschrieben: Daher habe ich einfach mal in Wikipedia zu diesem kontroversen Thema nachgeschlagen; im Artikel über die Naherwartung habe ich hierzu einige interessante Anmerkungen gefunden. Im Abschnitt über die Naherwartung in den Evangelien wird festgestellt:
In den synoptischen Evangelien sind drei verschiedene Aussagen-Reihen in Bezug auf das Kommen des Reiches Gottes zu finden: Erstens Hinweise auf eine rasche Wiederkehr Jesu, zweitens Hinweise auf ein Verzögern dieser Wiederkehr,
Ferner wird unter diesem Abschnitt im 4. Abs. angeführt, dass einige jesuanische Gleichnisse und der Auftrag zur weltweiten Verkündigung des Evangeliums auf einen längeren Zeitraum hinweisen.

Das Problem der Parusieverzögerung machte den Urchristen natürlich zu schaffen. Dieses Problem wurde nicht mehr
einfach nur konstatiert, sondern in dem Sinne "gelöst", dass man ihm einen notwendigen Platz im Ablauf der Heilsge-
schichte einräumte
. Demgemäß sollte das Ende nun stufenweise nach einer Vielzahl von Perioden kommen. Außerdem
sprang auch noch die "Weltmission" in die Lücke zwischen erstem und zweitem Advent (Mk. 13,10).

Mit anderen Worten:

Bei der Apologie (Verteidigung, Rechtfertigung) der urchristlichen Naherwartung, wie wir sie hier und da in den synop-
tischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) vorfinden, handelt es sich um den ersten Versuch einer Bewältigung des Pro-
blems der ausgebliebenen Parusie
, oder vorsichtiger ausgedrückt: um den ersten Versuch, der neuen Situation gerecht
zu werden und der Parusieverzögerung einen notwendigen Platz in der Heilsgeschichte zuzuweisen.

Konnte man sich anfangs noch mit dem bloßen Trost begnügen, der trotz des Verzuges die Parusie dennoch für das Ende
dieser Generation verhieß (Mk. 9,1)
, so wurde im Zuge der fortlaufenden Entwicklung doch bald eine begründete Auskunft
hinsichtlich der Verzögerung unumgänglich. Diese begründete Auskunft bildete der bewusste Aufschub des Termins durch
Vorschaltung von allerlei Zwischenstufen vor dem eigentlichen Ende.

Dadurch wurde die Zeit gedehnt und das Ziel der echatologischen (endzeitlichen) Entwicklung hinausgeschoben (Mk. 13; Lk.
17,22 ff.). Geschichtlich bedeutet das: Das Bewusstsein der unmittelbaren Naherwartung schlägt um in "apokalyptische Hoff-
nung". Das Ende kommt nicht anders denn nach Ablauf der verschiedenen Vorperioden: der Zeit der Bedrängnisse und Wehen
(Mk. 13,5 ff.), Kommen des Antichrist (2. Thess.), die Zeit der Heidenmission (Mk. 13,10) und schließlich der Zeit der Erhö-
hung Christi (Mk. 14,62).


(Quelle: Erich Gräßer, "Die Naherwartung Jesu")

Umgekehrt gab es auch immer wieder Bemühungen, die ursprüngliche Naherwartung wieder aufleben zu
lassen
. Ich denke hier insbesondere an die "Offenbarung des Johannes", aber auch an andere neutestament-
liche Schriften. Es war ein auf und ab...

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sven23
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#453 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » So 11. Jan 2015, 09:59

Es wurde ja auch schon mehrfach angesprochen, daß man Jesus im historischen Kontext betrachten muß. Nichts anderes macht die historisch kritische Methode. Sie schaut sich den Zeitgeist an und der war von einem außerordentlich großen Glauben an eine Endzeit geprägt. Messiasse, die das nahe Reich Gottes verkündeten, gab es fast wie Sand am Meer. Jesus war da keine Ausnahme, im Gegenteil paßte er sich nahtlos in dieses Bild ein.

http://www.bibleserver.com/text/LUT/Lukas9,23-27

Obige Stelle muß im Zusammenhang mit der Nachfolge Jesu gesehen werden, nicht mit der Verklärung, wie hier schon irrtümlich angenommen wurde. Dann macht der Verweis darauf, daß einige noch nicht gestorben sein werden bis zur Wiederkunft auch Sinn.

Paulus glaubte anfangs auch an die Naherwartung, führte aber später die Idee von der Parusieverzögerung ein. Da Paulus aber Jesus nicht gekannt hat und er somit auf Hörensagen angewiesen war, ist er als Zeuge wenig verläßlich.
Anders sieht es bei Petrus aus. Er kannte Jesus persönlich und hatte als Augen und Ohrenzeuge Informationen aus 1. Hand.
Im 2. Petrusbrief schreibt er:

„Sie werden sich über euch lustig machen und sagen: Er hat doch versprochen wiederzukommen! Wo bleibt er denn? Inzwischen sind unsere Väter gestorben, aber alles ist noch so, wie es seit Beginn der Welt war... "

Diese Aussage von Petrus ist hochinteressant. Er bestätigt quasi, daß Jesus selbst die Naherwartung gepredigt hat indem er sie nicht dementiert (was auch unglaubwürdig gewesen wäre), sondern er relativiert sie, indem er Gott ein anderes Zeitmaß zuschreibt.

Neben den Aussagen von Jesus selbst ist Petrus der Hauptzeuge, daß die Naherwartung von Jesus selbst ganz offensiv gepredigt wurde.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#454 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von 2Lena » So 11. Jan 2015, 10:32

Münek hat geschrieben:Die Evangelien wie auch die anderen neutestamentlichen Schriften wurden nicht in hebräischer, sondern altgriechischer Sprache (Koine) abgefasst.
Abgefasst ja. Das musst du groß schreiben. Hinter dem Wissen stand jedoch der Komplex des Alten Testamentes, dessen *Auslegung gekannt war.

Zudem wird im NT die gleiche Art der Dichtung verwendet und sie erklärt das ebenso. Die logische Auflösung gelingt nicht allein in griechischer Sprache. Man braucht das AT dazu.

Münek hat geschrieben:Bei der Apologie (Verteidigung, Rechtfertigung) der urchristlichen Naherwartung, [...]
... dabei handelt es sich u.a. auch um Gesetze, die jederzeit gültig sind. Und ...es wird [we jehi] - es war [we jehi] aber, es sollte so sein [we jehi]. Die schrieben die Folgen. Das sah aus wie die Prophezeiung. Sie schrieben auch mit gleichem Satz das Gesetz wie es sein soll.

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#455 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » So 11. Jan 2015, 10:41

sven23 hat geschrieben:Er bestätigt quasi, daß Jesus selbst die Naherwartung gepredigt hat
Das kann er so gemeint haben. - Aber auch hier wird das "Und die verstanden ihn nicht" wichtig, das sich durch die ganze Bibel zieht.

Im Grunde haben wir hier dasselbe Problem wie drüben im Fügungs-Thread. Wenn man Gott/Jesus ansatzweise verstehen will, kann man ihn nicht so definieren, dass es ihn nicht geben kann - zumal es etliche andere Bibel-Stellen gibt, die dem widersprechen.

Im Grunde wird "Historisch-kritische Exegese" bewusst oder unbewusst als Falsifizeriungs-Eindrichtung statt als Verständnis-Einrichtung dargestellt.

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#456 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von Pluto » So 11. Jan 2015, 10:45

closs hat geschrieben:Im Grunde wird "Historisch-kritische Exegese" bewusst oder unbewusst als Falsifizeriungs-Eindrichtung statt als Verständnis-Einrichtung dargestellt.
Geht es nicht letztlich um Wahrheitsfindung?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#457 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » So 11. Jan 2015, 10:55

Pluto hat geschrieben:Geht es nicht letztlich um Wahrheitsfindung?
Um nichts anderes - aber wie will man Perlen finden, wenn man das Äußere der Muscheln vermisst?

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sven23
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#458 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » So 11. Jan 2015, 10:59

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Geht es nicht letztlich um Wahrheitsfindung?
Um nichts anderes - aber wie will man Perlen finden, wenn man das Äußere der Muscheln vermisst?

Die h.k.M. knackt die Muschel auf und wenn keine Perle drin ist, ist das doch nicht ihre Schuld.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#459 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von closs » So 11. Jan 2015, 11:01

sven23 hat geschrieben:Die h.k.M. knackt die Muschel auf
Genau das eben NICHT - sie bleibt an der Oberfläche und sagt: "Da ist nichts drin".

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#460 Re: Neuzeitliche Exegese der Bibel

Beitrag von sven23 » So 11. Jan 2015, 11:01

closs hat geschrieben: - Aber auch hier wird das "Und die verstanden ihn nicht" wichtig, das sich durch die ganze Bibel zieht.
.

Aber nicht im Zusammenhang mit der Naherwartung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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